Francos letzte Hinrichtungen 1975
Die Basken Angel Otaegi und Jon Paredes “Txiki“ wurden zusammen mit drei weiteren politischen Aktivisten am 27. September 1975 – vor genau 45 Jahren, an verschiedenen Orten des Spanischen Staates hingerichtet, nachdem sie mit unterschiedlichen Vorwürfen konfrontiert zum Tode verurteilt wurden. Diese letzten Hinrichtungen der Franco-Diktatur riefen weltweit Empörung und Reaktionen hervor, vom Vatikan bis hin zu westlichen Regierungen. Im Baskenland und Spanien kam es zu Streiks und Protesten.
Die ETA-Aktivisten Jon Paredes “Txiki“ und Angel Otaegi, sowie die FRAP-Mitglieder José Luis Sánchez Bravo, Ramón García Sanz und Humberto Baena waren am 27. September 1975 (vor genau 45 Jahren) die letzten politischen Gefangenen, die während der Franco-Diktatur hingerichtet wurden.
Politische Beobachter jener Zeit sind sich mit den damals beteiligten Anwältinnen einig, dass die Todesurteile gegen die insgesamt 11 angeklagten politischen Aktivisten bereits in den Schubladen lagen, als sie vor Kriegsgerichte gestellt wurden. Gemeinsam war ihnen, dass sie alle zwischen Herbst 1974 und Sommer 1975 festgenommen wurden, als das Regime angesichts des dahinsiechenden Diktators Schwäche zeigte und gegen die überall aufbrechenden Streiks und Rebellionen eine harte Hand zeigen wollte.
Bei José Luis Sánchez Bravo, Ramón García Sanz und Humberto Baena handelte es sich um Militante der bewaffneten Organisation FRAP (Frente Revolucionario Antifascista y Patriotica) (1). Ihnen wurden Attentate vorgeworfen. Angel Otaegi wurde in seinem Zuhause festgenommen und verurteilt, weil er ETA-Aktivisten bei sich beherbergt haben soll. Jon “Txiki“ Paredes soll an einem Banküberfall und der Tötung von zwei Polizisten beteiligt gewesen sein. Klar ist nur, dass er bei ETA aktiv war, wie er selbst vor Gericht erklärte. Ansonsten machte sich das Kriegsgericht, wie auch im Fall der anderen zehn Angeklagten, nicht die Mühe einer wirklichen Beweisführung. Die Prozesse waren Angelegenheiten von Stunden, die Verteidiger*innen wurden beschnitten und ignoriert. Von den zuerst verkündeten elf Todesurteilen wurden sechs in lange Haftstrafen umgewandelt, die übrigen fünf wurden vollzogen. (2)
Franco starb mordend. Fünf Jahre zuvor hatte er die ebenfalls zum Tode verurteilten ETA-Militanten aus dem sogenannten Burgos-Prozess (3) begnadigen müssen, weil eine weltweite Protestbewegung dem Regime die Hölle heiß machte. Doch im September 1975 ließ der an sein Ende gekommene Diktator und Massenmörder Franco die Todesurteile ausführen.
Angel Otaegi
Am 3. April 1974 wurde im gipuzkoanischen Azpeitia ein Guardia Civil Polizist bei einem Attentat getötet. Verdächtig waren drei Mitglieder von ETA, darunter Jose Antonio Garmendia, der bei seiner Festnahme im August desselben Jahres einen Kopfschuss erhielt. Angel Otaegi lebte in einem Stadtteil von Azpeitia und wurde sowohl der Teilnahme am Attentat beschuldigt, wie auch, er habe das Kommando bei sich zu Hause aufgenommen. Als die Polizei vorstellig dort wurde, ergab er sich ohne Fluchtversuch. Seine Kusine Mertxe Urtuzaga zitierte später den Chef des Einsatz-Kommandos: “Schade, dass du nicht versucht hast abzuhauen, wir hätten dich umgebracht“.
Das war im November 1974, der 33-jährige Angel sollte sein Zuhause nie wiedersehen. Er wurde ins Gefängnis von Burgos gebracht. Otaegi (1942-1975) hatte als Fischer in den Häfen von Getaria und Orio gearbeitet und sich mit 20 Jahren der Jugend-Organisation EGI der verbotenen Baskisch Nationalistischen Partei angeschlossen. Später kam er zur Arbeiterfront bei ETA, dann zu ETA politico-militar (ETA-pm) und schließlich zu ETA-militar (ETA-m). Seine Aufgaben bestanden darin, Flugblätter zu verteilen und Unterschlupfe für die Aktivisten zu suchen.
Angel Otaegi musste seine letzten Stunden ohne vertraute Begleitung verbringen. Von anderen Gefängnis-Insassen sind seine Abschiedsworte überliefert: “Sie töten mich für Euskadi. Ich bereue nichts. Es lebe das freie Baskenland! Revolution oder Tod!“. Nur die Schützen des Todeskommandos waren Zeugen, wie Angel Otaegi seine eigene Hinrichtung erlebte. Weder Familienangehörige noch Anwältinnen waren bei der Exekution in den Morgenstunden des 27. September 1975 im Gefängnis von Burgos zugelassen. Am Vortag hatte seine Mutter ihn besucht, sie musste den Besuch wegen einer Krankheit jedoch abbrechen, seine Schwester wurde danach nicht zugelassen.
Jon Paredes “Txiki“
Der wegen seiner kleinen Gestalt “Txiki“ (der Kleine) genannte Jon Paredes (1954-1975) wurde in der spanischen Region Extremadura geboren und kam im Alter von 10 Jahren mit seiner Familie nach Zarautz an der gipuzkoanischen Küste. Mit 14 verließ er die Schule und begann mit einer Arbeit in einer lokalen Plastikfabrik. In jungen Jahren schloss er sich zusammen mit seinem Bruder Mikel der antifranquistischen Organisation ETA an. Bereits 1972 trat er dem PNV-Jugendverband EGI bei, 1973 kam er in Kontakt zu ETA. Seit 1970 (mit 16 Jahren) nahm er an heimlichen Schulungen über die Geschichte des baskischen Nationalismus und die Karlistenkriege teil. Seit 1974 bemühte sich der Extremadura-Migrant “Txiki“ auch, Baskisch zu lernen.
Eine seiner ersten Aufgaben bestand darin, Bewegungen der Schwester (Pilar de Borbon) des designierten Königs Juan Carlos zu observieren, die mit Familie gewöhnlich den Urlaub in Zarautz verbachte. Vermutlich wollte ETA deren Ehemann entführen, um ihn gegen baskische Gefangene auszutauschen. Doch die Polizei kam dazwischen, als die Aktion sich bereits in fortgeschrittenem Zustand befand.
Deshalb musste “Txiki“ im August 1974 nach Iparralde untertauchen. Dort integrierte er sich vollends bei ETA und übernahm zusammen mit Jose Luis Bujanda sieben Monate lang logistische Aufgaben. Im Januar 1975 musste er erneut fliehen. “Txiki“ ging als Mitglied eines Kommandos von ETA-pm nach Barcelona. Unter seinen Begleitern befand sich auch Mikel Lejarza, genannt “der Maulwurf“, der später als Polizei-Spitzel bei ETA identifiziert wurde. Nach Polizeiangaben hatte “Txiki“ in Donostia (San Sebastian) an einem tödlichen Attentat gegen einen Polizisten und in Barcelona an einem Banküberfall teilgenommen. Das war im Juli 1975, er war 21 Jahre alt. Am 30. Juli wurde er festgenommen, in der Polizeikaserne gefoltert und ins Modelo-Gefängnis von Barcelona gebracht, wo er erst drei Wochen nach seiner Verhaftung den ersten Anwaltsbesuch erhielt.
Kriegsgerichte
Das Regime beschloss, die 1974 und 1975 festgenommenen Aktivisten von ETA und FRAP vor Kriegsgerichte zu stellen, also vor Militärgerichte. Der Prozess gegen Angel Otaegi und seinen Begleiter Jose Antonio Garmendia fand am 28. August 1975 in Burgos statt. Fünf Stunden reichten dem Gericht, dem ein Hauptmann vorsaß, um für beide die Todesstrafe auszusprechen. Die Angehörigen der Beschuldigten wurden ebenso wenig zum Prozess zugelassen wie die Prozessbeobachter, die von ausländischen Menschenrechts-Organisationen geschickt worden waren. Das Regime wollte sich nicht in die Karten schauen lassen. Neun FRAP-Aktivisten wurden wegen eines Attentats auf einen Guardia-Civil-Polizisten (16. August 1975) kurze Zeit danach verhaftet und am 18. September in Madrid vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt. Sechs der Todesstrafen wurden am 26. September vom Ministerrat in lange Haftstrafen umgewandelt, drei am folgenden Tag vollstreckt.
“Txikis” Prozess
Am 22. August (sechs Tage vor Beginn) erfuhr “Txiki“ von seinem bevorstehenden Prozess, bei dem es um ihn allein gehen sollte. Nach der Verurteilung von Otaegi und Garmendia begann er einen Hungerstreik. Am 15. September wurde das Verfahren eröffnet, der Vorwurf lautete: Teilnahme an einem Banküberfall mit Todesfolge. Gefordert wurde direkt die Todesstrafe. Die Anwältinnen hatten nur vier Stunden Zeit, sich in die Akten einzulesen und ihre vorläufigen Schlüsse schriftlich einzureichen. Der Prozess fand am 19. September statt. “Txiki“ bekannte sich zu ETA, verneinte jedoch die Teilnahme am Überfall, weil er zur fraglichen Zeit in Perpignan war.
“Txikis“ Anwältinnen, Marc Palmés und Magda Oranich, zwei bekannte Antifranquistinnen, ahnten schnell, dass es dem Regime um nichts anderes ging, als ihren Klienten zu exekutieren. “Das war ein verkürztes Verfahren, das ganz exklusiv gegen ihn gerichtet war. Wir wussten, dass sie ihn töten würden“, erklärte Oranich später. Die einzig verbleibende Strategie war, den Prozess irgendwie zu verzögern und mit dem Tod Francos zu spekulieren, der möglicherweise politische Veränderungen bringen könnte. “Txiki“ selbst war völlig klar, dass sein Tod Ziel des Prozesses war, das sagte er auch seinen Anwältinnen.
Magda Oranich erinnerte sich in einem Interview mit der Monatszeitschrift “Punto y Hora“: “Wir waren überzeugt, dass die anderen (Otaegi und FRAP) nicht zum Tod verurteilt würden. Und selbst wenn, dachten wir, dass die Urteile nicht vollstreckt würden. Bei Txiki hingegen waren wir uns sicher, dass sie ihn töten würden. Vom ersten Moment an. Er selbst wusste es, seit er verhaftet worden war. Alles war so klar, dass wir nur auf Zeit spielen konnten“. Was ihnen blieb, mit dem Rechtsanwalt Miguel Castells aus Donostia darum zu bitten, dass die Hinrichtung nicht durch die Garotte ausgeführt werde. Das Urteil erging wie vom Regime erwünscht. Jon Paredes “Txiki“ sollte am 27. September 1975 um 8:30 Uhr neben dem Friedhof Sardanyola del Vallés (Barcelona) hingerichtet werden.
Reaktionen im Baskenland
Als die Drohung mit der Todesstrafe bekannt wurde, kam es im Baskenland schnell zu Mobilisierungen. Am 28. August wurde ein Generalstreik durchgeführt, begleitet von vielen anderen Mobilisierungen, die für acht Demonstranten mit Schussverletztungen endeten. Das Regime reagierte mit brutaler Gewalt auf der Straße. Während einer Demonstration am 31. August tötete ein Polizist in Donostia-Gros durch einen Schuss aus nächster Nähe den jungen Jesús García Ripalda, einen Aktivisten der Kommunistischen Bewegung Euskadis. In Bizkaia wurden sechs Personen durch Kugeln verletzt, in Pasaia zwei, in Donostia ein achtjähriges Kind. Zu “Txikis“ Prozess wurde der Generalstreik wiederholt, obwohl die Exil-PNV dies ausdrücklich ablehnte.
Nachdem die Urteile bekannt wurden, kam es zu Mobilisierungen in halb Europa, Angriffe auf spanische Botschaften, jene in Lissabon brannte, in Ankara wurde eine Bombe gezündet. In Paris wurde ein spanischer Militär durch Schüsse schwer verletzt, dazu bekannte sich die “Internationale Brigade Juan Paredes Manot“. Papst Paul VI. und der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim (später als alter Nazis überführt), schickten Telegramme an Franco, in denen sie für die elf zum Tode verurteilten um Gnade baten. Neben Gewalt und Repression war die Antwort des Regimes, fünf der elf Urteile zu bestätigen.
Exekutionen und Beerdigungen
Baena, Sánchez Bravo und García Sanz wurden auf dem Schießplatz Hoyo de Manzanares in den Madrider Bergen erschossen. Otaegi, im Gefängnis Villalón in Burgos, Txiki neben dem Friedhof von Sardanyola. Die Anwaltskammer von Barcelona versuchte eine letzte Intervention gegen die Vollstreckung des Urteils gegen Txiki, der Vatikan wurde eingeschaltet, der Pflichtanwalt beantragte bei der Staatsführung die Annullierung des Urteils. Die Anwältinnen und “Txikis“ Bruder Mikel konnten die Nacht im Gefängnis verbringen. Gegen acht Uhr früh wurde der Verurteilte abgeholt und in einer Autokarawane zum Friedhof gebracht. In einem anderen Fahrzeug waren die Anwältinnen und der Bruder.
In seinen letzten Stunden verblüffte “Txiki“ mit seinen nur 21 Jahren alle in seiner Nähe durch seine Ernsthaftigkeit und Ruhe – Freunde wie Feinde. Als ein Militär seine Überraschung mitteilte, antwortete der Gefangene: “Wir müssen uns nicht schämen, hier zu sein. Ihr schon.“ Auf eine Fotografie schrieb er eine Botschaft an seine kleinen Geschwister, ein Zitat von Ernesto Che Guevara.
Gegen 8.30 Uhr wurde “Txiki“ von sechs Freiwilligen der Guardia Civil erschossen. Kurz vorher kamen die Anwältinnen und der Bruder, die somit zu Augenzeugen wurden. “Txiki“ lächelte als er sie sah, Mikel machte ein Siegeszeichen und sein Bruder lächelte noch mehr. Er war an Händen und Füßen gefesselt und begann das “Eusko Gudariak“ zu singen, das Lied der baskischen Kämpfer im Krieg. Er rief “Gora Euskadi askatuta! Aberria edo hil!“ (Es lebe das freie Baskenland! Vaterland oder Tod!). Die abgefeuerten Schüsse trafen, verursachten aber nicht den Tod. Erst ein weiterer Schuss tat dies. “Txikis“ Anwalt Marc Palmés gelang es, heimlich ein Foto von der Leiche zu machen, bevor sie am nächsten Tag beerdigt wurde. Trotz Verbot kamen Menschen, um an der Beerdigung teilzunehmen, rote Nelken wurden auf den offenen Leichenwagen geworfen, bis die Polizei einschritt.
Streit um die Leichen
Die franquistischen Behörden weigerten sich, die Leiche nach Zarautz zu überführen, dies geschah erst zwei Jahre später. Dennoch fand dort am 29. September 1975 eine Beerdigungsfeier statt, zu der 4.000 Personen kamen, obwohl im Ort Ausnahmezustand herrschte. “Txikis“ Mutter sagte ein paar Worte und wurde zusammen mit dem Pfarrer festgenommen. Vorher war in Barcelona versucht worden, eine Feier durchzuführen, bis die franquistische Polizei die Kirche einnahm. Der Pfarrer wurde angegriffen und das Büro der Anwältinnen von “unkontrollierten Kräften“ attackiert, so der damalige Sprachgebrauch für illegale Undercover-Polizeiaktionen. Auf der Straße gingen die Proteste weiter. Die Leichen der übrigen Exekutierten wurden relativ schnell in ihre Heimatorte gebracht, jeweils unter größten Sicherheits-Vorkehrungen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nationale und internationale Reaktionen
Die Bestätigung der Todesurteile durch den franquistischen Ministerrat führte zu einem immensen internationalen Aufruhr. Der Papst reagierte ebenso wie Francos Bruder, beide baten um Gnade. Der schwedische Ministerpräsident Olof Palme (später ermordet) und der mexikanische Präsident Luis Echeverría Álvarez intervenierten ebenfalls. Die franquistische Presse beschränkte sich darauf, die sechs Begnadigungen hervorzuheben – die Streiks und Proteste quer über den halben Planeten fanden kein Ende. In einem Madrider Hotel stellen Yves Montand und Costa Gavras ein Manifest gegen die Urteile vor, das von Jean Paul Sartre, Luis Aragon, André Malraux und anderen relevanten Figuren aus der Welt der Kultur unterzeichnet wurde. Sie wurden des Landes verwiesen.
Trotz Ausnahmezustand wurde im Baskenland zum Generalstreik aufgerufen, der auch in spanischen Städten teilweise befolgt wurde. Nach den Hinrichtungen am 27. wurde zu einem dreitägigen Ausstand aufgerufen, an dem sich schätzungsweise 200.000 Arbeiter und Arbeiterinnen beteiligten. Es war bereits der dritte Generalstreik im September, im August waren weitere vorausgegangen. Trotz Ausnahmezustand in Bizkaia und Gipuzkoa standen die Räder in Werkstätten und Fabriken still, Läden und Gaststätten wurden geschlossen, die Fischfang-Flotte blieb in den Häfen. In vielen Orten kam es zu Demonstrationen, die blutig und mit Schüssen unterdrückt wurden. In fast allen baskischen Orten kam es zu symbolischen Beerdigungsfeiern. In Donostia wollten Bischof Setién und 30 Priester eine Messe feiern – die Polizei besetzte die Stadt, den Platz und die Kirche Buen Pastor.
Der Schweizer Anwalt Christian Grobet, der von der Internationalen Föderation für Menschenrechte und von der Schweizer Liga für Menschenrechte als Beobachter entsandt worden war, machte in seinem Bericht deutlich, dass er nie zuvor eine derartige Prozess-Farce erlebt hatte. Der Präsident Mexikos forderte den Ausschluss Spaniens aus den Vereinten Nationen. Die Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG, Vorläuferin der EU) forderte die Begnadigung der Verurteilten, zwölf westliche Länder (darunter Norwegen, Großbritannien und Holland) zogen ihre Botschafter aus Madrid zurück. Selbst die NATO mischte sich ein und fordert ihre Mitglieds-Staaten auf, nichts für den beantragten Eintritt Spaniens in den Militärverbund zu unternehmen.
Das Regime reagierte mit Repression und der Organisation einer Jubel-Demonstration auf dem Madrider Orient-Platz. Dort erschien auf einem Balkon der Diktator und Massenmörder Franco höchstpersönlich. Körperlich schwer gezeichnet und begleitet vom damaligen Thronfolger Juan Carlos, von Franco selbst designiert, der seinen Treue-Eid auf die franquistischen Werte geschworen hatte und nie auf die der späteren Demokratie (und der nach einer Vielzahl von Korruptionsskandalen ins saudi-arabische Exil gegangen ist).
Der Diktator ließ die Gelegenheit nicht aus und verkündete: “Alles was in Spanien und Europa angezettelt wurde, ist nichts anderes als eine freimaurerisch-linke Verschwörung in Einheit mit terroristisch-kommunistischer Subversion in der Gesellschaft. Das ehrt uns und erniedrigt die anderen“. Es war der letzte öffentliche Auftritt des Diktators. Zwei Monate später starb er, im Bett und bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen für Staatsstreich, Kriegsverbrechen und 39 Jahre Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Francos Erben waren in der “Transition“ genannten Übergangszeit schlau genug, für sich selbst 1977 eine Amnestie zu beschließen, die bis heute verhindert, dass auch nur ein einziger Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt worden wäre. In Spanien herrscht Straffreiheit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, obwohl dies nach den Statuten der Menschenrechts-Erklärung illegal ist.
Die Bedeutung von Txiki
Die Figur von Jon Paredes Manot, seine persönliche Geschichte und die Geschichte seiner letzten Tage bekam schnell eine symbolische Bedeutung. Die unsicher gewordene Herrschaft der Franquisten legte ein besonders hartes Vorgehen gegen die entschiedensten Gegner nahe, jene die den bewaffneten Kampf praktizierten. Immerhin hatte ETA nur zwei Jahre zuvor Francos Nachfolgepläne mit dem erfolgreichen Attentat gegen Admiral Carrero Blanco mit einer Autobombe zunichte und die Angreifbarkeit des Regimes deutlich gemacht. Das Problem der peripheren Nationalismen, verkörpert durch ETA, und das gesellschaftlich-wirtschaftliche Problem, das über die FRAP zum Ausdruck kam, sollte einmal mehr brutal unterdrückt werden, mit der härtesten denkbaren Sanktion: der Todesstrafe. Neben ETA und der FRAP-Gruppe gab es weitere kleine bewaffnete Organisationen, sowie die deutlich relevantere (in Galicien entstandene) Gruppe GRAPO, die im Jahr 1975 ebenfalls folgenreiche Attentate ausführte. (4)
Warum “Txiki“ und nicht Otaegi? Als gut integrierter Emigrant und überzeugter Aktivist besaß Jon Paredes Charakteristiken, die sich für ein Heldenbild eigneten. Dazu kam, dass seine letzten Stunden von vertrauten Augenzeugen dokumentiert und weitergegeben wurden. Das Bild von einer Person, die von Gewehrsalven getroffen weiter das baskische Widerstandslied Eusko Gudariak singt, verursacht auch 45 Jahre später vielen noch eine Gänsehaut. Von Angel Otaegi gibt es solche Überlieferungen nicht. Dazu kommt, dass die Familie Paredes Manot ("Txikis“ Mutter und Brüder Mikel und Diego) sich immer öffentlich zur Geschichte bekannten. Auf Angel Otaegis Seite war dies nicht der Fall.
Der Schriftsteller Xabier Sánchez Erauskin fasste es auf folgende Art zusammen: “Ein Volk sollte erschossen werden, dafür wurden symbolische Figuren gesucht. Man wählte zwei Personen von tragender Bedeutung: den perfekt integrierten Migranten und den bodenständigen Einheimischen, den neuen Wind der Freiheit und die Wurzeln des Volkes. Das Befreite und das Legale. Wind und Wurzeln.“
Die Figur von “Txiki“, Migrant, arme Familie, Arbeiter, integriert und mit einer festen Eigenverpflichtung für den nationalistischen und gesellschaftlichen Kampf, wurde zu einer Referenz für die Jugend. Viele hatten dasselbe Schicksal erlebt, waren eingewandert, arbeiteten in den Fabriken oder waren Kinder von Migrantinnen. “Txiki“ half symbolisch, die entstandene kulturelle und politische Kluft zwischen den Zugewanderten und den Einheimischen zu überwinden. Schnell wurde “Txikis“ Figur von Schriftstellerinnen und Dichterinnen aufgenommen. Zu seinem Andenken entstanden Lieder, die auf den Volksfesten gespielt und gesungen wurden. Eine Unzahl von Plakaten und Aufklebern entstanden und machten “Txiki“ zu einem Märtyrer und zu einem Mythos für den Widerstand gegen die Diktatur.
Anerkennung als Opfer von politischer Gewalt
Am 19. November 2012 wurden Jon Paredes Manot und Angel Otaegi von der Kommission zur Untersuchung von Opfern von Polizeigewalt und behördlichem Vorgehen mit politischer Motivation in den Jahren 1960 bis 1978 als Opfer von Menschenrechts-Verletzungen anerkannt. Begründung: Bei den Verfahren wurden grundsätzliche Elemente von Justiz und Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt, das verurteilende Militärgericht ließ keinen halbwegs akzeptablen Prozess zu. Diese Kommission existiert allerdings nur im Baskenland, ins Leben gerufen von der rechten baskischen Regierung! Denn spanische Instanzen sind von solcherart Aufarbeitung der franquistischen Geschichte und seiner Menschenrechts-Verbrechen meilenweit entfernt.
Tag der Erinnerung an die Gefallenen
“Gudari Eguna“ ist der Begriff für die Gedenk-Veranstaltungen für die Opfer des Franquismus. Dabei hat die baskische Linke ein anderes Datum als die baskische Rechte. Die rechte christdemokratische Mehrheitspartei EAJ-PNV erinnert am 28. Oktober daran, dass an jenem Tag im Jahr 1937 (nach der Kapitulation der baskischen Truppen im kantabrischen Santoña) im dortigen Gefängnis El Dueso 42 Soldaten der baskischen Armee “Eusko Gudarostea“ hingerichtet wurden.
Die baskische Linke hingegen hat sich Angel Otaegi und Jon Paredes Manot als antifranquistische Symbolfiguren ausgesucht, um an die Opfer des spanischen Faschismus zu erinnern. Zum Tag des “Gudari Eguna“ wurde somit der 27. September. Er bezieht sich weniger auf die Gefallenen des Krieges in den 1930er Jahren als auf ETA-Militante und linke Politiker, die im Franquismus und danach auf verschiedenste Weisen zu Tode kamen. In den vergangenen 15 Jahren, insbesondere in der Zeit der Illegalisierung der baskischen Linken aufgrund des Parteiengesetzes der Aznar-Regierung, wurden die Gudari-Eguna-Gedenkfeiern von der spanischen Justiz als “Verherrlichung von Terrorismus“ verboten. Im Jahr 2009 zum Beispiel betraf dieses Verbot durch das politische Sondergericht Audiencia Nacional immerhin 24 Veranstaltungen.
Gedenkveranstaltungen in Katalonien
In Sardanyola, dem Ort der Hinrichtung von Jon Paredes “Txiki“ werden seit 1976 regelmäßig Gedenk-Veranstaltungen durchgeführt. In diesem Jahr 2020, in dem sich der gewaltsame Tod der fünf Militanten zum 45. Mal jährt, wurde zum ersten Mal auch ein Gedenkakt im Barcelona-Gefängnis “Modelo“ durchgeführt, in dem “Txiki“ inhaftiert war. Dies wurde möglich, nachdem das Gefängnis im vergangenen Jahr geschlossen wurde und nun einer neuen Verwendung zugeführt werden soll. Bei dieser Veranstaltung war die Anwältin Magda Oranich anwesend, sowie die Kongress-Abgeordnete Mertxe Aizpurua von EH Bildu, der Journalist und ehemalige katalanische CUP-Abgeordnete David Fernández, und andere.
In Bilbao wurden die Gedenkfeiern, obwohl legal, von der baskischen Polizei behindert. Fotografien von Opfern von Polizeigewalt wurden abgerissen, weil auch für die baskische Polizei gilt: “Antifaschismus ist Verherrlichung von Terrorismus“. Wie jedes Jahr wurde am Gudari Eguna 2020 auf dem Friedhof von Zarautz eine von vielen Personen besuchte Gedenkfeier abgehalten, am Grab von Jon “Txiki“ Paredes Manot. Von der Polizei bewacht, aber nicht gestört. Trotz Verboten, Kriminalisierungen und Behinderungen bleibt der Gudari Eguna nach dem Aberri Eguna (Nationalfeiertag am Ostersonntag) der wichtigste Mobilisierungs- und Erinnerungstag für die linke baskische Unabhängigkeits-Bewegung. (Fotoserie 2020)
ANMERKUNGEN:
(1) FRAP: "Frente Revolucionario Antifascista y Patriota” (Revolutionäre Antifaschistische und Patriotische Front), eine bewaffnet agierende antifranquistische und republikanische Organisation von maoistischer, marxistisch-leninistischer Ideologie, Anfang der 1970 Jahre gegründet, gegen Ende der Franco-Diktatur. Deren Ziel war das Ende der Diktatur durch einen radikalen Umbruch, den Bruch mit dem US-amerikanischen Imperialismus und die Wiedereinführung einer spanischen Republik mittels eines Volksaufstands. (LINK)
(2) Der vorliegende Artikel stellt eine Zusammenfassung von Information aus folgenden Artikeln dar:
(A) Artikel “Homenaje a Txiki en la antigua Modelo en el 45 aniversario de su fusilamiento“ (Ehrung für Txiki am 45. Jahrestag seiner Erschießung), Tageszeitung Gara 2020-09-25 (LINK). (B) Artikel “Txiki y Otaegi“, Tageszeitung Gara 2015-09-26, Gotzon Aranburu (LINK). (C) Juan Paredes Manot (Wikipedia).
(3) Im sog. Burgos-Prozess waren 16 Mitglieder der antifranquistischen Organisation ETA angeklagt, für den Tod von drei Polizisten verantwortlich zu sein. Sechs der in Burgos vom Franco-Regime Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Proteste auf der Straße und auf internationalem Parkett brachten das Regime dazu, die Maximalstrafen in Haftstrafen umzuwandeln. (LINK)
(4) Die Organisation “Grupos de Resistencia Antifascista Primero de Octubre“, GRAPO (Gruppen des antifaschistischen Widerstands des 1. Oktober) war eine bewaffnete kommunistische Untergrundgruppe, die von 1975 bis 2007 aktiv war und in dieser Zeit zahlreiche Attentate auf Repräsentanten des spanischen Staates und auf Zivilpersonen verübte. Die Organisation galt als bewaffneter Arm der 1975 gegründeten “Partido Comunista de España-reconstituido“ (PCE-r), einer marxistisch-leninistischen Partei, deren Vorläuferorganisation sich 1968 von der kommunistischen Partei Spaniens (PCE) abgespalten hatte. Der Name GRAPO leitet sich her von dem Datum der Ermordung von vier Mitgliedern der Guardia Civil durch Mitglieder der PCE-r am 1. Oktober 1975. (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Fünf Todesurteile (twit)
(2) Angel Otaegi (Buch)
(3) Jon Paredes Txiki (twit)
(4) 27. September (turrone)
(5) Reaktionen (txalaparta)
(6) Txikis Mutter (naiz)
(7) Txiki, Otaegi (wikipedia)
(8) Txikis Grab (elpais)
(9) Gudari Eguna (twit)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-09-27)