osasunbide1… mit Klasseninteressen

Osasunbidea ist der Name des Gesundheitssystems in Nafarroa (Navarra). Derzeit ist dieses System von drei verschiedenen Streiks betroffen: In dieser Woche wird der Streik der Ärzte fortgesetzt, am Mittwoch findet ein Streik in der gesamten Verwaltung statt und am Samstag protestieren die Krankenschwestern und -pfleger. Wie es zu diesen drei verschiedenen Arbeitskämpfen kam, erklärt ein Artikel der Tageszeitung Gara: “Antworten zum Verständnis der Streiks im öffentlichen Gesundheitssystem Navarras“.

Das Thema Gesundheit steht im Mittelpunkt von Streiks, nicht nur in Euskadi, Nafarroa und Iparralde, auch in Madrid, Galicien und England. Es geht um den Erhalt des öffentlichen Systems – gegen Kürzung und Privatisierung. Doch nicht alle Gewerkschaften ziehen an einem Strang.

Osasunbidea ist der Name des Gesundheits-Systems in Nafarroa, es ist Baskisch und bedeutet wörtlich: Gesundheits-Weg. In diesem System sind – wie weltweit überall – verschiedenen Berufs- und Interessengruppen vertreten, die in der gesellschaftlichen Anerkennungs-Scala in unterschiedlichen Kategorien vertreten sind. Ein Arzt und eine Krankenschwester sind nicht zu vergleichen. Weder im Status noch in der Bezahlung. Die Arbeiterklasse wird von linken Gewerkschaften vertreten, in der Interessenvertretung der eher zur Oberschicht gehörenden Ärzte und Ärztinnen hingegen sind sogar Faschisten von Typ Vox zu finden. Insofern müssen Streiks differenziert betrachtet werden. Fragen und Erklärungen:

Wie kam es zu der aktuellen Krise bei Osasunbidea? (1)

Der erste Streik wurde von der “Mediziner-Gewerkschaft Navarra“ (Sindicato Médico Navarro, SMN) ausgerufen. Die fordert, dass öffentlich beschäftigte Ärztinnen und Ärzte auch für private Unternehmen arbeiten können, ohne dass ihnen ihre Exklusivitätszulage (nur für das öffentliche System zu arbeiten) entzogen wird. Die Zulage beträgt derzeit ca. 800 Euro netto pro Monat. Dazu wird eine Lohnerhöhung von 1.000 Euro pro Monat gefordert und eine vollständige Autonomie des Terminkalenders, das heißt, die Ärztin kann selbst entscheiden, ob sie sich um weitere Personen kümmert, wenn es in ihrem Terminkalender Lücken gibt, ohne von der Verwaltung dazu "gezwungen" zu werden. Der Streik beginnt, obwohl eine Vereinbarung getroffen wurde, dass die Konsultationszeit 12 Minuten pro Patient*in dauern darf, der höchsten Rate im ganzen Staat.

osasunbidea2Was bietet ihnen die Regierung?

Eine Gehaltserhöhung von 400 Euro pro Monat in diesem Jahr. Nichts für das nächste Jahr. Beendigung der Exklusivität ohne Gehaltseinbußen, außer für die Chefärzte, dies wurde am 30. Januar deutlich gemacht, als die Regierung erklärte, sie werde eine "Unvereinbarkeit" aufrechterhalten, nach der sie weiterhin nicht als Privatärzte praktizieren können. Sie hat sich auch zu einer Neuregelung der Besuchszeiten offen gezeigt. Darüber hinaus schlägt sie eine Erhöhung der Bereitschaftsdienst-Vergütung um 10% vor (Nafarroa zahlte bereits vorher am meisten für dieses Konzept) und eine weitere Erhöhung um 20% für Tutorien. Da keine Einigung erzielt wurde und der Streik unbefristet bleibt, ist das Angebot noch in der Schwebe.

Worauf stützt die Ärzte-Gewerkschaft ihre Forderungen?

Die SMN behauptet, dass in den Nachbarregionen mehr gezahlt wird und Navarra aus diesem Grund nicht in der Lage ist, Fachkräfte zu halten. Außerdem sei Navarra eine der Regionen, die am "geizigsten" mit ihren Ärzten umgehen. Dies stimmt bei den neuen Ärzt*innen und vor allem für jene in den Städten, weil sie mehr Patienten zugeteilt bekommen und weniger Bereitschafts-Dienste leisten. Andererseits ist Nafarroa eine der "großzügigsten" Regionen bei den Ärzten, die länger bei Osasunbidea arbeiten. Gleichzeitig behauptet die Gewerkschaft, dass die Exklusivität (nur für das öffentliche System zu arbeiten) nur in Asturien und Nafarroa aufrechterhalten wird, was auch stimmt.

Stimmt es, dass es einen Ärztemangel gibt, weil Nafarroa wenig zahlt?

Der Mangel an Ärzt*innen, insbesondere an Familien-Ärzt*innen, betrifft den ganzen Staat. Die verschiedenen Gewerkschafts-Verbände führen diesen Mangel auf die schlechte Bezahlung der Ärzt*innen zurück, wobei sie je nach Region auch andere Aspekte hervorheben. In Araba, Gipuzkoa und Bizkaia wird die baskische Sprache in Frage gestellt. In Andalusien, Kastilien und Katalonien ist es eine Frage der Bezahlung. In Asturien geht es um Exklusivität. Auf diese Weise hat die SMN zeitgleich mit der Mobilisierung in Nafarroa Streiks oder Streikwarnungen ausgerufen. In einigen Orten, wie Andalusien und Extremadura, wurden bilaterale Vereinbarungen getroffen.

Wie hat sich dieser Konflikt zwischen den Ärzten und dem Senat auf das gesamte Gesundheits-Personal ausgewirkt?

Als die Gewerkschaft einen Streik erwog und rechtmäßig ein Betriebsrat gebildet wurde, war die Regierung verpflichtet, mit ihm zu verhandeln. So sieht es das Gesetz vor. Im Jahr 2019, als die Ärzte-Gewerkschaft zu den gleichen Terminen zum Streik aufrief, wurde eine Vereinbarung zwischen den Streikenden und der Regierung von María Chivite getroffen. Dabei wurden die Produktivität und Patientenquoten neu vereinbart. Die übrigen Gewerkschaften von Osasunbidea hielten dies für einen schlechten Präzedenzfall, da sie der Meinung sind, dass diese Fragen im sektoralen Gesundheits-Ausschuss behandelt werden sollten. Und wenn es um Gehaltserhöhungen in Höhe von 400 Euro pro Monat geht, muss der Allgemeine Ausschuss für den öffentlichen Dienst eingeschaltet werden.

Wie repräsentativ ist die Ärzte-Gewerkschaft?

Die SMN wurde bei den Gewerkschafts-Wahlen 2019 von 1.141 Personen unterstützt. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der Ärzt*innen in Navarra für sie gestimmt hat. Sie ist die mit Abstand stärkste Vertretung dieser Gruppe von Arbeitnehmer*innen. Allerdings stellt sie nur 12 von 64 Betriebsräten bei Osasunbidea. Im gesamten Gesundheits-System von Navarra ist die Situation anders, da die Ärzte 20% der Beschäftigten ausmachen. Unter den mehr als 13.000 Gesundheits-Bediensteten ist die Gewerkschaft LAB mit 13 Betriebsräten die stärkste Kraft. An zweiter Stelle steht die Gewerkschaft SATSE, das Pendant der Ärzte-Gewerkschaft in der Krankenpflege, mit ebenfalls 12 Betriebsräten (bei einem Pflegepersonal, das doppelt so groß ist wie das der Ärzte). Die Ärzte-Gewerkschaft steht an dritter Stelle. Die anderen Gewerkschaften haben, gemessen an der Zahl der Delegierten, folgendes Gewicht: UGT 6, USAE (Hilfskräfte) 6, Afapna 5, ELA 5 und CCOO 4.

Wie lautet die Antwort der anderen Gewerkschaften?

Nach dem Präzedenzfall von 2019, als das neue Vertragsangebot der Regierung an die SMN veröffentlicht wurde, ohne die übrigen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, machten die übrigen Gewerkschaften ihren Unmut deutlich. Solcherart Vereinbarungen sollten auf dem üblichen Weg diskutiert werden, und die Regierung müsse die Forderungen aller erfüllen. Der Block LAB, UGT, USAE, ELA und CCOO (34 der 64 Delegierten) rief für Mittwoch zu einem weiteren Streik auf und bildete ein neues Streikkomitee, mit dem die Regierung erneut per Gesetz verhandeln musste. SATSE kündigte einen eigenen Streik an, während Afapna es vorzog, sich aus dem Ganzen herauszuhalten.

osasunbidea3Worum geht es SATSE?

Das Pflegepersonal (60% der Gesamtbelegschaft von Osasunbidea) fühlte sich durch die Vereinbarung für 2019 zwischen der Gewerkschaft SMN und dem Senatorin Santos Indurain ausgegrenzt. Dort wurde ein neues Produktivitäts-Modell vereinbart, wonach ein Arzt, der sich um den Patienten eines Kollegen kümmert, einen Bonus erhält, auch wenn er dies innerhalb seiner normalen Arbeitszeit tut.

Eine Krankenschwester (Frauen bilden die große Mehrheit in diesem Beruf und sind auch unter den Ärzt*innen in der Mehrheit) übernimmt dagegen zusätzliche Arbeit, wenn eine Kollegin abwesend ist, ohne solche Ausgleichs-Zahlungen zu erhalten. Die SATSE will diesen Missstand beheben und hat ihre Forderung nach einer Anhebung der Kategorie B auf A wieder aufgenommen.

In einigen Fällen können die Ärzt*innen argumentieren, dass sie im Vergleich zu anderen autonomen Regionen schlechter bezahlt werden. Das Pflegepersonal in Navarra kann dies jedoch nicht behaupten, da es bei den Gehältern an der Spitze des Staates steht. Die Gewerkschaft SATSE hat eintägige Arbeitsniederlegungen angekündigt, aber ihr Hauptprotest besteht vorerst in einer Mobilisierung am kommenden Wochenende.

Wie hat sich der Konflikt auf die gesamte Verwaltung ausgeweitet?

Die Ankündigung einer Gehaltserhöhung von 400 Euro pro Monat für eine einzige Gruppe von Staatsbediensteten (Ärzt*innen) bedeutet, ein Thema anzuschneiden, das seit 13 Jahren nicht mehr zur Diskussion stand. Es geht nicht mehr darum, dass das in der Sektoren-Runde besprochen werden muss, sondern darum, dass es in der Hauptrunde verhandelt werden muss, mit allen Beamten. Dies geschah praktisch noch nie. Die Gewerkschaften, die in der Verwaltung am stärksten vertreten sind, sahen sich gezwungen, sich zu bewegen. Deshalb werden sie sich am 15. Februar mit ihren Kolleg*innen in den Streik begeben – ein Streik, wie es ihn in der Verwaltung Navarras noch nie gegeben hat. Er wird Schulen, Krankenhäuser, Bürgerdienste, Rettungsdienste, Feuerwehren betreffen.

Sind die Positionen politisiert?

Streiks wie der in Navarra wurden auch in anderen autonomen Regionen ausgerufen. In einigen wurde eine Einigung erzielt, in anderen nicht. Der Zeitpunkt hat mit der Nähe zu den Wahlen zu tun. Der Vorstand der SMN-Gewerkschaft ist stark rechtslastig. Bei den letzten Wahlen waren 4 Vox-Mitglieder im Vorstand vertreten. So wie die Gewerkschaft LAB bei Osasunbidea ihre Initiativen im Parlament durch Gespräche mit Txomin González von EH Bildu kanalisiert und die UGT dasselbe mit der Ärztin Patricia Fanlo von der PSN tut, trifft sich die SMN mit Cristina Ibarrola von der rechten Koalition Navarra Suma. Dies ist durchaus legitim. Doch selbst wenn dies der Fall ist, wäre eine rein politische Lesart völlig falsch. Das Problem des Mangels an Ärzt*innen bei der Besetzung von Stellen ist absolut real.

Welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Die Regierung hat mit ihrem Angebot an die Ärzte-Gewerkschaft gezeigt, dass sie einen gewissen Verhandlungsspielraum hat. Aber dieses "etwas" ist begrenzt, und die Begrenzung hat eine Einigung verhindert und bedeutet, dass der unbefristete Streik weitergehen wird. Seit letzter Woche besteht ein Kontakt zu der Gewerkschafts-Mehrheit, die zum Streik aufgerufen hat und die auch die Ärzt*innen vertritt, da sie die übergreifenden Gewerkschaften von Osasunbidea sind. Wenn es dieser zweiten Gruppe gelingt, eine Einigung zu erzielen und den Spielraum zu nutzen, den das Regional-Ministerium hat, kann die SMN ihren Streik fortsetzen. Auch wenn die Unterstützung nach etwas mehr als einer Woche nicht mehr dieselbe zu sein scheint. Aber es wird kompliziert, eine Einigung zu erzielen, und noch weniger unter den derzeitigen Bedingungen, kurz- oder mittelfristig.

Nachbemerkung (2023-02-17)

Am Nachmittag wurde bekannt, dass die Regierung einen Vertrag abgeschlossen hat mit der Ärzte-Gewerkschaft SMN, in dem fast alle Forderungen der elitären Gewerkschaft erfüllt wurden, nur die Höhe der Lohnsteigerung wurde halbiert (auf immerhin 400 Euro). Aus Angst vor der Entrüstung der übrigen Gewerkschaften legte die Regierung der neuen Vertrag nicht vor, sondern erläuterte nur stichworthaft. Die Ärzt*innen haben nach dem Abschluss ihren Streik abgebrochen, die übrigen Gewerkschaften, die Verwaltung und Pfleger*innen vertreten, sind nach dem “Klassen-Tarifvertrag“ sicher entschlossener denn je, ihre Streiks weiterzuführen. Die Situation macht deutlich, dass Statusmacht ausreicht, um für ohnehin Besserverdienende Zugeständnisse gemacht werden, die der “Arbeiterklasse unter den Bediensteten“ bei Weitem nicht zugestanden werden. Dennoch wird der Eliten-Abschluss möglicherweise zu einem Pyrrhus-Sieg, weil er eine offene Provokation darstellt.

ANMERKUNGEN:

(1) Respuestas para entender las tres huelgas de Osasunbidea” (Antworten, um die drei Streik bei der Gesundheits-Behörde Navarra zu verstehen), Tageszeitung Gara, 2023-02-14 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Streik für Gesundheit (ccoo)

(2) Streik für Gesundheit (diario de navarra)

(3) Streik für Gesundheit (cgt)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-02-17)

Für den Betrieb unserer Webseite benutzen wir Cookies. Wenn Sie unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen, akzeptieren Sie unseren Einsatz von Cookies. Mehr Information