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Momentaufnahme der Dokumentar-Fotografie

In Bilbao fand Anfang Juli 2018 das BasqueDokFestival statt, eine Tagung, bei der die aktuelle Situation der Dokumentar-Fotografie und ihre Zukunftperspektiven im Mittelpunkt standen. Bekannte Fotograf*innen aus dem Baskenland, dem spanischen Staat und aus anderen Ländern kamen ins Tagungshaus Bizkaia Aretoa der baskischen Universität, um ihre Erfahrungen auszutauschen und sie gleichzeitig einem interessierten Publikum zu vermitteln. Gleichzeitig wurden Veranstaltungen und Ausstellungen organisiert.

Die erste Ausgabe des BasqueDokFestival der Dokumentar-Fotografie fand im Juli 2018 in Bilbao statt. Bei der Tagung ging es um eine Analyse der Situation und die Zukunftsperspektiven der Dokumentar-Fotografie.

BDF2Für angehende Berufs-Fotograf*innen gab es spezielle Workshops und eine Begutachtung von persönlichen Portfolios. (1) Die berühmteste Teilnehmerin der Tagung war ein lebendiger Mythos des Fotojournalismus: die Nordamerikanerin Susan Meiselas. Was Pele für Fußballfans ist die US-Amerikanerin für den Fotojournalismus und die Dokumentar-Fotografie. Mit ihren Augen und ihrer Kamera hat sie den sandinistischen Aufstand erlebt, später das Massaker an der kurdischen Bevölkerung im Irak von Saddam Hussein 1991. Ihre erste berühmte Reportage war ein Bericht über eine Gruppe von wandernden Stripperinnen in Neuengland zu Beginn der 1970er Jahre. Bereits damals unterrichtete Meiselas Fotografie an öffentlichen Schulen in New York. Nun kam sie nach Bilbao. Für viele Fans der Fotografie war dies eine einmalige Gelegenheit, von einer Frau zu lernen, die seit 40 Jahren Mitglied der legendären Magnum-Agentur ist. Meiselas ist Preisträgerin der Goldmedaille Robert Capa für ihre Arbeit in Nicaragua, sie wurde mit dem Leica-Preis geehrt und erhielt viele internationale Anerkennungen.

Mit diesem Curriculum war Susan Meiselas eine der Protagonist*innen des BasqueDokFestivals, das in seiner ersten Ausgabe drei Schwerpunkte gewählt hatte: zeitgenössische Dokumentar-Fotografie; Fotojournalismus; Dokumentar-Fotografie auf der Straße mit neuen Methoden der Dokumentation im weiteren Sinne. Organisiert wurde die Tagung von der Abteilung Sozialwissenschaft und Kommunikation der baskischen öffentlichen Universität EHU-UPV, sowie der Schule für Dokumentar-Fotografie Blackkamera. Unterstützt wurde das Projekt von den verschiedenen Institutionen in Bizkaia.

Susan Meiselas

BDF3Susan Meiselas wurde 1948 in Baltimore, Maryland geboren. Sie studierte in Harvard Visuelle Kommunikation und unterrichtete Film und Fotografie. 1976 wurde sie Mitglied der Fotoagentur Magnum und arbeitet seitdem als freie Fotografin. In Nicaragua dokumentierte sie den Aufstand der Sandinisten gegen Präsident Somoza. 1981 besuchte sie ein Dorf, welches von der salvadorianischen Armee zerstört worden war und machte Aufnahmen, die das sogenannte Massaker von El Mozote dokumentierten. In der Folge gab sie Foto-Bücher über El Salvador und die Arbeiten chilenischer Fotografen unter dem Pinochet-Regime heraus, bevor sie sich in den 1990er Jahren der Geschichte Kurdistans widmete. Ihr Buch Encounters with the Dani, 2003, erkundet die Folgen der Begegnungen der Dani, einem Naturvolk auf Neuguinea, mit Vertretern der westlichen Welt. Im Jahr 2016 zeigte das Fotografie Forum Frankfurt mit „Carrying the Past, Forward“ Meiselas erste umfassende Einzelausstellung in Deutschland. Susan Meiselas Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, unter anderem in Paris, Madrid, Amsterdam, London und New York. 1985 und 1991 fungierte sie als Co-Regisseurin und Co-Produzentin von zwei Filmen, Living at Risk, und Pictures from a Revolution. (2)

Änderungen im Geschäft

Ähnlich wie andere Bereiche der Kommunikation erlebt der Fotojournalismus Zeiten des Wechsels, der Unsicherheit und gleichzeitig neuer Möglichkeiten. Die Zeiten von Fotografen als Abenteuer-Reporter, die Bilder machten von einem Konflikt in irgendeiner abgelegenen und vergessenen Region, sind vorbei, das ist klar. Die damaligen Fotograf*innen schrieben Foto-Legenden in ein Notizheft und gaben die Filmrollen irgendwelchen Piloten oder Stewardessen, damit sie in die Redaktionsstuben der großen Illustrierten im Westen gebracht wurden, wo die Fotos dann verarbeitet wurden.

BDF4Heutzutage gibt es kaum einen Krieg oder Aufstand auf dem Planeten, der nicht innerhalb von wenigen Stunden oder Minuten von Zeug*innen der Ereignisse oder von deren Protagonisten übermittelt werden. In schweren Konflikten – der arabische Frühling oder die Kriege im Irak und in Syrien – tauchen ganze Legionen von Fotojournalisten auf und versuchen, die eindruckvollsten Geschichten in Echtzeit an ihre Agenturen oder Medien zu schicken.

Nur die Motivation ist dieselbe geblieben: der Welt erzählen, was passiert, Geschichten von humanistischem Interesse. Seien es die Integrationsprobleme von Migrant*innen in unserer Gesellschaft, oder der Krieg zwischen dem Islamischen Staat und den kurdischen Peschmergas.

Abseits dieses gemeinsamen Nenners hat sich jedoch vieles verändert. Die Mehrheit der Fotojournalist*innen fährt heutzutage auf eigene Faust und eigene Kosten in die Konfliktzonen, oder in die Gebiete, von denen eine Geschichte erzählt werden soll. Das Ganze ohne jegliche Garantie, ob ihre Arbeit publiziert und folglich auch bezahlt wird. Die Arbeit dieser Freelance-Fotografen besteht darin, einen Multimedia-Pack zusammenzustellen – Fotos, Videos, Audios, Texte – wenn sie eine Chance auf Publikation haben wollen. Die Ausnahme stellt nur eine Handvoll von berühmten Professionellen dar, die in ihren Medien eine gesicherte Position haben. Auch die Gefahr, von einer Kugel, einer Mine oder einem Dron erwischt zu werden, bleibt bestehen. Ein Beispiel in jüngerer Erinnerung ist das Schicksal des spanischen Fotografen Jose Couto, der zusammen mit einem ukrainischen Kollegen am 8. April 2003 in einem Bagdader Hotel von US-Truppen erschossen wurde.

Alfons Rodríguez und José Bautista sind zwei Vertreter dieses neuen Fotojournalismus. Auch sie waren eingeladen zum BasqueDokFestival, wo sie ihre Arbeitsvariante als Zweierteam vorstellen konnten. Dabei bringen beide ihre individuellen Stärken ein. Alfons ist in den vergangenen 30 Jahren durch wenigstens 100 Länder gereist, er ist Fotojournalist und ist zum transmedialen Erzählen übergegangen (3). José kommt aus der Welt des Kinos und hat sich spezialisiert auf die Kreation von audiovisuellen Projekten für Fotoreporter. Ergebnis dieser Zusammenarbeit zwischen Rodríguez und Bautista ist der Dokumentar-Spielfilm „The sleeping land“ (Das schlafende Land). Er handelt vom menschlichen Leben, der Kälte und der Taiga in Sibirien.

Transmediales Erzählen

BDF5Das Konzept des transmedialen Erzählens (3) bezeichnet in der Medienwissenschaft eine Strategie, einen bestimmten Inhalt über mehrere Medien hinweg zu erzählen. Dabei handelt es sich um ein Erzählphänomen der Medienkonvergenz. Für ein transmedial erzähltes Projekt wird beispielsweise auf der Basis eines Buches zunächst ein Film produziert, der das Interesse der Konsumenten weckt. Besonders interessierte Fans nutzen dann die begleitend produzierten Comics, Videospiele, Fernsehserien etc. und tauschen sich auf Fanseiten im Internet über Inhalte aus. Ziel dieser Strategie ist es, einen Komplex aus narrativen Strukturen zu schaffen und dadurch die Rezeption zu einem besonderen Erlebnis zu machen.

Ein anderes Paar von Fotoreportern stellte beim Event in Bilbao neue technologische Instrumente vor, die zu ihrem Markenzeichen wurden. Manu Brabo und José Colón gründeten zusammen mit anderen die Kooperative „MeMo“ (Memoria en Movimiento, Erinnerung in Bewegung). „MeMo“ tat sich dann mit „Libre“ zusammen, einer italienischen Gruppe von Webentwicklern und Grafikdesignern, die sich auf digitale Inhalte spezialisiert hatten. Zusammen schufen sie das „MeMo-Magazin“, ein einzigartiges Multimedia-Programm mit Fotos, Video, Text, 3D-Animation und Infografiken. Zu einer Podiumsdiskussion kam Ander Gillenea dazu von der baskischen Kooperativen-Agentur „Bostock“. Sie kümmert sich um die Ereignisse im Baskenland, um internationale Koflikte, sowie um Alltagsgeschichten aus Entwicklungsländern.

Irakische Fotojournalisten

Irak ist kein Entwicklungsland, sondern ein Land im Wiederaufbau. Von dort erhielt das BasqueDokFestival einen interessanten Bericht zum Thema neue Werte im Fotojournalismus. Präsent war die irakische Agentur „Metrography“, vertreten durch ihren jungen Direktor Ahmed Najm. Wenige Meter vom Tagungsort Bizkaia Aretoa entfernt, am Aufgang zur Arrupe-Brücke, stellte Najm öffentlich 40 Fotos aus, die in irakischem und kurdischem Territorium gemacht wurden. Nicht alle Bilder handeln vom aktuellen Konflikt. Bei manchen handelt es sich um Alltagsszenen, die teilweise hart anzusehen sind. Zum Beispiel die Frauen, sie sich aus Verzweiflung selbst anzünden, um sich umzubringen, das kommt nicht selten vor. Ahmed erzählte von der Motivation, die zur Gründung von „Metrography“ führte. Mit der Arbeit von irakischen Fotojournalisten sollte ein eigenes Bild des Landes geschaffen und vermittelt werden. Denn niemand anders kennt die Realität in der irakischen Gesellschaft besser als Fotografen aus dem Land selbst. Zudem arbeitet die Agentur verstärkt daran, speziell Frauen an den Beruf heranzuführen. Einige arbeiten bereits als Fotojournalistinnen, in Bereichen, die ansonsten Männerdomänen sind.

BDF6Nichts geschieht zufällig, auch nicht das BasqueDokFestival der Dokumentar-Fotografie. Dass Ahmed in Bilbao die Arbeit seiner Agentur zeigen kann, ist ein Verdienst der Festival-Organisatorin Ixone Sadaba, einer Frau, die Länder wie Irak oder Afghanistan aus eigener Anschauung kennt. Sie ist eine multidisziplinäre Künstlerin, bei ihren Arbeiten benutzt sie Fotografien als Element für Installationen und Performances. Ixone verbindet ihre künstlerischen Ambitionen mit dem Engagement für Frauen aus aller Welt. Sie hat internationale Austausche mit Künstler*innen aus anderen Kulturkreisen organisiert. Immer hat sie eine Kamera auf ihren Reisen dabei. „Dabei gibt es Orte wie Kabul, wo du die Kamera besser nicht aus der Tasche holst. Überwachung und Misstrauen sind überall präsent und wirken erstickend“, erzählte sie. (Baskultur.info 2018-07-04)

 

ANMERKUNGEN:

(1) Der Text basiert auf dem Artikel “BasqueDocFestival, radiografia de la fotografía documental”, Tageszeitung GARA, 2018.06.02 (Momentaufnahme der Dokumentarfotografie) (Link)

(2) Susan Meiselas Fotobände: 1976 Carnival Strippers / 1981 Nicaragua, June 1978 – July 1979 / 1983 El Salvador: The Work of 30 Photographers / 1990 Chile from Within / 1997 Kurdistan: In the Shadow of History ISBN 0679423893 / 2001 Pandora’s Box / 2003 Encounters with the Dani (Wikipedia-Link)

(3) Ökonomische Hintergründe des transmedialen Erzählens: Die transmediale Erzählstrategie macht sich oft synergetische Effekte der modernen Marktwirtschaft zu Nutze. Große Unternehmen verfolgen das Ziel, ihre Produkte auf so vielen Märkten wie möglich zu etablieren. Durch Unternehmenszusammenschlüsse ist es möglich, dass die Vermarktung eines Produktes auf sehr unterschiedlichen Absatzmärkten gelingt und dabei gewinnbringend für ein einziges großes Medienunternehmen ist. Das transmediale Erzählen ermöglicht es dem Konsumenten je nach Interessenschwerpunkt über sein "Lieblingsmedium" in den Komplex einzusteigen und sich dann auch über sonst weniger genutzte Medien vorzuarbeiten. So wird es auch möglich, dass sich Konsumenten der "alten" Medien wie Buch, Film und Fernsehen aus Interesse an der Geschichte an neuere Medien wie z. B. Internet und Computerspiele heranwagen. Für Medienkonzerne bietet sich die Chance, über mehrere Märkte hinweg mit ein und demselben Inhalt Gewinne zu erzielen. (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Irak Foto-Expo Bilbao (FAT)

(2) Irak Foto-Expo Bilbao (FAT)

(3) Susan Meiselas (OURS)

(4) Irak Foto-Expo Bilbao (FAT)

(5) Irak Foto-Expo Bilbao (FAT)

(6) Irak Foto-Expo Bilbao (FAT)

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