kolu34a00C19, der ewig treue Freund

Licht am Ende des Tunnels? Wie oft haben wir das in zwei Jahren erlebt. Bisher regelmäßig mit Enttäuschungen am Ende. Die unsinnigen Covid-Beschränkungen bleiben, die Widerstands-Bemühungen steigen. Gegen Sozialkürzungen, gegen neoliberale Privatisierung, gegen die Arbeitsreform, gegen Armut – die Zeichen stehen auf Krawall im nächsten Quartal. Generalstreik nicht ausgeschlossen. Gewerkschaften, neue Jugend-Organisationen, Krankenpflegerinnen auf der Straße. Anzeichen für wenig Ruhe vor dem Sturm.

Januar hat die Bereitschaft von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft deutlich gemacht, die Folgen von Krise und Covid nicht länger hinzunehmen. Arbeitsreform, Sozialkürzungen, Prekarität sind Stichworte. Februar wird zeigen, in welche Richtung Protest und Widerstand gehen.

(2022-02-28)

JURISTISCHE OHRFEIGE FÜR SPANIEN

kolu34a28Der Europäische Gerichtshof fordert, die Diskriminierung von Hausangestellten bei Sozialversicherungs-Ansprüchen im spanischen Staat zu beenden. Eine schallende Ohrfeige für die sozialdemokratische Regierung, die von Glück sprechen kann, dass der russische Angriff auf die Ukraine alles andere unsichtbar macht. Etwa eine halbe Million Hausangestellte werden diskriminiert, so der EuGH, indem ihnen der Zugang zur Arbeitslosen-Versicherung verweigert wird. Das ist peinlich für die selbsternannte “fortschrittliche“ Regierung von Sozialdemokraten und Podemos.

Hausangestellte sind zu 95 Prozent Frauen. Ihre Ausgrenzung stellt “eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar und ist durch keine Argumente gerechtfertigt“. Die spanische Regelung ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Geklagt hatte eine Haushaltshilfe aus Vigo (Galicien). Der Klägerin war der Zugang zur Sozialversicherungs-Kasse verweigert worden, obwohl ihr Arbeitgeber sogar bereit war, die zusätzlichen Kosten zu übernehmen. Die TGSS lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Sonderregelung im Sozialversicherungs-System für Hausangestellte keinen Schutz bei Arbeitslosigkeit vorsehe.

Die Frau klagte vor dem Verwaltungsgericht und machte geltend, dass Hausangestellte, die ihre Anstellung unverschuldet verlieren, in eine soziale Notlage gerieten. Sie hätten dann nicht nur keinen Zugang zu Arbeitslosengeld, sondern auch keinen Anspruch auf andere Hilfen, die damit in Zusammenhang stünden. Für Hausangestellte werden nämlich auch keine Beiträge in den Fonds zur Absicherung von Gehältern eingezahlt. Der springt ein, wenn Arbeitgeber ausstehende Löhne nicht mehr bezahlen können. Wenn der Arbeitgeber plötzlich stirbt, Lohnzahlungen offenbleiben und sofort Arbeitslosigkeit entsteht.

Spanien rechtfertigte seine Sonderregelung damit, dass es sich um keine «gewerbsmäßigen Arbeitgeber» handele. Argumentiert wurde auch mit der Vermutung eines hohen Betrugsaufkommens beim Zugang zu Sozialleistungen. Diese Argumentation ist laut Kritikern rassistisch, denn bei Hausangestellten handelt es sich oft um Migrantinnen. Dazu argumentierte die Regierung, die höheren Beitragskosten, die der Zugang zu Arbeitslosengeld mit sich bringen würde, könnten zur Zunahme der Schattenwirtschaft führen. Das ist angesichts der geringen Zusatzkosten unwahrscheinlich. Wer Sozialabgaben sparen will, meldet die Angestellten schlicht nicht an. Vergleichbare Berufsgruppen fallen nicht unter die Sonderregelung, sie gilt allein für Hausangestellte.

Das Gericht in Vigo legte den Fall dem EuGH in Luxemburg vor, dadurch wurde der Gerichtsweg verkürzt. Der spanische Klageweg hätte eine Entscheidung in höchsten Gerichten sonst um Jahre verschoben. Jetzt muss das zuständige Gericht in Vigo erneut entscheiden. Das Gericht in Vigo legte den Fall dem EuGH in Luxemburg vor, dadurch wurde der Gerichtsweg verkürzt. Der spanische Klageweg hätte eine Entscheidung in höchsten Gerichten sonst um Jahre verschoben. Jetzt muss das zuständige Gericht in Vigo erneut entscheiden. Frage ist, ob die selbst ernannte “progressivste“ Regierung Spaniens diese Diskriminierung per Gesetz nun endlich abstellt oder die Frauen jeweils einzeln auf einen langen Klageweg geschickt werden. Zwar war die Regelung von den konservativen Vorgängern eingeführt worden, doch, statt sie abzuschaffen, wurde sie in Luxemburg sogar noch verteidigt. (Neues Deutschland)

UND SONST … Endlich wieder ein Karneval – zur Freude von Zehntausenden im ganzen Baskenland. Feiern, Ausgelassenheit, nach der Pandemie mal wieder legal über die Stränge schlagen. Wenn nicht – die Festfreude mit sexuellen Übergriffen verbunden wäre. Drei Vergewaltigungen an einem Wochenende. Die große Mehrheit hat keine Schuld dafür. Doch Massifizierung liefert die perfekte Dunkelkammer für jene Macho-Minderheit, die im Schatten agiert. Niemand kann sich freisprechen.

(2022-02-27)

AUSWIRKUNGEN DES KRIEGES AUF DIE BASKISCHE WIRTSCHAFT

Auch für die baskische Wirtschaft bringt der Ukraine-Krieg Risiken. Es wächst die Besorgnis über steigende Energiekosten und die Versorgung mit wichtigen Materialien für den Automobilsektor, wie Aluminium und Palladium. Die Lage an den Märkten hat sich etwas entspannt. Gründe dafür waren die Verhandlungsbereitschaft Putins nach dem Vorrücken auf Kiew und die Tatsache, dass die westlichen Sanktionen nicht die Energieversorgung betrafen. Die Gaspreise fielen um 30%, die Ölpreise unter 100$. Die Spannungen bleiben, baskische Unternehmen beobachten die Entwicklung mit Sorge. Vor allem die steigenden Kosten für Energie und andere Rohstoffe sind es, die Anlass zur Sorge geben. Besorgniserregend auch die Auswirkungen der Sanktionen auf die Exporte nach Russland im Automobil- und Werkzeugmaschinen-Sektor.

GAS UND ÖL

kolu34a27Russland ist eine Energiemacht, dies spiegelt sich in den Handelsbeziehungen mit dem Baskenland wider. Russland steht an vierter Stelle der Lieferanten, die im vergangenen Jahr 1,4 Milliarden Euro für den Kauf von Brennstoffen aufbrachten. Russland ist Hauptlieferant von Bahía Bizkaia Gas, der Gasanlage im Hafen von Bilbao, und zweiter Lieferant der Raffinerie Petronor in Muskiz. Die Befürchtungen richten sich weniger auf eine Verknappung des Angebots als auf den Anstieg der Preise. Tatsache ist, dass das spanische System weniger anfällig für einen Ausfall russischen Gases ist als andere europäischer Länder, da Algerien Hauptlieferant ist.

Trotz dieses Vorteils entgeht das Baskenland nicht der Bedrohung durch einen weiteren Anstieg der ohnehin schon wahnsinnig hohen Energiepreise. "Die Strom- und Benzinpreise werden weiter steigen, die Produktionskosten der Industrie in die Höhe schnellen". Nicht zu vergessen, dass es im Baskenland Fabriken gibt, die wegen Energiemangels stillstehen. Von den Sektoren, die nach Russland exportieren, sind vor allem der Automobil- und der Werkzeugmaschinensektor betroffen. Russland ist mit einem Anteil von 40% (in Deutschland 65%) Europas wichtigster Gaslieferant, was nach Ansicht von Experten dazu geführt hat, dass der Westen mit den Sanktionen nicht an die Grenzen gegangen ist. Daher ist der Preis gestern um 32% gefallen. Von Unterbrechungen keine Rede, Europa kauft in diesen Tagen verstärkt russisches Gas.

ALUMINIUM, PALLADIUM UND GETREIDE

Russland verfügt auch über eine starke Position bei anderen Rohstoffen wie Aluminium und Palladium, die für die baskische Automobil-Industrie von entscheidender Bedeutung sind. Putins Land ist der zweitgrößte Aluminium-Produzent der Welt, nach China. Der Weltmarkt für dieses Metall ist bereits defizitär, so dass eine Unterbrechung der Lieferungen einen schweren Schlag bedeuten würde", heißt es in einem Bericht von Basque Trade & Investment. Aufgrund dieses Risikos ist der Preis gestern nicht gefallen und hat mit 3.400 Dollar ein neues Rekordhoch erreicht. Seit Mai eine Verdoppelung. Auf der anderen Seite liefert Russland rund 40% des weltweiten Palladiums, ein wichtiger Bestandteil von Katalysatoren für Benzinfahrzeuge. Die Rolle der Ukraine und Russlands bei der Getreide-Versorgung darf nicht vergessen werden. Auf sie entfallen 29% der weltweiten Weizenexporte, 19% bei Mais und 80% bei Sonnenblumenöl.

KRAFTFAHRZEUGE UND MASCHINEN

Das Baskenland importiert mehr aus Russland als es dorthin exportiert. Dennoch ist Russland immer noch ein wichtiger Markt für einige baskische Unternehmen, die unter Sanktionen leiden könnten. Baskische Unternehmen setzten dort im vergangenen Jahr 256 Millionen Euro um. Russland liegt somit an 18. Stelle als Empfängerland. Rund baskische 100 Unternehmen exportieren dahin, 25 haben sich dort niedergelassen. "Herausragende Sektoren sind Automobil-Industrie, Werkzeug-Maschinenbau, die fortgeschrittene Fertigungs-Technologie und die Agrarindustrie". Diese Unternehmen könnten von Sanktionen gegen Russland betroffen sein: "Wir werden abwarten müssen". Schon jetzt sei ein starker Anstieg der Transportkosten zu verzeichnen, weil die LKW-Fahrer mehr Zeit für die Durchquerung des Gebiets benötigen. "Der Kostenanstieg liegt bei etwa 30%, es gibt nicht genug Spediteure", erklärt er.

UND SONST … Die neoliberale baskische PNV hat gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Angesichts der Tatsache, dass baskische Unternehmen mit Regierungs-Unterstützung zu den größten Waffen-Produzenten und -Lieferanten des spanischen Staates gehören, stellt dieser Protest eine Falschheit ersten Grades dar. Jene, die die Erinnerung an das Kriegsverbrechen von Gernika hochhalten, exportieren jeden Monat Waffen an Saudi Arabien. Baskische Rüstungs-Betriebe sind Kriegsgewinnler in der Ukraine.

(2022-02-26)

MEHR PERSONAL FÜR DIE GESUNDHEIT

Tausende gingen heute in Bilbao auf die Straße, um gegen den "Abbau und die Prekarität unseres öffentlichen Systems" zu protestieren und mehr Personal und strukturelle Verbesserungen im baskischen Gesundheitsdienst Osakidetza zu fordern. "Einen Monat lang wurde eine Kollegin im Mutterschaftsurlaub in unserer Abteilung nicht ersetzt. Wir sind überfordert", klagt Leire, Kinder-Krankenschwester im Hospital Gernika. Sie ist nach Bilbao gekommen, um dringende Maßnahmen zur Behebung der Überbelegung und der strukturellen Mängel von Osakidetza zu fordern. Mit Tausenden von Menschen, Fachleute und Nutzer*innen, nahm sie an der zweiten Demonstration innerhalb eines Monats teil, zu der die Gewerkschaften ELA, SATSE, LAB, CCOO und UGT aufgerufen hatten.

kolu34a26Trotz Rückgang der sechsten Covid-Welle, die die Primärversorgung zum Kollaps gebracht hat, bestehen weiter Probleme wegen Personalmangel. Das Personal ist müde wegen der Arbeitsüberlastung, die Empörung wurde auf die Straße getragen. "Unser Team muss sich um verärgerte Eltern kümmern, weil wir ihnen keine Termine geben können, da es auch an Ärztinnen mangelt", so ein Arzt, der versichert, dass "sich das System noch immer im Kollaps befindet", denn "die Ausfälle sind immer noch nicht ersetzt, Arbeitszeit-Verkürzungen werden verweigert, auch unbezahlter Urlaub". Nach dem gestrigen Streik in den Gesundheitszentren, von den Gewerkschaften als "Erfolg" bezeichnet, wurde heute in den drei baskischen Hauptstädten gleichzeitig demonstriert, bei strahlendem Sonnenschein und in Karneval-Atmosphäre.

Die Gemüter haben sich jedoch keineswegs beruhigt, der Unmut der Arbeitnehmer*innen hat zugenommen. "Wir haben die sechste Welle ohne ausreichend Personal überlebt. Der Krankenstand wurde nicht abgedeckt, wir haben sehr gelitten. Eine furchtbare Welle", sagte eine Krankenschwester aus Bilbao. Slogans wie "Weniger Reden, mehr Mittel" oder "Was öffentlich ist, ist nicht käuflich, sondern wird verteidigt" waren zu hören, und Vorwürfe gegen die Gesundheits-Senatorin, die "keinen einzigen Vorschlag zur Lösung der schwerwiegenden Probleme" gemacht hat, "die Osakidetza betreffen und die zur Demontage und Unsicherheit in unserem öffentlichen System führen".

"Es ist eine Schande. Die Öffentlichkeit muss über die von Osakidetza geplanten Kürzungen informiert werden", sagte eine Angestellte in einem Gesundheits-Zentrum. "Sie haben damit begonnen, die Kliniken während der Ferienzeit um fünf Uhr nachmittags zu schließen, sie wollen es für immer tun, weil es kein Personal gibt". Nutzer*innen haben eine "brutale Verschlechterung" der Qualität der Betreuung festgestellt. "Ich habe oft Kopfschmerzen, mein Arzt hat mich oft untersucht, das war gut, aber seit einem Jahr kann er mich nur noch anrufen, wenn es dringend ist", erzählt eine Betroffene.

NICHT NUR VORÜBERGEHEND

Bei der Abschluss-Kundgebung wurde daran erinnert, dass die Probleme von Osakidetza nicht das Ergebnis einer "konjunkturellen Situation" sind, die auf die Pandemie zurückzuführen ist, wie die Senatorin behauptet. Die Behörde habe nicht den "Willen, Personal einzustellen und die Teams zu stabilisieren". Der baskischen Regierung wird vorgeworfen, bei der Planung für den Generationswechsel völlig versagt zu haben und das Osakidetza-Personal systematisch zu misshandeln. Dies führt zur Abwanderung von Fachkräften in die spezialisierte Versorgung, in die private Gesundheitsversorgung oder ins Ausland.

Der gestrige Streik fand ein breites Echo. Die aufrufenden Gewerkschaften, schätzen die Streik-Beteiligung auf 70%. Osakidetza sprach von 30%. Montag wird sie wieder gestreikt, diesmal auch in den Krankenhäusern. Die Gewerkschaften haben sich gegen die für kommende anberaumten Diskussions-Tisch ausgesprochen. Sie sind der Meinung, dass die Sitzung "nur propagandistische Züge trägt. Seit langem ist dies ein rein informatives Forum, in dem nichts verhandelt wird. Osakidetza gibt die Themen vor".

Die Gewerkschaften gehen nicht davon aus, dass Osakidetza auf ihre Forderungen eingehen wird, strukturelle Verbesserungen durchzuführen, um die "Arbeitsüberlastung" der Beschäftigten zu beenden. Sie fordern eine Aufstockung der Haushaltsmittel für das gesamte baskische Gesundheitsnetz, 25% ausschließlich für die Primärversorgung, sowie die Beendigung der "Zeit-Arbeit von mehr als 24.600 Angestellten, die auf 8% reduziert werden soll". Nach Angaben der Gewerkschaften selbst liegt dieser Prozentsatz derzeit bei 58%, eine inakzeptable Realität.

UND SONST … Vor dem morgigen Ligaspiel und baskischen Derby zwischen Real San Sebastian und Osasuna sollte ein Konzert der beliebten baskischen Rockband Gatibu das Ambiente wärmen und den Nachmittag zum Fest machen. Bis einige Real-Fans merkten, dass die aus Gernika stammenden Musiker erklärte Athletic-Fans sind. Das war der Clubführung zu viel, das Konzert wurde abgesagt. Hätte das Konzert zu gleicher Zeit an irgendeinem anderen Ort der Stadt stattgefunden, hätte kein Hahn nach Gatibu gekräht. Logik des Fußballs.

(2022-02-25)

GENTRIFIZIERUNG IN BILBAO

kolu34a25Veränderungen in der Wirtschaft und von Kaufgewohnheiten führten in Bilbao zur Schließung von 7.000 Geschäften in einem Jahrzehnt. Neue Konsumformeln haben jedes fünfte Geschäft zum Verschwinden gebracht, die armen Stadtviertel verlieren, das Zentrum gewinnt. Bilbao hat sich stark verändert, nicht nur wegen der Pandemie. Schon seit Langem. Das Jahr 2008 war das erste einer neuen Ära, kurz vor der großen Krise. Damals begann eine Rezession, verbunden mit einem intensiven gesellschaftlichen Wandel: Digitalisierung, Veralterung der Bevölkerung, neue Freizeitgewohnheiten. Alles zusammen wie eine Walze, die die alten Verhältnisse überrollt. Covid hat den Prozess beschleunigt und zusätzliche Fragen aufgeworfen. Wohin geht die Reise? Verelendung von Stadtvierteln, zunehmende Einsamkeit der Bewohner*innen, wachsende Ungleichheit?

Diese Umwälzung lässt sich am besten an der Veränderung des Wirtschaftsgefüges ablesen, ein Spiegelbild der Realität. Nach Angaben des Baskischen Statistikinstituts (Eustat) gab es 2008 in Bilbo 39.101 Unternehmen. Dazu gehören verschiedenste Gewerbe: von Geschäften bis zu Dienstleistungs-Büros, selbständige Tätigkeiten und Unternehmen aller Art. Im Jahr 2021 (Stand: 1. Januar) waren es noch 32.081, also 7.020 weniger, ein Rückgang von fast 20%.

Wichtig ist nicht nur dieser Schrumpfungs-Prozess, der oft durch Unternehmen mit größerem Volumen und das Verschwinden kleinerer verursacht wird. Interessant ist auch, wo diese Veränderung stattfindet. In den zentralen Stadtbezirken (Indautxu, Abando und Casco Viejo) liegt der Rückgang unter dem Durchschnitt. Diese Stadtteile haben somit insgesamt an Gewicht gewonnen. 2008 entsprachen sie noch 42,6% der Betriebe, 2021 waren es bereits 45,2%. Dort sind viele größere Unternehmen angesiedelt (multinationale Konzerne). Der ehemalige Arbeiterstadtteil Santutxu, bevölkerungsreichstes Viertel, hat hingegen 27% seiner wirtschaftlichen Struktur verloren. Andere Barrios in Randgebieten, mit geringerem Einkommensniveau, mussten Rückgänge von bis zu 40% hinnehmen. Einige wachsen stark, Miribilla zum Beispiel, in diesem neu gebauten Stadtteil gab es 2008 so gut wie gar nichts.

Welche Sektoren am meisten gelitten haben? Zwei Drittel der Buchläden der Stadt wurden geschlossen (von 118 auf 45), ein Drittel der Bekleidungs-Geschäfte (991 - 652). Ursache erstens der Online-Handel, zweitens die Etablierung großer Ketten, die die kleinen auffressen. Gleiches im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe (Verlust von 400 Kneipen, von 2.037 auf 1.632). Hier lohnt sich ein genauerer Blick, denn Kneipen haben einen direkten Bezug zum Lebensalltag. "Ein wichtiger Teil des Gaststätten-Gewerbes in den Stadtvierteln hat vom Poteo gelebt" (vom täglichen Kneipengang), erinnert sich des Verbandes. “In den letzten zehn Jahren haben sich die sozialen Gepflogenheiten geändert, die Leute gehen nach der Arbeit um acht oder neun Uhr abends nicht mehr in die Kneipe, sondern nach Hause". Verlust von Kaufkraft, kein Geld für den Kneipengang. Bereits bei der großen Krise von 2008 gingen in Bilbao 10% dieser Betriebe verloren, die Pandemie hat für weitere 10% das Todesurteil gebracht. "Das passiert vor allem in den Barrios. Der Konsum konzentriert sich heute auf das Wochenende, die Leute bleiben nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung, sondern gehen ins Zentrum, wo es mehr Angebote gibt". Nur die Armen bleiben in ihren Vierteln, weil sie weder Geld noch Veranlassung haben, im Zentrum zu konsumieren.

VERGNÜGEN AM WOCHENENDE

Geschichte bedeutet Bewegung und Veränderung. Neue Gewohnheiten und kommen, alte verschwinden. Die Struktur der Städte ändert sich ständig. Warum den alten Kneipen an der Ecke hinterherweinen? Sie waren wichtige Sozialisationsorte für eine immer älter werdende Bevölkerung, für Menschen, die kein Geld haben zum unbegrenzten Konsum im teuren Zentrum, kein Geld für die üblich gewordenen Wochenendreisen. Leute, die ein Umfeld brauchen, das zwanglose, alltägliche Begegnungen ermöglicht, in denen Beziehungen gepflegt werden. Im Gegensatz zum Rückgang der peripheren und traditionellen Betriebe, gibt es einen Boom im Zentrum, wo vor allem Restaurants eröffnet werden. Solche Geschäften nehmen zu, von 678 auf 701 im analysierten Zeitraum. "Im Zentrum gibt es legale Beschränkungen für die Eröffnung von Bars, aber nicht von Restaurants".

Gleiches gilt für die Bekleidungsgeschäfte, seit 2008 um 35% geschrumpft. Weniger Konsum von Kleidern? In den letzten 40 Jahren hat sich der Klamotten-Verbrauch verfünffacht", sagt ein Verbandsvertreter. Weitere Steigerung in Aussicht. Möglich wird dieser scheinbare Widerspruch durch "niedrige Produktions-Kosten" in der dritten Welt. Massenverkauf ist Billigverkauf. Multinationale sind auf dem Vormarsch auf Kosten der kleinen Geschäfte. "Die große Mehrheit der Schließungen findet in den Vorstädten statt. In den Zentren werden einige geschlossen und größere eröffnet".

FATA MORGANA?

Der elektronische Handel hat während der Pandemie geboomt. Bilbao hat 26% seines Handels auf der Straße verloren. In einigen Sektoren, wie bei Haushaltsgeräten, liegt der Prozentsatz bei über 40%. Wieder sind Randviertel stärker betroffen. Ein Trost: mit Covid erhielt der lokale Handel einen höheren Stellenwert. Viele haben erkannt, dass nur ihre Konsumtreue das Leben im Viertel retten kann, der nahe Konsum. Aber kaum jemand kauft nur aus Solidarität. Die Rückkehr zum Lokalen hat ihre Grenzen. Der Verlust der Straßendynamik ist kein spezifisches Bilbo-Syndrom. Er hat Auswirkungen auf die Lebensqualität und auf die (gefühlte und tatsächliche) Sicherheit. Eine letzte wichtige Variable: die von allen Bilbao-Unternehmen angebotenen Arbeitsplätze. Der Höchststand war 2009 mit 175.608 Beschäftigten. 2021 waren es 157.200, ein Rückgang von 10%. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit 22.000 ähnlich wie im Jahr 2009. Mit der Veralterung der Bevölkerung nimmt die Zahl der Arbeitslosen ab, die Zahl der Rentner zu. Sie sind es, die meist in diesen wenig Verlustvierteln leben.

Weil es in der Wirtschaft keinen Stillstand gibt, sondern ständig gewonnen oder verloren wird, bleibt auch die Gegenüberstellung von Gewinner- und Verlierer-Vierteln nicht statisch. Wo Profite gesucht werden, wird auch vor Arbeitervierteln nicht Halt gemacht. Diese Erfahrung machen in Bilbao seit knapp zehn Jahren die ehemaligen Bergbau-Viertel von Bilbo Zaharra und San Francisco. Noch vor wenigen Jahren wurden diese Barrios vom bilbainischen Bürgertum verächtlich betrachtet und gemieden. Doch weil die gegenüber liegende Altstadt mehr als gesättigt ist von Massentourismus, sind neue Gaststätten-Projekte über den Fluss geschwappt. Nicht jedoch als Bereicherung für die Kneipenvielfalt der Barrios, sondern als arrogante Yuppie-Enklaven. Die Preise steigen, ebenso die Mieten für Lokale und Wohnungen, bis die Alteingesessenen eines Tages nicht mehr mithalten können. Gentrifizierung, ein bekannter Sachverhalt, ist nichts anderes als Vertreibung der Armen und Schwachen über wirtschaftliche Entwicklungen und gezielte neoliberale Politik, ohne Rücksicht auf die von ungleichen Chancen Gebeutelten.

UND SONST … In der kleinen Gemeinde Ugao, südlich von Bilbo, hat eine Memoria-Gruppe eine Gedenkplakette aufgestellt zur Erinnerung an die 33 in den vergangenen 60 Jahren Gefolterten aus dem Ort. 33 Folterfälle in einem überschaubaren Ort stellen eine brutale Geschichte dar. Die Stadtverwaltung wollte bei so viel Erinnerung nicht zusehen und räumte die Plakette wieder ab. Vorgezogen wird der Verlust des Geschichtsbewusstseins.

(2022-02-24)

AUFRUF ZUM 8. MÄRZ

kolu34a24Die Feministische Bewegung in Euskal Herria hat in Pamplona zum diesjährigen 8. März mobilisiert und alle Frauen aufgerufen, sich in Bewegung zu setzen". - "Nicht nur an diesem Tag, wir organisieren uns, um alles zu ändern und die Straßen weiter zu füllen, bis wir alle frei sind", heißt es im Aufruf. Die Feministische Bewegung des Baskenlandes wird am 8. März unter dem Motto "Feuer für das System, das uns unterdrückt, feministische Organisation" auf die Straße gehen. "Wir wollen alles einäschern, was einer lebenswerten Welt entgegen steht. Der Weg dorthin ist der Feminismus", sagte Ane Zaldua bei der Vorstellung in Pamplona. Die Mobilisierungen finden am 8. März in Städten, Gemeinden und Stadtvierteln des Baskenlandes statt. In Baiona findet die Kundgebung um 18.00 Uhr auf dem Marktplatz statt; in San Sebastián eine Demonstration um 18.30 Uhr am Antiguo-Tunnel; in Vitoria-Gasteiz um 19.00 Uhr an der Plaza de San Antón; in Bilbao um 19.30 Uhr am Sagrado Corazón; und in Pamplona um 20.00 Uhr am Antoniutti.

"Wir wollen diesem für die Mehrheit der Gesellschaft und insbesondere für Frauen kriminellen und unhaltbaren Modell ein Ende setzen", so Zaldua. Sie betonte, wie wichtig es ist, sich dafür zu organisieren. "Wir organisieren die kollektive Arbeit, Arbeit von Kindesbeinen an". Dafür gibt es eine vielfältige Bewegung. "Wir müssen für alle Frauen offen sein. Wir müssen zusammenstehen, stark und geeint sein, um nicht zu riskieren, die mit vielen Anstrengungen erreichten sozialen Rechte wieder zurückzunehmen". Die Feministische Bewegung des Baskenlandes setzt sich dafür ein, "den Alltag in ein Terrain des Kampfes zu verwandeln", "das Leben zu politisieren" und "es in den Mittelpunkt zu stellen". Auf diesem Weg wird die Abschaffung des Ausländergesetzes gefordert. "Wir akzeptieren keine Grenzen, Hassreden oder Fremdenfeindlichkeit".

Gefordert wird auch, dass die Haus- und Pflegearbeit anerkannt wird. "In den Jahren der Pandemie ist deutlich geworden, dass diese Arbeit von grundlegender Bedeutung für die Erhaltung des Lebens ist". Dennoch beruhe das derzeitige Modell auf der "Ausbeutung von Frauen", insbesondere von Migrantinnen. "Es handelt sich um eine heteropatriarchale, kapitalistische und kolonialistische Allianz“. Menschenwürdige Arbeitsplätze seien eine Notwendigkeit, um das Lohngefälle zu beseitigen, ebenso die Verteidigung des öffentlichen Rentensystems. In diesem Zusammenhang erinnerten sie an die "spezifische Gewalt", der Menschen mit Behinderungen, "insbesondere Frauen", ausgesetzt sind. "Wir fordern eine Gesellschaft, die für alle Frauen zugänglich ist".

Deshalb soll bildlich gesehen "dieses System in Brand gesetzt werden". "Wir können nicht zulassen, dass auch nur eine einzige mehr Frau ermordet wird. Auch die Behörden sind für diese Gewalt verantwortlich, weil sie nicht genügend Mittel für Betreuung und Prävention bereitstellen". Der Kampf gilt einer Gesellschaft, "die sich in Hass und Wut gegen den Feminismus wendet, die die Bedeutung der Freiheit trivialisiert und in der es keinen Platz für die Rechte von Frauen gibt". Notwendig sind andere Produktions- und Konsummodelle. Das derzeitige System müsse radikal umgekehrt werden: "Feuer dem System, das uns unterdrückt".

UND SONST … Der vorhersehbare Krieg um die Ukraine hat begonnen. Alle Seiten haben sich redlich bemüht, Spannung und Eskalation aufrecht zu erhalten. Der Erfolg liegt auf der Hand. Es fällt schwer, sich politisch zu verorten, wenn sich imperiale Großmächte gegenüber stehen.

(2022-02-22)

VERGELTUNGS-JUSTIZ

kolu34a22Iratxe Sorzabal ist eine baskische politische Gefangene, die in einem französischen Gefängnis eingesperrt ist. Für einen Prozess im Nachbarland wurde sei vorübergehend an den spanischen Staat ausgeliefert. Wegen eines ETA-Anschlags in Asturien, für den sie verantwortlich sein soll. Vor Jahren hat sie das zugegeben. Unter Folter. Die Misshandlungen waren derart brutal, dass sie ihren eigenen Tod vorgezogen hätte. Bevor sie damals verurteilt wurde, setzte sie sich in den Untergrund ab und integrierte sich in ETA. Diesmal wirklich. Sie war die weibliche Stimme der drei Personen, die vor 10 Jahren (unter Sturmhauben) den definitiven Waffenstillstand von ETA verkündeten, der in der Folge zur Entwaffnung der Organisation und deren Auflösung führte.

Seit ihrer Verhaftung in Frankreich sitzt sie dort ihre Strafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ab. Dazu sollen jetzt (nach dem aktuellen Urteil) weitere 24 Jahre Haft im spanischen Staat kommen. Wegen des Anschlags in Asturien. Sie sagt, dass sie nie in Asturien war, schon gar nicht zum besagten Zeitpunkt. Aber unter Folter hat sie es zugegeben. Folter-Experten haben ihre Aussage untersucht und festgestellt, dass sie realistisch ist, das heißt, sie wurde wirklich gefoltert. Istanbul-Protokoll wird dieses Verfahren genannt, das Folteraussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen hilft. In Frankreich stehen für die Verurteilte noch 5 Jahre Haft an. Dann würde sie ausgeliefert. Danach 24 Jahre in spanischen Haft. 2022 plus 5 macht 2026. Plus 24 macht 2050. Das wäre das Entlassungsdatum für Iratxe Sorzabal. 2050. 39 Jahre nach der Verkündung des definitiven Waffenstillstands von Seiten von ETA. Wegen eines unter Folter erzwungenen Geständnisses. Rachejustiz. Null Demokratie.

UND SONST … Der baskische Gesundheits-Senat versucht, die von Gewerkschaften des öffentlichen Gesundheitswesens für die nächsten Tage ausgerufenen Streiks zu verhindern. Mit einer Art von Bestechung. Die baskische Regierung will 300 Millionen Euro ausschütten, die Summe soll als Gehaltsaufstockung unter allen Angestellten verteilt werden, die seit mindestens fünf Jahren im Gesundheitswesen arbeiten, "auf der Grundlage der geleisteten Dienste". Zum Staff gehören rund 45.000 Mitarbeiter*innen, darunter 4.000, die aufgrund der Pandemie kurzfristig als Verstärkung eingestellt und mittlerweile wieder entlassen wurden. Krisen-Management.

(2022-02-21)

MIGRANTEN-SCHLAFPLATZ VERRIEGELT

Bilbao lässt Dutzende von Obdachlosen mitten im Winter unter freiem Himmel zurück. Bisher hatte sie in der offenen Sporthalle im Stadtteil Atxuri (wo tagsüber Kinder spielen) übernachtet, nicht besonders gemütlich, aber mit einem Dach über dem Notbett. Im vergangenen Januar ließ die Stadtverwaltung jedoch abschließbare Gitter anbringen, so dass Migranten wie Hamada, Adil und Nabil, die auf eine Legalisierung ihrer Situation warten, keinen Platz zum Übernachten mehr haben.

kolu34a21Die drei sind 31, 21 und 22 Jahre alt, kamen vor Monaten aus ihrem Heimatland Marokko nach Bilbao. Auf ihrer mehrjährigen Reise sind sie durch 15 Länder gereist. Eine Reise, auf der sie von der Polizei verprügelt wurden, unterwegs Familienmitglieder verloren und sich tagelang unter Lastwagen versteckt haben, um die Grenze zu überqueren. Nachdem sie in Bilbao die maximal fünf Nächte in Not-Unterkünften der Stadtverwaltung für Migranten auf der Durchreise ausgeschöpft hatten, verbrachten sie die Nächte mit etwa zwanzig anderen Migranten zusammen in der Atxuri-Halle. Nun stehen sie buchstäblich auf der Straße. Tagsüber gehen sie zu Suppenküchen und deponieren ihre Habe in kleinen Räumen, die zu einer Nachbarschafts-Vereinigung gehören, einem Kollektiv, das dem Verein Ongi Etorri Errefuxatuak angehört (Herzlich willkommen Flüchtlinge). OEE bietet seit 2018 mittellosen ankommenden Ausländern Unterstützung. Nachts schlagen sich alle von ihnen durch, so gut sie können.

Keiner der drei spricht Spanisch, sie wollen nicht, dass ihr Bild erscheint. Ein Freund aus Marokko übersetzt, in acht Monaten hat er die Sprache halbwegs gelernt. Er lebt in einem Wohnheim, in das Personen einziehen können, die mindestens drei Monate in Bilbao gelebt haben und danach angemeldet werden können. "Uns geht es nicht gut. Wir wollen arbeiten, aber dafür brauchen wir eine Wohnung", betont Hamada. Es wäre kein großes Problem, wenn sie nur auf der Durchreise wären, aber die drei wollen bleiben und sich ein Leben in der Stadt aufbauen. "Es gefällt uns gut hier, wir sind schon lange unterwegs. Von allen Orten, die wir bisher erlebt waren, wurden wir hier am besten behandelt. Deshalb wollen wir bleiben, wir sind keine Kriminellen und wollen niemanden ausrauben. Wir wollen einfach nur in Frieden unser Leben leben", sagt er.

In Bilbao ist das Campen auf der Straße nicht erlaubt, so dass sie ständig Probleme mit der Polizei haben. "Sie sagen uns, dass wir nicht campen dürfen, nur wenn wir keine Decken oder Taschen haben, können wir bleiben. Bei der Kälte ist das unmöglich. Neulich war ich in einem Park und sie sagten mir, ich solle zu einem Berg gehen, dort könne ich bleiben", sagt Adil, während er einen Zettel aus der Tasche zieht, auf dem "Artxanda Berg" steht. "Das wurde mir von einem der Polizisten gegeben". Der Stadtrat von Bilbao hat am 3. Januar die Schließung der Atxuri-Spielfelder beschlossen. Zu diesem Zweck errichtete sie Zäune um das Gebiet, um zu verhindern, dass die Obdachlosen, die sich nachts dort aufhielten, es betreten. Laut Amaia Arregi, der für die Sicherheit der Bürger zuständigen Stadträtin, wurde in einer Kommissionssitzung am 28. Januar beschlossen, die Stellplätze zu schließen, weil sie "Probleme im Zusammenleben" zwischen den Migranten und den Nachbarn verursachten und weil "sie keine Schlafplätze sind". "Die Stadtpolizei ist da, um die Regeln und die Statuten durchzusetzen, die eindeutig besagen, dass man den öffentlichen Raum nicht frei nutzen und Zelte aufstellen kann".

In den kleinen Räumlichkeiten von Atxuri Harrera bewahren die einheimischen Freiwilligen die Habseligkeiten der Migranten auf, sie können ihre Handys aufladen und erhalten Informationen über mögliche Unterkünfte, zu denen sie Zugang haben, über Sozialkantinen und alles, was mit ihrer Gesundheit zu tun hat. An den Wänden hängen Plakate, die darüber informieren, dass sie montags und freitags ihre schmutzige Wäsche abgeben können, die dann von Freiwilligen gewaschen wird, sowie über die COVID-19-Impfung und die Möglichkeit, bei Bedarf zum Zahnarzt oder zur Zahnärztin zu gehen. "Wir haben im vergangenen März damit begonnen, weil wir sahen, dass etwa 100 Menschen auf der Straße schliefen. Eines Tages gab es eine Räumung durch die Polizei, die Reinigungskräfte warfen alles was sie fanden in den Müll“.

UND SONST … Baskische Fußball-Derbys sind immer interessant, vor allem wenn sich Athletic und La Real gegenüber stehen. Das Besondere: die Fans beider Clubs verbindet, trotz aller Rivalität auf dem Platz, eine enge Freundschaft. Einzigartig, urteilen spanische Beobachter. Weit entfernt vom Derby-Krieg in Sevilla, Barcelona oder Madrid. Auf dem Platz war die Sache so klar wie seit 60 Jahren nicht mehr: das nur aus Basken bestehende Team gewann deutlich.

(2022-02-20)

EGUNKARIA, ZENSUR, FOLTER

Euskaldunon Egunkaria war von 1990 bis zu ihrer gerichtlich angeordneten Schließung im Jahr 2003 die einzige vollständig in baskischer Sprache erscheinende Zeitung. Ihre einzige Vorgängerin war Eguna (Januar-Juni 1937), die im Spanienkrieg von der baskischen Regierung herausgegeben wurde. Nachfolgerin als baskisch-sprachiges Medium war Berria, die seither im Baskenland, in Navarra und im französischen Baskenland erscheint. Obwohl ihre redaktionelle Linie keine besondere politische Ausrichtung aufwies, wurde sie von einigen Medien als der baskischen Linken nahestehend betrachtet, obwohl ihre Redakteure und Mitarbeiter ideologisch sehr unterschiedlich waren.

kolu34a20Die gerichtlich angeordnete Schließung und das anschließende Gerichtsverfahren waren von Kontroversen begleitet. Am 12. April 2010, sieben Jahre nach der Schließung, sprach das spanische Oberste Gericht die fünf Direktoren frei, die wegen Mitgliedschaft in der Organisation ETA angeklagt waren. Das Urteil enthielt Sätze wie: "Die Schließung der Zeitung hatte verfassungsrechtlich keine Basis", oder: "Es wurde weder direkt noch indirekt nachgewiesen, dass die Zeitung die Postulate der terroristischen Gruppe verteidigt hat, dass sie auch nur einen einzigen Artikel zugunsten des Terrorismus oder von Terroristen veröffentlicht hat oder dass ihre redaktionelle Linie sogar eine bestimmte politische Ausrichtung hatte". Nach dem Urteil forderten die meisten baskischen Parteien eine Entschuldigung des Staates und eine Entschädigung für die Schäden, die während des siebenjährigen Prozesses entstanden waren.

GRÜNDUNG

Ende 1989 hatte eine Gruppe von mehr als siebzig Persönlichkeiten aus der Welt der Kultur und der baskischen Sprache eine Initiative mit dem Namen Egunkaria Sortzen ("die Zeitung schaffen") ins Leben gerufen, mit dem Ziel, eine Zeitung ausschließlich in baskischer Sprache zu gründen. Im Frühjahr 1990 wurde im Baskenland eine groß angelegte Kampagne durchgeführt, die zwei Ziele verfolgte: die Bekanntmachung des Projekts der neuen Zeitung und die Beschaffung der erforderlichen Mittel. Rund 3.000 Personen arbeiteten ehrenamtlich an der Kampagne mit, Aktien zu 30 Euro wurden auf den Markt gebracht, daneben wurden Aktien zu 3.000 Euro verkauft.

DIE SCHLIESSUNG - FOLTER-ANZEIGEN

Am 20. Februar 2003 ordnete der Untersuchungsrichter der Audiencia Nacional, Juan del Olmo, die vorübergehende Schließung von Egunkaria und die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte an, weil sie angeblich zu einem von ETA kontrollierten Netz von Unternehmen gehörte. Zuvor, am 14. Juli 1998, hatte Richter Baltasar Garzón aus denselben Gründen die vorübergehende Schließung einer anderen baskischen Zeitung angeordnet: EGIN. Fünf der Inhaftierten klagten vor dem Richter, dass sie während der Isolationshaft von der Guardia Civil gefoltert worden seien. Der Direktor der Zeitung, Martxelo Otamendi, prangerte nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis vor den Medien die Misshandlungen an, denen er und seine Kollegen ausgesetzt waren. Seine Erklärungen wurden live im öffentlichen baskischen Fernsehen (EITB) übertragen. Im Gegenzug klagte das Innenministerium gegen die fünf wegen "falscher" Foltervorwürfe und "Verleumdung und Beleidigung" der Guardia Civil. Mehrere Jahre nach der Schließung, im Jahr 2006, beantragte der Staatsanwalt der Audiencia Nacional, Miguel Ángel Carballo, die Einstellung des "Falles Egunkaria", da er keine Verbindung zwischen der Zeitung und ETA feststellen konnte und es für "unangemessen hielt, ein Verfahren" gegen die sieben Angeklagten zu eröffnen. In seinem Bericht erinnert der Staatsanwalt daran, dass Richter Del Olmo damals selbst einräumte, dass nicht bewiesen werden konnte, "dass die Zeitung eine Finanzierungsquelle für ETA war oder dass sie ein Instrument zur Wäsche illegaler Gelder von ETA war".

FREISPRUCH IN ALLEN ANKLAGEPUNKTEN

Am 12. April 2010 verkündete die Audiencia Nacional den Freispruch der fünf verbleibenden Angeklagten: Martxelo Otamendi, Ignacio María Uria, Juan María Torrealdai, José María Auzmendi und Javier Oleagalos. In ihrem Urteil gingen die Richter hart mit Richter Del Olmo ins Gericht und erklärten, dass "die verengte und falsche Sichtweise, wonach alles, was mit der baskischen Sprache und der Kultur in dieser Sprache zu tun hat, von der ETA gefördert und/oder kontrolliert sei, zu einer falschen Bewertung von Daten und Fakten und zur Widersprüchlichkeit der Anklageschrift führt". Die Schließung von Egunkaria wurde als "Eingriff in die Pressefreiheit" gebrandmarkt.

UND SONST … Die katholische Kirche Bizkaia bekennt sich zu ihrer Verantwortung für sexuellen Missbrauch innerhalb ihrer Einrichtungen, die entsprechende Erklärung wurde bei allen Messen gelesen. Der Senator für wirtschaftliche Entwicklung, Handel und Beschäftigung von Bilbao meint: “Wir brauchen Stadt, die pulsiert, sexy und unterhaltend ist“. Von Grundrechten für die Mehrheit ist nicht die Rede.

(2022-02-19)

ZEITVERTRÄGE UND KÜRZUNGEN

Zeitlich begrenzte Arbeitsverträge und Haushaltkürzungen führen zum Zusammenbruch von Osakidetza, der baskischen Gesundheitsbehörde. Kapitalistische Marktlogik ist durch neoliberale politische Kontrolle in die Gesundheits-Behörde eingesickert und hat sich in den verschiedenen Bereichen vervielfältigt und ausgebreitet. Folgen sind Verschlechterung und Zusammenbruch der Primärversorgung. Wenn das öffentliche System nicht mehr gut funktioniert, werden öffentliche Aufgaben an private Unternehmen überwiesen – bei bester Bezahlung. "Wir leben seit 20 Jahren mit dem Mythos, das beste Gesundheits-System der Welt zu haben, aber es bricht bereits zusammen", resümiert ein Mitarbeiter von Osakidetza und Gewerkschafter von LAB. "Das baskische System bietet negative Qualitätselemente, die von der Bevölkerung zunehmend abgelehnt werden. Die Menschen spüren die Defizite, denn wenn sie auf das System zurückgreifen müssen, werden sie im Stichgelassen". Im Dezember begannen zaghafte Demonstrationen vor Gesundheits-Zentren, die Mitte Januar eskalierten und Ende Januar mit großen Demonstrationen zur Verteidigung der öffentlichen Gesundheit in den baskischen Hauptstädten führten.

kolu34a19"Eine ineffiziente Gesundheits-Versorgung drängt die Menschen, eine private Versicherung abzuschließen", warnt eine Anästhesistin im Krankenhaus Arrasate, die Unregelmäßigkeiten bei den Einstellungen der baskischen Gesundheits-Behörde anprangert. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen begann sie am 29. November einen Streik, der Anfang Dezember angesichts der sechsten Covid-Welle abgebrochen wurde. Gefordert wurde mehr Personal, weil Bereitschaftsdienste nicht mehr bewältigt werden konnten. Drei pro Monat sind obligatorisch. Von acht Uhr morgens bis acht Uhr morgens am nächsten Tag. "Wir sind in den Streik getreten, und zu unserer Überraschung hat das Krankenhaus, obwohl diagnostische Untersuchungen zum Minimaldienst gehören, Operationen für geringfügige Krankheiten wie grauen Star und Ballenzehen angesetzt, während Tests, bei denen Krebs festgestellt werden kann, verschoben wurden", sagt ein weiterer Anästhesist, der gegen Kürzungen und Entscheidungen protestiert, die Folgen für die Bevölkerung haben. Nach Schätzungen der Koordinatoren der drei bestehenden Screening-Programme im Baskenland hat Osakidetza 1.695 Dickdarm-Tumore und 202 Brust-Tumore nicht entdeckt. Diese Studie wurde im September 2021 in der Zeitschrift Gaceta Sanitaria veröffentlicht.

Die Entscheidung darüber, welche Operationen in den Krankenhäusern durchgeführt werden, was zur Grundversorgung gehört, wie viel Personal unter welchen Bedingungen arbeitet, ist eine Politik, die über ein jährliches Wirtschaftsbudget umgesetzt wird, das durch Ausschreibungen an private Unternehmen immer mehr aufgebläht wird. Osakidetza beschäftigt nach Angaben der öffentlichen Haushalte der baskischen Regierung 27.606 Mitarbeiter, davon 100 Führungskräfte. Ein weiteres Problem ist die Belegschaft. Im Mai 2020 Osakidetza zahlte 41.254 Vollzeit-, 2.078 Halbtags-, 854 Drittels- und 3.850 sonstige Vollzeit-Gehälter, wie aus einer parlamentarischen Antwort von EH Bildu, hervorgeht. Nimmt man die 4.000 Fachkräfte hinzu, die als Verstärkung während der Pandemie eingestellt und am 4. Oktober entlassen wurden, so arbeiten 12.000 Fachkräfte außerhalb der Strukturen des Gesundheits-Systems im Rahmen von Interims- und Zeitverträgen. Fast ein Drittel der Gesamtzahl.

"Osakidetza braucht eine gründliche Revision seiner Funktionsweise und seiner veralteten Arbeitsweisen, um von einem krankenhaus-zentrierten, pflege-orientierten Ansatz zu einer Primärversorgung überzugehen, die Prävention und Gesundheits-Förderung zum Ziel hat. Die Primärversorgung ist das Tor zu Osakidetza, die Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir sie vernachlässigt haben. Das größte Problem ist, dass in den letzten zwei Jahren nichts getan wurde, um dies zu korrigieren", betont EH Bildu.

UND SONST … Die sozialdemokratische Partei EA, Teil der links-nationalistischen Koalition EH Bildu und ehemalige Abspaltung der PNV, hat ihrer Spaltung von 10 Jahren eine weitere hinzugefügt. Die Minderheits-Fraktion von EA befürchtet, innerhalb von EH Bildu unsichtbar zu werden. Nicht auszuschließen, dass diese Fraktion dort endet, wo die Partei ihren Anfang genommen hat: in der PNV.

(2022-02-18)

TOD EINES DÖRFLERS

Mauricio Ugartemendia Lauzirika “Mauri“ wurde am 26. Juli 1934 in Gernika genau 21 Monate vor dem Nazi-Angriff auf die Stadt, die er als Kleinkind erlebt und überlebt hat. Zusammen mit José María Maguregi bildete Mauri 11 Spielzeiten lang ein historisches Mittelfeld-Duo und gewann eine Liga und drei Pokale. Darunter der denkwürdige Sieg 1958 gegen Real Madrid, den damaligen Champion der Landesmeister. Mauri unterschrieb 1953 bei Athletic und beendete dort eine Karriere von elf Spielzeiten, in denen er 295 Spiele bestritt und 72 Tore schoss. Schnell wurde er Stammspieler im rot-weißen Mittelfeld und agierte als Torschütze.

kolu34a18Der Pokalsieg in Madrid gegen Real war zweifellos das denkwürdigste Ereignis in der Karriere des Mittelfeldspielers Mauri. In diesem Finale, das im Bernabéu-Stadion ausgetragen wurde, war Athletic krasser Außenseiter gegen das beste Team Europas, mit internationalen Top-Stars wie Di Stefano, Kopa oder Gento. Für manche stellte sich nur die Frage nach der Höhe des Sieges. In der franquistischen Presse war abfällig davon die Rede, Real spiele “gegen elf Dörfler“. Schon damals spielten nur Basken bei Athletic. "Sie nannten uns so, weil fast alle von uns von außerhalb Bilbaos kamen", erinnerte sich Mauri einst. "Es war eines der besten Spiele, die wir gemacht haben. Das schönste Finale, weil wir Madrid mit Di Stéfano und in deren Stadion mit 2:0 besiegt haben", erinnerte er sich bei einer Gedenk-Veranstaltung von Athletic für die "elf Dörfler".

Aber Baltasar Albéniz, damaliger Athletic-Trainer, war ein hervorragender Stratege. Bei Real fehlten mit Marsal, Kopa und Gento drei wichtige Spieler, es kam darauf an, ihr kreatives Zentrum lahmzulegen. Athletic erledigte diese Aufgabe mit Bravour und die elf Dörfler triumphierten im weißen Kolosseum. Darunter auch Mauri, eine Club-Legende, der für die Dörfler das zweite Tor schoss und heute im Alter von 87 Jahren starb. "Mit dem Tod von Mauri überleben nur noch drei Spieler eines der erfolgreichsten Teams in der Club-Geschichte: Carmelo, Etura und Uribe ", erklärte Athletic. Am kommenden Sonntag in San Mamés werden die Spieler gegen Real Sociedad schwarze Armbinden tragen.

UND SONST … ist heute der erste Freitag seit zwei Jahren, an dem die Jugend wieder ungezügelt Partymachen, sich betrinken und in Discos gehen kann. Viele lechzen danach. Bleibt abzuwarten, ob die neue alte Freiheit in der Lage ist, eine neue Welle der noch lange nicht besiegten Pandemie auszulösen.

(2022-02-17)

GUERNICA IN GERNIKA = VERBRECHEN

Die Kontroverse um Picassos Bild "Guernica" ist so alt wie der nicht enden wollende Verwesungsgeruch des Franquismus. Es stellt zwar nicht die Vernichtung der baskischen Stadt durch die nazideutsche Legion Condor dar. Doch hat ihm jenes Kriegsverbrechen seinen Namen gegeben. Die siamesich-tragische Verbindung von Bild und Stadt ist nicht zu leugnen. Picasso war sich dessen bewusst. In seinem Testament hinterließ der Republikaner, das Gemälde dürfe erst dann wieder in den spanischen Staat zurückkehren, wenn hier wieder eine republikanische Gesellschaftsordnung bestehe. 2022? Weder Republik noch republikanisch! Der Staat ist eine demokratische Fehlgeburt, der bis heute seine faschistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat. Dennoch ist das Guernica in Madrid, eben dort, wo gerade faschistische Straßenschilder wieder aufgehängt werden, nachdem eine Podemos-Bürgermeisterin mit der Abfallentsorgung begonnen hatte.

kolu34a17In Gernika und Euskadi sind sich linke und rechte Nationalisten einig: das Bild sollte an den Ort zurück, der ihm seine traurige Berühmtheit gegeben hat. Daraus wurde der spanisch-baskische Slogan “Guernica Gernikara“ – was einer Erklärung bedarf. Picasso betitelte sein Bild nach dem spanischen Namen der Stadt “Guernica“. “Gernikara“ ist baskisch und bedeutet “nach Gernika“ = das Guernica-Bild soll nach Gernika. Schlicht, eindeutig, in vollem Respekt gegenüber dem Künstler. Aber nicht auf der spanischen politischen Tagesordnung. Nun hat der katalanische Sozialdemokrat Miquel Iceta, spanischer Minister für Kultur und Sport, die Überführung von Picassos "Guernica" in ein baskisches Museum ausgeschlossen, da es "ein großes Verbrechen wäre, das Werk zu gefährden". Man beachte die Wortwahl. Das Bild ins Baskenland zu bringen, wird gleichgesetzt mit einem Mord oder einer Vergewaltigung: kein Vergehen sondern ein Verbrechen. So viel zur sozialdemokratischen Befindlichkeit. Zur Erinnerung: Das Gemälde ist seit den 1930er Jahren um die halbe Welt gereist, war aber noch nie im Baskenland. Was auf der Reise des Gemäldes durch Europa und Nordamerika vor 80 oder 60 Jahren möglich war, soll heute, mit deutlich besseren Schutzvorkehrungen, nicht mehr möglich sein?

Iceta antwortete auf die Frage eines Senators von EH Bildu, ob die Exekutive plane, das Werk nach Euskal Herria zu bringen, als "positive Geste der Anerkennung und Wiedergutmachung für die Schrecken, die das baskische Volk bei der Bombardierung der Stadt erlitt. Es handelt sich um mehr als ein großes Kunstwerk: ein Symbol gegen den Faschismus, das die Symbiose zwischen Kunst und Klage darstellt", so der Abgeordnete. Iceta wies den Vorschlag mit folgenden Worten zurück: "Ich bezweifle nicht, dass dies eine Möglichkeit wäre, den Schmerz, die Trauer und das Verbrechen, das stattgefunden hat, anzuerkennen, aber es wäre ein noch größeres Verbrechen, ein Werk zu gefährden, das nicht nur ein Symbol für die Freiheit der Basken und der Spanier insgesamt ist, sondern für alle Bürger der Welt, die Kriege verabscheuen". Eine völlig unbegreifliche Wortwahl: der Angriff auf Zivilbevölkerung ist “ein Verbrechen“, der Transport eines Bildes “ein noch größeres Verbrechen“. Können Kriegsverbrechen und Völkermord schlimmer trivialisiert werden?

REISE UM DIE WELT

Guernica" entstand 1937 und wurde auf der Internationalen Ausstellung 1937 in Paris ausgestellt, um mitten im Krieg von 1936 die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Verteidigung der spanischen Republik zu lenken. In den folgenden Jahren reiste das Bild nach Nordeuropa und wurde in Städten wie Oslo, Kopenhagen, Stockholm und Göteborg ausgestellt. Auch wurde in Großbritannien wurde es ausgestellt, in London, Leeds, Liverpool und Manchester. 1940 beschloss Picasso, das Gemälde dem Museum of Modern Art in New York zu überlassen. “Guernica" war bei zahlreichen Ausstellungen in den Vereinigten Staaten und im Ausland zu sehen: Chicago, Ohio, Massachusetts, Chicago, Philadelphia, Sao Paulo, Mailand ... sowie in verschiedenen Museen in Deutschland, Belgien, Dänemark und den Niederlanden.

Im Jahr 1981 – nach der angeblichen Demokratisierung des spanischen Staates – kam das Werk zurück und wurde zunächst im Buen Retiro und seit 1992 im Museum Reina Sofía in Madrid ausgestellt, wo es bis heute zu sehen ist. Die politische Klasse in Madrid – Rechtsregierung mit Faschisten-Unterstützung – interessiert sich mit Sicherheit einen feuchten Kehricht für ein republikanisch antifaschistisches Symbol. Das allerdings Millionen von Touristinnen anzieht. So gesehen wird ein Schuh daraus. Der Transport in Baskenland ein Verbrechen? Es ist zu hoffen, dass der Minister an seinem Verbrechen erstickt.

UND SONST … Politik ist Krieg. Nicht nur um die Ukraine. Auch in Parteien, nach außen und im Inneren. Die Fraktionen der baskischen EA kommunizieren nur noch per Anwälte und Medien gegeneinander. In Madrid hat die Parteiführung der Postfranquisten (PP) eine Untersuchung eingeleitet gegen die ultrarechte Regional-Präsidentin. Die spricht jetzt von Hochverrat ihrer eigenen Partei. Kriegsmanöver eben.

(2022-02-16)

RADIKALE RECHTE LEGEN ZU

Im Baskenland undenkbar. Bis heute. In Navarra nicht ganz ausgeschlossen, aber ebenfalls von der Realität entfernt. In Kastilien hingegen kein allzu großes Wunder. Der spanische Faschismus hat bei den Regionalwahlen in Kastilien-Leon einen bedeutenden Erfolg erzielt. Die fremden- und frauenfeindlichen Vox-Ultras wurden mit fast 18 Prozent zur drittstärksten Kraft im neuen KL-Parlament. Das konnte auch der Chef der postfranquistischen ultra-konservativen Volkspartei (PP) Pablo Casado nicht vermeiden. Versucht hatte er es mit einem radikalen Diskurs, bei dem er die Faschisten imitierte. Eine Gratwanderung. Bei entsprechenden Wahlen in Madrid hatte die dortige PP-Chefin Isabel Díaz Ayuso im vergangenen Jahr den Vox-Aufstieg mit einem eigenen Ultra-Diskurs abfangen können. Dazu musste sie sich nicht besonders anstrengen, sie ist eine bekannte Ultrafigur in der PP.

kolu34a16Bei den spanischen Parlamentswahlen 2019 wurden die Faschisten zur drittstärksten Kraft mit knapp 16% im ganzen Land, in Madrid kamen sie wegen Ultra-Isabel nur auf 9%. Für eine Regierungsbildung braucht die PP in Kastilien-Leon (31 Sitze) jetzt 10 Stimmen für eine Mehrheit. Die Vox-Faschisten (13 Sitze) könnten sie liefern. Doch dann wäre es mit der Unschuld der PP endgültig vorbei. Alternativen? Großen Koalitionen sind im spanischen Staat auch bei Patt-Situationen nicht üblich. Weil “Sozialisten“ und “Postfranquisten“ nicht wie SPD und CDU einen gemeinsamen Nenner haben (abgesehen von der neoliberalen Wirtschafts-Politik). Im Spanienkrieg stand man sich mit Panzern und Pistolen gegenüber.

Wie in der Region Madrid braucht die PP in KL nun die offenen Anhänger der Franco-Diktatur, die tief in militante ultrakatholische Netzwerke und Trump-Kreise verstrickt sind. Vox ist eine PP-Abspaltung, der Parteigründer Santiago Abascal saß einst für die PP im Parlament. Zuvor stand die PP in KL in Koalition mit der ebenfalls PP-Abspaltung namens Ciudadanos. Die vorgezogenen Neuwahlen sollten ein Schachzug sein, die auf dem Abstieg befindlichen Koalitionspartner zu eliminieren und eine absolute Mehrheit zu erzielen. Ersteres gelang, zweiteres nicht, weil die Ciudadanos-Verluste zur Vox-Stimmen wurden. Im Zweifel wählt das rechte Wahlvolk eben lieber das Original (Vox) statt einer ultranationalistischen Kopie (PP). Spanische Verhältnisse, postfranquistisch geprägt. Die Sozialdemokraten (PSOE) von Sánchez gingen von 35 auf 30 Prozent auf Tauchstation. Der Koalitionspartner von Sanchez in der Zentralregierung (Podemos) wurde auf einen Sitz reduziert. Linke Wähler blieben angesichts der heißen Luft um die falsche “Arbeitsreform“, die als "historisch" verkauft wurde, lieber zu Hause. Die Wahl-Beteiligung in KL ging von 71 auf 63 Prozent zurück.

Kastilien-Leon hat (ganz am Rande) auch einen baskischen Anteil. Denn zur Provinz Burgos gehört das “Herzogtum Treviño“. Eine territoriale Enklave mitten in der baskischen Provinz Araba (Alava), die auf einen mittelalterlichen Machtdeal zurückzuführen ist (ein Kriegstribut). In Treviño wurden noch nicht einmal Wahlplakate aufgehängt, keiner der spanischen Kandidaten kam auf die Idee, hier im Wahlkampf Zeit zu verlieren. Wegen der paar Hundert Stimmen. Nur 40% gingen zu den Urnen. Treviño will raus aus Burgos und KL. Rein ins Baskenland. Aber das stand nicht zur Wahl.

UND SONST … Der PP-Chef wettert gegen Vox, zieht demokratische Prinzipien aus dem Hut – Vox will eine Wahlwiederholung, sollte die PP nicht mit der faschistischen Partei koalieren.

(2022-02-15)

BIZITZA BEDEUTET LEBEN

Mitten während der Polemik um den Covid-Pass haben in Donostia Tausende von Menschen gegen die repressiven Maßnahmen protestiert. Aufgerufen hatte die Plattform Bizitza (bask: Leben), die die Anti-Covid-Regeln als eine Form der "Apartheid" betrachten, eine diktatorische Maßnahme. Der Protest war geprägt durch eine Vielzahl von Plakaten mit vielseitigen individuellen Slogans, die die Strategien zur Bekämpfung der Pandemie in Frage stellten. "Lasst uns in den Schulen atmen", "Ich bin ein Hotelier, kein Polizist", "Für unzensierte Information. Wissenschaftliche Debatte jetzt!“ war auf Plakaten zu lesen. Die Organisator*innen verteilten Flugblätter, auf denen sie erklärten, es gäbe "keinen Unterschied in der Ansteckungsgefahr zwischen geimpften und ungeimpften Personen", weshalb der Impfpass eine Maßnahme zur "sozialen Kontrolle" und ein Verstoß gegen "zahlreiche Grundrechte" sei.

kolu34a15Der Covid-Pass solle die Gesellschaft "teilen" und "konfrontieren". Gleichzeitig wurden Spenden gesammelt "für alles Mögliche", unter anderem, um "eigene Medien", eine "eigene Gesundheits-Versorgung" und eine "eigene Bildung" zu entwickeln. Offenbar handelt es sich bei Bizitza nicht um Negationisten. Das lässt sich aus dem Argument schließen, dass die Ansteckung mit und ohne Impfung keinen Unterschied mache. Doch bleibt Bizitza Antworten schuldig. Zum Beispiel: Wie erklärt es sich, dass bei höchsten Ansteckungszahlen die Zahl der Toten ungleich geringer ist als vor einem Jahr. Oder, dass die große Mehrheit der Patient*innen auf den Intensivstationen nicht geimpft ist. Leute, die Begriffe wie Apartheid und Totalitarismus in den Mund nehmen, sollten darüber aufklären, wo sie waren, als in Südafrika gegen Apartheid und wie sie zur Apartheid in Palästina stehen.

Dass der Covid-Pass eine diktatorische und uneffektive Maßnahme darstellt, darüber lässt sich schnell Einverständnis erzielen: zehntausende von Kneipiers unterschreiben das sofort. Problem ist, dass die gesellschaftliche Linke – nirgendwo in Europa – wirklich Position bezogen hat gegen diesen Autoritarismus. Im Gegenteil, mangels eigener Strategien gegen die Pandemie wurden mitunter härtere Maßnahmen gefordert als die bürgerlichen Regierungen sich zu beschließen trauten.

UND SONST … Im Westen nichts Neues. Kriegsgetrommel. Wenn sich, wie vor hundert oder 200 Jahren reaktionäre imperiale Kräfte gegenüberstehen, kann nur die Rüstungs-Industrie gewinnen. Deeskalierende Maßnahmen werden unter den Tisch gekehrt, Annahmen und Hypothesen werden bis ins kleinste Detail dargelegt. Was in der Ukraine verteidigt wird, ist ein Regime, das von Faschisten gestützt wird. Der Westen will seinen NATO-Gürtel einmal um die Welt spannen. (Wetten werden keine entgegen genommen).

(2022-02-14)

PICASSO-MUSEUM IN GERNIKA

kolu34a14Der Verein Gernikako Memoriaren Lekuko (Zeugen der Geschichte Gernikas), in dem sich verschiedene Kollektive und soziale Akteure zusammengeschlossen haben, die sich mit Erinnerung, Kultur und Menschenrechten in der Stadt befassen, hat mit der Arbeit begonnen, in der Gemeinde ein Gemeinschafts-Museum einzurichten. Die Initiative wurde dem Stadtrat zur Diskussion des Haushalts vorgelegt. Sie zielt darauf ab, "einen Raum zu schaffen, der die Gegenwart der Stadt widerspiegelt und in dem alle Akteure der Gemeinschaft von Gernika vertreten sind", so die Initiatoren des Vorschlags. In diesem Sinne hält die Nachbarschafts-Plattform die Einrichtung eines Museums für "unverzichtbar, da es dem Schutz des physischen und symbolischen Erbes der Stadt dient".

Die Gernika-Gruppen, die die Idee unterstützen, haben daran erinnert, dass die Idee eines Gemeinschafts-Museums auf den 50. Jahrestag der Bombardierung der Stadt durch die nazideutsche Legion Condor am 26. April 1937 zurückgeht. "Damals wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben mit der Idee, ein Museum zu entwerfen, das in Zukunft Picassos 'Guernica' beherbergen könnte", erinnert die Plattform, die bis heute daran festhält, das symbolträchtige Werk aus dem Museum Reina Sofía in Madrid in die Bizkaia-Stadt zu bringen. "Dieses Werk würde seine ganze Bedeutung wiedererlangen, wenn es hier in der Stadt ausgestellt wird, in der das tragische Ereignis stattfand, das Picasso zu diesem Werk inspirierte". - "Bis zum hundertsten Jahrestag der Bombardierung und des Gemäldes (2037) sind es nur noch wenige Jahre, warum also nicht schon im Vorfeld mit der Idee eines Gemeinschafts-Museums beginnen", so Gernikako Memoriaren Lekuko. Das Kollektiv hat diesen Wunsch an die örtliche Verwaltung herangetragen.

UND SONST … In der spanischen Region Kastilien-Leon, die an das Baskenland grenzt wurde gewählt, die Faschisten erreichten ein überraschend gutes Ergebnis, sodass die Regierungsbildung von ihnen abhängen wird. Der spanische Innenminister dementiert (mit dem Rücken zur Wand), dass die Situation der ETA-Gefangenen mit der baskischen Links-Koalition EH Bildu verhandelt wurde.

(2022-02-13)

SYSTEMATISCHE FOLTER

Die baskische Linkspartei Sortu prangerte gestern die systematische Folter an, die im Kommissariat der National-Polizei in Indautxu-Bilbao jahrzehntelang praktiziert wurde. Hier starb 1993 Xabier Kalparsoro an den Folgen der bestialischen Misshandlungen durch die Polizei. Am Ende der Abschluss-Kundgebung wurde ein Bild des dort Ermordeten an die Wand der Polizeistation projiziert. Sortu organisierte den Marsch zum PN-Kommissariat Indautxu, um an die systematische Folter gegen Unabhängigkeits-Befürworter zu erinnern, die weitestgehend unbestraft geblieben ist. Gefordert wurde die Aufhebung aller Verurteilungen, die auf Geständnissen unter Folter beruhen.

kolu34a13Die Mobilisierung fand am Vorabend des 13. Februar statt, einem "schwarz markierten Datum im Kalender von Euskal Herria", da sich die Verhaftung, die Folterung und der Tod des ETA-Aktivisten Joxe Arregi zum 41. Mal jährt. Der Tag wurde deshalb in Euskal Herria zum Tag gegen Folter erklärt. Die Demonstration startete am Hauptbahnhof der Bizkaia-Hauptstadt mit dem Transparent "Otsailak 13, Torturaren aurkako eguna. Alde hemendik torturatzaileak!" (13. Februar, Tag gegen Folter – Folterer raus!) und ging zum Kommissariat in Indautxu. Dort wurde ein Manifest verlesen, in dem frühere und aktuelle Folterfälle angeprangert wurden. Erinnert wurde, dass in dieser Polizeistation "Tausende von Basken gefoltert wurden, darunter Hunderte aus Bilbao". Besondere Erwähnung fand Xabier Kalparsoro, dessen Tod die spanische Polizei als Selbstmord darzustellen versuchte und der einen Tag nach Gurutze Iantzi starb, ebenfalls ein Opfer der Folter, in jenem Fall durch die Guardia Civil. Die große Mehrheit dieser Fälle wurde nie aufgeklärt, was nicht überrascht, wenn die Polizei Verbrechen der Polizei untersucht. "Die hier vor uns haben ihr politisches Projekt mit Gewalt durchgesetzt. Um die Einheit Spaniens zu sichern". Hervorgehoben wurde, dass " Folter gegen die Unabhängigkeits-Bewegung eine systematische Praxis war".

Zum Ausdruck gebracht wurde die Unterstützung für Iratxe Sorzabal, gegen die derzeit vor der spanischen Politgericht Audiencia Nacional verhandelt wird aufgrund eines unter Folter erzwungenen Geständnisses. Ähnliches erlitten die Angeklagten im Fall 13/13, die nach ihrem Verfahren auf das Urteil warten. Gefordert wurde die Einstellung dieser Verfahren. "Dutzende von baskischen Gefangenen sitzen im Gefängnis, weil sie sich unter Folter selbst belastet haben. Eine Tatsache, die in jedem Land, das sich als demokratisch bezeichnet, ein Skandal wäre", so der Vorwurf. Auf dem Weg zur Wiedergutmachung sollten deshalb "alle Verfahren, die auf Anschuldigungen unter Folter beruhen, eingestellt werden" und "alle Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen aufgrund der von den Inhaftierten erlittenen Folterungen sollen aufgehoben werden". Denn: "Nur so können wir anfangen, von Wiedergutmachung und effektiver Gerechtigkeit zu sprechen".

UND SONST … Dreifach-Mord. Ein 15-Jähriger bringt erst seine Eltern um, dann seinen kleinen Bruder. Weil er von den Eltern mit Internet-Entzug bestraft wurde. Für einen Spielsüchtigen stellte dies eine Höchststrafe dar, die mit Todesstrafe beantwortet werden musste. Der Fall ereignete sich in Elche bei Alicante. Doch sind Spielsucht und ihre Folgen grenzenlos.

(2022-02-12)

MEHR ARBEITSUNFÄLLE

Seit der Arbeitsreform der PP (2012) ist die Zahl der Arbeitsunfälle um 12,8% gestiegen. Dieser Anstieg hängt mit der Prekarität zusammen, so die Gewerkschaft CCOO. Die Erholung der Wirtschaft seit 2014 verlief nicht parallel mit einer Verbesserung des Sicherheitsniveaus in den Unternehmen. Zwischen 2012 und 2018 sind sowohl die Zahl der Arbeitsunfälle als auch die relative Unfallrate (Zahl der Unfälle pro 100.000 Arbeitnehmer) gestiegen. Dies geht aus einem Bericht des Sekretariats für Arbeitsmedizin der Gewerkschaft hervor, in dem die Arbeitsunfälle im spanischen Staat seit 2012 analysiert werden. Nach Ansicht der Gewerkschaft ist dieser Anstieg der Unfallrate über einen kontinuierlichen Zeitraum von sechs Jahren auf die "Ausweitung eines Modells von Arbeitsbeziehungen zurückzuführen, das zunehmend von Prekarität, der Verschlechterung der Tarifverhandlungen und der Schwäche des Systems der Unfallvermeidung geprägt ist".

kolu34a12NACH SEKTOREN UND REGIONEN

Aufgeschlüsselt nach Sektoren ist der größte Unfall-Anstieg mit 22,9% im Baugewerbe zu verzeichnen. Es folgen die Landwirtschaft (19,8%), die Industrie (16,7%) und der Dienstleistungssektor (10,5%). Die Zahl der tödlichen Unfälle im Untersuchungs-Zeitraum ist ausgeglichen, der Rückgang in der Industrie gleicht den leichten Anstieg in anderen Sektoren aus. Seit 2013 (dem ersten Jahr, für das Zahlen für Arbeits-Unfälle verfügbar sind) ist die Unfallrate in allen Sektoren gestiegen: Der kumulative Anstieg von 23,3% in der Industrie sticht hervor, daneben 17,4% in der Landwirtschaft, 14,9% im Baugewerbe und 3,2% im Dienstleistungssektor. Die Unterschiede zwischen den Autonomen Regionen sind weniger ausgeprägt als auf sektoraler Ebene. Die Rate von Arbeitsunfällen während der Arbeitszeit ist auf den Balearen am höchsten, gefolgt von Kastilien-La Mancha und Extremadura. Den größten Anstieg seit 2012 erlebten Navarra, die Balearen und Extremadura.

ART DER ARBEITSUNFÄLLE

Das Profil der Unfälle ist von männlichem Charakter: Bei zwei Drittel der Arbeitsunfälle während des Arbeitstages sind Männer beteiligt, bei den tödlichen Unfällen sind es 95%. 55% der Unfälle auf dem Weg von und zur Arbeit erleiden Arbeitnehmerinnen, was laut Gewerkschaft darauf zurückzuführen ist, dass sie häufiger in Teilzeitverträgen beschäftigt sind und häufiger familiäre und häusliche Betreuungsaufgaben übernehmen. Das sind Phänomene, die die Anzahl und Dauer der Fahrten im Zusammenhang mit Arbeit erhöhen. Bei den unbefristeten Vollzeitverträgen stieg die Unfallquote um 6%, bei den Teilzeitverträgen dagegen um 12%. Handelt es sich jedoch um einen befristeten Vollzeitvertrag, beträgt der Anstieg 25%, bei befristeten Teilzeitverträgen sogar 33%. Die Wahrscheinlichkeit, während des Arbeitstages einen Arbeitsunfall zu erleiden, ist bei den jüngsten Arbeitnehmern am höchsten. Am stärksten stieg die Zahl bei Personen mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als 2 Monaten. Bei Arbeitnehmerinnen steigt die Unfallrate nach dem 35. Lebensjahr, was sehr wahrscheinlich auf Überanstrengung zurückzuführen ist.

Die Klassenzugehörigkeit beeinflusst die Unfallrate: Der einzige Beruf, in dem die Zahl der Unfälle seit 2012 gesunken ist, ist der der Direktoren und Manager. Nationalität ist ein weiterer wichtiger Faktor. Menschen aus Ecuador, Marokko und Algerien sind die Arbeitnehmer mit den höchsten Unfallraten, fast doppelt so hoch wie die von Einheimischen. Alle afrikanischen Länder liegen über dem Durchschnitt, ebenso lateinamerikanische und drei europäische Länder: Portugal, Rumänien und Bulgarien. Bei einem Drittel der Unfälle während des Arbeitstages hatte das Unternehmen kein Protokoll zur Risikobewertung.

UND SONST … Es kommt selten vor, dass eine eben entlassene Gefangene von einem Journalisten vor dem Knast mit einer herzlichen Umarmung begrüßt wird. Geschweige denn, dass das zugehörige Fernsehen die Begrüßung ihres Beauftragten in den Nachrichten sendet. Geschehen vor einem israelischen Gefängnis, das die aus Spanien stammende NGO-Mitarbeiterin Juana Ruiz unter Auflagen verlassen konnte. Verurteilt wegen ihrer Gesundheits-Arbeit in der palästinensischen Bevölkerung. "Ich habe Angst vor Israel, weil es mir einen höllischen Hass entgegengebracht hat".

(2022-02-11)

MISSBRAUCH KIRCHE NAVARRA

Vorläufig wurden in Navarra 60 Opfer von sexuellem Missbrauch und 31 religiöse Angreifer identifiziert. Eine von einem Team der öffentlichen Universität UPNA durchgeführte Studie kam zu diesem Ergebnis. Einunddreißig Ordensleute wurden als Täter identifiziert. "Alles deutet darauf hin, dass es noch viel mehr sein müssen". Der Senator für Migrationspolitik und Justiz, Eduardo Santos, Mikel Lizarraga als Autor des Berichts und María Martikorena, die im Alter von 11 Jahren von einer Nonne missbraucht wurde, präsentierten die Ergebnisse des ersten Berichts über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Nafarroa.

kolu34a11Für den Bericht wurden 43 Opfer befragt und weitere neun identifiziert. Nach mehreren Veröffentlichungen in der Presse haben sich in der letzten Woche sieben weitere betroffene Personen gemeldet. Insgesamt 31 Ordensleute wurden als Verantwortliche für die Übergriffe identifiziert, aus 17 Schulen und 12 Gemeinden. Einer von ihnen der Direktor einer Schule, 21 Lehrer, drei Krankenpfleger, drei Ladenbetreiber, ein Schulpförtner und zwei Priester, die nicht unterrichteten. Der Bericht wurde ohne die Namen der Aggressoren veröffentlicht, "um die Unschulds-Vermutung zu wahren", doch wurde eine Kopie an die Staatsanwaltschaft geschickt, damit die entsprechenden Maßnahmen ergriffen werden können.

"Es gibt weitere Opfer, die noch nicht identifiziert wurden", sagte Lizarraga. "In 90% der Fälle sagten die Opfer, nicht die einzigen Opfer in der Klasse gewesen zu sein und dass Missbrauch an der Schule eine allgemeine Erscheinung war. Er betonte, dass "die Zahl der mutmaßlichen Täter im Verhältnis zur Zahl der Opfer sehr hoch ist", weshalb "alles darauf hindeutet, dass es viel mehr Opfer geben muss". Auch die breite Streuung der Fälle in Navarra lässt darauf schließen, dass die Zahl der Missbräuche viel höher liegen muss. "Die Theorie des faulen Apfels (die große Ausnahme), die die katholische Kirche oft verteidigt, fällt durch ihr eigenes Gewicht", so der Experte.

IM DUNKELN

Lizarraga räumte Probleme bei der Fertigstellung des Berichts ein. "Es gibt Daten, die aufgrund des fehlenden Zugangs zu kirchlichen Daten nicht überprüft werden konnten". Zum Zeitpunkt des Missbrauchs waren die meisten Betroffenen zwischen 8 und 12 Jahre alt, einige nur 5 oder 6 Jahre. "Zum Zeitpunkt des Missbrauchs waren sich viele des sexuellen Charakters des Missbrauchs nicht bewusst, erst im Erwachsenenalter kam diese Erkenntnis. Die Opfer sind heute zwischen 60 und 80 Jahre alt", sagte Lizarraga. "Viele haben kein Interesse daran, sich an solch schmerzhafte Ereignisse zu erinnern. Vergessen als Selbstschutz. Sie haben gelernt, damit zu leben", betonte er und wies darauf hin, dass es sich im familiären Kontext nach wie vor um ein "Tabuthema" handele, was das "Gefühl von Schuld und Scham, das durch den Umgang der Kirche noch verstärkt wird, die den Schutz des Täters in den Vordergrund stellt". Diese Opfer gehen davon kommt, noch eine Wiedergutmachungsjustiz existiert. Aus diesem Grund ziehen es viele vor, den Vorfall nicht anzuzeigen, um sich nicht erneut mit der Aggression konfrontieren zu müssen.

OPFER EINER NONNE

María Martikorena, die im Alter von 11 Jahren an der Ursulinen-Schule in Iruñea von einer Nonne missbraucht wurde, hat den Vorfall noch einmal durchlebt und erzählt. Sie ist jetzt 73 Jahre alt. "Damals schien es, als gäbe es keine weibliche Homosexualität. Als ich den Vorfall meldete, war es, als hätte ich auf Chinesisch gesprochen", erklärte sie und betonte, dass der Missbrauch durch eine Frau keine Spuren an ihrem Körper hinterlasse. "Wenn du missbraucht wirst, weißt du nicht, was im Körper der anderen Person vor sich geht, weil du es nicht siehst. Vor allem, wenn du 11 Jahre alt bist und eine Nonne im Gewand mit dir macht, was sie will.

Martikorena ist überzeugt, dass sie nicht das einzige weibliche Opfer einer Nonne gewesen sein kann. Sie litt ein ganzes Schuljahr lang darunter. "Die Nonne, die sich um mich kümmern sollte, brachte mich in ein anderes Zimmer zum Schlafen. Wir wussten nicht, was Sexualität ist, ich konnte mir nichts vorstellen. Aber eine andere Nonne kam in dieses Zimmer, die Krankenschwester der Schule, die ich nicht kannte. Dieser Wechsel war für mich, als wäre ich in die Prostitution verkauft worden. Diese Nonne konnte mit meinem Körper machen, was sie wollte. Ich war ein Nichts. Das war eine Sache. Ich musste alles tun, was nötig war, damit diese Person Erbarmen mit mir hatte. Sie wählen dich aus, weil du das verletzlichste Wesen der Welt bist, mit schrecklichen emotionalen Defiziten. Du bist das ideale Opfer. Sie haben die Macht, zu tun, was sie wollen. Dich auszuziehen, zu küssen, in welcher Form auch immer zu misshandeln".

UND SONST … Euskadi folgt anderen autonomen Regionen und nimmt ab Montag fast alle Restriktionen wegen Covid zurück. Nur die Masken in Innenräumen bleiben Pflicht, Sporträume sind auf 85% ihrer Kapazität beschränkt. Der Ministerpräsident: “Niemand kann versichern, was bis Ende des Jahres geschehen wird. Es ist nicht der Moment für Streiks im Gesundheitswesen“. Wann wenn nicht jetzt!

(2022-02-10)

TXILLARDEGI

Zehn Jahre nach seinem Tod wurde Jose Luis Alvarez Enparantza “Txillardegi“ in der Stadt, in der er geboren wurde und den größten Teil seines Lebens verbracht hat, eine öffentliche Anerkennung für seinen außergewöhnlichen Beitrag zur baskischen Sprache und Kultur verweigert. In einem Versuch, diesen Mangel zu korrigieren, schlug die linke Koalition EH Bildu vor, ihm die goldene Plakette von Gipuzkoa zu verleihen. Der Vorschlag wurde in der Plenarsitzung der Provinz-Versammlung erörtert und mit den Stimmen von PNV, Elkarrekin Podemos, IU, PSE und PP abgelehnt.

kolu34a10Txillardegi war ein vielseitiger Intellektueller. Er leistete nicht nur einen monumentalen Beitrag zur baskischen Sprache, indem er zu einem der Väter des modernen vereinigten Euskara, bekannt als Batua, wurde. Er vertrat auch eine neue Art von Einsatz für das Baskische, die offener und weniger essentialistisch war. Txillardegi führte wichtige sprachwissenschaftliche Studien durch und zeichnete sich auch als Romancier und Essayist aus. Sein kultureller und intellektueller Beitrag steht außer Zweifel und wurde bei der Plenarsitzung von niemandem in Frage gestellt. Angegriffen wurden jedoch seine politischen Ideen, seine Beteiligung an der Gründung von ETA und sein Kampf gegen den Franquismus, sowie sein Engagement für die Unabhängigkeit von Euskal Herria. Diese Kritik zeichnete, im Gegensatz zu ihrer Absicht, Txillardegis Figur noch mehr heraus und machte deutlich, dass das Wesen eines Intellektuellen gerade im Engagement für sein Volk, im Kampf gegen Ungerechtigkeit und in der Infragestellung der Macht besteht. All jene, die Txillardegis politischen Vorstellungen in Frage stellten, machten ihre Ausrichtung auf die etablierte Macht und die entsprechende Geisteshaltung deutlich, Txillardegi hätte das vielleicht “kolonial“ genannt, eine völlig von der Madrider Metropole abhängige Mentalität.

Letztendlich wird Txillardegis intellektueller Beitrag ohne institutionelle Anerkennung bleiben. Diese Verweigerung beeinträchtigt nicht im Geringsten das Ansehen eines der Großen der baskischen Kultur, ein Intellektueller, der sich für die Freiheit von Euskal Herria einsetzte. Die Entscheidung machte (einmal mehr) lediglich die geringe moralische und politische Kompetenz der Nein-Stimmenden deutlich. Die Aufarbeitung der Geschichte von ETA in der baskischen Gesellschaft steht in den Kinderschuhen und wird dominiert von einem George-Bush-Syndrom, das jeglichen Widerstand gegen die im Westen herrschende Ordnung als “Terrorismus“ bezeichnet. Als ETA das erste tödliche Attentat durchführte – ein Folterer und Gestapo-Kollaborateur – befand sich Txillardegi bereits im Exil. Txillardegis Interpretation durch die Behörden Gipuzkoas ist eine unhistorische Form der Generalreinigung des Franquismus.

UND SONST … Erster Tag ohne Maskenpflicht in Euskadi, der bevorstehende Krisenstab wird weitere Einschränkungen aufheben. Die Omikron-Zahlen sinken auf allen Ebenen, dennoch wird vor dem Ende der Pandemie weiter gestorben.

(2022-02-09)

AUSZEIT ZWISCHEN MEXIKO UND SPAIN

Mexiko arbeitet seine Vergangenheit auf. Präsident López Obrador wetterte gegen spanische Unternehmen und Politiker (ohne Namen zu nennen). Der Vorwurf: sein Land sei vom spanischen Staat zwei Jahrzehnte lang "ausgeplündert" und wie "ein erobertes Land" behandelt worden. Er mag Recht haben, nicht nur Mexiko erlebte diese Art des Umgangs, halb Lateinamerika könnte dasselbe Lied singen, nur trauen sich die Regierungen nicht. "Sie spielten sich als Besitzer Mexikos auf", resümierte der Präsident, der wiederholt die Rolle des spanischen Staates kritisiert hat, bis zurück zur sogenannten Eroberung vor 500 Jahren. Dabei müsste korrekterweise von Kastilien die Rede sein, denn España ist ein historisch neuer Begriff. Der lateinamerikanische Staatschef räumte vor den Medien ein, dass die "Beziehungen" zwischen den beiden Gebieten derzeit "nicht gut" seien.

kolu34a09Deshalb schlug er vor, in den Beziehungen zwischen beiden Ländern eine "Pause" zu machen. "Es ist besser, uns Zeit zu lassen, eine Pause einzulegen. Vielleicht werden die Beziehungen wiederhergestellt, wenn die (mexikanische) Regierung wechselt", sagte Obrador in Hinblick auf seine eigene Zukunft. "Ich würde mir wünschen, dass es eine Weile dauert, bis sich die Beziehungen normalisieren, eine Pause ist gut für Mexiko und Spanien", sagte er. "Wir wollen gute Beziehungen, aber wir wollen nicht bestohlen werden", betonte er. Dabei hob er den Fall Unternehmen hervor, ohne diese beim Namen zu nennen. Er sprach allerdings von Unternehmen im Energie- und Bausektor, die Verträge mit den Regierungen von Vicente Fox (2000-2006), Felipe Calderón (2006-2012) und Enrique Peña Nieto (2012-2018) unterzeichnet hatten. Im Energiesektor liegt auf der Hand, wer gemeint ist: der baskische Multi Iberdrola, der derzeit auch im Heimatstaat durch horrende Preiserhöhungen für Schlagzeilen sorgt; und der von einem im PNV-Politiker geführte Multi Repsol (der vor einigen Tagen in Peru die schlimmste Ölpest der dortigen Landesgeschichte provozierte). Lopez Obradors Erklärungen erfolgten zwei Wochen nachdem der Minister für auswärtige Angelegenheiten, EU und Zusammenarbeit (José Manuel Albares) im spanischen Senat versichert hatte, es bestehe "Interesse daran, eine neue Seite aufzuschlagen" mit Mexiko.

"HISTORISCHE VERANTWORTUNG"

Es ist nicht das erste Mal, dass die mexikanische Regierung in die Vergangenheit blickt und dem spanischen Staat vorwirft, sich nicht für die "während der Eroberung begangenen Missbräuche" der kastilischen Eroberer zu entschuldigen. Das hatte er im vergangenen Haushaltsjahr gefordert, als an 500 Jahre "indigener Widerstand" erinnert wurde. Der von Kastilien provozierte Völkermord in den indigenen Gemeinden des Subkontinents wird auf 70 Millionen Opfer geschätzt. In einem Schreiben an König Felipe VI. forderte Obrador vom spanischen Staat, "seine historische Verantwortung für die während der Eroberung begangenen Verbrechen einzugestehen und gegebenenfalls eine Entschuldigung oder politische Wiedergutmachung anzubieten". Die spanische Regierung spielt die Kritik herunter und nennt sie "Teil interner Debatten" des aztekischen Landes. Hervorgehoben wird die Bedeutung der Beziehungen zu Mexiko, "einem strategischen Partner". Für die Vergangenheit entschuldigen will man sich in Madrid jedoch auf gar keinen Fall.

UND SONST … Nach einigen Missverständnissen haben die Zentralregierung, die baskische Exekutive und die Bürgermeister von Bilbo und Gasteiz die verbleibenden Arbeiten für den unnützen Hochgeschwindigkeits-Zug vereinbart. In Gipuzkoa ist die Strecke gebaut, in Araba und Bizkaia nur zu 58%. Vor allem geht es um die Zugänge zu den beiden Städten, neue Bahnhöfe sind angesagt. Die sollen in den Untergrund gebaut werden, was wiederum große Flächen freimacht zur weiteren Bebauung und Immobilien-Spekulation.

(2022-02-08)

NOCH MEHR SPORT-TOURISMUSS

Die Guggenheim-Stadt Bilbao setzt weiterhin Zeichen auf dem Weg zum touristischen Mittelpunkt der Welt. Vom 6. bis 8. Mai 2022 findet in der Haupstadt Bizkaias das Final-Four-Turnier der Basketball Champions League (BCL) statt, ein Wettbewerb, der als der drittwichtigste auf europäischer Ebene gilt. BCL ist eine weitere internationale Sportveranstaltung in der Stadt. In der Champions League, einem vom Weltverband FIBA gesponserten Alternativ-Turnier zu Euroliga und Eurocup, spielen Vereine wie AEK, Rytas Vilnius, Galatasaray, Vilnius, Treviso und die spanischen Teams Unicaja Malaga, Teneriffa und Manresa. Die Halbfinalspiele werden am 6. Mai in Miribilla ausgetragen, das Spiel um den dritten Platz und das Finale finden zwei Tage später am selben Ort statt.

kolu34a08Seit 2016 wurden Teneriffa, AEK, Bologna und in den letzten beiden Ausgaben San Pablo Burgos zu Siegern gekürt. Die Phase wird derzeit mit den 16 besten qualifizierten Teams gespielt, darunter drei spanische. Die Champions League bietet attraktive Prämien, die Sieger erhalten eine Million Euro und der Zweitplatzierte 400.000 Euro. Zum ersten Mal wird der gastgebende Verein im Final Four nicht anwesend sein. Bilbao Basket nahm letzte Saison an der BCL teil und konnte sich nicht weiter qualifizieren. Trotz dieses Fehlens unterstützt die FIBA Bilbao Basket und setzt auf die Kompetenz Bilbaos, internationale Sportereignisse zu organisieren. "Wir haben die Begeisterung der Stadt für dieses historische Ereignis gehört und freuen uns auf die Zusammenarbeit, um zum Saisonabschluss ein fantastisches Turnier zu organisieren", so der BCL.

Die Begeisterung wird in bilbao bei Weitem nicht von allen geteilt, schon gar nicht im betroffenen Arbeiter-Stadtteil Bilbozaharra-Mirivilla. “Unser Alltag ist schwierig genug“, sagt eine Vertreterin des Nachbarschafts-Vereins. “Für uns bedeutet das Turnier drei Tage Ausnahmezustand, Parkplatzprobleme, nächtlicher Krach und sicher auch steigende Preise. Die Stadt verspricht sich von solchen Großevents in der Regel Millionen-Einnahmen, hier im Barrio bleibt davon fast nichts hängen außer Müll und Belästigung“. Seit Jahren lässt die Stadtverwaltung nicht unversucht, um aus den ehemaligen Bergbau-Stadtteilen Bilbaos touristische Alternativen zu machen. In der Folge haben sich Yuppie-Kneipen angesiedelt, am Wochenende fallen Tausende Neureiche in die Stadtteile, um hier zu konsumieren. Konsequenz dieser Gentrifizierung ist der Anstieg der Preise für Mieten, Immobilien und Gastronomie und tendenziell die Vertreibung der von Armut geprägten Bevölkerung. In keinem Barrio Bilbaos leben so viele Migrant*innen, die in anderen Stadtteilen keine Chance auf Arbeit und Wohnung haben. “Diese Champions League ist ein weiterer Todesstoß für die Bevölkerung und die traditionelle Kultur des Barrios – auch wenn die im Rathaus das sicher nicht gerne hören. Da werden Millionen ausgegeben, um solche Events an Land zu ziehen, und im Alltag fehlt es vorne und hinten an Strukturen, wir haben kein vernünftiges Gesundheitszentrum, kein Kulturhaus. Und die Volkskultur, an der hunderte von Freiwilligen beteiligt sind, wird ständig von den Behörden belästigt und behindert“.

"ATTRAKTIVE STADT“

Das hört sich nicht an wie “Ongi Etorri“, wie “Herzlich Willkommen“ auf Baskisch heißt. Davon weiß der Präsident des spanischen Basketballverbands sicher nichts: "Die Organisation eines so wichtigen Ereignisses ist keine leichte Aufgabe, aber auf einer so großen Bühne und mit dem Fachwissen der lokalen Behörden von Bilbao, mit der Unterstützung des Clubs Bilbao Basket und aller Beteiligten, werden wir unser Bestes geben, um das bestmögliche Ereignis zu organisieren" – blabla, blabla. Dass "Bilbao ein perfekter Gastgeber sein wird, weil die Stadt perfekt auf eine solche Veranstaltung vorbereitet ist", daran haben auch die Kritiker*innen im betroffenen Barrio keine Zweifel.

Die Wahl von Bilbao als Austragungsort des Final Four bedeutet Anerkennung sowohl für Bilbao Basket als Club wie auch für die Stadt. Jedes Rockfestival, Finale, MTV-Award ist ein Baustein im Curriculum der Stadt, jedes neue Hotel ein Argument, immer größere Events unterbringen zu können. Entsprechende Entscheidungen in der Stadtverwaltung sind an der Tagesordnung. “Das Champions-League-Final-Four reiht sich ein in die Wiederbelebung Bilbaos als Austragungsort für internationale Sportereignisse. Nach dem Ausschluss von Bilbao als Austragungsort der letzten Fußball-Europameisterschaft beschloss die UEFA, die Stadt zu entschädigen. Sie genehmigte Bilbao die Ausrichtung des Endspiels der Champions League der Frauen im Jahr 2024 und der Europa League im Jahr 2025. Darüber hinaus wird die erste Etappe der Tour de France 2023 in Bilbao und die dritte Etappe im nachbarlichen Zornotza starten“. Kriegs-Berichterstattung in den bürgerlichen Medien. Denn Gentrifizierung ist Krieg gegen die Armen.

UND SONST … Fast 40.000 Arbeitnehmer*innen im Baskenland erhalten den Mindestlohn und warten auf eine Lohnerhöhung. Hausangestellte, Hotel- und Gaststätten-Gewerbe, Friseurinnen und der Primär-Sektor verzeichnen die niedrigsten Löhne in der Region. Euskadi ist eine der Regionen mit den höchsten Gehältern im Staat. Nach Schätzungen des Arbeitgeber-Verbands erhalten hier nur 5% den interprofessionellen Mindestlohn (SMI), ein Prozentsatz, der halb so hoch ist wie der staatliche Durchschnitt. Immerhin handelt es sich um 40.000 Menschen, die derzeit 965 Euro im Monat verdienen und in diesem Jahr auf eine Erhöhung warten. Denn 965 Euro sind zu wenig zum Leben.

(2022-02-07)

STAATLICHE BETEILIGUNG AN ENTFÜHRUNG UND ERMORDUNG

Interview über die Geschichte des 1980 entführten und ermordeten CCA-Aktivisten José Miguel Etxebarria “Naparra“, dessen Leiche nach mehr als 40 Jahren immer noch nicht gefunden wurde. "Die UNO geht von der Beteiligung von mindestens einem Staat an der Entführung und Ermordung des politischen Aktivisten Naparra aus", sagt Jon Alonso, Autor des Buches "Naparra. Caso abierto" (Naparra. Der ungelöste Fall). José Miguel Etxeberria und Jon Alonso haben gemein, 1958 in Pamplona-Iruñea geboren zu sein. Das Umfeld, in dem sie aufwuchsen: die Hauptstadt Navarras der sechziger und siebziger Jahre. José Miguel Etxebarria, "Naparra", ein Aktivist der Autonomen Antikapitalistischen Kommandos (CAA), ging 1978 ins Exil nach Iparralde. Dort wurde er entführt und ermordet, seine Leiche wurde nie gefunden. Jon Alonso versucht mit seinem Buch, Licht in den Fall zu bringen, ein dunkles Ereignisse einer dunklen Zeit.

kolu34a07Frage: Wie war Naparra, als Mensch und als Aktivist, wie war sein Werdegang? Antwort: Naparra gehörte zu denen, die sich in dieser alles andere als friedlichen, krampfhaften und instabilen Atmosphäre des Übergangs wie viele andere in jener Zeit für den bewaffneten Kampf entschieden. Ich kannte ihn schon als Kind. In jungen Jahren gefiel ihm die Literatur, insbesondere über Geschichte und marxistisches Denken. Als Aktivist suchte er nach der Organisation, die seiner anarchistischen Ideologie am nächsten stand, und landete bei den Autonomen Antikapitalistischen Kommandos.

F: Als er entführt wurde, war er ein Aktivist der CCA, einer bewaffneten Organisation, die bis heute wenig bekannt ist. A: Ja, es gab gezielte Desinformation über diese Organisation, die sehr oft als "Autonome Kommandos von ETA" dargestellt wurde. In Wirklichkeit handelte es sich um eine andere Organisation ohne Verbindung zu ETA.

F: Was ist derzeit über den Verbleib von Naparras Leiche bekannt? A: Nichts Definitives. Die neuesten Informationen stammen von einem angeblichen ehemaligen spanischen Geheimdienst-Agenten, der nach Ermittlungen herausgefunden hat, dass die Leiche in Las Landas in der Nähe von Dax vergraben wurde. Der zuständige Richter des Nationalen Gerichtshofs hat bei den französischen Behörden Ausgrabungen beantragt. Doch alles ist seit drei Jahren zum Stillstand gekommen.

F: Was ist über die Auftraggeber bekannt, die sein Verschwinden angeordnet haben? Warum gerade er? A: Die Kommandos selbst, seine Familie, seine Freunde, sein Umfelds und linke Gruppen bezeichneten das Verschwinden als eine Operation des schmutzigen Krieges, die von parapolizeilichen Gruppen durchgeführt wurde. Diese These ist auch heute noch gültig und wird in der Gesellschaft weithin akzeptiert, zuletzt auch durch die Parlamente von Navarra und Euskadi.

F: Zu dem Verschwinden bekannte sich die Gruppe BVE (Spanisch Baskisches Bataillon). A: Richtig, und zwar gleich fünf Mal, wobei teilweise widersprüchliche Angaben gemacht wurden, die eine Atmosphäre der Verwirrung schufen. In jedem Fall existierte die BVE und war am sog. Anti-Terrorismus-Kampf beteiligt, der in den Kloaken des Staates geführt wurde.

F: Es wurde viel über ein Kommuniqué der Agentur Efe und dessen Folgen gesprochen. A: In der wirren Atmosphäre der ersten Tage gab die Agentur Efe ein Kommuniqué heraus, in dem sie auf der Basis von französischen Informationen behauptete, Naparras eigene Kollegen von den CAA hätten ihn verschwinden lassen. Er solle Geld der Organisation gestohlen haben, die Behauptung wurde von den CAA dementiert. Heute steht die Falschheit dieser Aussage außer Zweifel, aber damals diente sie dazu, die Verwirrung zu verstärken.

F: Der Fall hat zwei Aspekte. Zum einen das reale Verschwinden und die Ermordung von Naparra; zum anderen den mehr als 40 Jahre dauernden Kampf seiner Familie und seiner Freunde, seine Leiche zu finden und die Geschehnisse aufzuklären. Ein unermüdlicher, einsamer Kampf, der von institutionellem Schweigen geprägt ist. A: Die Familie hat seit Naparras Verschwinden die Suche nach dem vermissten Sohn zum Leitmotiv ihres Lebens gemacht. Vater Patxiku Etxeberria starb 2006, Mutter Celes Álvarez 2018. Beide starben, ohne die sterblichen Überreste von José Miguel nach Hause bringen zu können. Es ist traurig zu sehen, dass sie gestorben sind, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, aber uns bleibt ihr Beispiel von Würde, Selbstlosigkeit, Mut und Tapferkeit. Ihnen und denjenigen, die diesen Kampf weitergeführt haben, vor allem ihrem Sohn Eneko und dessen Frau Amaia, ist es zu verdanken, dass einige Fortschritte erzielt wurden, die vor zwanzig Jahren noch undenkbar gewesen wären. Wie eine gewisse Anerkennung durch verschiedene autonome Institutionen, die inzwischen akzeptieren, dass er Opfer der extremen Rechten war und dass es verschiedene Formen illegaler Polizeigewalt gab. Das vertritt auch die UN-Arbeitsgruppe für das Verschwindenlassen von Personen. Im Jahr 2014 gab sie bekannt, dass José Miguel Etxeberria Álvarez ein Fall von gewaltsamem Verschwindenlassen ist. Die unermüdliche Arbeit der Familie hat dazu beigetragen, dass der Fall auch nach fast 42 Jahren noch bekannt und in der baskischen Gesellschaft präsent ist.

F: Die Tatsache, dass die UNO den Fall 2014 als "Verschwindenlassen" anerkannt hat, bedeutet nichts anderes, als dass das Verbrechen nicht verjährt ist. In Ihrem Buch bestehen Sie darauf, dass der Fall offen ist und nicht abgeschlossen werden kann, zumindest solange seine sterblichen Überreste nicht gefunden werden. A: In der Tat. Aus völkerrechtlicher Sicht verjährt dieses Verbrechen nicht, es handelt sich um ein fortgesetztes Verbrechen, ein Verbrechen also, das so lange andauert, bis die sterblichen Überreste gefunden werden. Darüber hinaus setzt die Erklärung des gewaltsamen Verschwindens voraus, dass die Klagesteller die Beteiligung von mindestens einem Staat an der Begehung des Verbrechens nachweisen, entweder direkt oder durch Delegation an parastaatliche Gruppen.

F: Was sind die wichtigsten Ermittlungsansätze in diesem Fall?

A: Es gibt die von der spanischen Audiencia Nacional geforderte Rechtshilfe-Kommission. Wenn die in Frankreich geforderte Ausgrabung stattfindet, die Leiche aber nicht gefunden wird, könnten angesichts der Ergebnisse andere Maßnahmen ergriffen werden. Im Übrigen handelt es sich um ein komplexes Thema. Mit einem Gesetz über Amtsgeheimnisse, das den aktuellen europäischen Standards entspricht, wüssten wir wahrscheinlich schon, was passiert ist und was mit der Leiche gemacht wurde, aber das derzeitige Gesetz über Amtsgeheimnisse stammt aus der Zeit der Franco-Diktatur. Wer die Vorgänge im Abgeordnetenhaus verfolgt, weiß, dass eine Gesetzänderung nicht gerade einfach ist. Solange dies der Fall ist, sind wir immer darauf angewiesen, dass irgendein Kenner der damaligen Vorgänge neue Informationen liefert, oder dass neue Hinweise zufällig auftauchen. (Quelle)

UND SONST … Alles spricht von Lockerung der Covid-Maßnahmen, bald fällt die Maskenpflicht im Freien. Weniger Patientinnen im Krankenhaus, mehr Publikum ins Stadion. Gewerkschaften kritisieren die Kürzungs-Maßnahmen der baskischen Regierung und kündigen zwei Streiktage im Februar an, dazu eine Groß-Demonstration am 26. Februar. Neuer Hit der Tourismus-Branche: Bilbao empfängt im Mai das Final-Four-Turnier der Basketball-Championsleague.

(2022-02-06)

2 JAHRE TRAGÖDIE DER MÜLLDEPONIE

Vor genau zwei Jahren rutschte in Zaldibar (Gipuzkoa) eine teilweise illegale Mülldeponie in die Tiefe und begrub zwei Arbeiter unter sich. Bereits kurz nach der Katastrophe wurde klar, dass alle Beteiligten versagt, oder korrupte Machenschaften praktiziert hatten. Etwa Tausend Personen fanden sich am Jahrestag ein, um gegen die verantwortungslose Müll-Politik im Baskenland zu protestieren. Gefordert wurde eine radikale Änderung der Umweltpolitik und eine vollständige Klärung der Verantwortung im "Fall Zaldibar". Von den beiden verschütteten Arbeitern wurde nur eine Leiche gefunden, nach 15 Monaten. Die Katastrophe war nach Ansicht der Ökologie-Gruppen vermeidbar.

kolu34a06Die Demonstration startete in Ermua und führte ins Zaldibar-Viertel Eitzaga, wo sich die inzwischen vor der Versiegelung stehende Mülldeponie befindet. Die Gruppen Zaldibar Argitu, Ekologistak Martxan, eine Gruppe gegen die Müllverbrennungs-Anlage umachten sich auf den Weg, um an die beiden Toten zu erinnern. Gefordert wurde, dass die Senator*innen Iñaki Arriola und Arantxa Tapia die Verantwortung übernehmen. "Eine Mülldeponie ist kein Unternehmen, um Profit zu machen. Gesundheit ist kein Geschäft", wurde skandiert. Anwesend auch der Anwalt der Umwelt-Gruppen im anhängigen Verfahren.

Bei der Abschluss-Kundgebung im Eitzaga-Viertel präsentierte die Sprecherin des Nachbarschafts-Vereins eine Erinnerungs-Skulptur, die in der Nähe der Mülldeponie aufgestellt werden sollte, was vom Bürgermeister verhindert wurde – eine Erinnerung soll es nicht geben. Sie kritisierte auch, dass 37 Bewohner*innen von Eitzaga eine Gesundheits-Untersuchung beantragt hatten, jedoch abgewiesen wurden. An der Blumen-Niederlegung nahm auch die Tochter eines der Toten teil. Der Anwalt von Ekologistak Martxan prangerte die vermeidbare Katastrophe an, die durch die Profitgier eines Unternehmers verursacht wurde, das mit der baskischen Regierung in Komplizenschaft stand. Die Behörde vernachlässigte die Kontrolle, Inspektionen wurden vorher angekündigt, bei der Feststellung von Mängeln wurden beide Augen zugedrückt. Giftmüll wurde ohne Genehmigung deponiert. Einen Tag vor dem Erdrutsch wurden Risse in der Deponie festgestellt, die auf eine Lawine hindeuteten, daraus wurden keine Konsequenzen gezogen, die Unverantwortlichkeit endete tödlich. Wiederverwertbare Materialien wurden zur Deponie gebracht, weil "es einfacher ist, sie in das schwarze Loch von Zaldibar zu bringen, als sie einer weiteren Verwendung zuzuführen".

Zwei Sprecher*innen von Zaldibar Argitu erinnerten an die größte ökfür Kindesmissbrauch.logische, politische und soziale Katastrophen der letzten Jahre. Es handele sich jedoch nicht um einen Unfall, sondern um eine rücksichtslose Tötung, die hätte vermieden werden können, wie die Eigentümer der Deponie vor Gericht einräumten. Sie forderten eine Politik, die Gesundheit und Sicherheit der Menschen voranstelle vor wirtschaftlichen Profitinteressen. Sie kritisierten die Missachtung der Institutionen gegenüber den Bewohner*innen von Eitzaga, die seit Jahren unter der Durchfahrt von Lastwagen, später unter giftigen Gasen, der Verschmutzung ihrer Umwelt und der Wasserläufe leiden und nun von Räumungen und Enteignungen bedroht sind.

UND SONST … Weltweit werden Tausende von Fällen von sexistischem Missbrauch von Kinder und Jugendlichen entdeckt. Im spanischen Staat nimmt zum ersten Mal die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. In Bizkaia untersucht das Bistum selbst, in alten Archiven werden mögliche Opfer gesucht und Hinweise auf Vertuschung durch Kirchenverantwortliche. Die Kirche erweist sich als weltweit größte Organisation zum Kindermissbrauch. Gott sei Dank.

(2022-02-05)

NICHTS NEUES ÜBER FOLTER

Iratxe Sorzabal wird am Montag in Madrid vor Gericht gestellt. Das Verfahren basiert auf Aussagen, die durch Folter erzwungen wurden. Zeitgleich. Der Dokumentarfilm "Bi arnas" (Zwei Mal Luft holen) ist in Vorbereitung. Im Verlauf der Arbeiten ist eine bisher unveröffentlichte Aufnahme aufgetaucht, in der Iratxe Sorzabal über ihr Leiden berichtet. Sie stammt aus dem Jahr 2001 und wirft ein fatales Licht auf die Ereignisse vor 20 Jahren.

kolu34a05Der Dokumentarfilm "Bi arnas" steht vor seiner Fertiggestellung. Er handelt vom Thema Folter aus zwei Blickwinkeln, die trotz der räumlichen Entfernung eng miteinander verbunden sind. Die Aussagen von Iratxe Sorzabal und die ihrer Mutter, Mari Nieves Díaz. Bei den Vorbereitungen zum Film ist eine bisher unveröffentlichte Aufnahme aufgetaucht, die am Vorabend des Verfahrens vor dem Audiencia Nacional Gericht hochaktuell ist. Darin spricht Iratxe Sorzabal über die erlittenen Folterungen durch die Guardia Civil. Auszüge wurden in einer Tageszeitung veröffentlicht. Jenes Interview wurde im November 2001 in Brüssel geführt und bisher aus verschiedenen Gründen nicht gesendet.

Was Sorzabal schildert, war nur wenige Monate zuvor geschehen, nach ihrer Verhaftung durch die Guardia Civil in Hernani. Im gezeigten Ausschnitt schildert Sorzabal ihre Reaktion, als im Polizeirevier eine Person erschien, die sich als Gerichtsmediziner ausgab. Sie stellt fest, dass sie sich nach dieser Zeit der Isolationshaft den Tod wünschte: "Ich hatte keine Angst vor dem Tod, ich wollte sterben, aber ich konnte nicht. Wenn die Möglichkeit bestanden hätte …". Was den Arztbesuch betrifft: "beim ersten Mal glaubte ich nicht, dass er Gerichtsmediziner war, ich dachte, er sei nur ein weiterer Zivilgardist", erklärt sie. “Damals ging es mir sehr schlecht, ich bin jedes Mal aufgesprungen, wenn er sich näherte, ich habe ihm gesagt, er soll mich nicht anfassen ... Ich saß auf einem Stuhl und zitterte", erinnert sich die baskische Gefangene in diesem Interview von vor zwei Jahrzehnten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fall Sorzabal bereits ein starkes Echo im Baskenland gefunden. Bilder von den Folterspuren auf dem Rücken und der Hüfte der Inhaftierten kursierten, der baskische Justizminister Joseba Azkarraga bat die spanische Regierung um Erklärungen, und Sorzabal verließ das Land zu, um nach ihrer Entlassung im September 2001 nicht erneut gefoltert zu werden. Das Gespräch fand zwei Monate später statt.

GERICHTSVERHANDLUNG

Iratxe Sorzabal verbüßt derzeit eine zehnjährige Haftstrafe im französischen Staat, nachdem sie im September 2015 in Baigorri verhaftet worden war. Sie wurde vorübergehend an den spanischen Staat ausgeliefert, damit ihr in Madrid kommende Woche der Prozess gemacht werden kann. Französische Gerichte sind drei der vier von der spanischen Audiencia Nacional vorgelegten europäischen Haftbefehle gefolgt.

Im Verfahren vor dem Pariser Berufungsgericht brachte die Verteidigung diese Folterungen zur Sprache und wies darauf hin, dass die einzigen Beweise gegen Sorzabal die Selbstbeschuldigungen seien aus der Zeit der Isolationshaft mit Folter. Auf Antrag der Verteidigung und mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft wurde das Istanbul-Protokoll angewandt, das die Verlässlichkeit von Folteraussagen bewertet. Die Schlussfolgerungen der französischen Gerichtsmediziner waren eindeutig: Ihre Darstellung ist absolut glaubwürdig, sie leidet unter posttraumatischem Stress. Das sagt auch die Mutter von Iratxe Sorzabal, Mari Nieves Diaz, in einem jüngsten Interview im Zusammenhang mit der vorübergehenden Auslieferung und der Arbeit am Dokumentarfilm. "Es klingt hart, aber wir haben Berichte von Experten und Institutionen, die Folter beweisen, und das gibt uns viel Kraft", sagte sie.

Iratxe Sorzabal spielte eine tragende Rolle bei den letzten Entscheidungen von ETA, die zu ihrer Entwaffnung und dem Ende des bewaffneten Kampfes führten. Nach ihrer Flicht aus dem Baskenland hatte sie sich der Untergrund-Organisation angeschlossen. Sie war diejenige, die die Erklärung zur Beendigung der bewaffneten Aktionen in baskischer Sprache verlas; sie gehörte ebenfalls zur Verhandlungs-Delegation von ETA, die in Oslo auf einen Dialog mit der spanischen Regierung unter internationalem Schutz warteten, ohne dass die spanische Seite erschien. Dies erzählte sie in einem Interview, das anlässlich des zehnten Jahrestages der Erklärung von Aiete und des Endes des bewaffneten Kampfes von ETA veröffentlicht wurde. Für ihren Beitrag zur Deeskalation des Konflikts sitzt sie in Frankreich im Gefängnis, nach dem Ende dieser Haft soll eine weitere Haft im spanischen Staat folgen. An Konfliktlösung besteht wenig bis gar kein Interesse.

UND SONST … Das baskische Fernsehen meldet, dass bereits im letzten Jahr in Navarra eine spezielle Variante von Coronavirus entdeckt wurde, an der 194 Personen erkrankten. Das Ganze hatte sogar einen Namen: Karrikiri, wie eine Stierzucht, die zu normalen Zeiten in den Straßen Pamplona zum Stierlaufen einlädt. Das erfahren wir jetzt, acht Monate danach.

(2022-02-04)

DIE LÜGE DES JAHRES

Die meistgelesene und meistverkaufte Tageszeitung des südlichen Baskenlandes verbreitet die folgende Meldung: “Die Covid-Hilfe senkt die extreme Armut in Bilbao auf einen historischen Tiefstand - Die Aufstockung der Hilfe in speziellen Lebenslagen (AES) und die Gutscheine zur Deckung des unmittelbaren Bedarfs haben die Lage der Ärmsten der Armen Menschen gelindert“. Diese Hilfe war nichts als ein Tropfen auf den immer heißer werdenden Stein, der historische Tiefstand ist eine unverschämte Lüge.

kolu34a04“Die verschiedenen Formen der Hilfe, die während der dramatischsten Momente der Pandemie in Bilbao zum Einsatz kamen, hatten eine einzigartige Wirkung: Sie haben die Armut in ihren gröbsten Ausprägungen während dieser Zeit verringert. Mit anderen Worten, sie sind wie Manna auf Menschen gefallen, die mittellos waren“, heißt es weiter. “In der Fachsprache spricht man von Akkumulations-Armut, d. h. von Lebensbedingungen, die nicht ausreichen, ein menschenwürdiges Leben zu führen", so die Definition des Baskischen Statistikinstituts (Eustat). Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte ist der Anteil der Menschen in dieser Situation in der Stadt unter 1% gesunken, konkret auf 0,7%, ein deutlicher Rückgang im Vergleich zur vorherigen Zahl im Jahr 2018, als sie 2,4% betrug. In dieser Situation betrifft sie weniger als 3.000 Personen“. Die Ausführungen sind unerträglich. Unerträglich falsch.

Nach den Kriterien der OECD, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, gelten 30% der Bevölkerung in Euskadi als arm, 10% als “von gesellschaftlichem Ausschluss bedroht. Mehr als 300 Personen leben allein in Bilbao auf der Straße. Man muss nicht zwischen Heizung und Brot wählen müssen, um arm zu sein. Die katholische Caritas – wenig linksverdächtig – beklagt eine Armut wie nie zuvor. Anstatt in einer wohlhabenden Region wie Euskadi die Hilfen in sozialen Notlagen zu verbessern, werden Leute wegen formaler Fehler aus dem System gekippt und stehen vor dem Nichts, was Geld und Wohnung anbelangt.

In Arbeit ist eine Gesetzesveränderung der baskischen Regierung, die die Situation weiter verschärft und vor allem auf dem Rücken alleinerziehender Frauen ausgetragen wird. Die rechte Presse (darunter die Quelle der oben zitierten Lüge) redet dauernd von Missbrauch sozialer Leistungen, obwohl statistisch klar ist, dass dieser weniger als 0,1% beträgt. Da es keinen politischen Willen zur Lösung der Armuts- und Ausgrenzungsfrage gibt, besteht die Strategie offenbar darin, die Armut wegzureden. Im vorliegenden Fall: wegzuschreiben. Unsichtbar zu machen. Das Gegenteil der Realität zu behaupten.

UND SONST … Vor einer Woche wollte die baskische Regierung den Covid-Pass verlängern, wurde aber vor Gericht gebremst, jetzt will sie nichts mehr davon wissen. Die Zentralregierung nimmt die Maskenpflicht im Freien zurück. Die Reform der Reform der Arbeits-Reform ist durch und hat zu einer deftigen Krise geführt.

(2022-02-03)

SCHMIERENTHEATER

Die spanische Regierung hat die Reform der neoliberalen Arbeitsreform dank eines gegnerischen PP-Abgeordneten gerettet. Doch die Rechte will sich mit der Niederlage nicht zufrieden geben und klagt gegen die Abstimmung. Der Abstimmungs-Fehler eines PP-Funktionärs neutralisierte das "in extremis" Nein der beiden “gekauften“ UPN-Abgeordneten im Parlament.

kolu34a03Das Ende der Party hätte nicht bizarrer sein können. Die Regierung rettete die Arbeitsreform am Donnerstag in einer Reihe von unerwarteten Wendungen, dank des Problems eines PP-Abgeordneten mit der telematischen Abstimmung mit knapper Not. Es war auch nicht irgendein Abgeordneter. Alberto Casero (Albert Hausgemacht) ist stellvertretender Generalsekretärs der Partei. Ohne seinen Fehler, den die Volkspartei auf einen Systemfehler zurückführt, wäre das von der Exekutive im Dezember letzten Jahres verabschiedete Dekret gescheitert. Denn obwohl die Führung der rechten UPN (Navarra) am Vortag ihre Zustimmung angekündigt hatte, brachen die beiden Abgeordneten der Partei im Kongress in letzter Minute ihre Abstimmungs-Disziplin und stimmten mit Nein. Das Ergebnis: 175 Ja-Stimmen zu 174 Nein-Stimmen. Aber weder die PP noch Vox geben sich geschlagen. Sie wollen Berufung einlegen, sowohl beim Präsidium als auch beim Verfassungsgericht.

UND SONST … Athletic Bilbao hat nach dem FC Barcelona auch Real Madrid aus dem spanischen Pokal geworfen und steht im Halbfinale. Euphorie in Bilbao, Entsetzen in Donostia, wo Real Sociedad zu Hause mit Null zu Vier verlor.

(2022-02-02)

POLITISCH KORREKT

In Euskadi existiert eine beachtliche Ausgrenzungs-Strategie gegen den spanischen Faschismus. Bei den Regional-Wahlen im Sommer 2020 erreichte die faschistische Vox-Partei in der Nachzählung knapp einen Sitz. Weil die Erfahrung aus anderen Parlamenten klar machte, dass diese Vertretung zum Verbreiten von Hass, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Xenophobie benutzt werden würde, entwickelten die bürgerlichen Parteien eine Strategie, die “Gesundheits-Gürtel“ genannt wird. Gemeint ist ideologische Sauberkeit und nicht wirklich physische Gesundheit. Mit großer Mehrheit beschlossen wurde, die Redezeit der einzigen Vox-Abgeordneten um zwei Drittel zu kürzen und die Zahl der ihr zugeordneten Sekretäre zu begrenzen. Diese Entscheidung trafen PNV, EH Bildu, Sozialdemokraten und Podemos, dagegen war nur die postfranquistische Volkspartei PP.

kolu34a02Die Vereinbarung wurde damit gerechtfertigt, dass es sich um eine "proportionale" Anpassung an die Anzahl der Sitze handelt, die die von Abascal geführerte Vox-Partei erhielt. Problem ist, dass Präzedenzfälle anders gelagert sind: Die rechte Partei UPyD musste bei gleicher Vertretung zwischen 2009 und 2016 keine Kürzungen hinnehmen, UPyD durfte auch den Namen der Partei verwenden, um offiziellen Petitionen zu unterzeichnen, was Vox nicht erlaubt ist, die sind gezwungen, sich als “Gemischte Gruppe“ (ohne Fraktionsstatus) zu bezeichnen. Wochen später räumten PNV und EH Bildu ein, dass hinter dem Veto auch ideologische Gründe stecken. Erstere warnten, dass Vox "nur Spannungen schüren" wolle, letztere bezeichneten die Gruppe als "faschistisch" und kündigten eine Verschärfung des “Gesundheits-Gürtels“ an. EH Bildu ignoriert die von Vox vorgestellten Initiativen, PSE und Podemos reagieren manchmal.

KLAGE

Dagegen reichte Vox im Oktober 2020 Klage ein und argumentierte, dass das Recht auf politische Beteiligung seiner Wähler verletzt werde. Dem Antrag auf einstweilige Verfügung wurde nicht stattgegeben, die Angelegenheit ging nun ans Verfassungsgericht, in diesem von rechten und ultrarechten dominierten Gerichtshof wird nun verhandelt. Festgestellt werden muss, ob die Situation die Gleichheit der Abgeordneten beeinträchtigt ist oder ob im Gegenteil die Gefahr einer Überrepräsentation von Vox besteht. Dritte Frage ist, ob sich das VG in eine Mehrheits-Entscheidung eines Autonomie-Parlaments einmischen darf oder sollte. Eine juristische Entscheidung darf niemand erwarten von dieser postfranquistischen Instanz. Eher eine politische. Wie die Ausgrenzung der bürgerlichen Mehrheit des baskischen Parlaments, faschistisches Abwasser auf den Tribünen zu verhindern.

UND SONST … Während das Oberste Euskadi-Gericht die weitere Pflicht zum Covid-Pass verhindert, hat Europa endlich erkannt, dass Atomenergie eine grüne Energie ist und in dieser neo-ökologischen Verkleidung mit kräftigen Subventionen rechnen darf auf dem Weg zum energetischen Wandel. Es lebe die Kohle!

(2022-02-01)

EUSKARA

kolu34a01Nafarroa ist die Wiege des baskischen Staates. Von 900 bis 1500 existierte das Königreich Navarra, an dessen Hof Baskisch gesprochen wurde. Nach vielen Höhen und Tiefen, nach vielen Sprech-Verboten durch kastilische Machthaber ist dieses Euskara heute in der Region Baskenland (Euskadi) eine anerkannte offizielle Sprache. In der Region Nafarroa – der Wiege – ist alles relativ. Denn dort herrscht nach wie vor der Geist der reaktionären “jakobinischen“ Kastilier, die sich neuerdings Regionalisten nennen und das Euskara am liebsten dem Gevatter Torquemada anvertrauen würden: verbieten und verbrennen.
Die haben dafür gesorgt, dass die älteste übrig gebliebene Sprache Europas in der Pyrenäen-Region in drei Zonen aufgeteilt wurde. Der Norden ist offiziell zweisprachig, weil hier viele Euskaldune zu finden sind. In der mittleren Zone um Iruñea-Pamplona kommt es auf den konkreten Ort an, im flachen agrarischen Süden verliert die Sprache jegliche Anerkennung und kommt nur in voluntaristischer Form vor, in den privaten Baskisch-Schulen, die es in allen baskischen Provinzen gibt. Hindernisse über Hindernisse.

Nun will die sozialdemokratische Regierung das Euskara-Gesetz überarbeiten, die Vorschläge haben zu einem Aufschrei geführt. Wer sich für einen Job im öffentlichen Dienst bewirbt, erhält für seine Bewerbung Punkte für Ausbildung, Berufstätigkeit, für Fremdsprachen-Kenntnisse – nicht aber für Euskara-Sprachvermögen. Englisch, Französisch oder Kisuaheli werden also höher bewertet als die ureigenste Sprache (die in Navarra nur etwa 20% der Bevölkerung beherrschen). Förderung wird klein geschrieben, ganz klein sogar. Wer in der Ribera seinen Kaffee auf Baskisch bestellt, hat beste Chancen, nicht bedient zu werden. Geh doch rüber – in den Norden!

UND SONST … Amnesty International fordert den spanischen Kongress zu einer Untersuchung der Covid-Toten in Altersheimen auf. 35.670 Alte hat die Pandemie dahingerafft, das macht 40% der Gesamttoten durch Corona. Die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft seien ungenügend und nicht geeignet, die Todesumstände aufzuklären.

ABBILDUNGEN:

(0) Collage. (1) Euskara. (2) xxxxxxx. (3) xxxxxxx. (4) xxxxxxx. (5) xxxxxxx. (6) xxxxxxx. (7) xxxxxxx. (8) xxxxxxx. (9) xxxxxxx. (10) xxxxxxx. (11) xxxxxxx. (12) xxxxxxx. (13) xxxxxxx. (14) xxxxxxx. (15) xxxxxxx. (16) xxxxxxx. (17) xxxxxxx. (18) xxxxxxx. (19) xxxxxxx. (20) xxxxxxx. (21) xxxxxxx. (22) xxxxxxx. (23) xxxxxxx. (24) xxxxxxx. (25) xxxxxxx. (26) xxxxxxx. (27) xxxxxxx. (28) xxxxxxx.

(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-02-01)

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