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Fenster zur Vergangenheit Bilbaos

In der Altstadt Bilbaos ist derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Estereoskopiak 16+16“ zu sehen (28. September 2016 bis 29. Januar 2017). Die Ausstellung im Euskal Museoa / Museo Vasco umfasst einen kleinen Teil der historisch wertvollen Bilder-Sammlung der Fotografin Eulalia Abaitua (1853-1943), den das Ethnografische Museum verwaltet. Es ist die siebte Ausstellung der einzigartigen Fotografin Eulalia Abaitua, die in ihrer Heimatstadt noch nicht die Anerkennung erfährt, die sie verdient.

Eulalia Abaitua war die erste bekannte Fotografin im Baskenland (1853-1943). Im Ethnografischen Museum Bilbao ist erneut eine Ausstellung über ihr Werk zu sehen.

Eulalia de Abaitua y Allende-Salazar war leidenschaftliche Fotografin. Geboren im Jahr 1853 in der Altstadt Bilbaos, zog sie 18-jährig mit ihrer großbürgerlichen Familie nach Liverpool (während des zweiten Karlistenkrieges), wo sie einen Ingenieur heiratete und eine Familie gründete. 1878 kam sie zurück nach Bilbao, die Familie ließ in unmittelbarer Nähe der Basilika von Begoña ein Haus im englischen Stil bauen, in dem sie fortan lebte. Die unter dem Namen „Palacio del Pino“ (Kiefern-Palast) bekannte Villa steht bis heute und ist Sitz einer Augenklinik. (1)

Der Alltag vor 100 Jahren

Hier richtete sich Eulalia Abaitua im Keller ein Fotolabor ein, wo sie ihre Negative vor dem Sonnenlicht schützte und das ihr gleichzeitig als Werkstatt diente für die fotografischen Porträts, die sie bei ihren Streifzügen anfertigte. Mit ihrer Arbeit hat Eulalia Abaitua Fenster in die Vergangenheit hinterlassen, in denen sich bis heute vergangene baskische Generationen präsentieren, mit ihrer Kleidung, ihren Beschäftigungen, ihren Geschichten. Bilder jener Zeit, die wir heute mit der Lupe untersuchen können, an denen wir uns erfreuen können und anhand derer wir lernen können. Dass wir nur wenig wiedererkennen, ist den großen Veränderungen in der Geschichte geschuldet, die sowohl Personen als auch Landschaften betreffen. Dennoch, die Ausschnitte sind festgehalten und dokumentieren jene Momente und sind damit zu historischen Zeugnissen geworden. Obwohl zwischen Wirklichkeit und Bild ein Kamera-Objektiv stand, sind die Fotos von unbestrittenem Realismus.eulalia02

Vorgeschichte in Liverpool

Nach wie vor gibt es viele Fragezeichen im Leben Eulalias, wir können nicht sagen, ob diese Fragen eines Tages beantwortet werden können. Oft wird gefragt, wo sie das Fotografieren lernte und die Antwort ist immer gleich: wir wissen es nicht. Wir können lediglich eine Hypothese aufstellen, die möglicherweise nie bekräftigt werden kann. Tatsache ist, dass sie von Kindheit an selbst mehrfach in Fotostudios von professionellen Fotografen porträtiert wurde, wie das in der Bourgeosie damals üblich war. Vier Fotografien dieser Frau sind mit Namen gekennzeichnet: Cosme Duñabeitia (Bilbao), Frederic Artigue (Francia), Vandyke & Brown (Liverpool) und Charles Reutlinger (Paris). Allerdings führt die Geschichte dieser Bilder nicht viel weiter. Wir müssen annehmen, dass ihre Jahre in Liverpool und London (1871-1878) in dieser Hinsicht entscheidend waren.

Die englische Gesellschaft war damals im Bereich Fotografie federführend: die Zeitschriften Journal of the Photographic Society (1853), British Journal of Photography (1854) und Photographic News (1858) und andere waren einer breiten Bevölkerung zugänglich. Das South Kensington Museum (heute Victoria & Albert Museum) war Vorreiter beim Erwerb von Fotografien, um eigene Sammlungen zu vergrößern und sie in öffentlichen Ausstellungen zu zeigen, wie zum Beispiel die Bilder der bekannten englischen Fotografin Julia Margaret Cameron (2). Geboren wurde Eulalia Abaitua in einer Zeit, in der die Fotografie ihre ersten Schritte machte. Nur 14 Jahre vor ihrer Zeit wurde in der französischen Akademie der Wissenschaften der erste fotografische Vorgang dargestellt.

Die Ausstellung

Zurück zu den Fotografien von Eulalia Abaitua, die im Museo Vasco in Bilbao gesammelt sind. Das Archiv umfasst 2.500 Bilder in Glasrahmen. Seit 1990 hat sich das Museum zur Aufgabe gemacht, innerhalb des Möglichen und mittels Ausstellungen und entsprechenden Katalogen die Arbeit dieser Künstlerin in der Bevölkerung bekannt zu machen. Die letzte dieser Ausstellungen (28. September 2016 bis 29. Januar 2017) trägt den Namen: „Estereoskopiak 16+16“ (3). Dabei werden 16 ausgewählte Werke von Eulalia 16 zeitgenössischen Schriftstellerinnen zugeordnet, die in baskischer Sprache publizieren: Katixa Agirre, Uxue Alberdi, Aurelia Arkotxa, Yolanda Arrieta, Leire Bilbao, Itxaro Borda, Tere Irastortza, Karmele Jaio, Mariasun Landa, Miren Agur Meabe, Laura Mintegi, Lourdes Oñederra, Eider Rodriguez, Danele Sarriugarte, Ana Urkiza und Arantxa Urretabizkaia.

Die Ausstellung hat ein anderes Format als die bisherigen, weil die Bilder in einer Art 3D-Format gezeigt werden. Spezialbrillen helfen beim Sehen und die Texte werden über Audio eingespielt, also nicht gelesen. Ziel war, visuelle Vergangenheit mit akustischer Gegenwart zu verbinden. Jede Schriftstellerin spricht mit und über das Bild, das ihr zugeteilt wurde. Das Ergebnis? Eine interessante Erfahrung, die deutlich macht, dass in jeder Fotografie Eulalia Abaituas die Worte versteckt waren, die die 16 Schriftstellerinnen ans Tageslicht zauberten, einige in Versform, andere in Prosa, Chronik oder sogar singend.eulalia03

Eulalias Erbe

Die 16 ausgewählten Bilder der Ausstellung dokumentieren in etwa das fotografische Repertoire, das Eulalias Erbe umfasst. Auf einigen Fotos können wir in die Vergangenheit der Landwirtschaft und des Fischfangs in Bizkaia eintauchen. Auf anderen sehen wir Zufallsmomente, wie zum Beispiel eine Kollekte oder die Bauarbeiten eines Weges. Es gibt Elemente, die noch heute erkennbar sind: die Kirche San Antón, die Hafenmole von Las Arenas, ein Haus am Platz von Lekeitio oder der Muschelstrand von Donostia. Zudem gibt es Schnappschüsse, die sowohl Erwachsene wie Kinder bei Freizeitbeschäftigungen zeigen. Auch Portäts sind mit dabei, die das Interesse Abaituas für die Menschen deutlich machen, Haltungen, Blicke, Beschäftigungen, das Lächeln einer Person.

Unter den verschiedenen Zeitfenstern soll eines hervorgehoben werden, das Eulalia Abaitua handschriftlich mit einem Titel versah: „Peones trabajando en un desmonte en Bilbao“ – Hilfsarbeiter bei Straßenarbeiten in Bilbao. Das Foto zeigt einen Ort, der zunächst unbekannt erschien, der jedoch mittlerweile einem konkreten Punkt in Bilbao Anfang des 20.Jhs. zugeordnet werden kann. Dank des unermüdlichen Einsatzes von Maite Garay, einer freiwilligen Mitarbeiterin des Museums, die das Foto gründlich studierte, konnte aufgrund des Hauses im Hintergrund der Ort identifiziert werden. Bei dem Haus handelt es sich um das Chalet des reichen Kaufmanns Luis de Guezala Esquivias, der ebenfalls passionierter Fotograf war. Das La Cerca (Umzäunung) genannte Grundstück, befand sich im Jahr 1900 im Stadtteil Indautxu, zwischen den aktuellen Straßen Gordóniz, Alameda San Mamés und Alameda Urquijo. Die Pläne des Standorts mit Fassaden, Fundament, Stockwerken und Abflüssen wurden vom Architekten Daniel de Escondrillas entworfen. Sie sind aufbewahrt im Regionalarchiv und mit der Jahreszahl 1899 versehen. Gleichzeitig dient das Foto dazu, die Art der Kennzeichnung von Eulalia Abaitua nachzuvollziehen, einige ihrer Fotos hat sie nämlich firmiert, mit dem Anfangsbuchstaben ihres Familiennamens – A –auf die Rahmengläser geschrieben.

Kreativität bedeutet wachsen

Eulalia Abaitua war eine Frau mit eigener Stimme, die sich mittels ihrer Bilder ausdrückte und, wie Miren Agur Meabe in ihrem Brief mit dreifachem Postskriptum schreibt: „etwas Eigenes zu schaffen ist Kreativität und Kreativität bedeutet wachsen. Das ist unser Netz und unsere Belohnung“. Was Eulalia mit ihren Fotografien dokumentieren wollte, ihre Sichtweise und ihre Empfindungen, kann nicht auf Papier übertragen werden. Denn ihre Beweggründe und Gedanken existieren nicht in schriftlicher Form. Ihre Fotografien – Personen, Lebensstile, Milieus, Gemütsverfassungen, Orte, Architektur, Reisen – sind kostbare, feinfühlige, fast poetische Fragmente, die voller Lebendigkeit und hoher Qualität eine nicht mehr vorhandene Kultur und Lebensform beschreiben. Unsere heutige Wahrnehmung ist selbstverständlich anders. Bis zum heutigen Datum gibt es keine Maschine, auch nicht die Fotokamera, die in der Lage wäre, Gefühle zu registrieren und das Gedächtnis abzulichten. Doch sind Fotografien in der Lage, solche Empfindungen in uns zu wecken und unsere Seele anzusprechen, allein dadurch, dass wir diese Bilder betrachten.

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Frauen und öffentliche Anerkennung

Seit einiger Zeit ist der Name Eulalia Abaitua in Nachschlage-Werken zum Thema Fotografie zu finden, eine späte aber erfreuliche Anerkennung. In der Stadt Guadalajara (Hauptstadt der gleichnamigen Provinz innerhalb der spanischen Region Castilla-La Mancha) ist der Fotografin aus Bilbo sogar eine Straße gewidmet und in Valdemoro (nahe Madrid) ein kleiner Platz. Diese Orte kamen Bilbao zuvor, was die Anerkennung dieser Pionierin der Fotografie anbelangt, obwohl sie doch eine große Anzahl ihrer Aufnahmen der Bevölkerung von Bilbao und dem Baskenland widmete.

Es stimmt, dass das Rathaus von Bilbao im Jahr 2010 einer Straße imStadtteil Txurdinaga ihren Namen gab, allerdings handelt es sich um eine Straße ohne Haustüren, ohne Adresse, in die niemals ein Brief geschickt oder ein Taxi bestellt wird, eine Straße, die nur dann in den Nachrichten erwähnt werden könnte, wenn sie trauriger Schauplatz eines Unfalls oder gar eines Überfalls würde. Dies ist bis zum heutigen Datum der Dank ihrer Heimatstadt.

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Es fällt schwer, diese Nachlässigkeit und Teilnahmslosigkeit nachzuvollziehen, die dieser baskischen Fotografin aus den Anfängen des 20.Jhs. entgegengebracht wird – einer Fotografin, deren Beitrag Teil der kollektiven Erinnerung ist, unentbehrliche Dokumente für alle, die sich der eigenen Vergangenheit nähern wollen. Anerkennen, wertschätzen, hervorheben, würdigen, feiern, auszeichnen sind Ausdrücke für Aktivitäten, die Eulalia Abaitua sich längst verdient hat, in aller Anerkennung und Großzügigkeit.

Möge diese Ausstellung verdeutlichen, dass Bilbo in ihrer Schuld steht, weil wenige wie sie die jüngere Geschichte der Stadt derart dokumentiert haben. Dass noch eine wichtige Würdigung aussteht dieser bemerkenswerten Frau gegenüber, deren Werk noch lange nicht die Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfährt, die es verdient.

ANMERKUNGEN:

(1) Der Text stützt sich im Wesentlichen auf Informationen aus dem Artikel von Maite Jiménez, Historikerin im Museo Vasco, publiziert in spanischer Sprache in der Tageszeitung Deia vom 3.12.2016 unter dem Titel „Ventanas al pasado - Eulaia Abaitua: una mujer creadora de imágenes” (Fenster in die Vergangenheit – Eulalia Abaitua: eine Fotografin)

(2) Julia Margaret Cameron (1815, Indien – 1879, Ceylon) war eine britische Fotografin. Nach einem großbürgerlichen Leben als Hausfrau und Mutter in der britischen Kolonie Indien und in England begann sie im Alter von 48 Jahren zu fotografieren. Mit außergewöhnlichen Porträts und religiös-romantischen Szenen wurde sie zur bedeutendsten britischen Fotografin der viktorianischen Epoche. Schon 1864 wurde sie als Mitglied in die „Royal Photographic Society“ in London aufgenommen. 1865 folgte die erste von zahlreichen Ausstellungen. Sie nahm an Wettbewerben teil und errang dabei mehrfach Auszeichnungen. Insgesamt veröffentlichte sie über 1.200 Fotografien. In einem Nachruf der Times hieß es: „Mrs. Cameron erreichte ein großes Publikum mit ihren originellen Fotografien, in denen sie auf ganz eigene Weise, indem sie die sonst übliche Schärfe der Darstellung vernachlässigte, eine Reihe von Porträts und Gruppenbildern herstellte, die in ihrer Suggestivität einzigartig sind (...) besonderer Enthusiasmus, die Energie, mit der sie jede ihrer Unternehmungen anging, ihre seltene Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft machten sie einem großen Freundeskreis lieb und teuer.“ (Wikipedia)

(3) Die Stereoskopie (griechisch: Raum/räumlich) ist die Wiedergabe von Bildern mit einem räumlichen Eindruck von Tiefe, der physikalisch nicht vorhanden ist. Gemeinhin wird Stereoskopie fälschlich als „3D“ bezeichnet, obwohl es sich nur um zwei-dimensionale Abbildungen (2D) handelt, die einen räumlichen Eindruck vermitteln (Raumbild). Normale zwei-dimensionale Bilder ohne Tiefeneindruck werden als monoskopisch bezeichnet (griechisch: monos = eins = einfach). (Wikipedia)

ABBILDUNGEN:

(1) Marktszene, Foto von Eulalia Abaitua (Foto: deia.es)

(2) Bauernfamilie, Foto von Eulalia Abaitua (Foto: euskalmuseoa)

(3) Portrait von Eulalia Abaitua (Foto: deia.es)

(4) Bäuerinnen bei der Arbeit, Foto von Eulalia Abaitua (Foto: heroinas.net)

(5) Kindergruppe, Foto von Eulalia Abaitua (Foto: euskalmuseoa)

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