marok1Integration, Vorurteile, Kopftücher

Marokkaner*innen in Bizkaia: Die größte Gruppe von Migrant*innen in Bizkaia fühlt sich gut integriert und arbeitet an ihrem Image. Dennoch sind die Marokkaner*innen immer noch Opfer der üblichen Vorurteile. Schwarze Schafe schaden der Gemeinschaft. "In zehn Jahren wird es sicher als normal betrachtet, wenn unsere Kinder Stadträte und Polizisten sind". Doch in der Zwischenzeit ist viel Energie für Integration und gegen Vorbehalte nötig, eine Mietwohnung zu finden, ist zum Beispiel nicht einfach.

Marokkanerinnen und Marokkaner sind die größte Gruppe von Migrant*innen in der baskischen Provinz Bizkaia. Religiöse Unterschiede und die Rolle der Frauen machen das Zusammenleben in der baskischen Gesellschaft manchmal schwierig. Doch die Integration funktioniert immer besser.

Bei Gesprächen in der Bevölkerung wird den Medien immer wieder vorgeworfen, Marokkaner*innen zu stigmatisieren – im Gegenzug sind viele andere der Ansicht, dass die Medien gutmütig und manipulativ arbeiten, indem sie hässliche Realitäten verbergen, die dem Image der marokkanischen Gemeinschaft schaden könnten. Zwei Dinge werden dabei deutlich: dass in diesen Krisenzeiten eine gewisse Neigung besteht, Schuldige, oder sogar Feinde zu suchen; und dass nicht über die südlichen Nachbar*innen gesprochen werden kann, ohne immer wieder auf die Vorurteile zurückzukommen.

marok2Die jüngsten Sport-Ereignisse haben der marokkanischen Präsenz in Bizkaia ein Kapitel hinzugefügt. Nach dem Erfolg des nord-afrikanischen Teams bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar (erst gegen das spanische, dann gegen das portugiesische Team) sind Hunderte von Marokkanern auf die Straße gezogen, um den Erfolg zu feiern. Es versteht sich, dass es sich um eine vielfältige Gemeinschaft handelt, wie alle anderen auch. Und zwar eine zahlreiche Gemeinschaft. In Bizkaia sind Marokkaner*innen mit 11.947 Personen die größte ausländische Gruppe, nach dem Register des Nationalen Instituts für Statistik (INE) am 1. Januar 2022. Tatsächlich gibt es mehr Personen aus Kolumbien, aber viele von ihnen sind eingebürgert, so dass sie nicht mehr als Ausländer*innen zählen – die Spanisch-Amerikaner*innen haben in dieser Hinsicht mehr Möglichkeiten. (1)

Auf jeden Fall ist die marokkanische Gemeinschaft in den letzten zehn Jahren "ziemlich stabil" gewachsen, mit einem anhaltenden Zuwachs von fünfhundert bis tausend Personen pro Jahr. Dies sagt Oier Ochoa de Aspuru, Soziologe und Forscher bei Ikuspegi (bask: Gesichtspunkt), der baskischen Beobachtungsstelle für Einwanderung. Seit 2008 hat sich die Zahl der Marokkaner*innen in Bizkaia fast verdreifacht, seit 1998 hat sie sich verzwanzigfacht (damals waren es 655).

Keine Ghettos

Von Ghettos zu sprechen, trifft nicht die Realität, denn diese Leute aus dem Maghreb haben sich relativ im gesamten Gebiet von Bilbo und Bizkaia angesiedelt. Laut INE-Daten aus dem Jahr 2021 leben in 93 der 113 Gemeinden Bizkaias Marokkaner*innen. Ein Drittel davon lebt in Bilbo, was logisch ist, da die Hauptstadt ebenfalls eine Drittel der baskischen Gesamtbevölkerung aufweist.

Was arbeiten sie? Nach den Daten der von Ikuspegi benutzten Erhebung über die Bevölkerung ausländischer Einwanderer*innen (EPIE) arbeiten 64,1% im Dienstleistungssektor, hauptsächlich im Hotel- und Gaststättengewerbe, 22,6% in der Industrie und 11,6% im Baugewerbe. Einige der ursprünglichen Erstankömmlinge in Bizkaia (vor allem in Ermua) sind bereits Großeltern, aber die große Mehrheit von 90% ist im arbeitsfähigen Alter; 70,1% sind zwischen 16 und 44 Jahre alt. Viele haben in der Provinz eine Familie gegründet und mehr als 7.000 Kinder und Jugendliche gehören bereits der zweiten Generation an (und haben meist die spanische Staatsangehörigkeit).

Ihre Fortschritte in der Arbeitswelt haben entscheidend zu ihrer Integration in Bizkaia beigetragen. "Die Selbstwahrnehmung des maghrebinischen Kollektivs (im weiteren Sinne als das rein marokkanische) ist, dass sie gut integriert sind", erklärt Ochoa de Aspuru. 79,3% dieser Migrant*innen sind dieser Meinung, und 18,4% haben ein "mittleres Gefühl der Integration".

Zwiespältige Interpretation

Die Situation ist jedoch etwas widersprüchlich und komplex, denn trotz alledem handelt es sich um jene Gruppe von Migrant*innen, die bei der einheimischen Bevölkerung am wenigsten beliebt sind. Laut dem diesjährigen Ikuspegi-Barometer liegt der Grad der Sympathie gegenüber Nordafrikanern (einschließlich anderer Länder der Region, Tunesien, Algerien) bei 5,7 von 10 Punkten. Es ist die einzige Gruppe, die unter 6 Punkten liegen.

Das Positive ist, dass dieser Wert in den letzten Jahren immer weiter gestiegen ist und die ominöse Zahl von 3,8 von 2015 schon weit zurück liegt. "Je mehr sich die Leute integrieren, desto besser lernt man sich kennen und desto größer wird die Sympathie", erklärt der Soziologe. Die schlechte Nachricht ist, dass es immer noch ernsthafte und vorhersehbare Vorurteile gibt. Die Analyse von Ikuspegi spricht von einer Herkunft, die "kulturell weit von unserer Gesellschaft entfernt liegen und deren symbolische Universen (Sprache, Religion) sehr unterschiedlich sind". Ochoa de Aspuru erwähnt auch den offensichtlich heikelsten Punkt, dass es "Grenzfälle gibt, die sich auf das Kollektiv als Ganzes auswirken".

marok3"Fragen Sie die Arbeitgeber, wie die Marokkaner arbeiten, bemühen Sie sich, Ihre Nachbarn kennen zu lernen"

Moulay Driss Sadiki Amraoui, Präsident der marokkanischen Vereinigung Al Manar, weicht dem Thema nicht aus. "Wir müssen realistisch sein", sagt er. "Die meisten Menschen sind fleißig und integriert, aber es gibt eine Gruppe von Jugendlichen, einige von ihnen minderjährig, die Probleme verursachen und in der ganzen Gemeinde für Unruhe sorgen. Das Problem ist natürlich die Armut: "In Bilbao gibt es 800 Menschen, die auf der Straße schlafen". Das Rezept gegen Vorurteile? "Dass Sie die Geschäftsleute fragen, wie die Marokkaner arbeiten, dass die Menschen hier sich bemühen, ihre Nachbarn kennen zu lernen". Er weist darauf hin, dass dies die Migrations-Gruppe "mit der höchsten Anzahl von Sozialversicherungs-Anmeldungen" ist. Offiziellen Angaben zufolge waren im vergangenen Monat 6.981 Beitragszahler*innen aus diesem afrikanischen Land im Baskenland.

Wenig auffällig

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Dinge in eine logische und vernünftige Richtung bewegen. "In Deutschland ist es nicht ungewöhnlich, Bürgermeister und Polizisten marokkanischer Herkunft zu sehen", sagt Noureddine Ofakir, Sozialpädagoge in einem Zentrum für Jugendliche der Provinzverwaltung. "Hier wurden bereits große Fortschritte erzielt. Als ich 2008 in Barakaldo ankam, gab es dort keine Familien unserer Herkunft. Und in zehn Jahren wird es normal sein, dass die Kinder von Marokkanern Stadträte und Polizisten sind". Es gibt bereits einige Fälle, aber sie sind noch exotisch und eindeutig in der Minderheit.

Dieser Fortschritt hat auch mit "dem Profil der jungen Menschen zu tun, die hierher kommen, das sich alle zwei Jahre ändert". Seiner Erfahrung nach "haben diejenigen, die jetzt kommen, einen ganz anderen Bildungsstand, ein anderes wirtschaftliches Niveau und eine andere Denkweise als diejenigen, die früher auf Lastwagen nach Spanien kamen". Die meisten von ihnen kommen heute "mit einem Visum". Für eine Gemeinschaft wie das Baskenland, das sich in einem demografischen Abwärtstrend befindet (weniger Geburten als Sterbefälle), ist die Ankunft junger Menschen ein Segen. Die Regierung in Vitoria-Gasteiz geht seit langem davon aus, dass das Baskenland Einwanderer*innen braucht, um seine Produktionsstruktur zu erhalten und um die zahlreichen Herausforderungen zu bewältigen, die sich durch eine im Durchschnitt immer älter werdende Bevölkerung ergeben.

Da es relativ wenige Jugendliche gibt, weist Ofakir auf die Notwendigkeit hin, sie effizient auszubilden. "Von den fünfzig Jugendlichen in dem Zentrum, in dem ich arbeite, ist nur ein halbes Dutzend 'verloren'; der Rest will Kurse machen, arbeiten, seinen Lebensunterhalt verdienen". Manchmal trifft er auf der Straße junge Menschen, mit denen er vor fünf Jahren zu tun hatte, "sie sind voll integriert, haben einen Arbeitsplatz und sind gut drauf". Manchmal ist es jedoch schwierig, in einem feindseligen Umfeld voranzukommen, in dem es fast unmöglich ist, eine Mietwohnung zu finden oder das Vertrauen des Arbeitgebers zu gewinnen: "Wenn die Jugendlichen mit 18 Jahren das Zentrum verlassen müssen, haben sie manchmal nicht einmal eine Bleibe". Viele verlassen das Baskenland und entziehen der Gesellschaft (rein ökonomisch gesprochen) “den Ertrag einer intensiven öffentlichen Investition“.

Ofakir nennt ein Beispiel. Ein junger Mann, der vor kurzem aus einer Jugendstrafanstalt entlassen worden war, besuchte den Berufskurs, bei dem er keinen Tag fehlte. Sein Ohr blutete, was er zu verbergen versuchte. Das lag daran, dass er von einer Ratte gebissen worden war. Dann fanden sie heraus, dass er unter der Euskalduna-Brücke schlief. "Heute arbeitet er als Vorarbeiter in einem Unternehmen in Lyon. Er fährt oft nach Marokko und schickt mir Fotos mit seiner Familie", freut sich Ofakir.

marok4Die Fakten

11.947 marokkanische Migrant*innen leben in Bizkaia, 7.907 Männer und 4.040 Frauen. Darüber hinaus gibt es mehr als tausend weitere aus Marokko stammende Personen, die mittlerweile eingebürgert wurden und einen spanischen Pass haben. 70% der marokkanischen Bevölkerung in dieser Provinz sind zwischen 16 und 44 Jahre alt, und 90% der marokkanischen Gemeinschaft sind im erwerbsfähigen Alter. 10% sind Kinder und Rentner. (1)

Der Schleier erschwert Frauen die Arbeit zusätzlich

Wenn es schon nicht einfach ist, als marokkanischer Mann im Baskenland zu sein, so ist es für marokkanische Frauen noch schwieriger. Vor allem, wenn es um Arbeitsintegration geht: 65% der marokkanischen Frauen sind nicht erwerbstätig, gegenüber 16,4% der marokkanischen Männer. Die Gründe dafür?

"Mehr als die Hälfte der marokkanischen Frauen trägt ein Kopftuch, das ist ein Hindernis für den Zugang zum Arbeitsmarkt", beklagt Moulay Driss. Hajar Samadi, Präsidentin der muslimischen Frauen-Vereinigung Bidaya, bestätigt, dass "es ein Problem gibt", insbesondere "in Berufen mit Publikumsverkehr", sie fordert eine Kleiderordnung, denn "Integration darf nicht Assimilation bedeuten". Sie weist zurück, dass es sich beim Kopftuch um ein Symbol der Unterwerfung handelt und versichert, dass "es den Kopf bedeckt, nicht das Gehirn". (2)

Aber es gibt noch andere Gründe, die die Schwierigkeiten der marokkanischen Frauen bei der Arbeitssuche erklären. "Die meisten von ihnen kommen im Rahmen der Familien-Zusammenführung, nach den Männern", so dass "sie zwar eine Aufenthalts-Genehmigung, aber keine Arbeitserlaubnis haben". Auch die Sprache ist eine Herausforderung: "Die Sprachschule funktioniert gut, aber man kann nur in den Hauptstädten Spanisch lernen". Von Baskisch ganz zu schweigen.

ANMERKUNGEN:

(1) “Marroquíes en Bizkaia: En diez años se verá normal que nuestros hijos sean concejales y policías” (Marokkaner in Bizkaia: In zehn Jahren wird es als normal angesehen werden, dass unsere Kinder Stadträte und Polizisten werden), Tageszeitung El Correo, 2022-12-18 (LINK)

(2) “Las mujeres sufren una dificultad añadida para trabajar por el velo” (Der Schleier erschwert Frauen die Arbeit zusätzlich), El Correo, 2022-12-18 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) San Francisco, Bilbo (elcorreo)

(2) Reisgerichte, Sanfran (ecuador etxea)

(3) San Francisco, Bilbo (elcorreo)

(4) Reisgerichte, Sanfran (mundukoarrozak)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-01-15)

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