Verfassung wird nicht respektiert
Der Fluch der bösen Tat: Spaniens Verfassungsgericht zensiert das spanische Parlament und den Senat. Die Art der Berufung der Richter des Verfassungsgerichts hat dazu geführt, dass die Benennung weitegehend in den Händen der beiden großen Parteien liegt und dass die reaktionäre Mehrheit im Gerichtshof nicht in Frage gestellt wird. Nicht einmal die Tatsache, dass das Mandat zweier Richter abgelaufen ist, veranlasst diese, ihre Sitze zu verlassen. Eine Analyse von Prof. Dr. Axel Schönberger auf change.org.
Das abgelaufene spanische Verfassungsgericht hat entschieden, dem spanischen Senat zu verbieten, nach neuen Wegen zu suchen, den Gerichtshof zu erneuern. Nicht wenige sprechen von “Justiz-Putsch“, hinter dem die postfranquistische PP steht.
Entgegen dem bewährten Grundsatz der Gewaltenteilung hat das spanische Verfassungsgericht judikative und legislative Gewalt. Die Entscheidungen des spanischen Verfassungsgerichts haben Gesetzeskraft und werden im spanischen Gesetzesblatt (Boletín Oficial del Estado, BOE) veröffentlicht. Die zwölf jeweils auf neun Jahre ernannten Richter werden vom Kongress (vier Richter), vom Senat (vier Richter), von der Regierung (zwei Richter) und vom Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial) vorgeschlagen und vom spanischen König ernannt. Da zehn der zwölf Richter faktisch von den beiden großen politischen Parteien Partido Popular (postfranquistisch) und PSOE (sozialdemokratisch) vorgeschlagen werden, ist das Verfassungsgericht in der öffentlichen Wahrnehmung eine von der Politik abhängige Institution, die vielen Spanier*innen nicht als unabhängig gilt.
Spanien hat das Verfassungsgericht bereits mehrfach benutzt, um entgegen den Menschenrechts-Pakten der Vereinten Nationen, denen sich Spanien eigentlich vorbehaltlos unterworfen hat, und entgegen der spanischen Verfassung, die diese Menschenrechte (darunter auch das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung) garantiert, die katalanische Nation und auch andere im spanischen Vielvölkerstaat lebende Gruppen in ihren Rechten einzuschränken und deren Politiker aus politischen Gründen mit den Mitteln der Justiz zu verfolgen. Die Art und Weise, wie dabei gegen geltendes Recht verstoßen wurde, ist in Europa (mit Ausnahme der Türkei) einzigartig. Im Oktober 2017 erfolgte beispielsweise unter Bruch eines organischen Gesetzes des spanischen Staates, das Verfassungsrang hat, die Absetzung der demokratisch gewählten katalanischen Regierung und die Auflösung des gleichfalls demokratisch gewählten katalanischen Parlaments, die einen eindeutigen Verstoß gegen die spanische Verfassung und gegen höherrangiges Recht der Vereinten Nationen darstellten. Die großen spanischen Parteien konnten sich dabei immer auf die Unterstützung des spanischen Verfassungsgerichtes verlassen, wenn es darum ging, Spaniens katalanische Kolonie in die Schranken zu weisen und die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens in Form einer demokratischen Republik zu verhindern.
Jetzt wendet sich das spanische Verfassungsgericht, das bereits zuvor dem katalanischen Parlament parlamentarische Debatten über bestimmte Themen ebenso wie bestimmte Beschlußfasssungen bei Strafandrohung verboten hatte, auch gegen die sozialdemokratische spanische Regierung. Auf Antrag der rechtskonservativen (postfranquistischen) Partido Popular hat das Verfassungsgericht nur wenige Stunden vor der Ernennung zweier neuer Verfassungsrichter verboten, dass ein von der spanischen Regierung eingebrachtes Gesetz zur Reform des spanischen Strafrechts an den Senat weitergeleitet wird. Damit wurde gleichzeitig auch eine Reform der Ernennung der Verfassungsrichter aufgehalten, die zu anderen Mehrheits-Verhältnissen im spanischen Verfassungsgericht geführt hätte. Dieses verbleibt somit weiterhin unter der Kontrolle von Richtern, die der postfranquistischen PP (Partido Popular) nahestehen.
Immer deutlicher zeigt die spanische Monarchie ihr wahres Gesicht. Eine “Demokratie“ wird man die spanische Kritokratie, die Herrschaft der Richter, kaum nennen können, und rechtsstaatliche Verhältnisse wie in Deutschland oder Frankreich sind in Spanien zumindest dann, wenn es um Katalonien geht, nicht gegeben. Die spanischen Verhältnisse sind eine Schande für die Europäische Union, die sie duldet und sogar unterstützt, während andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Polen oder Ungarn heftig kritisiert werden.
Ein Land, das sein eigenes Verfassungsrecht bricht, bis vor kurzem politische Gefangene hatte (oder immer noch hat) und politisch Andersdenkende mit den Mitteln einer kaum rechtsstaatlich zu nennenden Justiz verfolgt, hat in der Europäischen Union nichts verloren und sollte insbesondere keine Fördergelder der Europäischen Union erhalten, solange es nicht wirksam die Korruption bekämpft, ein Funktionieren rechtsstaatlicher Strukturen ermöglicht und die Wahrung der Menschenrechte, darunter das Menschenrecht des katalanischen Volkes auf Selbstbestimmung, garantiert.
Allein das CatalanGate hätte in einer funktionierenden Demokratie längst zu einem Rücktritt der Regierung und Disziplinarmaßnahmen gegen alle Beamten geführt, die in so gravierender Weise gegen Grundrechte verstießen! (Im Artikel-Original folgt eine Link-Liste mit Artikeln zum Thema).
Axel Schönberger: “Wenn die Europäische Union nicht entschlossen gegen die Mißstände in Spanien vorgeht, wird sie bei den Völkern Europas und der Welt ihre Glaubwürdigkeit verlieren und früher oder später zerfallen. Wer schweigt, stimmt zu!“
ANMERKUNGEN:
(1) “Der Fluch der bösen Tat: Spaniens Verfassungsgericht zensiert das spanische Parlament und den Senat“, change.org, 2022-12-19, Autor: Prof. Dr. Axel Schönberger (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Verfassungsgericht (zarzuela)
(2) Verfassungsgericht (el independiente)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-12-21)