José Moreno mit 100 Jahren gestorben
83 Jahre nach dem faschistisch-franquistischen Militärputsch vom 18. Juli 1936 sterben die letzten Kämpfer, die sich damals auf Seiten des Baskenlandes und der spanischen Republik den aufständischen Faschisten entgegenstellten. Es verstummen die Stimmen, die aus eigener Erfahrung erzählen können. Verstummt ist nunmehr auch die Stimme von José Moreno Torres aus Bilbao, der vor 100 Jahren geboren wurde und vor 83 Jahren in den Krieg gezogen war, gegen Faschisten aus Spanien, Italien und Deutschland.
Mit 100 Jahren starb in Bilbao einer der letzten baskischen Kämpfer für die Republik, für die Freiheit und gegen den Faschismus, der zu jener Zeit in halb Europa auf dem Vormarsch war: José Moreno Torres.
José Moreno Torres war nicht nur Gudari-Soldat in der improvisierten baskischen Armee (Euzkadiko Gudarostea), nach eigenen Aussagen blieb er sein Leben lang ein Kämpfer. (1) Der am vergangenen 26. August 2019 gestorbene Gudari José Moreno Torres “hätte eigentlich ein Staatsbegräbnis verdient, ebenso wie alle anderen Soldaten und Soldatinnen, die sich 1936 der neugegründeten baskischen Armee anschlossen, um gegen den Militärputsch vorzugehen, den ultrarechte spanische Militärs gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung organisiert hatten. Noch leben ungefähr zehn jener baskischen Gudari-Kämpfer, die sich während des Spanienkrieges den spanischen Demokratiefeinden, den nazideutschen Verbündeten, den italienischen Faschisten, der portugiesischen Diktatur und den marokkanischen Legionären aus dem spanischen Protektorat entgegenstellten“ (2).
José Moreno Torres blieb Soldat bis zum letzten Tag seines Lebens. Wie kaum ein anderer steht er für ein blutiges Jahrhundert, zuerst als Kämpfer gegen den aufständischen General Mola, dann als Antinazi, Antifaschist und selbstverständlich Antifranquist bis zum letzten Atemzug. Andere ehemalige Gudari-Soldaten zogen es vor, angesichts der franquistischen Repression und Schlächtereien zu schweigen, José Moreno schwieg nicht.
José Moreno vor dem Krieg
Geboren wurde er am 10. November 1918 im Arbeiterviertel Zorrotzaurre, einem Teil von Deusto, das damals noch nicht zu Bilbao gehörte, sondern bis 1925 ein eigenständiger Ort war. Später lebte er in der 12 Kilometer entfernten Industriestadt Portugalete. Dort war er nach dem Krieg bekannt und beliebt als Gudari des Bataillons San Andrés, in dem Mitglieder der Gewerkschaft “Solidaridad de los Trabajadores Vascos“ gekämpft hatten (Solidarität baskischer Arbeiter). Die STV war eine wenige Jahre zuvor gegründete Arbeiter-Organisation, die der christdemokratischen baskisch-nationalistischen Partei PNV nahestand. Im Sitz des Tanzvereins Elai Alai von Portugalete erledigte José jahrelang mit viel Hingabe Hausmeisterdienste. Aus Anlass seines 100sten Geburtstages im vergangenen November (2018) organisierte jene bekannte Tanzgruppe ein spektakuläres Ehrenfest für ihn.
Zwei Monate danach griff die Tageszeitung New York Times seine Lebensgeschichte auf. Dabei begingen die US-amerikanischen Journalisten den Fehler, José Moreno als “den letzten noch lebenden Gudari“ oder baskischen Milizionär zu bezeichnen. Das war nicht richtig. Auch wenn José Moreno, der jüngste von vier Brüdern, sicher gerne der letzte Gudari gewesen wäre.
Moreno tanzte auch selbst in einer Gruppe, die im PNV-Parteilokal in der Euskalduna-Straße des Stadtteils Elorrieta ihren Sitz hatte. Als Gewerkschaftsmitglied von ELA-STV positionierte er sich: “Es gefiel uns nicht, dass einige Mitglieder von ELA die Internationale sangen“. In Erinnerung geblieben ist er auch wegen der unzähligen Zuschriften an den Direktor der Tageszeitung Deia und an Mugalari.info (3), in denen er jene Politiker denunzierte, die 1978 von heute auf morgen aus dem Franquismus eine Demokratie machten. In seinen Augen war eine andere Art von Demokratie möglich, eine authentische Demokratie.
Gewerkschafter und PNV-Mitglied
Von seinem Vater hatte José Moreno der baskischen Nationalismus geerbt. Er war Mitglied der PNV-Partei, wechselte nach der Abspaltung von Eusko Alkartasuna (EA) zu jener neuen Partei, kam aber wieder zurück zur Ursprungspartei und war 2005 eifriger Verfechter des Vorschlags des baskischen Ministerpräsidenten Juan José Ibarretxe, dem sogenannten “Plan Ibarretxe“, mit dem die baskische Regierung der spanischen eine Änderung des Autonomie-Statuts vorschlug.
José Moreno war Mitbegründer und erster Präsident der Organisation Aterpe 1936 (baskisch: Herberge), als 2005/2006 die baskische Regierung erste Schritte unternahm, sich in die Bewegung der Aufarbeitung von Krieg und Diktatur zu integrieren (bzw. sich an deren Spitze zu stellen). Bis dahin hatte es in Bilbao kein Denkmal gegeben, das ausdrücklich an die Verteidiger und Verteidigerinnen des Baskenlandes erinnerte, von denen viele im Krieg das Leben verloren, im Nachkrieg schärfste Repression erlitten und zum Teil ins Exil getrieben wurden. Nur im Casilda-Park im Zentrum Bilbaos gibt es seit ebenfalls 2006 ein vom Bildhauer Nestor Basterretxea geschaffenes Denkmal für die Opfer des Franquismus.
Engagement für die Aufarbeitung
Über den Verein Aterpe entstand auf dem Artxanda-Berg ein Denkmal, das ausdrücklich den Milizionär*innen der baskischen Armee gewidmet ist: La Huella – der Fingerabdruck. Nicht von ungefähr wurde der Standort ausgewählt, denn Artxanda war einer von drei Einfallswegen, über die die Franquisten am 19. Juni 1937 nach Bilbao eindrangen. José Moreno war einer der treibenden Kräfte für diesen Fingerabdruck, der symbolisch an alle Bataillone der baskischen Armee erinnert. Das Denkmal ist in Bilbao-Stadt von vielen Stellen aus zu sehen. An seiner Seite steht eine Eisentafel mit den Namen aller Bataillone: sozialistische, anarchistische, christdemokratische, kommunistische, abertzale.
Am vergangenen 12. August, in seinem 101. Lebensjahr, verkündete er in seiner Wohnung – mit dem ihm eigenen Charakter – ein bis dahin unbekanntes Detail seines Lebens, das in den vielen Interviews und Biografien bislang unberührt geblieben war. “Einer meiner Brüder war kommunistischer Milizionär, im Bataillon Gipuzkoa, mit dem Namen Antifaschistische Arbeiter- und Bauern-Milizen (Milicias Antifascistas Obreras y Campesinas). Ich traf ihn auf dem Gorbeia, er verkaufte mir ein Stück Ziege, die war zäh wie Leder. Wir haben sie gegrillt, aber niemand hat davon gegessen. Sie war härter als getrockneter Thunfisch“. Ein letztes Detail für die Geschichte von José Moreno.
Bereits vor dem Krieg war der junge José ein recht harter Bursche. Mit ganzen 14 Jahren heuerte er auf dem Schiff Banderas an und machte eine Fahrt von Bilbao über Cardiff nach Italien. “Vor dem Franquismus lernte ich den Faschismus Mussolinis kennen, in jenen Tagen mit 14 Jahren wurden mir die Augen geöffnet“, erinnerte sich José. Zurück im Baskenland, mittlerweile ans andere Nervión-Ufer nach Erandio gezogen, arbeitete José am Bau der Landebahn für den Flughafen in Sondika (heute Loiu). Doch das nur kurz, denn im selben Jahr meldete er sich freiwillig für das Bataillon San Andrés der “Solidarischen“, das Bataillon seiner eigenen Gewerkschaft. Die Bataillone der baskischen Armee setzten sich jeweils zusammen aus Partei- oder Gewerkschaftsmitgliedern (CNT, PNV, KPE, ANV, etc.), so waren sie politisch äußerst homogen.
Kapitulation in Santoña
Im Bataillon San Andrés war er zuerst für das Ausheben von Schützengräben zuständig, später wurde er als Schütze eingesetzt. “Ich weiß nicht, ob ich bei der Verteidigung jemand umgebracht habe, aber mit Genickschuss habe ich nie getötet“, erklärte er. Wie für alle Bataillone der PNV und ihrer Gewerkschaften war der Krieg im kantabrischen Santoña zu Ende, knapp 70 Kilometer von Bilbao entfernt. Dort waren die verbliebenen Einheiten der baskischen Armee Ende August 1937 auf ihrem Rückzug gelandet, nachdem Bilbao am 19. Juni in die Hände der Aufständischen Faschisten gefallen war. In Santoña spaltete sich die baskische Armee: die Bataillone der PNV hatten gehofft, mit ihrer Kapitulation eine zivile Behandlung als Kriegsgefangene erreichen zu können. Die übrigen baskischen Einheiten aus Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten zogen weiter Richtung Westen, nach Asturien, um weiter für die Republik zu kämpfen.
José Moreno gehörte zu den Bataillonen, die ihre Waffen übergaben. Von ziviler Behandlung war jedoch wenig zu spüren. “Nach Santoña, wo ich meine Waffen übergab, erlitt ich Konzentrationslager wie San Juan de Mozarrífar, Jaulín, San Gregorio, Huesca und das Larrinaga-Gefängnis von Bilbao-Santutxu. Auch in anderen improvisierten Gefängnissen der Stadt war ich zeitweise eingesperrt, in der ehemaligen Tabakfabrik Tabacalera und im Escolapios-Seminar. Später haben sie mich dann noch nach Balmaseda und Huesca in Aragon gebracht.
Für die Republik ging der Krieg verloren, für José war er dennoch nicht zu Ende. Nach seinen Irrwegen durch verschiedenste Gefängnisse und KZs musste er für die neuen Herrscher seinen Militärdienst ableisten, in Andratx auf Mallorca. Mit 17 Jahren hatte er sein Zuhause verlassen, mit 24 kam er zurück. “In einem Gefängnis zwangen sie uns, auf einem Teller die Notdurft zu machen und vom selben Teller zu essen“.
Bei der Arbeit in der Werft Astilleros Españoles lernte er seine spätere Frau kennen, Carmen Gutiérrez. Sie heirateten und zogen in die Industriestadt Barakaldo am linken Nervión-Ufer. “Wir waren so arm, dass der Pfarrer nicht einmal für die Hochzeitsmesse kassieren wollte, meine Frau machte sich ihr Hochzeitskleid aus einem Teppich, der aus dem Frauengefängnis Santoña stammte, dort war ihre Schwester eingesperrt gewesen und gestorben“, erzählte José wehmütig.
Ende eines Gudaris
Nach einem Gehirnschlag starb José Moreno Torres am 26. August 2019 im Alter von 100 Jahren im Hospital Santa Marina von Bilbao – 83 Jahre nach jenem Krieg, den er in den Medien so sehr beklagt hatte. “Ich verstehe nicht, warum es Leuten, die sich Demokraten nennen, so schwer fällt, sich als Antifaschisten zu bezeichnen, wo diese Bezeichnung doch so schön ist. Womöglich deshalb, weil sie im Grunde gar nicht so demokratisch sind, oder gar eine franquistische Vergangenheit haben“. Die Worte von José Moreno.
Der Artikel (2) endet mit den folgenden Worten: “Mit allem Respekt sagen wir heute zu diesem Antifaschisten: Agur José. Der Tod kommt nicht mit den Jahren, er kommt mit dem Vergessen, und dich zu vergessen ist unmöglich. Heute sind wir es, die dein Gewehr aufnehmen und deinen Satz zitieren: ‘Mir geht es beschissen, aber ich bin zufrieden‘. Maite zaitugu!“
ANMERKUNGEN:
(1) Guda, Gudari, Gudaroste, sind drei baskische Begriffe. “Guda“ ist der Krieg, “Gudari“ bedeutet Soldat, “Gudaroste“ ist die Armee. Als “Gudaris“ werden liebevoll und mit großem Respekt die baskischen Milizionäre bezeichnet, die nach dem Militärputsch der Franquisten 1936 einen Krieg entfacht hatten. “Gudaris“ sind nicht einfach Soldaten, es sind Kämpfer für eine gute Sache.
(2) Zitate aus dem Artikel “El gudari que no callo ni bajo el franquismo” (Der Soldat, der auch während des Franquismus nicht schwieg), Tageszeitung Deia 28. August 2019 (LINK)
(3) Die Tageszeitung “Deia“ (Der Ruf) gehört zu einem Medienkonsortium der baskisch-nationalistischen Partei PNV, mit Lokalausgaben in vier Provinzen. “Mugalari.info“ ist ein Deia angegliederter Blog, der regelmäßig Informationen zur Aufarbeitung von Krieg und Diktatur publiziert. Der vorliegende Artikel ist ein Beispiel.
ABBILDUNGEN:
(1) José Moreno (oroituz)
(2) José Moreno (publico)
(3) José Moreno (deia)
(4) La Huella (demaletaenmaleta)
(5) José Moreno (eitb.eus)
(Publikation baskultur.info 2019-08-30)