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Berango und die notwendige Erinnerung

In Zusammenarbeit mit dem Memoria-Institut Gogora und dem Museum der “Gedenkstätte Eiserner Gürtel“ hat die bizkainische Stadt Berango das Buch "Berango in Memoriam, 1936-2020" herausgegeben, das der örtlichen und regionalen Öffentlichkeit die Episoden näher bringen soll, die die Einwohner*innen der Stadt während des Spanienkriegs erlebt haben. Ganz speziell geht es dem Autoren darum, das Schicksal der kleinen, in der Geschichtsschreibung häufig vergessenen Orte während des Spanienkrieges zu schildern.

In der Kleinstadt Berango, 25 Kilometer nördlich von Bilbao, ist seit 10 Jahren das Museum zur Erinnerung an den sog. “Eisernen Gürtel“ zu finden, ein Schutzwall, mit dem die baskische Regierung den Vormarsch der aufständischen Faschisten zu verhindern suchte. Ein Buch beschreibt die Kriegsereignisse und die Erfahrungen kleiner Orte während der Kriegszeit.

Eine Annäherung an den Spanienkrieg 1936/1937 in unserer näheren Umgebung ist eine Übung des Erinnerns und ein Versuch, unsere jüngste Geschichte kennen und verstehen zu lernen. In der Geschichte haben alle Menschen und Städte ihre Bedeutung, sowohl wegen der erlebten Erfahrungen als auch wegen der Ereignisse, die dort stattfanden. Die Summe all dessen macht unsere Vergangenheit und damit unsere kollektive Identität aus.

berango02Geschichte der kleinen Ortschaften

Auch die kleinen Gemeinden haben ihre Bedeutung, ohne sie ist es unmöglich, den Spanienkrieg im Baskenland als Ganzes zu verstehen. Wie wir sehen werden, spielten sie eine maßgebliche Rolle bei der Mobilisierung von Gudaris (bask: Soldaten) und Milizionären, dem Bau von Verteidigungs-Anlagen, der Einrichtung von Krankenhäusern und der Aufrechterhaltung der Kriegs-Industrie. Dabei mussten sie Bombardierungen, Hungersnöte, Vergewaltigungen, Evakuierungen, Gefangenschaft, sowie den Tod von Einheimischen und Nachbarn, Männern und Frauen erleben und erleiden. Die Annäherung an die Erinnerung der vorigen Generationen und ihre Erfahrungen ist eine Angelegenheit derer, die mit Geschichts-Bewusstsein leben wollen und ein Interesse haben, diese Erfahrung der Allgemeinheit weiterzuvermitteln. (1)

Kriegszeiten

In der Vorkriegszeit war die Mehrheit der baskischen Kleinstädte einfache Orte, in denen hauptsächlich Landwirtschaft, Viehzucht oder Bergbau betrieben wurde, im Großraum Bilbao mit einer beginnenden Rohstoff-Industrie. In diesem Umfeld, im Bizkaia der 1930er Jahre, während der Zweiten Republik von 1931 und 1937, hatte der baskische Nationalismus den Karlismus bereits weitgehend abgelöst, die linken Parteien suchten die Hegemonie vor allem in den Bergbaugebieten und Industriezentren mit vielen Arbeitenden.

Bei den kommunalen Nachwahlen von 1933 konnten die baskischen Frauen zum ersten Mal von ihrem (auf das Jahr 1931 zurückgehende) Wahlrecht Gebrauch machen. Am Ende desselben Jahres stimmte die große Mehrheit der Bevölkerung dem Autonomie-Statut für das Baskenland zu. Die revolutionären Ereignisse des Oktobers 1934 hatten erhebliche Auswirkungen auf die kleinen Bergbaustädte in Bizkaia. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Nach dem Sieg der linken Volksfront im spanischen Staat im Februar 1936und der darauf folgenden Regierung, putschte die Armee am 18. Juli gegen die legitime Regierung und die etablierte Ordnung, was je nach Ort und Region erfolgreich war oder scheiterte. Es folgte von 1936 bis 1939 der Spanienkrieg.

Nafarroa (span: Navarra) und Araba waren von Anfang an in den Händen der Aufständischen, Gipuzkoa wurde unter der Kontrolle der baskischen Regierung verteidigt, bis es Ende September 1936 vom Feind erobert wurde. Bizkaia blieb der Republik treu, nachdem es Waffen aus dem Ausland erhalten hatte. Am 7. Oktober 1936 fand eines der wichtigsten Ereignisse der jüngeren baskischen Geschichte statt: die Bildung der Regierung Euzkadi mit der Figur des Lehendakari (Ministerpräsidenten) José Antonio Agirre an der Spitze. Sie hatte die enorme Aufgabe, in Kriegszeiten zu regieren, zu einer Zeit, als unser Land den härtesten Angriff seit Menschengedenken erlitt.

Gudaris und Milizionäre

Seit Beginn des Konflikts trugen die kleinen baskischen Städte eine große Anzahl von Freiwilligen zu den Milizen bei, die sich dem Vormarsch der Faschisten entgegenstellten. Es waren junge Männer, die in die Hauptstadt oder direkt an die Front kamen, um sich bei den Einheiten und Milizen zu melden, die gegründet wurden von den Parteien und Gewerkschaften, denen sie angehörten oder mit denen sie sympathisierten. Anschließend wurden mit der Einberufung aller Männer im wehrfähigen Alter die Bataillone gebildet, die die Armee von Euzkadi bildeten, animiert durch den Lehendakari Agirre selbst, der gleichzeitig Verteidigungs-Minister war. Diese jungen Männer sollten an die Front gehen, viele von ihnen zeigten große Tapferkeit, Gelassenheit und Mut im Angesicht eines Feindes, der an Ressourcen, professioneller Führung, militärischer Ausbildung, Artillerie und Luftfahrt weit überlegen war.

berango03Viele dieser Gudaris und Milizionäre, die aus ländlichen Gegenden kamen, erlebten ihre Feuertaufe gegen die modernste Kriegsmaschinerie, die es damals gab (allem voran der Legion Condor der Nazis). Sie ertrugen alle Arten von Unglück und widerstanden der Offensive von General Mola, der 80 Tage brauchte, um in eine Stellung 40 Kilometer vor Bilbao vorzurücken. Auch jenseits von Bizkaia, in Santander und Asturien, gingen diese Männer und Frauen den langen Weg des Widerstands. Das Ergebnis, wie zu erwarten, war eine hohe Zahl von Gefallenen im Kampf, fast 15 % der Truppen, sowie die Gefangennahme fast aller übrigen. Wenn wir als Beispiel eine Bevölkerung von 2.000 Einwohnern nehmen und bedenken, dass die Mobilisierung jeden fünften Mann erreichte, so traf der Tod mindestens 30 von ihnen, ohne die Verwundeten und Verletzten zu zählen.

Ebenso wirkte sich der Krieg direkt auf jene kleinen Dörfer aus, die das Pech hatten, an der Frontlinie zu liegen. Wie Elgeta zum Beispiel. Der Großteil der Bevölkerung wurde evakuiert und war gezwungen, die Häuser zurückzulassen und mit wenigen Habseligkeiten und Tieren in sicherere Gebiete zu fliehen. Mit der Auflösung der Front und dem Vormarsch des Feindes zog der Terrorsturm des Krieges erbarmungslos durch fast alle kleinen baskischen Städte und Dörfer und hinterließ Ruinen, Tod und Schmerz.

Gemeinsame Anstrengungen

Die kleinen Orte, die sich zunächst in der Nachhut befanden, führten monatelang ein relativ ruhiges Dasein, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt vor den Bedrohungen und Folgen dieses unerwünschten Krieges sicher zu sein. Einige Dörfer beherbergten Kasernen für die Bataillone der Euzkadi-Armee, was den Einheimischen ermöglichte, sich mit der neuen Situation vertraut zu machen und die Gudaris und Milizionäre zu unterstützen. In einigen Städten gab es auch Blut- oder Erholungs-Lazarette, in denen zeitweise oder ständig Verwundete von der Front eintrafen, sowie zahlreiche verstümmelte Kämpfer, die sich von chirurgischen Eingriffen erholten. Dies wirkte sich teilweise demoralisierend aus auf die Nachbarn, deren Angehörige an der Front kämpften oder die glaubten, der Krieg sei schon gewonnen.

Die Bevölkerung dieser Orte, sowohl an der Küste als auch im Landesinneren, trug zur Verteidigung bei, indem sie aktiv an der Befestigung des Territoriums mitarbeiteten. Das ganze Land war am Bau von Schützengräben, Unterständen und Kasematten beteiligt. Dabei wurden zivile Freiwillige, ältere Männer, Jugendliche und Frauen eingesetzt, von denen viele, da sie aus ländlichen Gegenden stammten, mit Werkszeugen wie Hacken, Schaufeln und Spitzhacken vertraut waren, ebenso mit dem Bau schlichter Gebäude. Der größte Ausdruck dieser Mitarbeit bestand im Bau des Verteidigungs-Gürtels von Bilbao, der später als “Eiserner Gürtel“ bekannt wurde (Burdinazko Hesia – Cinturón de Hierro), eine Linie von Befestigungs-Anlagen, die um die Stadt, durch die Berge und die umliegenden Orte gezogen wurde, um sie zu verteidigen und zu verhindern, dass sie in die Hände des Feindes fielen.

berango04Mobile Kleinindustrie

Ein weiterer wichtiger Beitrag zu den Verteidigungs-Anstrengungen war die Schaffung der sogenannten mobilen Industrien. Dafür wurde in den Kleinstädten (oder Barrios der Großstädte) eine Vielzahl von kleineren Produktions-Zentren für Waffen, Versorgungsgüter und alle Arten von Waren eingerichtet, um den Notwendigkeiten des Krieges gerecht zu werden. Denn die großen Industriestandorte waren leicht aus der Luft angreifbar, die kleineren weniger. Diese kleine, verstreute Industrie erreichte schon Monate nach Kriegsbeginn eine hohe Produktions-Kapazität. All diese Aktivitäten erforderten die freiwillige oder auch obligatorische Mithilfe der ländlichen Umgebung. Dazu gehörte die Lieferung oder Requirierung von Vieh für den Transport oder die Verwendung als Nahrungsmittel, und natürlich die Kontrolle der landwirtschaftlichen Produktion durch die Regierung in Zeiten großer Knappheit: hauptsächlich Getreide, Gemüse und Obst.

Ziviler Widerstand

In Zeiten, in denen die Präsenz feindlicher Schiffe vor der Küste die Versorgung von Bizkaia über das Meer behinderte und die Rationierung der elementarsten Lebensmittel zur Folge hatte, bekamen die kleinen Städte aufgrund ihres ländlichen Charakters und ihrer Landwirtschaft die Lebensmittel-Knappheit weniger zu spüren als die Städte. Ebenso konzentrierten sich die deutschen und italienischen Luftangriffe, die die baskische Nachhut gnadenlos angriffen, mehr auf die großen Städte und weniger auf die kleinen, so dass in letzteren eine relative Ruhe herrschte.

Ende Mai 1937 wurden die Kinder, die am meisten von Hunger und Bomben-Angriffen bedroht waren, auf Wunsch ihrer Eltern von der Regierung von Euzkadi in großem Umfang evakuiert. Fast 30.000 Kinder wurden in Aufnahme-Länder geschickt, die sie mit offenen Armen empfingen: hauptsächlich Frankreich, Belgien, Großbritannien und die Sowjetunion. Die große Mehrheit dieses Exodus kam aus Bilbao und dem überbevölkerten linken Ufer des Nervión. Aus den Kleinstädten in der Nähe von Bilbao wurden hingegen nur einige hundert Kinder evakuiert, eine Zahl, die bis zu fünfmal niedriger war als der Durchschnitt für ganz Bizkaia, wahrscheinlich weil die Wahrnehmung der Bedrohung in diesen Städten geringer war.

Am Ende ging der Schrecken des Krieges durch alle Orte, durch große wie kleine Städte und bestrafte alle in unterschiedlichem Maße. Mit dem Einzug von Francos Armee und dem Rückzug der Verteidiger kam die Besetzung und mit ihr die von den franquistischen Siegern erzwungenen neuen lokalen Institutionen. Viele Menschen wurden wegen ihrer Loyalität zur republikanischen Ordnung unterdrückt, zu Geldstrafen verurteilt, eingesperrt, enteignet, getötet oder nach unfairen Prozessen erschossen. In Kleinstädten war es unmöglich, die Anonymität zu wahren, viele Nachbarn waren von den Denunziationen anderer betroffen oder spürten die fehlende Solidarität der ihnen nahestehenden Menschen in schwierigen Zeiten, was zu vielen sozialen Brüchen führte.

berango05Ort der Erinnerung

Die Niederlage und die anschließende totalitäre Diktatur, obwohl der Krieg zu Ende war, war alles andere als eine Situation des Friedens. Vier weitere Jahrzehnte mussten vergehen, bis die Bevölkerung ihre politischen Vertreter wieder frei wählen konnte.

Heute haben wir die Möglichkeit und die Mittel, uns mit der Erinnerung an jene Zeit und unserer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Das Buch “Berango in Memoriam, 1936-2020“ ist ein Beispiel dafür. Speziell in dieser Stadt und seit 2012 würdigt das “Gedenkmuseum Eiserner Gürtel“ jene Generation, die seinerzeit einen aufgezwungenen Krieg erlitt und jene Werte verteidigte, die wir heute als selbstverständlich betrachten. Der Weg der Erinnerung, der auf der gesamten Strecke des “Eisernen Gürtels“ ausgeschildert ist, ermöglicht vielen Besucher*innen eine einfache und konkrete Annäherung an die Überreste dieses Schutzwalls im Bereich der Stadt Berango, die 2012 restauriert wurden.

Weil sie waren, sind wir. So lautet ein Gedenkspruch zur Erinnerung an die vorherigen Generationen. Zumindest für jene, die sich ihrer Geschichte bewusst sind. Ein anderer Satz lautet: Wer nicht aus der Geschichte lernt, oder sie vergisst, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.

Der Autor

Autor des Textes ist Aitor Miñambres Amezaga (Bilbao, 1969). Er ist Ingenieur für Marine-Maschinen und Direktor des in Berango ansässigen “Iron Belt Memorial Museums“ (Erinnerungs-Museum Eiserner Gürtel). Er forschte und veröffentlichte Arbeiten über die motorisierte baskische Polizei (Ertzain Igiletua) von 1936-1937; über den Verteidigungsgürtel von Bilbao; über die Bombardierungen in Legutio-Villareal; über das Gernika-Bataillon und über die Kriegsfront des Landkreises Encartaciones (Enkarterriak) im Jahr 1937. Miñambres hat in mehreren Städten und auf Konferenzen Vorträge über den Krieg im Baskenland gehalten.

ANMERKUNGEN:

(1) “In memoriam, 1936-2021: La Guerra Civil en las pequeñas localidades vascas” (In Erinnerung, 1936-2021: der Bürgerkrieg in den kleinen baskischen Orten) Tageszeitung Deia, 2021-02-06. Der vorliegende Text ist eine Übersetzung, der Text wurde geringfügig verändert und ergänzt. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(*) Kriegsbilder (Miñambres)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-02-09)

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