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Verfremdete Alltagswelten

Dass ein baskischer Künstler im Guggenheim von Bilbao ausstellt, ist eine besondere Nachricht. Denn baskische Kreative sind nicht gerade gefragt in der Kunsthalle, die eher auf Kitsch und Globalisierung setzt (Koons, Motorräder und Stiftungs-Bestände). Mit Pello Irazu macht das Vorzeigestück aus Bilbao dem Museum der Schönen Künste Konkurrenz, das ansonsten für baskische Kreativität zuständig ist. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr setzt das Titan-Museum weniger auf Spektakel als auf Kunst selbst.

Vom 10. März bis 25. Juni 2017 ist der baskische Künstler Pello Irazu mit der Ausstellung „Panorama“ im bilbainischen Guggenheim-Museum zu sehe. Irazu gehört zur Generation der „Neuen Baskischen Bildhauerei“.

Pello Irazu (Andoain, Gipuzkoa, 1963) ist ein baskischer Bildhauer, er gilt als einer der Schlüssel-Figuren im Prozess der Erneuerung der baskischen Bildhauerei in den 80er Jahren. Neben Skulpturen kreiert er Zeichnungen und Wandbilder. Irazu hat an verschiedenen individuellen und kollektiven Ausstellungen im spanischen Staat und in den USA teilgenommen, 1986 erlangte er sein Diplom in der baskischen Universität. Seine ersten Werke standen unter dem Einfluss des baskischen Großmeisters Jorge Oteiza (1), dabei machte Pello Irazu Versuche zur Nutzung des Raumes.
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Irazu arbeitet mit der Galerie Soledad Lorenzo in Madrid und der John Weber Gallery in New York und ist regelmäßig bei den Kunstmessen ARCO und ART Basel vertreten. Seine Werke gehören zum Bestand der Sammlungen des Bellas Artes Bilbao, Reina Sofia Madrid, dem MACBA, dem Artium in Gasteiz-Vitoria, den Zeitgenössischen Museum in San Diego und der Stiftung Yves Klein in Arizona. Pello Irazus Werk zeichnet sich aus durch Experimente mit Materialien und durch die „Suche nach der Emotion der Zuschauer/in“. 1989 zog er nach London, von 1990 bis 1998 lebte und arbeitete Irazu in New York. Seither arbeitet er in Bilbao.

Über drei Jahrzehnte hinweg hat Pello Irazu einen wichtigen Teil zur Erneuerung der modernen baskischen Bildhauerei beigetragen. Dabei hat er neben der Skulptur als Ausdrucksform die Fotografie, die Zeichnung und die Wandmalerei benutzt. Sein Werk kreist um die vielfachen Beziehungen von Körpern, Objekten, Bildern und Räumen.

Mit der Ausstellung „Panorama” zeigt das Guggenheim-Museum eine Analyse von Pello Irazus Arbeit aus dreißig Jahren. Wie der Titel bereits nahelegt, handelt es sich um keinen Rückblick, sondern um eine Vision in verschiedene Richtungen, bei dem die Zeit dem Raum untergeordnet ist und eine Art von Landschaft entsteht. Die Ausstellung besteht aus mehr als 100 Werken, darunter auch besondere Arbeiten des Künstlers. „Die Wände der Galerie 105 des Museums vereinigen Vergangenheit und Zukunft zu einer fortwährenden Gegenwart“, so heißt es in der Presse-Ankündigung. In seiner Laufbahn seit den 80er Jahren hat Pello Irazu die Bildhauerei in einem weiten Sinne praktiziert. Von kleinen drei-dimensionalen Objekten bis zu kollossalen Installationen, über Objekt-Mischungen, mit Fotografie, Zeichnungen, Wandbildern.
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Die Ausstellung ist in einem einzigen Raum installiert, der in der Mitte diagonal von einer Bilder-Passage geteilt wird. Die Werke auf Papier sind hier chronologisch angeordnet, darunter ein Wandbild, das für die Ausstellung anfertigt wurde. Die Arbeiten beschreiben Irazus Entwicklung in Form von Zeichnungen, Collagen, Gemälden. In der Raum-Periferie sind Skulpturen und Fotografien zu finden. Bei seiner Kreation nutzt Irazu Techniken wie kleine und große Aufschriebe, den Bleistift, Aquarellfarben, Tapeten, Klebeband und Drucke verschiedener Art.

GANG DURCH DIE AUSSTELLUNG

1984-1989 – Anfangs-Etappe

Der Rundgang beginnt mit Arbeiten auf Fotopapier als Ausdruck der ersten Experimente Irazus in den 80er Jahren. Daraus wurde das erste Werk aus Stahl, es ist mit Farben bearbeitet. In jenen Jahren entwickelte sich die Bewegung der „Neuen Baskischen Bildhauerei“, an der neben Irazu unter anderen Txomin Badiola, Angel Bados, Maria Luisa Fernandez, Juan Luis Moraza beteiligt waren. Sie gehen über die vorherrschende bildhauerische Tradition hinaus und beziehen sich erneut auf das Werk von Jorge Oteiza, mithilfe von zeitgenössischen Perspektiven wie Minimalismus, Post-Minimalismus, Konzeptkunst. In dieser ersten Etappe setzt Irazu einige Parameter, die in seiner Laufbahn gültig bleiben. Zum Beispiel die Beschränkung seiner Werke auf überschaubare Größen, oder seine Annäherung an den Minimalismus und an Oteiza.

In dieser Phase kreiert Pello Irazu Werke von großer materieller Dichte, nach und nach führt er Farben ein, in Form von Öl oder als Spray, es entsteht – in seinen Worten – „ein Widerspruch zwischen dem optischen und dem direkt fühlbaren Eindruck“. In dieser Etappe arbeitet Irazu mit Zeichnungen, die jedoch nicht die Funktion von Entwürfen haben, sondern selbst Werke darstellen. 1989 erfolgt in einer Galerie in Barcelona das erste Wandbild, weitere folgen, gestaltet sind sie mit Malerei, Fotografie und Skulpturen.

1990-1998 Neue Objekte, von zu Hause

Nach einem eher kurzen Aufenthalt in London zieht Pello Irazu nach New York, es beginnt eine Etappe, die vom Blick nach außen geprägt ist. Die Werke aus dieser Zeit bestehen aus leichten Handwerks-Materialien wie Sperrholz und Plastik, ausdrucksstark und mit Bezügen zum häuslichen Raum. Irazu spielt mit architektonischen Referenzen, die als einfache Konstruktion verschwinden, ihren Charakter jedoch behalten, Backsteine zum Beispiel.
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In dieser Phase dekonstruiert Irazu seine Objekte und setzt sie unregelmäßig wieder zusammen, sodass der Eindruck von Entfremdung der Alltags-Gegenstände entsteht. Er betont die Spannung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen (erkennbar in seinen Fotografien). „Das Heimische, das Familiäre wird durch einen Entfremdungs-Prozess zur Beunruhigung“. In den Zeichnugnen und Gemälden jener Zeit trägt Irazu einfache Farben auf zufällig gefundenes Papier, das bereits bemalt oder bedruckt ist. Auch benutzt er neue Materialien wie Klebeband, um Verbindung zu schaffen mit anderen Stoffen.

1999 bis zur Gegenwart

Nach seiner Rückkehr nach Bilbao beginnt Pello Irazu eine Etappe, in der er Gegenstände, die uns umgeben, in Frage stellt. Dazu benutzt er Formen, die bei der Zuschauer/in Erinnerungen provozieren, jedoch von ihren normalen Bezügen entfernt sind. Er schafft so einen familiären Eindruck, ambivalent und seltsam zugleich. Irazu besetzt den Raum, kombiniert Wandmalerei mit drei-dimensionalen Materialien und treibt zwischen den unscharfen Grenzen künstlerischer Kategorien.

Auffallend die Installation „Formen des Lebens 304” aus dem Jahr 2003, die zur Sammlung des Museums gehört. Sie wurde von Irazu seinerzeit für den Saal 304 des Guggenheims entworfen und wurde nun dem anderen Ausstellungs-Saal angepasst. Das Wandgemälde, fast ein Fünfeck, umgibt die Zuschauerin, verändert deren Wahrnehmung des Raumes und der Architektur, sowie den Bezug zum konstruierten Objekt. Das Werk erscheint als unbegehbare und instabile Zuflucht, Farbe und Alltags-Gegenstände sind gemischt mit Klebeband und Sperrholz. Wie eine De-Konstruktion vor der Neu-Konstruktion, wie ein ehemals bewohnter Raum. Die Arbeiten auf Papier bestehen aus einfachen Formen, in denen alltägliche Gegenstände zu erahnen sind, Taschen und Gesichter aus der Geschichte der Kunst, verschiedene Materialien und transparente Körper sind aufeinander gelegt.
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Am Ende des Rundgangs durch die Ausstellung sind neuere Arbeiten zu sehen. Hier wird Skulptur zu einem Prozess der Reproduktion, wie Gipsformen und der Guss aus Aluminium, Bronze oder Stahl, oder Fotografie. Bei „Noli me tangere” (2009) nimmt Irazu den Bezug zum biblischen Treffen zwischen Jesus und Maria Magdalena nach der Wiederauferstehung zum Anlass, er schafft Aluminium-Stücke, die optisch an andere Materialien erinnern, wie Karton, mit Schrauben sind sie zusammengefügt, er provoziert Verwechslungen zwischen dem realen und dem dargestellten Material. Als Bezug zur „ewigen Rückkehr“ und der Kreisförmigkeit allen künstlerischen Schaffens endet die Ausstellung wo sie begonnen hat, mit Fotografien und metallenen Skulpturen, die an jene erinnern, die am Anfang des Rundgangs zu sehen waren. (2)

ANMERKUNGEN:

(1) Jorge Oteiza, siehe Glossar bei Baskultur (Link) und Artikel „Bildhauerei und Philosophie – der Querdenker Jorge Oteiza” (Link)

(2) Ausschnitte aus der Presse-Mappe des Guggenheim-Museums zur Ausstellung „Panorama“ von Pello Irazu

FOTOS:

(*) Pello Irazu Ausstellungs-Eröffnung 9.3.2017 (FAT)

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