Das Jahr, in dem sich alles änderte
Am 15. März 2020 trat ein zweiwöchiger Alarmzustand in Kraft. 365 Tage und mehr als 5.000 Tote später sehen Euskadi und Navarra wie die ganze Welt noch immer nicht das Ende des Covid-Tunnels. Drei Tage zuvor, am 12. März 2020, war bereits die Schließung der baskischen Schulen verfügt worden. Beim aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik ist es schwer vorstellbar, dass bisher kein Weg zu Bekämpfung der Pandemie gefunden wurde. Das politische Krisen-Management hat versagt, daran besteht kein Zweifel.
Der 13. März 2020 war ein Freitag. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez trat im Fernsehen auf und kündigte für den folgenden Sonntag einen vorläufig 14-tägigen Lockdown an. Ein Jahr später wird zwar kräftig geimpft, doch ein Ende der Covid-Restriktionen im Alltagsleben ist nicht abzusehen. Ein Leben zwischen Einschluss, Lockerung und Polizeistaat. Beängstigende Polizeigewalt gegen Migrantinnen.
Die Sanchez-Ankündigung war geprägt von militaristischer Sprache: Alarmzustand, Lockdown, später die Ausgangssperre. Ein Jahr nach Beginn des Hausarrests, gehören diese Begriffe zur Routine aller, sie sind Teil der Alltagssprache geworden und haben andere Konzepte wie Treffen, Reise oder Fiesta weitgehend verdrängt. Das Leben hat sich radikal verändert. Die folgenden zwölf Monate waren eine Spirale aus Schmerz und Angst mit Hoffnungsschimmern, die oft von der Realität überholt wurde. In Anbetracht der ständigen Unsicherheit war es ein langes Jahr, wir wurden Augenzeugen von vielen Veränderungen im täglichen Leben. Gleichzeitig war es ein kurzes Jahr, ohne persönliche Ereignisse, eine Reihenfolge von Verboten, ein Gefühl der Leere, der verlorenen Zeit und der unwirklich wirkenden Situation.
14. MÄRZ – Applaus für das Gesundheits-Personal
Sofort nach Beginn der Gesundheitskrise wurde klar, dass ein Großteil der Verantwortung für den Kampf gegen die Pandemie in den Händen des Gesundheits-Personals lag. Jeden Abend um 20 Uhr wurden in der Folgezeit deren Anstrengungen mit Applaus von den Balkonen honoriert. Der Moment diente auch dazu, in den Nachbarschaften Gefühle von Gemeinschaft und Solidarität zu vertiefen, für viele Menschen gab es keine andere Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, viele lernten ihre Nachbarn kennen. Nachbarschafts-Netze zur gegenseitigen Unterstützung wurden gegründet. Nach dem wohlgemeinten Applaus wurde auf Balkonen gelegentlich musiziert. Der letzte Applaus fand in der ersten Lockerungsphase im Mai statt.
15. MÄRZ – Erster Sonntag ohne Messe
Der erste Einschluss-Sonntag war der erste ohne Gottesdienste seit drei Jahrhunderten. Ein Meilenstein nicht nur für praktizierende Katholiken, sondern für die Gesellschaft im Allgemeinen. Erste Anzeichen dafür, dass das Virus alles veränderte und auch vor Jahrhunderte alten Gewohnheiten nicht Halt machte. Nicht einmal im achtzehnten Jahrhundert, als die Pest in Europa wütete und bestimmte Maßnahmen zur Reinigung der Kirchengebäude eingeführt wurden, wurden die Messen ausgesetzt.
16. MÄRZ – Vorräte horten, neue Gewohnheiten
Der erste Lockdown-Montag brachte neue Konsum-Gewohnheiten. Seit Tagen hatte sich das seltsame Phänomen des Ausverkaufs von Toilettenpapiers manifestiert, in den Supermärkten leerten sich die Regale, aus Angst vor Vorratsende. Später gingen auch Mehl und Hefe zur Neige, um Zuhause Brot zu backen. In den ersten Tagen des Einschlusses wurden Einkäufe zu einem irrationalen Horten verschiedener Produkte.
Weil die Gaststätten geschlossen waren nahm der Verkauf von Alkohol stark zu, bis zu 80% mehr Bier wurde verkauft. Auch der Kauf von Chips und Oliven verdoppelte sich, Eis und Schokolade gingen 80% mehr durch die Kassen. Alles Zeichen der Veränderung der Konsumgewohnheiten. Der Online-Einkauf von Produkten, nicht nur in Supermärkten, sondern vor allem bei großen Plattformen wie Telepizza oder Amazon, stieg enorm. Die kleinen Handelsbetriebe mussten mit geschlossenen Rollläden zuschauen, wie sich die Großkonzerne den Konsumkuchen aufteilten. Die nähere Zukunft wird zeigen, wie viele traditionelle Geschäfte dem Rückgang des Konsums und dem Aufstieg des Online-Shoppings erlegen sind und noch erliegen werden. (727 bestätigte Infektionen / 37,5 pro 100.000 Einwohner / 44 Aufnahmen in Intensivstationen)
21. MÄRZ – Video-Kommunikation und neue Kontaktformen
Das erste Wochenende nach dem großen Schreck und eine neue Art der Kommunikation begann: virtuelle Treffen per Video-Call. Angesichts der Unmöglichkeit der physischen Nähe wurden neue Technologien genutzt, um zusammen zu kommen. Niemand konnte ahnen, dass auch zu Weihnachten viele zur Technik greifen mussten, um eine Ansteckung zu vermeiden. Die Distanz erreichte auch den Freizeit-Bereich, der Konsum von Inhalten auf digitalen Plattformen stieg sprunghaft. In diesen Wochen stiegen die Internet-Dienste um 80% und die Anrufe von Festnetz-Telefonen um 56%. Zu einem ähnlichen Boom kam es bei der Telearbeit, zur Freude der Unternehmer und Behörden, zum Ärger der Gewerkschaften. Die Arbeitsmethode explodierte mit der Pandemie förmlich und wird teilweise sicherlich weiterhin Bestand haben.
2. APRIL – Intensivstationen am kritischen Punkt
Der härteste Teil der ersten Welle kam zwei Wochen nachdem dem Alarmzustand. Die baskischen Intensivstationen verzeichneten am 2. April mit 232 Belegungen mit schwerkranken Patienten die höchste Belegung dieser Krise. Noch dramatischer wurde die Situation durch den Mangel an Schutzmaterial, der das Gesundheitspersonal dazu zwang, Plastiktüten als Schutzkittel wiederzuverwenden. Einige baskische Krankenhäuser (wie Txagorritxu in Gasteiz) wurden zu regelrechten Virus-Verteilern.
Die baskische Gesundheitsbehörde Osakidetza schlitterte trotz dieser Zahlen knapp am Kollaps vorbei, weil bereits ca. 500 Notbetten in Vorbereitung waren. Fehlende Sanitäts-Kapazitäten wurden mehr als deutlich. Zu jenem Zeitpunkt setzte sich die Pandemie in den Altenheimen fest und forderte hunderte von Toten. Das Gesundheits-System erlebte seine kritischste Situation, jeder Tag wurde zu einer Lektion über die Wirkungsweise des Virus. Spanien überschritt an diesem Tag die Grenze von 10.000 Toten, an einem einzigen Tag wurden 950 Tote registriert. Im Baskenland stieg die Zahl der Todesopfer auf 400. (7.317 bestätigte Infektionen / 295 pro 100.000 Einwohner / 232 Aufnahmen in Intensivstationen)
21. APRIL – San Fermín Fiestas abgesagt
Inmitten der Ungewissheit, wie es weiter gehen würde, wurde am 21. April deutlich, dass es auf keinen Fall einen normalen Sommer geben würde. Der Stadtrat von Pamplona beschloss, dass die weltbekannten San Fermín Fiestas nicht stattfinden werden, obwohl noch zweieinhalb Monate Zeit waren bis zu deren Beginn. Die übrigen baskischen Hauptstädte zögerten, niemand wollte vorangehen und in einer so schwierigen Zeit die Sommer-Illusion vieler Menschen zerstören. Doch war es unvermeidlich: weder die La Blanca in Gasteiz, noch die Aste Nagusia in Bilbo, noch die Semana Grande von San Sebastian waren durchführbar, auch nicht die Fiestas in Baiona. Alle kleineren Orte mussten folgen.
Das völlige Wegfallen von offiziellen Fiestas führte zu einem neuen subkulturellen Konzept: "Keine Fiestas" (No-Fiestas), illegale Massen-Zusammenkünfte von Jugendlichen, die viel Lust auf Unterhaltung und wenig Verstand zeigten und an einer Vielzahl von Orten Besäufnisse (botellones) organisierten. Dies war zum einen Alibi für Polizeieingriffe, zum anderen die perfekte Verbreitung neuer Ansteckungsherde. Weitere inakzeptable Phänomene wurden in den ersten Wochen deutlich. Die baskische Polizei richtete ihre Kontrollaktivität speziell auf Personen mit Migrations-Hintergrund, die in der Pandemie-Krise aufgrund wegfallender Schattenwirtschaft besonders zu leiden hatten. Es kam mehrfach zu rassistischen Übergriffen, die nicht (wie im Baskenland üblich) auf der Straße beantwortet werden konnten, auch hier blieb nur das Tellerklopfen von den Balkonen.
Gleichzeitig versuchte das spanische Militär, besonders in Pamplona, sich als wichtiger Protagonist bei der Pandemie-Bekämpfung aufzuspielen. Militärische Desinfektionstrupps zogen von Bahnhof zu Bahnhof und übten Funktionen aus, die zivile Organisationen wie das technische Hilfswerk ebenfalls perfekt hätten übernehmen können. In Pamplona gingen Soldaten zu Ausweis-Kontrollen auf der Straße über, das war rechtlich überaus fragwürdig und entsprach in Form der Übernahme von Polizeifunktionen einer Militarisierung erster Klasse. Bei den täglichen Pressekonferenzen der Zentralregierung standen regelmäßig Militärs und Guardia Civiles im Hintergrund, bis der Protest ausreichend laut wurde und die Uniformierten wieder von der Bildfläche verschwanden. Manche Beobachterinnen bezeichnen diese Militär-Auftritte als soziologischen Test, was die Bevölkerung zu akzeptieren bereit sei.
26. APRIL – Kinder zurück auf der Straße
Von der Pandemie wurden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in verschiedener Weise getroffen. Kinder sind wahrscheinlich jene Gruppe, für die diese Pandemie am längsten dauert, allein wegen der besonderen Zeit-Wahrnehmung in diesem Alter. Sechs Wochen zu Hause eingesperrt waren für sie eine Ewigkeit. An diesem 26. April (ein Sonntag) kam der vielerwartete Ausgang, die unter 14-Jährigen durften eine Stunde raus, um Luft zu schnappen. Die Rückkehr zu einem Minimum an Normalität erfolgte schrittweise. Die öffentlichen Spielplätze in Bilbao wurden erst am 23. Juni wieder geöffnet.
Die Bewältigung der häuslichen Situation war eine der wichtigsten Herausforderungen für die Familien: Was tun mit Kindern, ohne Schule, ohne Sommerlager? Wie zu Hause aus arbeiten, wenn die Kleinen herumrennen? Zu besonderem Leiden verurteilt waren Frauen, deren Beziehungen in der Krise waren, oder die häusliche Gewalt erlebten. Die wenigen Beratungsstellen und Anlaufpunkte waren nicht mehr zugänglich, die Opfer waren ihren Missbrauchern und Gewaltherrschern über Wochen und Monate ausgeliefert. Dass die Zahl der Anzeigen von Frauen plötzlich deutlich sank, war eine Freude für die politische Rechte, die schon immer an geschlechtsspezifischen Gewaltverhältnissen gezweifelt hatte. Auch aus Sicht der Schule war es eine Herausforderung, das Schuljahr durchzuführen. Der Fernunterricht hat die soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen wohlhabenden Familien mit gutem technologischem Umfeld und den ärmsten Familien deutlich gezeigt hat. (14.315 bestätigte Infektionen / 82,7 pro 100.000 Einwohner / 113 Aufnahmen in Intensivstationen)
27. APRIL – Mehr Verkehrs-Sicherheit
Die baskische Regierung forderte das Gesundheits-Ministerium auf, Gesichtsmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Pflicht zu machen. Die Pandemie machte einen bedeutenden Rückschritt in unseren Fortbewegungs-Gewohnheiten deutlich: nach jahrelangen Bemühungen und Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel kam es zu einer massiven Rückkehr zum Individual-Verkehr.
Während der Quarantäne war es keine Überraschung, dass die Zahl der Metro-Benutzerinnen von 300.000 auf 40.000 pro Tag sank. Die Zahl der Nutzerinnen öffentlicher Verkehrsmittel im Baskenland sank von 750.000 Menschen auf 95.000 täglich. Auch Monate später, mit fortgesetzter Virusdrohung, liegt die Rückkehr zur Normalität in dieser Hinsicht in weiter Ferne. Bilbao erreichte nach dem Sommer einen Rekord-Fahrzeugbestand von mehr als 140.000 Autos in der Stadt.
2. MAI –Deeskalation und Zeitfenster
Am 28. April hatte Pedro Sánchez einen Deeskalationsplan bis Juni angekündigt, einen schrittweisen Prozess zur Wiedererlangung individueller Freiheiten. Der 2. Mai war ein Meilenstein, weil an diesem Tag die Menschen in Zeitfenstern auf die Straße zurückkehrten: von 6 bis 10 Uhr für Spaziergänge und individuellen Sport; von 10 bis 12 und von 19 bis 20 Uhr für die über 70-Jährigen und ihre Angehörigen; von 12 bis 19 Uhr für Kinder unter 14 Jahren.
Größte Gefahr an diesem Wochenende war die Überfüllung von öffentlichen Orten, weil im Baskenland viele Menschen gemeinsame Gewohnheiten haben. Mit mehr Sensibilität wird mittlerweile ein menschen-freundlicherer Urbanismus gesehen, der sich mehr auf Fußgängerinnen konzentriert. In Bilbao soll die Erweiterung von Fußgängerzonen und Grünflächen Vorrang haben. Im Sommer wurde im gesamten Stadtgebiet Bilbao eine Höchstgeschwindigkeit von KM-30 eingeführt.
Nächster Schritt der Deeskalation am 11. Mai: Geschäfte konnten ohne Voranmeldung besucht werden, Bars ihre Terrassen zu 50 % öffnen. Dennoch entschieden sich viele der Betreiber aus naheliegenden Gründen für die Schließung. Ein Geschäft zu reaktivieren, um nur die Hälfte der Tische auf dem Bürgersteig zu besetzen, machte in Bezug auf Rentabilität keinen Sinn. (16.119 bestätigte Infektionen / 54,2 pro 100.000 Einwohner / 85 Aufnahmen in Intensivstationen)
25. MAI – Zurück zur Schule, ein Tag ohne Todesfälle
Der 25. Mai war ein Montag und das Baskenland trat in die Phase 2. Alles schien bestens zu laufen: Am Tag zuvor hatte es zum ersten Mal seit Monaten keine Coronavirus-Todesfälle gegeben. Es gab keinen Grund, die Wachsamkeit zu vernachlässigen, aber es schien an der Zeit, ein wenig an das alte Leben anzuknüpfen. Versammlungen von bis zu fünfzehn Personen waren nun erlaubt, es gab keine Zeitfenster mehr, um auf die Straße zu gehen und es war sogar erlaubt, sich innerhalb einer Provinz zu bewegen. Die Bars wurden wieder geöffnet und der Unterricht vor Ort für Schülerinnen und Beruf-Schülerinnen wieder aufgenommen. Die Dinge schienen gut zu laufen, der 31. Mai wurde zum historischen Datum hinsichtlich der Pandemie im Baskenland: Zum ersten Mal gab es keinen Todesfall und keine einzige Infektion.
15. JUNI – Euphorischer Start in die Strandsaison
Mit dem Ende der dritten Lockerungs-Phase und ermutigenden Covid-Zahlen wurden auch politische Aktivitäten wieder zugelassen. Mit Masken und Abstand konnten Kundgebungen und Demonstrationen erneut stattfinden, was sofort zu einer Vielzahl von Mobilisierungen und zu einer Wiederbelebung des politischen Lebens führte.
Auch ohne gutes Wetter begann die Strandsaison euphorisch, die Pandemie schien auf dem Rückzug. Am folgenden Wochenende waren die Bizkaia-Strände voller Badegäste, es kam zu Beschränkungen und zu Schließungen. Die maximale Verweilzeit wurde auf 3 Stunden festgelegt, Schirme und Stühle blieben verboten. Kleinere Küstenorte befürchteten unkontrollierbare Massenaufläufe. (20.423 bestätigte Infektionen / 6,5 pro 100.000 Einwohner / 16 Aufnahmen in Intensivstationen)
19. JUNI – Kantabrien öffnet sich
Die “neue Normalität“ wurde am Freitag, den 19. Juni mit einem medialen Treffen zweier Ministerpräsidenten inszeniert: der unvergessliche Ellbogengruß von Iñigo Urkullu (Euskadi) und Miguel Angel Revilla (Kantabrien). Sie trafen sich an der Grenze der beiden autonomen Gemeinschaften, ein lang ersehnter Moment für Tausende von Leuten aus Bizkaia, die in ihre Zweitwohnsitze in Kantabrien zurückkehren konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kantabrien einen Monat ohne Todesfälle durch Covid hinter sich. Die Bevölkerung schwankte zwischen dem Wunsch nach Ankunft der Baskinnen, um den Tourismussektor zu reaktivieren, und der Befürchtung, dass diese Besuche eine neue Welle auslösen könnten.
26. JUNI – Maskenpflicht und kein Vertrauen
Zu einem der Umstände, der die Glaubwürdigkeit von Experten und Behörden stark in Frage stellte, wurde die Verwendung von Gesichtsmasken. Monatelang wurden sie als unnötig bezeichnet, manche Expertinnen rieten sogar von ihrer Verwendung ab, weil sie den Trägerinnen ein falsches Gefühl der Unverwundbarkeit vermitteln könnten. Das änderte sich im Juni. Unter Androhung eines Bußgeldes von 100 Euro wurden die Masken zur Pflicht, falls ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden konnte. So stand es im Dekret der neuen Normalität, das am 25. Juni im spanischen Parlament verabschiedet wurde.
Euskadi ging am 16. Juli einen Schritt weiter, als die Covid-Fälle wieder zunahmen: das Tragen der Maske wurde generell obligatorisch. Der Sommer brachte allgemeine Nachlässigkeit mit sich, obwohl auch am Strand und im Schwimmbad Gesichtsschutz getragen werden musste. Die baskische Gesundheits-Senatorin warnte bereits, dass bei weiterem Anstieg erneute Restriktionen verhängt werden würden, was schließlich auch geschah. (20.581 bestätigte Infektionen / 6,5 pro 100.000 Einwohner / 7 Aufnahmen in Intensivstationen)
12. JULI – Wahlen im Zeichen der Pandemie
Trotz erneut steigender Zahlen fanden am 12. Juli in Euskadi und in Galicien Wahlen statt. Im Vorfeld gab es heftige Polemik über die Angemessenheit eines solchen Wahlgangs in einer derart unsicheren Gesundheitssituation. Ursprünglicher Termin war der 5. April gewesen, der aus naheliegenden Gründen abgesagt werden musste. Die baskische Regierung wollte nicht weiter verschieben. Im Juli war es dann so weit, auf besondere Art und Weise. Die Kampagne war untypisch, ohne Kundgebungen, um Menschen-Ansammlungen zu vermeiden, ohne Verteilung von Propaganda auf den Straßen. Am Wahltag waren die Vorsichts-Maßnahmen extrem. Personen, die bis zu 14 Tage vorher einen positiven PCR-Test hinter sich hatten, wurde die Stimmabgabe verwehrt, was nach Ansicht von Juristinnen verfassungswidrig war.
27. JULI – Zweite Welle, Schließung des Gastgewerbes
Mit dem erneuten Anstieg der Ansteckungskurve und drei Tage, nachdem die Senatorin zum ersten Mal von einer zweiten Pandemiewelle sprach, kündigte die baskische Regierung neue Restriktionen an, um die weitere Ausbreitung einzudämmen. Die wichtigste war die Schließung des Hotel- und Gaststätten-Gewerbes ab 1.30 Uhr und das Verbot, vor 6.00 Uhr wieder zu öffnen.
Der Oberste Gerichtshof des Baskenlandes (TSJPV) sollte diese Entscheidung am 14. August wiederaufheben, doch am selben Tag beschloss das Gesundheits-Ministerium, das gesamte Nachtleben zu schließen. Dies war eines der deutlichsten Beispiele für die rechtlichen Ungereimtheiten, die bei der Bewältigung der Gesundheitskrise kontinuierlich in Erscheinung traten und die deutlich machten, dass es keine einheitliche Strategie und kein verlässliches regulatorisches Umfeld gab.
Es war der Beginn neuer Restriktionen, um die zweite Welle einzudämmen, die nach den “Sommersünden“ auf dem Vormarsch war. Am 18. August kam die Rückkehr zum Nullpunkt, die baskische Regierung beschränkte Versammlungen auf zehn Personen, reduzierte die Öffnungszeiten der Gaststätten bis 1.00 Uhr nachts. (23.300 bestätigte Infektionen / 72,7 pro 100.000 Einwohner / 3 Aufnahmen in Intensivstationen)
25. OKTOBER – Alarmzustand, Ausgangssperre, Abriegelung
Nachdem sich die Infektionszahlen im September in Grenzen hielten, schoss die Kurve im Oktober nach oben. Am 17. des Monats hatte die baskische Regierung den Zugang zum Hotel- und Gaststätten-Gewerbe um die Hälfte reduziert und Versammlungen auf maximal sechs Personen reduziert. Am 25. Oktober wurde mit einem neuen Alarmzustand der Zentralregierung der grundlegende Schritt getan. Diese Tage ähnelten denen im März, viele sprachen davon, dass alle Maßnahmen umsonst gewesen waren, dass man nichts gelernt hatte, dass keine ausreichenden Vorkehrungen für eine zweite Welle getroffen worden waren und dass die Regierungen mit ihrem Management versagt hatten.
Der Alarmzustand, der bis noch Mai 2021 andauern wird, brachte Ausgangssperren zwischen 23 und 6 Uhr (später auf 22 Uhr vorverlegt). Nur zwei Tage später (am 27.) verfügte die baskische Regierung den kommunalen Einschluss, sprich: das Verbot, den Wohnort zu verlassen. Erst wurde die Schließung der am stärksten vom Virus betroffenen Gebiete abgelehnt und dann ein lokaler Lockdown beschlossen – ein radikaler Strategiewechsel innerhalb von nur einer Woche! Mit jedem unverständlichen politischen Manöver stieg die Unzufriedenheit und Pandemie-Müdigkeit der Bevölkerung, Nichtbeachtung der Regeln und gezielte Verstöße häuften sich. Erneut trat der Polizeistaat auf den Plan.
5. NOVEMBER – Weihnachtsgeschäfte sichern
Der Höhepunkt der zweiten Welle, die sich seit dem Sommer hinzog, kam Anfang November, was die baskische Regierung dazu veranlasste, noch mehr Druck auszuüben. Sie beschloss eine erneute Totalschließung des Hotel- und Gaststätten-Gewerbes, die Limitierung aller nicht lebensnotwendigen wirtschaftlichen Aktivitäten auf 21h und die Vorverlegung der Ausgangssperre auf 22h. Die Einschränkungen zeigten Wirkung, die Ansteckungskurve sank. Die Kneipen konnten am 12. Dezember wieder öffnen. Gleichzeitig wurde die Debatte geführt, ob “Weihnachten gerettet werden sollte oder nicht“. Entgegen der Warnung der vorsichtigsten Expertinnen beschlossen die Verwaltungen, großzügig zu sein und den Weihnachtsrummel zuzulassen. Alle autonomen Regionen beteiligten sich an der erneuten Öffnung, was letztendlich zum Ausgangspunkt der dritten Welle wurde. Reisen im ganzen Land waren plötzlich wieder möglich, viele nahmen die Einladung gerne an. Nicht an großen Familienfeiern teilzunehmen war eine reine Empfehlung, an die sich die wenigsten hielten – mitten in einer Pandemie, die in Nachbarländern ungleich schwer wütete. (77.843 bestätigte Infektionen / 778 pro 100.000 Einwohner / 111 Aufnahmen in Intensivstationen)
16. NOVEMBER – Soziale Folgen der Corona-Krise
Die aus der Gesundheitskrise resultierende Wirtschaftskrise hat enorme Auswirkungen auf Tausende von Familien. Die kostenlose Lebensmittel-Verteilung in Bizkaia verzeichnete einen Anstieg ihrer Nutzerinnen (31.000 im statt 25.300 im Jahr 2019). Dieser Anstieg der Zahl von Menschen, die zur Nahrungsmittel-Beschaffung Hilfe benötigen, ist ein klares Zeichen von Massenarmut, der von staatlicher Seite so gut wie gar nicht, und von karitativer Seite nur ungenügend begegnet wird. Schlimmer war es lediglich im Krisenjahr 2015 mit 32.000 Bedürftigen.
27. DEZEMBER – Ende des Alptraums mit der Impfung
Seit Beginn der Pandemie war davon die Rede, dass nur ein Impfstoff den Alptraum beenden könnte, aber selbst die größten Optimisten rechneten nicht damit, dass das Präparat noch im Jahr 2020 fertig sein würde. Das Unglaubliche geschah. Ein Wettlauf zwischen den Pharmafirmen begann, angetrieben von der Aussicht auf ein phänomenales Profitgeschäft. Am 9. November gaben die USA bekannt, dass der Impfstoff von Pfizer zu 90 % wirksam sei. Die Genehmigung der Präparate durch die jeweiligen europäischen Medikamenten-Behörden vollzog sich in Lichtgeschwindigkeit.
Am 27. Dezember begann in Euskadi die Impfungs-Kampagne, symbolisch in einem Altenpflegeheim in Elorrio, die erste Empfängerin war eine 80-Jährige. "Das ist genau wie bei der Grippeimpfung", war ihr Kommentar. Dann begann der Impf-Prozess mit einer festgeschriebenen Chronologie von Bevölkerungs- und Risiko-Gruppen: Alte, Pflegepersonal, Gesundheitspersonal, Polizei, Lehrpersonal. Auf Pfizer folgten die Impfstoffe AstraZeneca und Moderna.
Der Impfprozess im Baskenland hat viel Kritik hervorgerufen wegen seines langsamen Tempos, Euskadi ist das Schlusslicht unter den spanischen Regionen und niemand weiß warum. Die Koordination ist mangelhaft, die Impfkriterien werden laufend geändert, was von den Gewerkschaften bis zur Ärztekammer angeprangert wird. Dazu kamen korrupte Beamte und Politiker, die sich vordrängelten und sich außer der Prioritätenliste impfen ließen. (116.912 bestätigte Infektionen / 242 pro 100.000 Einwohner / 83 Aufnahmen auf Intensivstationen)
12. JANUAR – Rückschlag nach Weihnachtsexzessen
Alle wussten, was kommen würde, nachdem die warnenden Stimmen nicht ernst genommen worden waren. Sie hatten für Weihnachten strenge Limits gefordert und vor einer neuen Corona-Phase gewarnt. So kam die dritte Welle wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Nach den Weihnachtsferien stieg die Zahl der Infektionen stark an, als zweite noch nicht ganz eingedämmt war stand die dritte Welle vor der Tür. Wieder einmal sah sich die baskische Regierung (wie auch der Rest der autonomen Regionen) gezwungen, Beschränkungen zu beschließen. Der Eiertanz ging weiter.
Am 12. Januar wurde erneut die Mobilität eingeschränkt, Gemeinden mit mehr als 500 Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen in zwei Wochen wurden als rote Zone definiert und mit lokalem Lockdown belegt. Wieder wurde auch das Hotel- und Gaststätten-Gewerbe geschlossen. Da das nicht ausreichte und das Virus weiter grassierte, kam nur zehn Tage später, am 22. Januar, der lokale Einschluss für die alle Gemeinden der drei Provinzen, nachdem praktisch alle Gemeinden und Städte die Inzidenzrate von 500 überschritten hatte. Zudem wurden öffentliche Zusammenkünfte auf vier Personen limitiert.
9. FEBRUAR – Richterliche Kneipenöffnung
Nachdem das Gaststätten-Gewerbe zum vierten oder fünften Mal geschlossen und explizit für die Propagierung des Virus verantwortlich gemacht wurde, reagierten die Verantwortlichen und klagten gegen die Entscheidung der Regierung. Am 9. Februar erhielten sie Obersten Gerichtshof des Baskenlandes (TSJPV) Recht und die baskische Regierung einen empfindlichen Rückschlag. Das Gericht kippte die Schließung des Gastgewerbes in Gemeinden in der roten Zone (mit einer Inzidenzrate von mehr als 500 Fällen). Nach Ansicht der Kammer hat die Exekutive die Verhältnismäßigkeit zwischen einer Maßnahme, die Hunderte von Unternehmen in den Bankrott treiben könnte, und ihrer Wirkung zur Eindämmung des Virus nicht nachgewiesen. Einmal mehr wurde deutlich, wie unklar der gesetzliche Rahmen ist, auf dem viele Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie beruhen.
In den Mittelpunkt der Öffentlichkeit stellte sich der entscheidende Richter, indem er kurz vor dem Beschluss in einer Radio-Talkshow sagte, Epidemiologen seien Ärzte mit einer Zusatz-Ausbildung und die Bedeutung ihrer Rolle relativierte. Tage später musste er sich öffentlich entschuldigen, nachdem er sowohl aus dem Bereich Gesundheit wie auch aus der Politik heftig kritisiert wurde.
Trotz der Wiedereröffnung der Kneipen ging der Ende Januar begonnene Abwärtstrend der Infektionskurve weiter, was schließlich eine Lockerung der restriktiven Maßnahmen ermöglichte. In der vergangenen Woche, nach den Mobilisierungen zum Internationalen Frauentag am 8 März, wurde der lokale Einschluss aufgehoben, es darf wieder in der ganzen Region Baskenland gereist werden (nicht nach Kantabrien und Navarra). (149.293 bestätigte Infektionen / 293 pro 100.000 Einwohner / 165 Aufnahmen in Intensivstationen)
10. MÄRZ – Alte Fehler in der Osterwoche vermeiden
Weit entfernt von einer beruhigenden Inzidenzrate wollten die Regierungen – was Ostern anbelangt – nicht den gleichen Fehler wie zu Weihnachten machen. Im April wird es keine Mobilität geben, die über die Region hinaus geht. Alle autonomen Gemeinschaften (außer Madrid) haben beschlossen, ihre Grenzen geschlossen zu halten, um die Mobilität zu vermeiden, die über Weihnachten so viel Schaden angerichtet hat. Euskadi behält die Ausgangssperre um 22 Uhr abends (einige autonome Regionen könnten sie bis 23 Uhr verlängern) und Versammlungen mit maximal vier Personen bei.
ANMERKUNGEN:
(1) Die Chronologie geht auf einen Artikel der Tageszeitung El Correo zurück (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Balkonszene (elco)
(2) Leere Regale (elco)
(3) Spielende Kinder (elco)
(4) Maskenpflicht (elco)
(5) Strand-Massen (elco)
(6) Ministerpräsidenten (elco)
(7) Pandemie-Wahlen (elco)
(8) Aktuelles Krippenspiel (elco)
(9) Impf-Kampagne (elco)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-03-15)