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Der Alarm ist vorbei!

Wer das Ende des Alarmzustands im Staat mit dem Ende der Coronavirus-Pandemie verwechselt, kann böses Erwachen erleben. Die vierte Welle rauscht weiter, die Schutzmaßnahmen verlieren ihre legale Basis. Rette sich, wer kann! Alle Hoffnung liegt auf den Schultern der Milliarden-Gewinner, die den Impfmarkt kontrollieren. Von den Ursachen der Pandemie ist längst keine Rede mehr, die Fleischproduktion läuft auf Hochtouren, der Begriff Zoonosen ist nur 1% der Bevölkerung bekannt. Heraus zum 1. Mai!

Das Ende des legalen Alarmzustands im spanischen Staat ist Augenwischerei. Solange die Intensivstationen voll belegt sind, kann nur von einem eingebildeten Ende der Coronavirus-Pandemie gesprochen werden. Endlich kann wieder rücksichtslos getrunken, gefeiert und gereist werden.

INHALT:

* (31-05) Keine Gnade für Katalonien * (30-05) Schulfeste auf Baskisch * (29-05) Renterninnen in Bewegung * (28-05) Zwangsräumung und Bußgelder * (27-05) Letzter Interbrigadist gestorben * (26-05) Definition von Hass * (25-05) Bomben auf Amorebieta * (24-05) Schlag gegen Euskara in Frankreich * (23-05) Miet- und Wohnungs-Spekulation * (22-05) Gefängnis-Politik * (21-05) Dora Maar, Picassos Schatten * (20-05) Gernika, Durango, Amorebieta * (19-05) Marokko macht den Erdogan * (18-05) Kritik an Erweiterung eines Museums in Bilbao * (17-05) Kurierfahrer werden fest angestellt * (16-05) Vom Rad- zum Unfall-Boom * (15-05) Kriminelle Kartell-Absprachen * (14-05) Zwangsräumung verhindert * (13-05) Schlag gegen die baskische Sprache * (12-05) AHT: Demokratie nicht erwünscht * (11-05) Räumung statt Recht auf Wohnung * (10-05) Arnaldo Otegi wiedergewählt * (09-05) Von Ethik und Korruption * (08-05) Polizeibrutalität gegen Jugendprotest * (07-05) Wenn die Patente fallen ... * (06-05) Maskenfreier Tourismus * (05-05) Gedächtnis-Verlust: Nachtrag 1. Mai * (04-05) Der unnötige Hochgeschwindigkeits-Zug * (03-05) Baskische Journalisten erschossen * (02-05) Die Treidlerinnen von Bilbo * (01-05) Erster Mai, Kampftag für alle *

(2021-05-31)

KEINE BEGNADIGUNG FÜR KATALANEN

Im spanischen Staat tobt derzeit eine Diskussion um die mögliche Begnadigung der katalanischen Politiker*innen, die vor vier Jahren den Weg eines Referendums beschritten hatten, um die Unabhängigkeit zu erreichen. Die PSOE-Podemos-Koalition betrachtet eine solche Maßnahme als möglich, erstens, um einen Schritt zur “Versöhnung“ zu unternehmen, aber auch deshalb, weil die Minderheits-Regierung seit ihrer Wahl immer von den Stimmen der katalanischen “Separatisten“-Parteien abhängig war. Eine parlamentarische Mehrheit für die Begnadigung zu erhalten, wäre angesichts der baskischen und katalanischen Unterstützung kein Problem, entscheiden wird der Ministerrat.

mai73x31Aber die post- und neo-franquistische Rechte macht daraus eine Staats-Affäre. Schlimmer noch: auch aus den Kloaken der Sozialdemokratie kommt deftige Kritik an einer solchen Entscheidung, allen voran die graue Eminenz Felipe Gonzalez, der immer dann gerne vor die Kamera tritt, wenn es um die Verteidigung von rechtslastigen Positionen geht. Gonzalez läuft der Ruhm hinterher, dass er in den 1980er Jahren Todesschwadronen auf die Beine gestellt hatte, um in Iparralde flüchtige Basken bedrohen, foltern und killen zu lassen. Dafür erhält er von den Vox-Faschisten viel Sympathie.

BEGNADIGUNG FÜR FOLTERER, SCHURKEN UND PUTSCHISTEN

In der Vergangenheit hatten alle postfranquistischen Regierungen des spanischen Staates keine Skrupel, alle Arten von Verbrechern zu begnadigen: Korrupte, Ultrarechte, Mörder, Folterer, Putschisten, etc. Doch wenn es um die Aufstellung von Wahlurnen geht, sollen die Strafen bis zur letzten Sekunde abgesessen werden. In der Liste der Begnadigungen überwiegen jene, die sich auf Verbrechen gegen das Eigentum beziehen, vom kleinen Diebstahl bis zur großen Korruption, aber auch schwere Verbrechen sind nicht ausgeschlossen: seit 1996 gab es 147 Begnadigungen bei Tötungsdelikten, berichtet die Stiftung Civio. Ohne Übertreibung gehört die Begnadigung im spanischen Staat zur politischen Routine. Eine tägliche Routine, denn seit dem Tod Francos (der von Zeit zu Zeit ebenfalls Begnadigungen verkünden ließ) übersteigt ihre Zahl 20.000, im Schnitt also mehr als eine pro Tag. Dennoch gab es in diesen 45 Jahren noch nie eine so hitzige Debatte zum Thema wie heute, wo es um die katalanische Pro-Unabhängigkeits-Politiker*innen geht.

Der Ministerrat entscheidet. Zu den entschiedensten Gegnern einer Begnadigung gehört der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo – TS), der in anderen Situationen kein Problem sah, seine eigenen Urteile zu "widerrufen". Der Widerstand aus dieser stramm rechts besetzten Institution findet Ausdruck in einem 20-seitigen politisches Plädoyer. Dazu das Friendly Fire des “GAL-Sozialdemokraten“ González, der selbst nicht weniger als 5.944 Begnadigungen genehmigte. Fast so viele wie sein Nachfolger in der PP, José María Aznar, der es auf 5.948 brachte. Im Jahr 2000, dem Jahr, in dem er die absolute Mehrheit gewann, begnadigte Aznar 1.744 Mal, fast fünf pro Tag. Dagegen fallen Zapatero (3.381) und Rajoy (898) deutlich ab, Sanchez brachte es bislang nur auf ein paar Dutzend.

Die Verbreitung dieser Zahlen von Seiten der Bürgerstiftung Civio haben im Staat überrascht, wegen der hohen Zahl und weil die große Mehrheit der Fälle nicht in die Öffentlichkeit geraten sind. Im Baskenland hält sich die Überraschung in Grenzen, hier war wohl bekannt, dass z.B. mehr als die Hälfte der wegen Folter (gegen Bask*innen) Verurteilten begnadigt wurden. Daten der Stiftung Euskal Memoria vor fast einem Jahrzehnt zeigten, dass 36 von 62 der Bestraften begnadigt wurden. Wenn diese 36 unter den 20.000 "Begnadigungen" wie ein Fliegendreck erscheinen, dann deshalb, weil die Zahl der Folter-Verurteilungen im Vergleich zu den Folter-Anzeigen winzig ist. Laut dem offiziellen Bericht der baskischen Untersuchungs-Kommission von Paco Etxeberria, der sich auf Euskadi bezieht, wurden nach 4.000 Anzeigen nur 49 Polizisten rechtskräftig wegen Folter verurteilt, etwas mehr als 1%. Systematische Folter gehörte zum Alltag der spanischen Polizei (mitunter auch der baskischen und katalanischen).

Die Begnadigungen in diesen Fällen waren zudem begleitet von einer vollständigen beruflichen Rehabilitierung, wenn nicht sogar von Beförderungen. Ein Beispiel ist Manuel Sánchez Corbí, der von Rajoy später zu einem der Chefs der Guardia Civil gemacht und in Paris mit dem Orden der Ehrenlegion auszeichnet wurde. Aber nicht nur Folterer der Polizei und der Guardia Civil wurden begnadigt, 2009 auch vier Mossos d'Esquadra (katalanische Polizei), nachdem sie einen Häftling geschlagen und ihm eine Waffe in den Mund gesteckt hatten. Bei den GAL-Schwadronen dasselbe: Nicht viele mussten begnadigt werden, weil es wenige Verurteilungen gab, prozentual machen sie jedoch mehr als die Hälfte aus. Die bekanntesten Fälle sind José Barrionuevo (Gonzalez-Innenminister) und Rafael Vera (Gonzalez-Staatssekretär), die von der Regierung Aznar aus dem Gefängnis geholt wurden. Die für die Entführung von Segundo Marey Verurteilten (eine Personen-Verwechslung der GAL) wurden ebenfalls entlastet. Beim Guardia-Civil-General Galindo war es einige Jahre später im Mordfall Lasa-Zabala nicht nötig, weil es politisch bequemer war, ihn wegen “Haftunfähigkeit“ freizulassen.

AUCH PUTSCHISTEN

In der nicht juristischen, sondern politischen Argumentation des TS zum katalanischen Fall fällt ein Kriterium auf: eine Begnadigung komme nicht in Frage, weil die Petition die Katalaninnen als "politische Gefangene" darstellt, obwohl "sie die Urheber einer Mobilisierung waren, die darauf abzielte, die verfassungsmäßige Ordnung einseitig zu untergraben, das Funktionieren der Institutionen zu beseitigen und schließlich ihr eigenes Projekt gegen das der übrigen Mitbürger durchzusetzen". Die Erklärung und ihre Eindringlichkeit stehen im Gegensatz zur Haltung, die derselbe Gerichtshof für die Begnadigung der Täter des versuchten Staatsstreichs von 1981 einnahm, damals wurde sogar das spanische Parlament bewaffnet besetzt. Im Fall des Putschisten-Anführers Antonio Tejero machte sich das TS vollends lächerlich, man sprach von guter Führung im Gefängnis und wies sie darauf hin, dass er 300 Bilder gemalt habe und Blutspender sei. Die Regierung, damals noch in den Händen González, entließ ihn dennoch nicht aus dem Gefängnis, wohl aber den General Alfonso Armada, der als Rädelsführer zu 26 Jahren verurteilt worden war.

DAS JOKER-ARGUMENT REUE

Nebendebatte bei der aktuellen Begnadigungsfrage ist das Konzept “Reue“, rechtlich nicht erforderlich, aber manchmal als begünstigendes Element berücksichtigt. Bei den Katalan*innen "gibt es nicht den geringsten Anflug von Reue", stellt das TS fest. Das entspricht der Realität wie Aussagen von Jordi Cuixart ("Ich würde es wieder machen") oder von Oriol Junqueras ("Sie sollen sich ihre Begnadigung sonstwo hinstecken") deutlich machen. Der Begnadigungs-Antrag kam nicht von den Gefangenen selbst, er kam ausgerechnet von der sozialdemokratischen Gewerkschaft UGT.

Wurde denn von den wegen Staats-Terrorismus Verurteilten irgendwann Reue zum Ausdruck gebracht? Rafael Veras Rechtfertigungen wiederholen sich bis heute öffentlich. Im Fall der Folter gibt es nicht eine einzige Entschuldigung oder Anerkennung der Tatsachen unter Dutzenden von Verurteilten. Aber das spielt in der aktuellen Diskussion keine Rolle. Die Postfranquisten sitzen bei der Polizei, im Militär und in den Gerichtshöfen fest im Sattel, die verurteilten bürgerlichen Katalan*innen (was sie in der Tat sind) verdienen nichts als nationale Verachtung und Strafe. (Quelle)

RÜCKBLICKE: * (1890) In Bilbao wird das Arriaga-Theater eröffnet. * (1985) Der vierte Korrika-Solidaritätslauf für die baskische Sprache Euskara startet in Atharratze, im französischen Baskenland und endet zehn Tage später in Pamplona. * (1937) Wenige Wochen nach der Vernichtung der baskischen Stadt Gernika wird die spanische Mittelmeer-Stadt Almeria im Morgengrauen von nazi-deutschen Kriegsschiffen, dem Panzerschiff Admiral Scheer und vier Torpedobooten, beschossen und schwer beschädigt. Offizielle Version: Vergeltungsaktion, wahrscheinlich: Waffentest.

(2021-05-30)

BASKISCHE SCHULFESTE

Das Ibilaldia-Fest kam gerade recht für die Freundinnen und Freunde der baskischen Sprache. IBILI bedeutet GEHEN und ALDIA ist eine Art von Veranstaltung. Ibilaldia ist das Fest der anerkannten privaten Baskisch-Schulen in Bizkaia, in denen zweisprachig unterrichtet wird und die einen sehr guten Ruf haben, was Lehrmethoden betrifft. Ibilaldia wird einmal pro Jahr veranstaltet, der Erlös wird benutzt, um alte Schulen zu renovieren oder neue zu bauen. Es handelt sich um riesige Volksfeste, zu denen bei gutem Wetter mehr als 100.000 Personen auflaufen, aus allen Altersklassen, organisiert von den zugehörigen Eltern-Initiativen.

mai73x30Die Erwartung in diesem Jahr war enorm, man durfte gespannt sein, ob Ibilaldia überhaupt stattfindet, denn die Pandemie setzte dem Vergnügen enge Grenzen. Im vergangenen Jahr musste ganz verzichtet werden und weil aktuell noch die vierte Corona-Welle über den baskischen Landen flutet, erhielt die Veranstaltung einen ungewohnten Charakter. Üblicherweise gibt es im Umfeld einer Stadt sechs oder sieben Festzentren mit Bühne, Spielen, Essen und Trinken. Vor allem Letzteres ist die Seele des Events, Apfelwein und Kalimotxo wird in Riesenmengen konsumiert, damit die Laune nicht abflaut und der Alkoholpegel nicht sinkt. Zwischen diesen Festpunkten bewegen sich dann Zehntausende, immer gut informiert, welche Band auf welcher Bühne zu welcher Zeit agiert.

Diesmal war alles anders. Für den Zugang zu den fünf Festpunkten war eine vorherige Einschreibung notwendig, die Zahl der Anwesenden war beschränkt. Deshalb wurden heute in Sopela (Sopelana) keine sechsstelligen Zahlen geschrieben, das Programm hatte eher Workshop und Familien-Charakter. Zum Beispiel: Wie werden Talos gebacken, die traditionellen Maisfladen, oder: Essenstradition in der von Marokko besetzten Westsahara. Die Änderung tat der Stimmung keinen Abbruch. Anders ausgedrückt: Es musste eine Pandemie kommen, um den Alkohol von der Prioritätenliste eines Schulfestes zu verdrängen.

Ibilaldia-Versionen gibt es übrigens im gesamten Baskenland (Euskal Herria), nördlich und südlich der Staatsgrenzen, nur unter anderem Namen. In Araba heißt die Aktion ARABA EUSKARAZ (Araba auf Baskisch), in Gipuzkoa KILOMETROAK, in Navarra NAFARROA OINEZ (Navarra zu Fuß) und im nördlichen Iparralde HERRI URRATS (Volkes Schritt). Die Durchführung des Fests in Sope war ein erster Schritt zur Normalisierung der Baskisch- und Fiesta-Szenerie im Lande. Euskaraz bizi nahi dugu – Wir wollen auf Baskische leben.

RÜCKBLICKE: * (2015) Das baskische Fußball-Team Athletic Bilbao, das nur aus baskischen Fußballern besteht, verliert das dritte Finale um den spanischen Pokal in wenigen Jahren nach 2009 und 2012 erneut gegen den FC Barcelona (in Barcelona) mit 1:3.

(2021-05-29)

RENTNER*INNEN IN BEWEGUNG

Bilbo, Donostia, Gasteiz – insgesamt 16.000 baskische Rentnerinnen und Rentner haben heute wieder gezeigt, warum sie nach drei Jahren Mobilisierung immer noch auf der politischen Tagesordnung stehen. Die Rentnerinnen-Bewegung von Hego Euskal Herria (Süd-Baskenland) hat zusammen mit zahlreichen sozialen und gewerkschaftlichen Vertretern mobilisiert, um von der Regierung die Rücknahme der Bedrohungen der öffentlichen Renten zu fordern. “Allen beteiligten Organisationen, die an gemeinsam für die Verteidigung von Renten, Beschäftigung und menschenwürdigen Lebensbedingungen eintreten, gilt unsere Anerkennung und Unterstützung.“

mai73x29Die Mobilisierung heute erfolgte nicht nur in Euskal Herria, sondern auch in anderen Regionen des spanischen Staates, in Galicien, Katalonien, Andalusien, Valencia, überall nahmen Tausende von Menschen an den Mobilisierungen teil. “Wir beklagen, dass trotz drei Jahren Mobilisierung die von der Renten-Bewegung erreichten Errungenschaften in Gefahr sind und keine konkreten Schritte unternommen werden, um öffentliche, würdige, gerechte und ausreichende Renten zu garantieren. Die sogenannten Reformen, mit denen die Renten gekürzt werden, sind immer noch in Kraft, die Tür für weitere Kürzungen ist offen.“

Die Renten-Bewegung fordert von der Staatsregierung und den Parlamenten der Autonomen Gemeinschaften Maßnahmen, um eine menschenwürdige Rente zu erreichen, mit besonderem Blick auf die Frauen und Witwen, die deutlich unter dem Rentenniveau der Männer liegen und häufig zu einem Leben in Armut gezwungen werden. Gefordert wird, dass die einmal gemachten Versprechungen erfüllt, die Bedrohungen der öffentlichen Renten zurückgenommen und die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, damit die Forderungen Wirklichkeit werden. “Wenn sich die derzeitige Politik nicht ändert, wird es im Herbst eine neue Gelegenheit geben, mit allen sozialen und gewerkschaftlichen Organisationen eine Generalmobilisierung durchzuführen. Unser Weg ist die Straße, so werden wir weitermachen, bis wir unsere Ziele erreicht haben. Wer auch immer regiert, die öffentlichen Renten werden verteidigt.“

RÜCKBLICKE: * (1938) Während spanisch-italienische Faschisten in Lizarra (Navarra) ein Militärfest feiern, schreit Casimira Andiarena von ihrem Fenster aus “Nieder mit den Waffen!“ und “Es lebe Navarra, weil wir alle Brüder und Schwestern sind!“ Um den Nacken trägt sie ein schwarz-rotes Halstuch, den Balkon ziert eine Fahne derselben Farben. Auf die Frage, warum sie die Fahne aufgehängt habe, antwortet sie den Militärs: “Warum macht ihr Krieg“. Ein Kriegsgericht verurteilt sie zu acht Jahren Gefängnis.

(2021-05-28)

RÄUMUNG UND 30.000 EURO BUSSGELD

Für den 26. Januar war in Vitoria-Gasteiz vorgesehen, 15 Personen aus Wohnungen in der Los Herrán Straße 15 zwangszuräumen. In den gefährdeten Wohnungen und auf der Straße fanden sich solidarische Personen ein, um die Räumungen zu verhindern. Die Räumung wurde dann mit starker Polizeipräsenz durchgeführt.

mai73x28Das Ergebnis war: drei Personen wurden verhaftet, zwei wurden mit Ausweisungsbefehl zur Ausländerbehörde gebracht. Vier Personen wurden des Angriffs gegen die Autorität und des schweren Ungehorsams beschuldigt, gegen sie wird vor Gericht verhandelt. Dazu wurden wegen Ungehorsams 15 Bußgelder von jeweils 700€ verhängt, sowie 28 Bußgelder von 1.200€ für die Personen, die sich zum Schutz gegen die Zwangsräumungen in den Häusern befunden hatten, der Vorwurf gegen sie war Ungehorsam und Behinderung der Justiz. Die Repressionskräfte begnügten sich nicht damit, 15 Personen zu vertreiben, sondern hinterließen insgesamt 30.000€ an Bußgeldern. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Zahl in den kommenden Monaten noch steigen wird.

Die autonome Wohnungs-Gewerkschaft versucht nun, der Repression gegen die Verteidigung von Wohnraum mit Klassensolidarität entgegenzutreten. Denn nur organisierte Solidarität kann die Last dieses finanziellen Erstickungsversuchs auf viele Schultern verteilen. Zu diesem Zweck wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, über die solidarische Personen einen Beitrag leisten können. Innerhalb von 60 Tagen sollen die 30.000€ aufgebracht werden.

RÜCKBLICKE: * (722) Schlacht bei Covadonga in Asturien, bei der asturisch-westgotische Verbände die maurischen Invasoren besiegen, mit dieser erfolgreichen Schlacht entsteht der Gründungs-Mythos des späteren Kastilien, es ist der Beginn der sog. Wiedereroberung. * (1983) In Pamplona werden zwei Zivilgardisten erschossen, von Mitgliedern der Autonomen Antikapitalistischen Kommandos, einer ETA-Abspaltung.

(2021-05-27)

LETZTER INTERBRIGADIST GESTORBEN

Das letzte überlebende Mitglied der Internationalen Brigaden, die während des Spanienkriegs (1936-39) auf Seiten der linksbürgerlichen Republik gegen die aufständischen faschistischen Truppen um General Franco kämpften, ist im Alter von 101 Jahren in Frankreich gestorben. Die “Vereinigung der Freunde der Internationalen Brigaden“ bestätigte dieser Tage den Tod von Josep Almudéver Mateu. "Mit schwerem Herzen verabschieden wir uns von Josep, dem letzten unserer noch lebenden bewunderten Brigadiere", erklärte die Vorsitzende des Verbandes.

mai73x27Josep Almudéver Mateu wurde im Mai 1919 in Marseille geboren und hatte die spanische und französische Staatsangehörigkeit. Im Alter von 17 Jahren trat er 1936 in die republikanische Armee ein und kämpfte in der Schlacht von Teruel, bis er verletzt wurde. Nach seiner Genesung schloss er sich den Internationalen Brigaden an, deren Heldentaten durch Werke von Schriftstellern und Filmemachern wie Ernest Hemingway, John Dos Passos, George Orwell und Andre Malraux einen legendären Status erlangten. Mateu wurde 1939 in Alicante gefangen genommen, als der Krieg verloren ging, eine Zeit musste er in Gefangenenlagern verbringen. Zwischen 1944 und 1947 engagierte er sich als antifaschistischer Untergrund-Kämpfer, ehe er nach Frankreich ins Exil ging.

Der Einsatz der Internationalen Brigaden ist neben der Legion Condor, die aufseiten Francos durch die Bombardierung der baskischen Stadt Gernika traurige Berühmtheit erlangte, der bekannteste und umfangreichste Ausdruck ausländischer Teilnahme am Spanienkrieg 1936-39, der im Baskenland bereits im Juni 1937 zu Ende war. Militärisch gesehen war der Einsatz der Brigaden nur bei der Verteidigung von Madrid bedeutsam, als moralischer Faktor blieb die Teilnahme von 35.000 Freiwilligen aus über 60 Ländern jedoch unübertroffen.

Innerhalb weniger Monate wurden fünf aus Ausländern bestehende Brigaden aufgestellt, die nach sprachlichen bzw. nationalen Gesichtspunkten gegliedert waren. 1.380 namentlich bekannte Österreicher kämpften in Spanien. Der Nationalratsabgeordnete Julius Deutsch vertrat als General der Republik die Organisation des Küstenschutzes bei Valencia. Auch 43 Frauen waren dabei, die meisten im Sanitätsdienst. Am 21. September 1938 wurden die Internationalen Brigaden aufgelöst. Nach dem Zusammenbruch wurden jene, die nicht nach Hause zurückkehren konnten, in Frankreich interniert. Viele Deutsche und Österreicher landeten KZs. Rund 5.000 republikanisch gesinnte Spanier kamen nach Mauthausen.

Mit Hans Landauer verstarb am 19. Juli 2014 der letzte der österreichischen "Freiwilligen für die Freiheit", wie es im Zentralorgan der Internationalen Brigaden hieß. Er war 1937 als 16-Jähriger nach Spanien gegangen. Ein großer Verdienst des späteren Polizeibeamten war es, dass er seit den frühen 1980er Jahren als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Dokumentations-Archivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) die Spuren seiner ehemaligen Kameraden ermittelte. Kaum bekannt war lange Zeit, dass auch im Lager der aufständischen Franco-Truppen rund 140 Österreicher aktiv waren. Das dokumentiert ein 2015 erschienenes Buch: "Auf Francos Seite". Das Werk des 1986 geborenen Autors Jakob Matscheko mit dem Untertitel "Österreicher in den Reihen der Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg" beackerte zweifelsohne historisches Brachland. (Quelle)

RÜCKBLICKE: *(1976) Die deutsche Alexandra Leckett wird bei einer Polizeikontrolle an der Autobahn in Donostia “versehentlich“ von der Guardia Civil erschossen, weil sie für eine “Terroristin“ gehalten wird. * (1980) In der Nähe von Lizarraga (Navarra) stirbt Mikel Arrizurieta bei der Explosion einer Granate der spanischen Armee aus Kriegszeiten.

(2021-05-26)

WER DEFINIERT HASS?

Ernai ist die Jugendorganisation der baskischen Linkspartei Sortu. Mit einer Kampagne macht diese Organisation seit Monaten auf die Lage von Jugendlichen aufmerksam, die durch die Pandemie und ihre Folgen schwere Konsequenzen erlitten. Sei es durch den Verlust von Arbeit und beruflicher Zukunft, sei es durch die Verschärfung der Situation auf dem Wohnungsmarkt, durch das Verbot sich mit Gleichaltrigen zu treffen, ohne von der Polizei kriminalisiert oder verprügelt zu werden.

mai73x26Zu einer Kampagne gehören Plakate, Graffitis, Kundgebungen und Demonstrationen und gelegentlich auch spektakuläre Aktionen, um den Medien Futter zu geben. Weil als Verursacher dieser Miseren in erster Linie die baskische Regierungspartei PNV (neoliberal, christlich, konservativ) und ihre Polizei verantwortlich gemacht wurde, ergaben sich die Angriffsziele praktisch von alleine. Nun schlägt das Imperium zurück. Die Staatsanwaltschaft der baskischen Provinz Araba hat in Madrid einen Antrag gestellt, dass überprüft werden solle, ob bei der Kampagne “Hass-Vergehen“ begangen wurden.

Diese Art von Vergehen ist in den vergangenen Jahren, verstärkt durch das sogenannte Maulwurf-Gesetz (Zensur) stark in die öffentliche Diskussion geraten. Darunter fällt zum Beispiel, wenn im Stadion ein schwarzer Fußballer mit rassistischen Beleidigungen angegangen wird, aber auch ein Tshirt mit der Aufschrift ACAB erfüllt den Tatbestand. Die Auslegung des Vorwurfs ist dehnbar wie ein Kaugummi. Und wer die Macht hat (oder den Knüppel in der Hand) legt nach eigenem Gutdünken aus. Dabei wundert es nicht, dass die baskische Polizei selbst ein Gutachten erstellt hat, in eigener Sache sozusagen. Was darin steht, können wir uns leicht an einer Hand ausrechnen. Beweise werden erbracht, die Würfel sind gefallen.

Bei den vielen Polizeiübergriffen gegen Migrantinnen und Migranten während der Pandemie, die Augenzeuginnen und Menschenrechts-Aktivistinnen als rassistisch bezeichneten, sah es übrigens keine Staatsanwaltschaft als notwendig an, aus eigenen Stücken zu ermitteln. Eine Krähe kratzt der anderen bekanntlich keine Augen aus.

RÜCKBLICKE: * (1979) Bei einem Anschlag auf eine Madrider Cafe sterben 9 Personen, das Attentat wird der der bewaffneten Gruppe GRAPO zugeschrieben. * (2013) Im Stadion San Mames von Athletic Bilbao findet das letzte Spiel vor dem Abbruch statt, mit dem Bau des neuen Stadion an derselben Stelle wurde bereits begonnen.

(2021-05-25)

BOMBEN AUF AMOREBIETA

Am 18. Mai 2021 jährte sich die Bombardierung der Stadt Zornotza (span: Amorebieta) durch die Nazis zum 84. Mal. Wenig bis gar nicht erforscht ist diese Bombardierung in der Stadt, die ebenfalls im Mai 1937 verwüstet wurde. Demnächst wird ein Buch über diese Geschichte publiziert, aufgrund einer Studie, die die Stadt bei der Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi in Auftrag gegeben hatte. In der Zwischenzeit wird am 18. Mai an den grausamen Einmarsch der Rebellen erinnert, die sich vor fast 85 Jahren gegen die Zweite Republik erhoben hatten. Im Folgenden einige Pinselstriche zum Gedenken an jene Tage des Krieges, die die Bevölkerung der Bizkaia-Gemeinde erlitten hat.

mai73x25Die Analyse von Fotos und eines Videos aus der Zeit über das erlittene Massaker zeigt eine erschreckende Mischung aus zwei weiteren Feldzügen der Nazis: was im März desselben Jahres in Durango mit Sprengbomben und im April in Gernika mit Brandbomben angerichtet wurde. Zornotza wurde von den umliegenden Fronten aus mit beiden Arten von Sprengstoffen und mit Artillerie beschossen. Der Forscher Alberto Sampedro Ixile von der Prospektions-Gruppe Euskal Prospekzioa gibt Auskunft: "Amorebieta war zweifellos ein militärisches Ziel, ein wichtiger Kreuzungspunkt. Die Luftwaffe hatte ein klares Ziel", erklärt der Mann aus Zornotza. Die von der nazi-deutschen Legion Condor durchgeführten und manchmal von der italienischen Luftwaffe Aviazione Legionaria begleiteten Bombenangriffe waren äußerst zahlreich, wie aus den Berichten des Hauptquartiers der Luftwaffe von Salamanca hervorgeht. Es handelt sich um Dokumente aus dem Archiv der Euskal Prospekzio Gruppe. Zornotza-Amorebieta war an den Tagen 9, 10, 11, 16 und am 17. Mai 1937 Luftangriffen ausgesetzt.

Mit Bedauern interpretiert der heutige Bürgermeister, dessen Familie das Drama erlebt hat, das Titelblatt einer damaligen Falangisten-Zeitschrift, auf dem als Schlagzeile zu lesen ist: "Inmitten der Flammen von Amorebieta weht die Flagge Spaniens". Die offizielle Version der Franquisten lautete, dass die Fahne von den sogenannten “Roten und Separatisten“ verbrannt worden sei, die gleiche Lüge wie in Elorrio, Durango oder Gernika. Die baskisch-sprachige patriotische Zeitung Eguna berichtete am 19. Mai 1937 auf ihrer Titelseite über den unmöglichen Widerstand des republikanischen David gegen den faschistischen Goliath. Berichtet wurde, dass der Feind Zornotza schwer getroffen habe. Der Untertitel war aufschlussreich: "Die Faschisten mussten sich anstrengen", um ihr Ziel der Besetzung zu erreichen, deshalb ließen sie "an den Straßenkreuzungen von Zornotza mit Blut bedeckte Leichen liegen".

Eguna veröffentlichte keine Bilder von der Besetzung, je weiter der Krieg fortschritt, wurden Bilder immer seltener. Fotos kamen stattdessen in faschistischen Publikationen. Ihr Kriegs-Berichterstatter, der faschistische Pablo Sigüenza, schloss seine verachtenswerte Chronik mit der folgenden Aussage: "Amorebieta, ein weiterer der Vulkane unseres Jahrhunderts". Dieser unsägliche Pseudo-Informant versicherte, dass er in Amorebieta ankam, als "es noch nicht besetzt war". Er berichtete, dass er von einem franquistischen Offizier begleitet wurde. "Mit ihm kann ich hinter der Vorhut mitmarschieren, denn das haben sie in allen Städten getan, die von den nationalen Armeen eingenommen wurden". Am selben Morgen, so schrieb er, "betraten nur zwei Kämpfer aus Spanien das Dorf, und nachdem sie die Fahne auf der Spitze des Turms gehisst hatten, wurden alle Bewohner des Dorfes evakuiert".

Sigüenza behauptete, dass es regnete wie nie zuvor, und dass sie, indem sie über die Pfützen sprangen, die ersten Außenposten erreichten, während Dorfbewohner auf sie zukamen, um sie "um Brot zu bitten, nachdem sie zehn Monate unter dem Terror der kommunistischen Gewehre ein Martyrium erleben mussten". Er fährt mit seiner Farce fort: "Sie sagen uns alle das Gleiche. Dass die Roten Brände gelegt haben, dass sie an Hunger leiden, dass ihre Verwandten umgebracht worden seien, dass sie ausgeraubt wurden. Aber wir gingen eilig weiter, um zu sehen, wie die Stadt brennt". In Anbetracht dieser Aussage stellt der Zornotza-Forscher Alberto Sampedro die Frage: "Wenn es wirklich so viel geregnet hat, wie konnte sich dann das vermeintliche Feuer der Roten so stark ausbreiten?“ Dann kehrt der franquistische Chronist zu seinen Gewalt- und Vernichtungs-Fantasien zurück. "Wie hoch die Flammen steigen! Die Geräusche der Einstürze, die Häuser scheinen in einen undefinierbaren Abgrund zu fallen", schrieb er.

Nachdem sie eine Straße ohne Feuer erreichten, bereiteten sie sich auf die Rückkehr nach Durango vor. "So weit ist die teuflische Aktion der Gottlosen, Gesetzlosen und Gewissenlosen nicht gekommen". Der Chronist spricht schamlos den angeblichen Bericht einer Frau, die nach seinen Angaben zum Betteln nach Durango ging. "Sie sagt, dass die Roten nur die Häuser der Rechten in Brand gesetzt haben, aber das Feuer hat sich ausgebreitet, niemand kam, die Häuser wurden gesprengt". Sogar ein republikanischer Gudari-Kämpfer aus Amorebieta glaubte diese Version.

RÜCKBLICKE: * (1937) Beginn der Weltausstellung in Paris, auf der das Picasso-Gemälde “Guernica“ ausgestellt wird, das an die Zerstörung der baskischen Stadt Gernika erinnert, die im Auftrag der aufständischen Franco-Faschisten durch die nazistische Legion Condor zerstört wurde. * (2002) Im spanischen Pokalfinale unterliegt Athletic Bilbao dem FC Barcelona mit Null zu Drei.

(2021-05-24)

NEIN ZU MINDERHEITENSPRACHEN

“Macron unterzeichnet das inhaltsleere Gesetz über Minderheiten-Sprachen und begräbt die Option, es im Parlament neu zu diskutieren.” Damit endet die Euphorie von Millionern Menschen im Baskenland, Katalonien, auf Korsika, in der Bretagne und in weiteren Regionen, die endlich größere Spielräume für ihre “Minderheiten-Sprachen” im französischen Zentralsstaat gesehen hatten. Dort soll es weiterhin nur eine offizielle und geförderte Sprache geben. Ende der Diskussion.

mai73x24Vorgeschichte: Im April hatte die französische Nationalversammlung einen Gesetzvorschlag des bretonischen Abgeordneten Molac mit großer Mehrheit angenommen, den Minderheitensprachen künftig mehr Raum und Rechte einzuräumen. Die Abstimmung lief vorbei an den Parteigrenzen, nur die Regierung war von Beginn an dagegen und klagte vor dem Verfassungsgericht. Die Klage war erfolgreich, das VG kippte zwei entscheidende Passagen des Gesetzes. Erstens zweisprachigen Unterricht in bestimmten Regionen und zweitens zu Zulassung von Zeichen, die in der französischen Sprache nicht vorkommen (Beispiel ñ), wohl aber im Baskischen oder im Bretonischen.

Für den französischen Präsidenten gab es danach zwei Möglichkeiten des weiteren Verfahrens. Er hätte das (bereinigte) Gesetz nicht unterschreiben können, um damit den Weg zu einer Neudiskussion im Parlament zu eröffnen, dort hätte das Gesetz nachgebessert oder den Forderungen des VG angepasst werden können. Die zweite war, dass Macron den Weg einer Verfassungs-Reform des Artikels 2 einschlägt, der Französisch als einzige Amtssprache im französischen Staat festschreibt. Ein langer und schwieriger Weg, der nicht nur den Willen des Präsidenten, sondern auch eine qualifizierte Mehrheit in beiden Kammern erfordert oder den Rückgriff auf ein Referendum. A priori ein umstrittener Weg ist, weil er den Präsidenten als Schiedsrichter platziert und ihm erlaubt, über die Gewaltenteilung hinaus zu handeln.

Beide Optionen sind mit der präsidialen Unterschrift unter das Gesetz hinfällig Macron brauchte nicht einmal zwei Tage, um mit seiner Unterschrift die Hoffnung von Milllionen zu zerstören. Denn auch ein entleertes Gesetz ist ein Gesetz. Die Entscheidung wurde von den Verantwortlichen der Verwaltung und Euskara-Bildungs-Netzwerken von Ipar Euskal Herria als "Kriegserklärung" betrachtet. Sie rufen zu einer Demonstration am Samstag 29. Mai um 16.00 Uhr in Baiona auf.

RÜCKBLICKE: * (1634) Sechs Anführer des Salz-Aufstands werden in Bilbao hingerichtet. Seit 1631 hatte die Erhöhung der Salzpreise und die Einschränkung der Selbstverwaltungs-Rechte durch die kastilische Krone zu einem Volks-Aufstand geführt (Gatza Matxinada). * (1980) Im bretonischen Plogoff versammeln sich 150.000 Personen, um das Ende der Pläne für ein AKW mit vier Blöcken zu feiern. * (2001) ETA tötet in Donostia den Finanzchef der Zeitung Diario Vasco.

(2021-05-23)

FÜR WOHNHÄUSER, GEGEN SPEKULATION

In Donostia werden Häuser zum Wohnen gefordert und nicht zur Spekulation oder zum Geschäftemachen. Darin sind sich fünfzehn Gruppen und Nachbarschafts-Vereinigungen einig, die zu einer Demonstration aufgerufen haben. "Wir haben die Nase voll von einer Politik, die mit einem Grundrecht der Bevölkerung Geschäfte macht. In Donostia leben wir mit einer ständigen Wohnungsnot. Das Problem ist nicht neu, im Laufe der Zeit wird es schlimmer, anstatt gelöst zu werden", warnten die Organisatorinnen.

mai73x23Im Abschluss-Manifest wurde beklagt, dass "die Krallen der Spekulation die Menschen von Donostia erdrücken. Die Spekulation ignoriert Tag für Tag unsere Rechte. Eines der größten sozialen Probleme der Stadt ist gleichzeitig ein riesiges Geschäft, bei dem viel Geld bewegt wird". Das soll jedoch nicht akzeptiert werden, sie fordern "dringend und vorrangig" eine neue Wohnungspolitik. Die Stadtverwaltung ist aufgefordert, "nicht länger für jene zu regieren, die mit Spekulationen und den Grundbedürfnissen der Menschen Geschäfte machen”.

Die Protestierenden stellen fest, dass die Preise für Wohnraum und Mieten weiter steigen und dass "Geierfonds gekommen sind, um ganze Gebäude zu übernehmen und die Bewohnerinnen zu vertreiben. Es werden Namen der Übeltäter genannt. "Azora in den Stadtteilen Gros und Amara, Blackstone in Benta Berri, Sareb in Egia. Sie bereichern sich an unseren Nachbar*innen, ohne jegliche Skrupel", wurde angeprangert. Die Antwort lautet “gegenseitige Solidarität".

Während des Marsches kletterten Mitglieder der Wohnungs-Gruppe Gros auf ein vom Azora-Fonds erworbenes Gebäude und entrollten ein Transparent mit der Aufforderung an das Unternehmen, "das Viertel zu verlassen". Die Gruppen betonten, es gäbe viele Menschen, die der Wohnungsnot schutzlos gegenüber stehen und Hunderte von Menschen, die auf der Straße leben müssen, während die öffentlichen Institutionen "nichts unternehmen, um notwendige Antworten auf diese tragische und beschämende Situation zu geben". Sie stellten fest, dass "eine ganze Generation zum Verlassen der Stadt gezwungen wurde. Die jungen Leute aus San Sebastian werden aus den Vierteln vertrieben, in denen sie geboren wurden und gelebt haben. So werden die Beziehungen, die Netzwerke zwischen den Nachbarinnen und die Identität dieser Stadtteile zerstört", warnten sie.

Ein weiteres Problem, das thematisiert wurde, ist die Touristifizierung. "Häuser, die wir zum Leben brauchen, wurden in Hotels und Touristen-Wohnungen verwandelt". In einer Stadt wie Donostia müsse ein "Rückgang des Tourismus" in die Wege geleitet werden, um "ein ausgeglichenes und bewohnbares Donostia" aufzubauen. Derzeit gehe die Stadt auf Elitenbildung zu, nehme die Vertreibung der Jugend in Kauf, die Anhäufung von Macht in den Händen von Spekulanten und die Demontage von Nachbarschafts-Gemeinschaften". Schließlich wurde an die Aktivierung der Bevölkerung appelliert. "Was auf dem Spiel steht, ist ein Stadtmodell, das unser Leben und unsere Umwelt konditioniert. Wir müssen uns organisieren, um unser Leben in die Hand zu nehmen und diejenigen zu stoppen, die die Stadt verkaufen oder kaufen wollen."

RÜCKBLICKE: * (1980) Die neue postfranquistische baskische Administration beschließt, die Hauptstadt der Provinz Araba-Alava, Vitoria-Gasteiz, zum Sitz der baskischen Regierung und zur Hauptstadt der neuen Autonomen Region Baskenland CAV zu ernennen. * (1996) ETA tötet in Madrid einen spanischen Militär mit einer Autobombe.

(2021-05-22)

GEFÄNGNIS-POLITIK

Stell dir vor, du verkaufst dein Auto, machst einen Vertrag mit Preis und allem, und nach der Übergabe sagt dein Vertragspartner, dass er die Summe nun doch nicht zahlen will. So ähnlich ging es den baskischen Regierungen nach dem Franquismus. Nach dem Tod des Diktators wurden eine neue Verfassung und neue Autonomie-Statute für die Regionen ausgehandelt. Im Fall Baskenland waren vor Kurzem jedoch 34 der dort festgelegten Vertragspunkte – sprich: Kompetenzen – zugunsten der baskischen Administration nicht übertragen. Nach mehr als 40 Jahren Unterschrift und aufgrund einer einseitigen Entscheidung von Seiten der Spanier. Wenn das Demokratie sein soll, hab ich im Geschichts-Unterricht wohl ein Jahr lang nicht aufgepasst.

mai73x22Dass die Spanier Zentralisten sind, ist hinreichend bekannt. Für die postfranquistische Rechte (PP etc.) ist die dürftige Autonomie schon fast ein Zeichen von Loslösung aus dem Nationalstaat. Die Sozialdemokraten von der PSOE waren da etwas liberaler, aber nur etwas. Immerhin hatte die Zaptero-Regierung ein paar Kompetenzen übertragen. Da die aktuelle Sanchez-Regierung in der Minderheit ist, braucht sie für ihre Alltagspolitik die Zustimmung der peripheren Parteien, sei es aus Galicien, Katalonien oder dem Baskenland. Und jede Stimme hat ihren Preis. Die baskische Rechte erdealte sich auf diesem Weg eine Reihe weiterer Kompetenzen, manche sprechen von den restlichen, bisher nicht übertragenen.

Unter diesen Kompetenzen ragte eine deutlich heraus: die Gefängnis-Verwaltung (die Katalonien zum Beispiel schon immer hatte). Die spanische Ultrarechte (Vox und Teile der PP) bringt das in nationale Rage. Dazu kommt, dass die Sozialdemokraten nach mehr als 30 Jahren Dispersion (Einsperren der baskischen Gefangenen weit weg vom Baskenland) begonnen haben, einige dieser Gefangenen ins Baskenland zu verlegen.

Die Ultrarechte wittert also Hochverrat und die PSOE verteidigt sich mit ziemlich dummen Argumenten. Denn ganz weit rechts sieht man den Transfer als Gegenleistung für Stimmen aus dem Lager der baskischen Linken und der rechten PNV. Der Innenminister (Marlaska) fühlte sich deshalb genötigt, mit der Verfassung zu argumentieren: die "verpflichtet" Madrid dazu, die Kompetenz an Euskadi abzugeben. Wenn wir dieses Argument bis zur letzten Konsequenz ernst nehmen, heißt das, dass die Verfassung 40 Jahre lang gebrochen wurde. Eine schöne Bankrott-Erklärung also.

Der Transfer der Gefängnisse war eine der letzten Angelegenheiten, die im Statut von 1979 noch fehlten, zumindest von den bedeutenden Artikeln. Nach der Entscheidung der “Gemeinsamen Kommission zum Transfer” soll dieser zum 1. Oktober wirksam werden. Die PP zeigte ihre Bedenken über die Übertragung, während die Faschisten von Vox im Parlament ihre frontale Ablehnung demonstrierten.Wenn es nach denen ginge, würden die Autonomien und die Provinzen abgeschafft, die Gesetze zur Gleichstellung von Frauen ebenfalls, die Schwulenehe sowieso und die Euskara-Zweisprachigkeit gleich mit. Franco würde wieder umgebettet, am Besten in eine Ehrenkapelle gleich neben dem Madrider Parlament. Und überhaupt: was soll dieses Gelabere von Verfassung und Demokratie.

Für die Faschisten bedeutet die Entscheidung, "die Kompetenz exklusiv in die Hände von Urkullu (PNV) und Otegi (Linke, Ex-ETA) zu legen”. Dabei geht es natürlich nicht um irgendwelche einsitzenden Kriminellen, es geht um “das endgültige Schicksal der baskischen Gefangenen”. Nie haben diese fragwürdigen “Demokraten” einen Zweifel daran gelassen, dass die Gefangenen am Besten “im Gefängnis verfaulen” (häufig wiederholtes Zitat) – nachdem die von der Gonzalez-Regierung in den 1980er Jahren gegründeten Todesschwadrone nicht gründlich genug waren.

“Erschwerend” kommt hinzu, dass die baskische Regierung angekündigt hat, sie wolle sich mehr um die Wiedereingliederung aller Gefangenen bemühen. Dabei wurden die politischen Gefangenen (bei Weitem nicht alle von ETA) ausdrücklich mit eingeschlossen. In den Worten der Ultras liest sich das folgendermaßen: “Die Präsidenten Pedro Sánchez und Iñigo Urkullu setzen sich dafür ein, Arbeit und Sozialwohnungen für Mörder zu suchen". Dass sich ETA vor Jahren aufgelöst und die Waffen abgegeben hat wird in den Reihen der Neo-Franquisten gerne übersehen. UNd von einer Aufarbeitung des schmutzigen Krieges wollen sie nichts wissen.

RÜCKBLICKE: * (1938) Massenflucht aus dem Festungsgefängnis Ezkaba vor den Toren von Pamplona (Navarra). Von 2.500 politischen Gefangenen flüchten 795. Nur drei kommen durch, der Rest wird wieder gefangen, viele auf der Stelle erschossen. * (1939) Der Putschgeneral Franco nimmt in León am ehrenvollen Abschied der 7000 deutschen Soldaten teil, die mit der Legion Condor am Spanischen Krieg teilgenommen und viele baskische und spanische Städte in Schutt und Asche gelegt hatten. *(1982) Die zweite Korrika startet in der navarrischen Hauptstadt Pamplona (Iruñea) und endet in Donostia. Der spanische Zivil-Gouverneur von Navarra will den Durchlauf durch die Provinz verbieten, muss aber schließlich passen. * (2011) Nach Jahren der Illegalisierung kann die baskische Linke zum ersten Mal wieder komplett an Wahlen teilnehmen, in diesem Fall Kommunalwahlen im Baskenland, in einem Bündnis mit anderen Kräften.

(2021-05-21)

FRANKREICH EHRT KÜNSTLERIN DORA MAAR

Womit hat sie das verdient? Im April 1937, Tage vor der Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch Luftangriffe der deutschen Legion Condor, begann Pablo Picasso mit Skizzen und Vorarbeiten für eines seiner bedeutendsten Werke: “Guernica“. Am 12. Juli 1937 sollte das 27qm große Monumentalbild auf der Pariser Weltausstellung erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

mai73x21Einer Frau blieb es vorbehalten, den gesamten Entstehungs- und Schaffensprozess von April bis Juni 1937 fotografisch zu dokumentieren, ihr Name war Henriette Theodora Markovitch (1907–1997), bekannter unter ihrem Künstlernamen Dora Maar. Wer war diese Frau, welche die französische Post ab dem 28. Mai mit einer 2,56-Euro-Sondermarke ehren wird? Dora Maar war die Tochter eines Mitarbeiters der österreichisch-ungarischen Botschaft. Sie wuchs in Paris und Buenos Aires auf. Zum Studium der Fotografie und Malerei in verschiedenen Einrichtungen kehrte die junge Frau, die fließend Französisch, Spanisch, Kroatisch und Englisch sprach, nach Paris zurück. Im Anschluss ließ sie sich vom kubistischen Maler André Lhote (1885–1962) ausbilden und gab sich ihren Künstlernamen. In den 1930er Jahren gehörte Dora Maar zum Kreis der Pariser Surrealisten um den Dichter André Breton und die Fotografen Man Ray und Brassaï. Durch die Vermittlung des surrealistischen Lyrikers Paul Éluard (1895–1952) lernte Dora Maar 1936 im Pariser Künstlercafé “Les Deux Magots“ Pablo Picasso kennen. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits “eine etablierte Künstlerin mit starken politischen Überzeugungen“, schrieb die Lektorin Susanne Gretter in einer biographischen Skizze. Maar war Kommunistin. Ihre leidenschaftliche Liebesbeziehung mit Picasso dauerte über acht Jahre, der Maler porträtierte seine Geliebte mehrfach.

Dora Maars künstlerische Karriere wird oft von ihrer Rolle bei Picassos Werk überschattet, sowohl als sein häufiges Modell und seine Muse als auch als Fotodokumentaristin der Entstehung seines Guernica-Bildes. Dabei schuf Maar als avantgardistische Fotografin und surrealistische Malerin ein herausragendes Lebenswerk. Sie wandte sich verstärkt der Fotografie zu, nachdem sie für Aufnahmen von Man Ray Modell gestanden hatte. Sie produzierte Porträts, Akte, Landschaften, Mode-Fotografien und Fotomontagen. Ihre Montagen enthielten häufig starke architektonische Elemente. Sie widmete sich zudem politisch engagierter Straßen-Fotografie und hielt das Leben von sozialen Außenseitern, Arbeitslosen und Obdachlosen, in Barcelona, London und Paris in Fotoserien fest. In surrealistischen Kreisen wurde sie für ihr Verständnis des Naturalismus gelobt, Maar schrieb auch Gedichte. Die Auflage der neuen Briefmarke liegt bei 450.000 Exemplaren. Auf einer solchen ist Dora Maar nicht zum ersten Mal vertreten. Picasso-Porträts seiner Partnerin waren schon auf Marken der Insel Redonda in der Karibik (1981), in Uganda (1998) oder Ghana (2004) zu sehen. (Dora Maar)

RÜCKBLICKE: * (1919) Bei einem über drei Tage währenden Brand wird das Weinlager in Bilbao – Alhondiga – weitgehend zerstört, ein Feuerwehrmann kommt ums Leben. * (1940) Die nazifreundliche Vichy-Regierung übernimmt in Südfrankreich das von der baskischen Regierung eingerichtete Aufnahmelager Gurs und macht daraus ein Konzentrationslager, in das später auch Juden aus Deutschland deportiert werden. * (2011) Zum ersten Mal nach 10 Jahren Illegalisierung kann sich die baskische Linke als Euskal Herria Bildu wieder zu einer Wahl präsentieren, in Koalition mit zwei anderen Parteien zu den baskischen Kommunalwahlen.

(2021-05-20)

DURANGO + GERNIKA = AMOREBIETA

Am 18. Mai 2021 (vorgestern) jährte sich die Bombardierung der Stadt Zornotza (span: Amorebieta) durch die Nazis zum 84. Mal. Wenig bis gar nicht erforscht ist diese Bombardierung in der Stadt, die ebenfalls im Mai 1937 verwüstet wurde. Demnächst wird ein Buch über diese Geschichte publiziert, aufgrund einer Studie, die die Stadt bei der Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi in Auftrag gegeben hatte. In der Zwischenzeit wird am 18. Mai an den grausamen Einmarsch der Rebellen erinnert, die sich vor fast 85 Jahren gegen die Zweite Republik erhoben hatten. Im Folgenden einige Pinselstriche zum Gedenken an jene Tage des Krieges, die die Bevölkerung der Bizkaia-Gemeinde erlitten hat.

mai73x20Die Analyse von Fotos und eines Videos aus der Zeit über das erlittene Massaker zeigt eine erschreckende Mischung aus zwei weiteren Feldzügen der Nazis: was im März desselben Jahres in Durango mit Sprengbomben und im April in Gernika mit Brandbomben angerichtet wurde. Zornotza wurde von den umliegenden Fronten aus mit beiden Arten von Sprengstoffen und mit Artillerie beschossen. Der Forscher Alberto Sampedro Ixile von der Prospektions-Gruppe Euskal Prospekzioa gibt Auskunft: "Amorebieta war zweifellos ein militärisches Ziel, ein wichtiger Kreuzungspunkt. Die Luftwaffe hatte ein klares Ziel", erklärt der Mann aus Zornotza. Die von der nazi-deutschen Legion Condor durchgeführten und manchmal von der italienischen Luftwaffe Aviazione Legionaria begleiteten Bombenangriffe waren äußerst zahlreich, wie aus den Berichten des Hauptquartiers der Luftwaffe von Salamanca hervorgeht. Es handelt sich um Dokumente aus dem Archiv der Euskal Prospekzio Gruppe. Zornotza-Amorebieta war an den Tagen 9, 10, 11, 16 und am 17. Mai 1937 Luftangriffen ausgesetzt.

Mit Bedauern interpretiert der heutige Bürgermeister, dessen Familie das Drama erlebt hat, das Titelblatt einer damaligen Falangisten-Zeitschrift, auf dem als Schlagzeile zu lesen ist: "Inmitten der Flammen von Amorebieta weht die Flagge Spaniens". Die offizielle Version der Franquisten lautete, dass die Fahne von den sogenannten “Roten und Separatisten“ verbrannt worden sei, die gleiche Lüge wie in Elorrio, Durango oder Gernika. Die baskisch-sprachige patriotische Zeitung Eguna berichtete am 19. Mai 1937 auf ihrer Titelseite über den unmöglichen Widerstand des republikanischen David gegen den faschistischen Goliath. Berichtet wurde, dass der Feind Zornotza schwer getroffen habe. Der Untertitel war aufschlussreich: "Die Faschisten mussten sich anstrengen", um ihr Ziel der Besetzung zu erreichen, deshalb ließen sie "an den Straßenkreuzungen von Zornotza mit Blut bedeckte Leichen liegen".

Eguna veröffentlichte keine Bilder von der Besetzung, je weiter der Krieg fortschritt, wurden Bilder immer seltener. Fotos kamen stattdessen in faschistischen Publikationen. Ihr Kriegs-Berichterstatter, der faschistische Pablo Sigüenza, schloss seine verachtenswerte Chronik mit der folgenden Aussage: "Amorebieta, ein weiterer der Vulkane unseres Jahrhunderts". Dieser unsägliche Pseudo-Informant versicherte, dass er in Amorebieta ankam, als "es noch nicht besetzt war". Er berichtete, dass er von einem franquistischen Offizier begleitet wurde. "Mit ihm kann ich hinter der Vorhut mitmarschieren, denn das haben sie in allen Städten getan, die von den nationalen Armeen eingenommen wurden". Am selben Morgen, so schrieb er, "betraten nur zwei Kämpfer aus Spanien das Dorf, und nachdem sie die Fahne auf der Spitze des Turms gehisst hatten, wurden alle Bewohner des Dorfes evakuiert".

Sigüenza behauptete, dass es regnete wie nie zuvor, und dass sie, indem sie über die Pfützen sprangen, die ersten Außenposten erreichten, während Dorfbewohner auf sie zukamen, um sie "um Brot zu bitten, nachdem sie zehn Monate unter dem Terror der kommunistischen Gewehre ein Martyrium erleben mussten". Er fährt mit seiner Farce fort: "Sie sagen uns alle das Gleiche. Dass die Roten Brände gelegt haben, dass sie an Hunger leiden, dass ihre Verwandten umgebracht worden seien, dass sie ausgeraubt wurden. Aber wir gingen eilig weiter, um zu sehen, wie die Stadt brennt". In Anbetracht dieser Aussage stellt der Zornotza-Forscher Alberto Sampedro die Frage: "Wenn es wirklich so viel geregnet hat, wie konnte sich dann das vermeintliche Feuer der Roten so stark ausbreiten?“ Dann kehrt der franquistische Chronist zu seinen Gewalt- und Vernichtungs-Fantasien zurück. "Wie hoch die Flammen steigen! Die Geräusche der Einstürze, die Häuser scheinen in einen undefinierbaren Abgrund zu fallen", schrieb er.

Nachdem sie eine Straße ohne Feuer erreichten, bereiteten sie sich auf die Rückkehr nach Durango vor. "So weit ist die teuflische Aktion der Gottlosen, Gesetzlosen und Gewissenlosen nicht gekommen". Der Chronist spricht schamlos den angeblichen Bericht einer Frau, die nach seinen Angaben zum Betteln nach Durango ging. "Sie sagt, dass die Roten nur die Häuser der Rechten in Brand gesetzt haben, aber das Feuer hat sich ausgebreitet, niemand kam, die Häuser wurden gesprengt". Sogar ein republikanischer Gudari-Kämpfer aus Amorebieta glaubte diese Version.

RÜCKBLICKE: * (1927) Charles Lindbergh beginnt in New York den ersten Atlantikflug nach Paris. * (1940) Die Nazis eröffnen im besetzten Polen das Vernichtungslager Auschwitz. * (1980) Erstes Referendum in Quebec über eine mögliche Unabhängigkeit von Kanada. Ergebnis: 59% sind dagegen. * (1996) Mit einer Autobombe gegen spanische Militärs in Cordoba tötet ETA einen Offizier.

(2021-05-19)

MAROKKO MACHT DEN ERDOĞAN

Königreich setzt einseitige Grenzöffnung als Druckmittel gegen Spanien und EU ein – Es ist eine Verhaltensweise, die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, aber seit langem auch aus Marokko bekannt ist: Beide Länder benutzen Geflüchtete und Migranten, um Druck auf die EU oder einzelne Länder zu machen, um eigene Interessen durchzusetzen. Dieses Mal hat Marokko seine Tore sperrangelweit geöffnet: Die Kontrolle über die Strände nahe der spanischen Exklave Ceuta wurde ausgesetzt. Damit wurde bereits am Montag der Weg für Tausende Menschen freigemacht, die so das spanische Hoheitsgebiet erreichen konnten. Da sich das in Marokko schnell herumsprach, gelangten auch am Dienstag zahlreiche Menschen nach Ceuta.

mai73x19Auf den veröffentlichten Bildern ist zu sehen, wie die Menschen schwimmend oder bei Ebbe durch das Wasser watend die abgesicherte Mole am Strand von El Tarajal umgehen. Die Fotos zeigen auch, dass es sich bei den Menschen, die jetzt nach Ceuta kamen, vor allem um Marokkaner handelt. Denn viele wollen das arme und autokratische Königreich verlassen, gerade junge Menschen haben kaum Perspektiven, die Arbeitslosigkeit liegt bei unter 30-Jährigen seit langem bei über 40 Prozent. Genutzt haben die Verwirrung in Ceuta aber auch Flüchtlinge und Einwanderer um Melilla, um über die hohen und gefährlichen Grenzzäune in diese 380 Kilometer weiter östlich gelegene spanische Exklave in Marokko zu klettern. Bei ihnen soll es sich vor allem Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara handeln.

In Ceuta haben nach Angaben lokaler Medien vom Dienstagvormittag bereits mehr als 10 000 Menschen die Grenze überschritten. Etwa ein Viertel von ihnen sollen unbegleitete Minderjährige sein. Für die Zeitung »El Faro« aus Ceuta ist klar, dass es sich bei ihnen um Marokkaner handelt. Marokko benutze »seine Bürger«, um Druck auszuüben. »Es zeigt, zu was es fähig ist, wenn es seine Grenzschützer anweist, einfach wegzuschauen«, heißt es in dem spanischen Medium, das diese Aussage mit Videoaufnahmen belegt. Diese zeigen, dass marokkanische Sicherheitskräfte sich am Strand aufhielten, aber niemanden am Grenzübertritt hinderten.

Inzwischen wurde auf spanischer Seite neben der Nationalpolizei und der paramilitärischen Guardia Civil auch Militär am Strand von Tarajal aufgefahren. Schützenpanzer bewachen das Gebiet, Hubschrauber kreisen darüber. Die Sicherheitskräfte bringen Menschen zurück auf marokkanisches Territorium, die aber umgehend erneut ihr Glück versuchen. Berichtet wird auch, dass spanische Grenzposten von Migrationswilligen mit Steinen beworfen wurden.

Die spanischen Behörden haben damit begonnen, Erwachsene in einem Stadion in Ceuta unterzubringen, um sie wieder nach Marokko zurückzubringen. Inzwischen wurde auch ein Krisenkomitee gebildet. Madrid will mit Marokkos Autoritäten nun über die Rücknahme ihrer Landsleute verhandeln. Die Regierung in Rabat wird dafür einen Preis fordern: Sie macht Druck, um sich endgültig die Kontrolle über die seit mehr als 45 Jahren besetzte Westsahara zu sichern.

Kürzlich hatte Rabat schon die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland eingefroren, nachdem die Bundesregierung auf eine »gerechte, praktikable, dauerhafte und für alle Seiten akzeptable Lösung des Konflikts« in der Westsahara unter »Achtung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte« und unter Aufsicht der UNO gedrungen hatte. Besonders, dass Berlin die Entwicklungen in der Westsahara »mit Sorge« beobachtet, verärgerte die Marokkaner.

Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska wiegelte unterdessen ab: »Wir haben eine absolut fruchtbare Beziehung mit der marokkanischen Regierung in Migrationsfragen«, erklärte er am Dienstagmorgen im spanischen Fernsehen. Man habe schon 1500 Personen wieder nach Marokko zurückgebracht. Spanien befinde sich »schon seit drei Jahren in einer Migrationskrise«. Gerade gebe es eine »Ausnahmesituation«, aber wie bereits in der Vergangenheit werde man die Lage in den Griff bekommen, betonte er. (Ralf Streck)

RÜCKBLICKE: * (1857) Mit der Bilbao Bank wird eines der ersten Geldinstitute des spanischen Staates gegründet. * (1895) Jose Martí, Poet und ideologischer Vater der kubanischen Revolution stirbt im Unabhängigkeits-Krieg gegen Spanien und die USA. * (1925) Malcolm Little alias MalcolmX wird in Omaha/Nebraska geboren. * (1984) Der Parteitag der PNV beschließt den Ausschluss der Parteiführung in Navarra und die Auflösung der Parteistrukturen in der Region. * (2007) Todestag der baskisch-katalanischen Schriftstellerin Eva Forest, Autorin des Buches “Operation Menschenfresser“ über das ETA-Attentat gegen den Franquisten Carrero Blanco.

(2021-05-18)

HEFTIGE KRITIK AN MUSEUMS-ERWEITERUNG

Die Stadt Bilbao lässt keine schlechte Gelegenheit aus, sich auf dem internationalen Kunst- und Architekten-Markt zu profilieren. Nach dem “Erfolg“ des Guggenheim-Museums soll nun ein zweites zu Weltruhm gepuscht werden. Mithilfe eines großen Namens, der in Bilbao ohnehin schon Spuren hinterlassen hat: Norman Foster. Dass dafür Kulturerbe verändert oder zerstört werden soll, wird billigend in Kauf genommen, man verstößt ja nur gegen eigene Gesetze und Verordnungen.

mai73x18Nun meldet sich die “Bürger-Bewegung zur Verteidigung des Museums der Schönen Künste von Bilbao“ zu Wort und fordert die sofortige Aussetzung des aktuellen Erweiterungs- und Reformprojekts, um die architektonische Identität des Gebäudes zu retten und einen der schönsten öffentlichen Orte der Stadt zu erhalten. "Auf nichts sollte der Architekt mehr Sorgfalt verwenden, als darauf, dass die Gebäude die richtigen Maße und Proportionen zwischen dem Ganzen und den Komponenten haben", schrieb der römische Architekt Vitruv im 1. Jahrhundert vor Christus.

Die Bürgerbewegung zum Erhalt des Museums wurde als Antwort der Zivilgesellschaft zur Verteidigung der städtebaulichen, architektonischen und landschaftlichen Werte des kulturellen Erbes und des öffentlichen Raums im Umfeld des Museums der Schönen Künste gegründet. Mit dem Ziel, städtische Organisationen zusammenzubringen, Nachbarschafts-Vereinigungen, Kulturgruppen, Fachleute, kulturelle Persönlichkeiten und Menschen, die sich Gedanken machen über das sog. Erweiterungsprojekt "Agravitas" der Stadtverwaltung. Die Ausschreibung für dieses Projekt gewannen 2019 die Architekten Norman Foster und Luis Maria Uriarte.

Vergangenen Sonntag (16. Mai) stellte sich die Initiative der Öffentlichkeit vor, um ihre Ablehnung des Projekts zu begründen. Denn: * Es verstößt eindeutig gegen die Wettbewerbs-Regeln. * Es verstößt gegen den Allgemeinen Stadtentwicklungs-Plan von Bilbao, der zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe in Kraft war. * Außerdem verstößt es, wie die Denkmal-Kommission der Königlichen Akademie der Schönen Künste von San Fernando in einem Schreiben an die Stadtverwaltung von Bilbao eindringlich feststellt, gegen die Artikel des baskischen Kulturerbe-Gesetzes (6/2019) und das aktuelle spanische Kulturerbe-Gesetz (16/1985 vom 25. Juni 1985). * Beim Projekt handelt es sich um eine Schreckensvision, weil es an diesem Ort unangemessen ist und illegal innerhalb eines geschützten Gebäudes, das als Kulturerbe registriert einen besonderen Schutz genießt, in einer ebenso geschützten Umgebung im Doña Casilda Park. * Weil die überstürzte städtebauliche Verarbeitung mit einem normativen Ad-hoc-Dokument außerhalb des gültigen Generalplans die Legalisierung des Projekts beabsichtigt, indem mit einem nicht abgestimmten Instrument alle denkmal-schützenden, ökologischen und städtebaulichen Unregelmäßigkeiten in legalem Licht erscheinen sollen.

Die Kritiker*innen versichern, dass Umfang, Unverhältnismäßigkeit und enorme Kosten das Projekt " für diese Zeiten völlig ungeeignet" erscheinen lassen. Sie fordern ein Überdenken des Projekts und seine Anpassung an die "tragische soziale Realität, die wir derzeit erleiden und an die aktuelle gesundheitliche und wirtschaftliche Krise“. Aus den genannten Gründen soll der eingeleitete Prozess völlig neu überdacht und das aktuelle Projekt der Erweiterung und Reform des Museums ausgesetzt werden.

Die Kritiker*innen stellen "Unregelmäßigkeiten und Rechtswidrigkeiten" bei der Ausschreibung fest, bei der Arbeit der Jury und der Auswahl des Siegerprojekts. Die Finalisten-Vorschläge müssten deshalb zumindest durch eine unabhängige und kompetente Jury neu bewertet werden. Oder es solle ein neuer Wettbewerb ohne Teilnahmebeschränkung ausgeschrieben werden, mit präzisen und legitimen Grundlagen in Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften des Denkmalschutzes und einer unanfechtbaren Jury, nachdem Ausmaß und Notwendigkeit der Erweiterung entsprechend der harten Pandemie-Realität abgewogen wurden.

Letztlich gehe es darum, die derzeitige traditionelle architektonische Identität des Museums der Schönen Künste zu bewahren und einen der erhabensten öffentlichen Plätze Bilbaos (wie den Arriaga-Platz mit seiner Skulpturengruppe als Hommage an den Musiker) zu erhalten und sein Weiterbestehen als offener Platz zur freien Nutzung seit seiner Einweihung im Jahr 1945 zu garantieren. “Ein stimmungsvoller Raum von perfekter architektonischer, skulpturaler und landschaftlicher Synthese.“

RÜCKBLICKE: * (1781) Im späteren Peru wird der Indigena-Häuptling Tupac Amaru von kastilischen Eroberern öffentlich gefoltert und exekutiert. Amaru hatte einen Aufstand gegen die Kolonisatoren angeführt. Seine Familie wurde zum Zusehen gezwungen, sein Körper wurde gevierteilt. * (1937) Nach mehrfachen Bombardierungen durch Franquisten, Nazis und Italiener besetzen Franco-Truppen Zornotza-Amorebieta. * (1977) Der Fußballclub Athletic Bilbao gewinnt zwar das Rückspiel des Finales um den UEFA-Cup mit 2:1, unterliegt jedoch in der Gesamtrechnung Juventus Turin nach dem 0:1 im Hinspiel.

(2021-05-17)

RADLIEFERANTEN WERDEN ANGESTELLT

Wer kennt sie nicht, die Radler(innen) mit den großen quadratischen Kästen auf dem Rücken, oder die Moped-Fahrer(innen) mit dem Kasten auf dem Gepäckträger. Seit Jahren drängen sie sich immer mehr ins öffentliche Straßenbild, durch die Pandemie erlebten sie eine enormen Aufschwung: die vorletzten Sklaven der neuartigen Lieferdienste und des modernen Kapitalismus. Dass sie alle falsche Kleinunternehmer(innen) sein mussten, war sogar den Gerichten suspekt, entsprechende Urteile machen aus den unabhängigen Sklaven fest eingestellte.

mai73x17“Spanien ist zum Vorreiter internationaler Gesetzgebung geworden”, erklärte die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz stolz, nachdem das Kabinett vor wenigen Tagen das sogenannte Rider-Gesetz auf den Weg gebracht hatte. Die Neuregelungen, die am 12. August in Kraft treten sollen, machen aus bisher selbstständigen Fahrrad-Kurieren von Internet-Plattformen wie Glovo aus Barcelona, Deliveroo aus Großbritannien und Uber Eats aus den USA nun Angestellte.

Ein kleiner Erfolg steht einer großen Niederlage gegenüber. Tatsache ist, dass andere Regierungen dem sklavenähnlichen Treiben der Lieferdienste weiter tatenlos zuschauen. Tatsache ist aber auch, dass der spanische Staat weiterhin unter einer PP-Arbeitsamrkt-Reform leidet, die genau solche Arbeitsverhältnisse zum staatlichen Dogma macht. Im Dienste der Unternehmer. Trotz Wahlversprechen, diese Regelung wieder zu kippen, ging den hispanischen Sozialdemokraten unterwegs der Mut aus, obwohl die Koalitionspartner von Podemos einiges dran setzten, diese Misere zu beenden. Also bitte kein Schulterklopfen auf die eigene.

Der Kompromiss, den Podemos mit Gewerkschaften und Unternehmer-Verband CEOE ausgehandelt hat, ist bestenfalls ein halber Sieg. Das Gesetz kommt insofern zu spät, da über die Frage bereits gerichtlich entschieden wurde. Denn die Rider hatten sich längst schon gewerkschaftlich organisiert und über Jahre mit Protesten, Streiks und die Justiz bis hin zum Obersten Gerichtshof erkämpft, dass Beschäftigte auf Fahrrädern, Motorrädern oder Elektrorollern nicht länger als Selbstständige behandelt werden dürfen. Zuvor hatten schon untergeordnete Gerichte die bislang geltende Praxis als illegale Schein-Selbstständigkeit gewertet. Auch Arbeitsinspekteure verhängten Bußgelder gegen Unternehmen. Das wurde jetzt in ein Gesetz gegossen

Kein Wunder, dass sich der Lieferdienst Glovo enttäuscht zeigte, dass die Unternehmer-Verbände den Kompromiss nicht blockierten – offenbar hätten sie das gekonnt! Glovo kündigte deshalb den Austritt an aus dem Verband der modernen Sklavenhalter. Unter den bekannteren Lieferdiensten äußerte sich nur Just Eat positiv über die Neuregelung. Hingegen wetterten zusammen mit Deliveroo auch Stuart und Uber Eats gegen das Gesetz, da es die Entwicklung dieses Sektors “gefährde”. Ferner sind die Unternehmen entsetzt darüber, dass sie ihre Algorithmen offenlegen müssen, nach denen Fahrer ausgewählt werden.

Zweifel? Nicht alle Fahrradkuriere sind erfreut, dass das recht starre Dekret Selbstständigkeit praktisch verbietet. Einige fürchten um ihre Flexibilität, andere sogar um ihren – wenngleich prekären – Job. Die Firmen spielen nämlich in der Coronakrise mit der Angst vieler in einem Land, in dem man leicht durch die weiten Maschen des sozialstaatlichen Netzes fallen kann. Laut Umfragen sollen von den geschätzt 30.000 Fahrern in Spanien künftig nur noch etwa 12.000 als sozialversicherungspflichtige Angestellte weiterbeschäftigt werden.

RÜCKBLICKE: * (1987) Bei drei ETA-Attentaten gegen militärische Objekte in Madrid wird eine 79-Jährige getötet. * (1990) Die Generalversammlung der Welt-Gesundheits-Organisation WHO erklärt den Tag zum Internationalen Tag gegen Homophobie. * (2010) Die baskische Bergsteigerin Edurne Pasaban klettert auf den letzten ihrer 14 Achttausender-Gipfel, sie ist die erste Frau, der diese Leistung gelingt.

(2021-05-16)

VOM RAD- ZUM UNFALLBOOM

2019 war das Jahr des Fahrrad-Booms in Bilbao. Die Präsenz auf den Straßen nahm nach Schätzungen der Stadtverwaltung um etwa 50 % zu, was vor allem auf den Ausbau des öffentlichen Fahrrad-Parks zurückzuführen ist. Das ist der gute Teil. Negativ ist, dass die Zahl der Unfälle mit Beteiligung von Radler*innen in die Höhe schossen: von 70 im Jahr 2018 auf 173 ein Jahr später. 150% mehr, laut Statistik der Stadtpolizei. Ein Unfall alle zwei Tage. Meist sind Autofahrer*innen für die Unfälle verantwortlich.

mai73x16Damit ist die Hauptursache benannt, warum die Zahl der Verkehrsunfälle innerhalb eines Jahres so stark gestiegen ist. Die Gesamtzahlen: 2019 kam es in Bilbao zu 1.742 Verkehrsunfällen, 118 mehr als im Vorjahr, dieser Anstieg deckt sich mit dem Anstieg der Nutzung von Rädern.

Besorgniserregend ist, dass die Unfall-Verletzungen generell auf 676 stiegen (+20%). Auf Radfahrer*innen entfielen 146 Verletzte bei 173 Unfällen, das heißt 85% der Crashs haben Folgen. Bei den Gesamtzahlen machen die Unfälle mit Verletzten 38 % aus. Meist sind die Verletzungen, die durch Fahrradunfälle verursacht werden, geringfügig, weil Geschwindigkeit keine große Rolle spielt. Allerdings nicht immer. Eine Person starb, als sie die Kontrolle über das Fahrrad verlor. Die übrigen fünf Opfer bei Verkehrsunfällen 2019 verloren ihr Leben bei drei Kollisionen, dazu wurden zwei Mal Fußgänger*innen angefahren.

Gemeinsame Verantwortung

Schlussfolgerung: Gibt es ein Problem der Koexistenz zwischen Autos und Rädern? Oder sind Radfahrer*innen zu unvorsichtig und rücksichtslos? Von beidem etwas. Von 173 Unfällen waren die Hälfte (80) Kollisionen mit anderen Fahrzeugen. In 60% der Fälle waren Autofahrer*innen verantwortlich. Das Gegenteil ergab sich bei den Unfällen ohne Autobeteiligung. Bei 13 Rad-Unfällen waren 9 Mal die Radfahrer*innen verantwortlich und 4 mal die Fußgänger*innen. Vielen vor allem jungen Radlerinnen ist es oft gleichgültig, dass Fahrräder auf Gehwegen nicht erlaubt sind. Vor allem ältere Menschen werden dabei gefährdet, ein Unfall mit Fahrerflucht kann gravierende Folgen haben. In 71 Fällen stürzten die Radfahrer*innen ohne Fremdbeteiligung, manche fahren mit Kopfhörern oder telefonieren.

Die Ursachen sind vielschichtig. Vor allem Rücksichtslosigkeit in Autos und das Fehlen von Radwegen spielen eine wichtige Rolle. Dazu kommt, dass neben Rädern auch die Präsenz von Rollern enorm zugenommen hat. Weiterer Aspekt ist, dass die Geschwindigkeit der Zweiräder stark zugenommen haben, der öffentliche Radpark ist mit Verstärkern ausgerüstet, was zu hohen Geschwindigkeiten auch am Berg führt. Vor allem junge Männer rasen gelegentlich wie die Irren durch die Altstadt.

RÜCKBLICKE: * (1985) Bei einem Bombenattentat von ETA gegen zwei Busse der Policia Nacional werden 9 Beamte verletzt, einer stirbt im Krankenhaus. * (2001) Der Fußballclub Deportivo Alavés aus der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz unterliegt im dramatischen Finale des UEFA-Cups in Dortmund dem FC Liverpool mit 5:4 Toren.

(2021-05-15)

BETRUG VON DIENSTLEISTUNGS-FIRMEN

Die Nationale Kommission für Märkte und Wettbewerb (CNMC), eine Art spanisches Kartellamt eröffnete im Jahr 2019 ein Makro-Verfahren gegen ein Kartell von Dienstleistung- und Beratungsfirmen, die Absprachen getroffen hatten zur Aufteilung von Aufträgen von Seiten der öffentlichen Verwaltung. Nun wurden Geldstrafen gegen 22 Firmen und mehrere ihrer Geschäftsführer Geldstrafen in Höhe von 6,3 Millionen Euro ausgesprochen. Die meisten der Firmen sind aus dem Baskenland, hier begannen die Untersuchungen der baskischen Wettbewerbs-Behörde und mehrerer betroffenen Institutionen: der Stadtverwaltungen von Bilbao, Sestao, Barakaldo und Vitoria-Gasteiz, mehrerer Abteilungen der baskischen Regierung, der Hafen-Behörde von Bilbao und der Provinz-Regierung Bizkaia. In dem Verfahren wurden 200 Verträge überprüft, dabei wurde klar, dass die Firmen sich zwischen 2009 und 2018 darauf einigten, wer eine Ausschreibung erhalten sollte. Um den Schein und die Formalität zu wahren legten andere Firmen Angebote zur Absicherung vor. Es kam vor, dass die Gewinner-Firma auch die Verlierer-Vorschläge vorbereitete.

mai73x15In seiner Resolution hat der Gerichtshof die Geldstrafen von den ursprünglich vorgeschlagenen 47 Millionen erheblich reduziert. Gleichzeitig wurde "der Rechtsweg aktiviert, damit einige dieser Unternehmen nicht an zukünftigen Ausschreibungen der Verwaltung teilnehmen können". Der Beschluss wird an den Beirat für das öffentliche Beschaffungswesen des Staates weitergeleitet, der dem Finanzministerium untersteht, dort werden weitere Entscheidungen getroffen. Der Gerichtshof teilt das illegale Kartell in zwei Netzwerke auf. Im Norden mit Euskadi als Epizentrum, aber auch mit Ablegern in anderen Regionen wie Kantabrien und Castilla-Leon; daneben das nationale Kartell, manche Unternehmen waren auf beiden Seiten tätig. Das Nordkartell erhält mit 5,7 Millionen Euro den größten Teil der Strafen. Die höchste trifft das Unternehmen Deloitte mit 3,9 Millionen, gefolgt von PwC (670.000) und Idom (640.000). Unter den kleineren Firmen ragen B+I Strategy mit 153.529 Euro und 97S&F mit 131.593 Euro heraus. Diese Beträge sind ihrem Umsatz, aber auch dem Grad ihrer Beteiligung angepasst.

Hervorgehoben wird von der Kartell-Behörde die starke Beteiligung von drei Firmen: B+I Strategy, Deloitte und 97S&F. Sie werden als "Anstifter" bezeichnet, "indem sie zur Vorlage von Schein-Angeboten aufforderten". Aus diesem Grund wurden auch einige Direktoren bestraft. Eine der vielen gefundenen E-Mails zeigt den "modus operandi", von der Geschäftsleitung von 97S&F an einen Mitarbeiter: "Wir müssen drei verschiedene Vorschläge machen, damit wir den Zuschlag erhalten. Unseren Vorschlag müssen wir gut und schön machen. Für die anderen beiden nutzen wir als Deckung Deloitte und eine andere Firma, über die ich noch nachdenken muss. Du musst dir vorstellen, dass die anderen beiden Vorschläge schlechter aussehen müssen". In diesem Fall war die die öffentliche Einrichtung Bilbao Ekintza betroffen.

Das Dossier geht nicht auf den Grad der Beteiligung der “betroffenen“ Verwaltungen ein, obwohl es Belege vorlegt, dass einige über die Machenschaften informiert waren. Einige der Angeklagten versichern, dass es die ausschreibenden öffentlichen Stellen selbst waren, die zu dieser Vorgehensweise aufforderten. Laut Kartell-Behörde, "war ging es in der Regel um Verträge ohne Werbung", im Wert zwischen 12.000 und 60.000 Euro, die nicht in der Presse bekannt gegeben werden müssen. Es werden lediglich drei Angebote eingeholt, der beste erhält den Zuschlag. Der Schlüssel liegt in den Scheinangeboten, die nur eingereicht wurden, um die Formalität zu erfüllen, dass es drei sein müssen, obwohl der Gewinner von Anfang an feststeht. Ursprünglich betraf das Verfahren 25 Unternehmen, später wurde es auf 36 Firmen und Manager ausgedehnt. Einige Unternehmen wurden entlastet, andere reduzierten im Rahmen der sogenannten Kronzeugenregelung die Strafgelder um bis zu 40%.

RÜCKBLICKE: * (1943) Stalin löst die Kommunistische Internationale, Komintern auf. * (1957) Großbritannien unternimmt auf der Malden-Insel im Pazifik den ersten Versuch mit einer Wasserstoff-Bombe. * (2001) Der bekannte baskische Journalist Gorka Landaburu (PSOE-nah) wird von einer ETA-Briefbombe verletzt. * (2011) In Madrid beginnt eine Protest-Bewegung, die den Namen 15M erhält und aus der später die Partei Podemos (Wir können) hervorgeht.

(2021-05-14)

ZWANGSRÄUMUNG VERHINDERT

Dass morgens um 10 Uhr im Arbeiter-Stadtteil San Francisco von Bilbao Feierstimmung aufkam, hatte seinen guten Grund. Bereits seit zwei Stunden hatten zweihundert Nachbarinnen und Nachbarn auf der Straße ausgehalten, um ein Hausportal zu blockieren. Dort sollte eine Frau mit ihrem vier Monate alten Baby zwangsgeräumt werden. Die Mutter hatte während der Pandemie ihre Arbeit verloren und war mit solidarischer Hilfe in eine städtische Sozialwohnung eingezogen – ohne behördliche Erlaubnis, also als Besetzerin.

mai73x14Die Mittel- und Schutzlosigkeit der jungen Frau war für die Wohnungs-Behörde kein Hinderungsgrund, einen richterlichen Räumungs-Erlass zu erwirken. Und der sollte heute früh vollzogen werden. Um dies zu verhindern fanden sich etwa 200 Personen ein, junge und alte, Leute aus dem ärmsten Barrio Bilbaos und Solidarische aus anderen Stadtteilen. Besonders auffällig war eine große Delegation der bilbainischen Bewegung der Rentner*innen, die seit drei Jahren jeden Montag für ihre Rechte auf die Straße gehen. Die Stimmung war bestens: “Judith bleibt, Judith bleibt! – Kampf ist der einzige Weg“.

Die Strategie war klar und bereits einmal ausprobiert: sobald die Polizei nahe kommt, verschanzen sich Dutzende von Personen im Hauseingang und blockieren diesen, Kontaktpersonen verhandeln mit Behörde und Polizei. In diesem Fall hielt sich die Polizei auf Distanz, die berüchtigten Schlägertrupps waren diesmal nicht in Sicht. Sogar die Straße wurde großzügig abgesperrt, Busse und Sankas wurden durchgelassen. Kurz vor zehn Uhr kam dann die Nachricht, dass die Behörde eingelenkt und die Räumung vorläufig zurückgenommen hat. Dies geschah in schriftlicher Form, darauf bestand die Mieterinnen-Gewerkschaft AZET (Alde Zaharreko Etxebizitza Taldea – Wohnungs-Gruppe Altstadt), weil in einem vorigen Fall mündliche Versprechungen nicht eingehalten worden waren. “Ein kleiner Erfolg auf dem langen Weg des Klassenkampfes“, war die abschließende Botschaft eines Sprechers auf der Straße.

RÜCKBLICKE: * (1948) Ben Gurion erklärt die Unabhängigkeit von Israel und ernennt einen Präsidenten. * (1955) Acht Länder des sog. Ostblocks unterzeichnen einen gegenseitigen Verteidigungs-Vertrag: den Warschauer Pakt. * (1980) Mit Martin Zabaleta besteigt der erste Baske den Himalaya. Auf dem Gipfel pflanzt er die Flaggen von Nepal und die baskische Ikurriña, dazu ein Anti-AKW-Zeichen und das Schlangensymbol von ETA. * (1981) Am Morgen sterben bei verschiedenen bewaffneten Auseinandersetzungen in Gernika und Lemoa vier Zivilgardisten und ein ETA-Mitglied. * (1982) ETA tötet in Eibar einen Taxifahrer. * (2001) Der PNV-Politiker Juan José Ibarretxe wird zum zweiten Mal zum baskischen Ministerpräsidenten gewählt. * (2008) ETA greift eine Kaserne der Guardia Civil in Legutiano-Araba an, ein Guardia stirbt.

(2021-05-13)

SCHLAG GEGEN DIE BASKISCHE SPRACHE

Ein Urteil des Obersten basischen Gerichts betrachtet es nicht als erforderlich, der baskischen Sprache mächtig zu sein, um in der Grenzstadt Irun Stadtpolizist zu werden. Im Gegenteil, die Forderung nach Zweisprachigkeit sei “diskriminierend“. Das sind harte Worte in einer Region, in der die Zweisprachigkeit offiziell ist und zu den Grundrechten gehört. Das Urteil besagt, dass es ausreicht, “wenn einer der beiden Beamten pro Streife Euskara spricht, um die sprachlichen Rechte zu gewährleisten“. Mit diesem Urteil des TSJPV wird die Ausschreibung für 12 Stellen für Stadtpolizistenaus dem Jahr 2017 für nichtig erklärt. Die Verwaltungskammer gibt damit der Berufung einer Privatperson statt, die nach einer negativen Entscheidung eines Gerichts in Donostia / San Sebastian in der nächsten Instanz weitergeklagt hatte.

mai73x13Die Frage war, ob es zulässig sei, von allen Bewerber*innen Zweisprachigkeit zu fordern. Die Antwort ist, ein Teil von Beamten mit Baskisch-Kenntnissen reichen aus, um den Bürger*innen “das Recht zu garantieren, mit der Verwaltung in dieser Sprache in Beziehung zu treten". Der Richter, der die Entscheidung getroffen hat, spricht selbst kein Baskisch, wie die Mehrheit in der Juristerei – wer hätte anderes erwartet. Die vom TSJPV vertretene Argumentation folgt der vom Verfassungsgericht festgelegten Linie in dem Sinne, dass "die Verpflichtung, die Sprache zu beherrschen, nicht jeden einzelnen Mitarbeiter der Verwaltung betrifft, sondern die Verwaltung als Ganzes".

Die Stadt-Verwaltung hatte sich jedoch dafür entschieden, ein gewisses Maß an Baskisch-Kenntnissen als unabdingbare Voraussetzung zu verlangen, um den Job zu machen. Noch nicht einmal perfektes Niveau wird also gefordert, sondern nur ein “gewisses Maß“. Aber schon das ist zu viel in einer Gesellschaft, in der immer gegen das Euskara geklagt wird, als wäre die spanische Sprache vom Verschwinden bedroht. Das Baskenland ist offiziell zweisprachig, nur die spanische Rechte (wie auch in Katalonien gegen die katalanische Sprache) gräbt ständig an der Basis dieser Tatsache.

In der Stadt muss nun überlegt werden, ob man in die Berufung geht, dies wäre ausgerechnet vor dem obersten spanischen Gericht Tribunal Supremo. Dort sitzen nicht gerade die größten Euskara-Freunde! Gleichzeitig geht es um die zwölf Stadtpolizisten, die aufgrund der jetzt annullierten Ausschreibung die Plätze erhalten haben.

RÜCKBLICKE: * (1981) Die postfranquistische spanische und die neu konstituierte baskische Regierung besiegeln den Concierto Economico, einen wichtigen Wirtschaft- und Steuer-Pakt, der die baskische Wirtschaft stärkt.* (1985) Mörderischer Polizeiangriff in Philadelphia/USA gegen die MOVE-Kommune, eine Reihe von Move-Mitgliedern werden bei Hubschrauber-Angriffen getötet. * (2001) Die siebten baskischen Parlaments-Wahlen sind geprägt vom Scheitern des ETA-Waffenstillstands und dem gleichzeitigen Scheitern des Lizarra-Abkommens zur Überwindung des spanisch-baskischen Konflikts. Zum Eintritt ins Parlament wird die 3%-Hürde eingeführt. Stimmverteilung: PNV/EA 42%, PP (postfranquistisch) 23%, PSE (PSOE) 17,5%, EH (Euskal Herritarrok, baskische Linke) 10%, EBB (links-grün) 5,5%. Die PNV stellt mit Juan Jose Ibarretxe erneut den Ministerpräsidenten.

(2021-05-12)

AHT: DEMOKRATIE NICHT ERWÜNSCHT

Baskische Rechte, spanische Rechte und Sozialdemokraten (PNV, PP, PSE) stimmen im Parlament gegen eine mögliche Umfrage zum Hochgeschwindigkeits-Zug AHT-TAV. Die Parteien argumentieren, dass der Bau dieser gigantischen Infrastruktur bereits weit fortgeschritten ist und dass die Parteien, die hinter dem Projekt stehen, bei den Wahlen eine Mehrheit haben.

mai73x12Das Parlament von Gasteiz hat einen Vorschlag der linken Gruppe EH Bildu abgelehnt, eine monographisch-soziologische Studie (eine Umfrage) über das Projekt des AHT-TAV durchzuführen. Die drei rechten Parteien stimmten im Ausschuss gegen diesen Vorschlag mit der Begründung, dass das Projekt des "Baskischen Y" (wegen des Streckenverlaufes so genannt) zu weit fortgeschritten ist, um diese Art von Konsultation durchzuführen. Die Initiative wurde von Elkarrekin Podemos-IU unterstützt. EH Bildu erinnerte daran, dass die Regierung solche Erhebungen zu anderen Themen durchgeführt hat, aber nie zur "größten Investition, die jemals in ihrem Gebiet getätigt wurde".

VERBINDUNGEN MIT NAFARROA ODER MIRANDA

Der Abgeordnete Unai Martínez de Betoño (EHB) fragte, wovor die Parteien Angst haben, warum die Bevölkerung nicht zu dieser Infrastruktur befragt werden soll, und erinnerte daran, dass es neben dem "Y" noch eine Reihe weiterer "Teilprojekte" gibt, wie die Verbindung mit Nafarroa oder Miranda de Ebro, die noch nicht ausgeführt wurden. Irune Berasaluze (PNV) behauptet, es gäbe "keine Rechtfertigung, von dem Projekt zurückzutreten", auch wenn sich die Bürger in einer Umfrage dagegen aussprächen. Denn Politik dürfe nicht "auf Basis von Umfragen" gemacht werden. Und schon gar nicht auf Basis von Referenden.

Iñigo Martínez (Podemos) vertrat die Ansicht, dass es zwar nicht "sinnvoll" erscheine, die Arbeit jetzt lahmzulegen, aber "es ist keine Kleinigkeit", dass die Meinung der Bürger zu einem Projekt bekannt wird, dessen Ausführung "Unsinn" ist. José Manuel Gil (PP) bezeichnete die HST als eine "grundlegende, positive und notwendige" Infrastruktur, obwohl er kritisierte, dass ihr Management von "unvorhergesehenen Ereignissen, Kosten-Überschreitungen, Verzögerungen und Informations-Mangel" geplagt sei.

RÜCKBLICKE: * (1890) Weil sie an der Demonstration zum 1. Mai teilgenommen haben werden vier sozialistische Bergarbeiter der Orconera-Grube im Minengebiet Bizkaia entlassen. In der Folge kommt es in Bilbao zum ersten Generalstreik der baskischen Geschichte, an dem sich mehr als 20.000 Arbeiter beteiligen. Der Ausnahmezustand wird ausgerufen, nach einer Woche erreichen die Arbeiter ihre Ziele. * (1916) Der irische Gewerkschafter und Sozialist James Connolly (*1868) wird nach dem Scheitern des Osteraufstands 1916 als Anführer der Irish Citizen Army von britischen Besatzern in Dublin hingerichtet. * (1973) Die deutsch-stämmige Guerrillera Monika Ertl von der Guerrilla-Gruppe ELN wird in Bolivien von Sicherheitskräften erschossen. * (2020) In Durango Bizkaia stirbt im Alter von 103 Jahren Gregorio Urionaguena, Überlebender der Zerstörung von Durango am 31.3.1937 und Zeitzeuge der von Gernika am 26.4.1937.

(2021-05-11)

REPRESSION GEGEN SOZIALE BEWEGUNGEN

mai73x11Die Pandemie hat im Baskenland (und anderswo) zu einer deutlich stärkeren Polizeipräsenz geführt, weil die Covid-Restriktionen kontrolliert werden mussten. Ganz nebenbei wurde diese Präsenz gegen bestimmte Bevölkerungs-Gruppen genutzt, wie Migrantinnen, die es in dieser Zeit besonders schwer hatten und haben, zu überleben. Es ist von wiederholtem Polizei-Rassismus die Rede.

Langsam finden die verschiedenen Polizeikörper bei ihren Aktionen zu ihren “Hauptfeinden“ zurück, dem “linken Pack“, streikenden Arbeiter*innen, rebellischen Jugendlichen und Hausbesetzer*innen. Heute früh wurde eine Wohnung in der Altstadt Bilbaos geräumt, die vor zwei Wochen von einer Basis-Gewerkschaft AZET besetzt wurde, als Versammlungsraum und Notaufnahme für Zwangsgeräumte. Pikant an der Sache war von Beginn an, dass über der besetzten Wohnung ein PNV-Stadtrat wohnt. So war es kein Wunder, dass der juristische Weg gar nicht erst ausgereizt, sondern die Zwangsräumung als Freundschaftsdienst durchgezogen wurde.

AZET setzt sich genau dafür ein, dass Zwangsräumungen verhindert werden, sowohl in privaten wie öffentlichen Objekten leben seit einiger Zeit Besetzer*innen, die keine Mittel für die Bezahlung von Miete haben, oder die im vergangenen Jahr durch Einnahmeverluste zahlungsunfähig geworden sind. Noch diese Woche sind zwei Räumungs-Termine vorgesehen, die unter den gegebenen Voraussetzungen brisant werden: Räumung mit Polizeieinsatz.

Als wäre das noch nicht genug hat sich für morgen (12-5) die neofaschistische Gruppe Desokupa angekündigt, die im Auftrag von Hausbesitzern ohne richterlichen Räumungsbefehl mit Einschüchterung, Bedrohung und Gewalt Räumungen durchführt. Zuletzt vor drei Wochen in Bizkaia. Der Innensenator lügt zwar vor dem Parlament, die baskische Polizei habe nichts mit dieser Gruppe zu tun, die hingegen prahlt über Video ganz offen, dass sie beste Kontakte hat und von Polizeikollegen Informationen bezieht. Zu dieser Repressionswelle passt, dass in Pamplona vor zehn Tagen neun Jugendliche festgenommen wurden, denen vorgeworfen wird, eine Abspaltung von ETA gegründet zu haben, wahlweise wird ihnen die Durchführung von Sabotageakten unterstellt. Streikende Arbeiter werden im Auftrag der Regierung verprügelt, Kommerz geht vor Pandemie.

RÜCKBLICKE: * (1979) Ladearbeiter im Hafen Bilbao weigern sich, ein tonnenschweres Bauteil für das AKW Lemoiz zu entladeden. Es handelt sich um ein Ersatzteil für ein von ETA bei einem Anschlag beschädigtes Objekt. Auch Arbeiter in Bordeaux schließen sich dem Entladeboykott an. * (1981) Tod der Reggae-Legende Bob Marley. * (1987) In Lyon wird der Nazi Klaus Barbie wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt.

(2021-05-10)

OTEGI WIEDERGEWÄHLT

Fünf Jahre sind es schon, dass Arnaldo Otegi aus dem Gefängnis entlassen wurde. Damit hat er nur die Hälfte der zehnjährigen Geschichte von Euskal Herria Bildu (EHB) persönlich miterlebt. Im Zeichen von Pandemie, Krise und Reaktionären, die überall zum Angriff lauern, wurde er mit 88% Stimmen des Partei-Kongresses wieder zum Generalsekretär gewählt (EHB ist die Parteien-Koalition von Sortu, EA, Alternatiba und Aralar). Im Interview sagt Otegi, EHB wolle “zeigen, dass die Alternative der linken Unabhängigkeits-Befürworter real, lebensfähig und besser ist“.

mai73x10Otegi ist von einem fast beängstigenden Optimismus beseelt, der die Gefahr beinhaltet, dass Enttäuschungen folgen. Doch ist diese Haltung Grund für das politische Charisma, das ihm seit Langem nachgesagt wird. Die rechte baskische PNV sieht er im Kampf um die Selbstbestimmung auf einem anderen Dampfer, dagegen setzt er auf Podemos und ausgerechnet auf die PSOE für eine hypothetische Links-Regierung. Auf die Frage, ob das Baskenland “gegen Rechtsextremismus geimpft“ sei, antwortet er folgendes:

“Ich würde das gerne glauben. Und ich würde sagen in Bezug auf die Wahlen stimmt das. Aber ich beobachte, dass der faschistische Diskurs in Meinungen und Werte eindringt. Wenn Feminismus in Frage gestellt wird, wenn soziale Rechte negiert werden oder wenn gesagt wird ‘alle Politiker sind gleich‘, dann fasst dieser ultrarechte Diskurs Fuß. Viele Menschen hier haben ihr Leben gegeben, damit es Parteien und Gewerkschaften gibt, aber nicht dafür, dass es Straßencafés gibt. Auch unter Franco konnte man in Straßencafés Bier trinken. Freiheit ist etwas anderes. Freiheit und Gleichheit stehen auf einer Ebene, sie bedeuten die Garantie von Bildung, Gesundheit, Pflege und Umwelt ... das ist Freiheit.“

RÜCKBLICKE: * (1933) Nazi-Bücherverbrennung in Berlin. * (1939) Nur knapp zwei Monate nach Baubeginn befinden sich im Aufnahmelager und späteren Konzentrationslager Gurs 18.985 Flüchtlinge aus dem Spanienkrieg, darunter 6.555 Basken. * (1973) Junge saharauische Aktivisten gründen in der West-Sahara die Frente Polisario zur Befreiung ihres von Marokko kolonisierten Landes. * (1981) In Almeria sterben drei junge Menschen aus Kantabrien, die von der Guardia Civil mit ETA-Aktivisten verwechselt und gefoltert wurden.

(2021-05-09)

VON ETHIK UND KORRUPTION

“Gogora“ heißt auf Baskisch “erinnern“ und ist der Name des Instituts der baskischen Regierung, das sich mit der historischen Erinnerung, den Opfern von Krieg und Diktatur auseinandersetzen soll und die Basis schaffen für eine friedliche Koexistenz in der komplizierten baskischen Gesellschaft. Eine Aufgabe, die nicht einfach politisch und historisch orientiert ist, sondern eine Reihe von moralischen und ethischen Elementen aufweist.

Im Laufe der wenigen Jahre Arbeit hat Gogora Ausstellungen, Ehrungen, Erinnerungs-Akte, wissenschaftliche Vorträge und Publikationen organisiert, die insbesondere von der antifaschistischen und erinnerungs-politischen Bewegung gerne angenommen wurden. Von den Mitarbeiterinnen wird man ernst genommen, sie rufen auch schon mal zu Hause an und fragen nach Information oder Aktivitäten.

mai73x09Das steht im Gegensatz zu einem Fauxpas, der nicht zu verzeihen ist. Wenn öffentliche Einrichtungen Ausschreibungen machen für externe Dienstleistungen, gibt es verschiedene Protokolle oder Vorgehensweisen, die Vetternwirtschaft und Gemauschel vermeiden sollen. Dazu gibt es eine Ethik-Kommission, die zusätzlich über korrektes Verhalten wachen soll. Für eine Ausstellungsreihe brauchte Gogora vor drei Jahren verschiedenen Großzelt-Konstruktionen im Wert von 700.000 Euro. Die wurden “frei Schnauze“ vergeben, das heißt, an den Protokollen vorbei. Nutznießer war ausgerechnet eine Firma, die einem Parlaments-Abgeordneten der PNV gehört. Als die Opposition davon Wind bekam, behauptete der Regierungssprecher (ebenfalls PNV), die Ausschreibung sei von der Ethik-Kommission geprüft und nicht beanstandet worden. Fürs erste also Schwamm drüber.

Als ein linker Abgeordneter in anderer Sache zwei Jahre später nachfragte, wie viele Anfragen die Kommission bisher zu bearbeiten hatte, erhielt er eine überraschende Antwort: es waren nur zwei, und die von Gogora war nicht dabei. Jemand hatte gelogen. Es ist ein altes Geheimnis, dass Korruption im Baskenland anders funktioniert als im Staate. In Madrid und umzu wird direkt in die Kassen gegriffen, Barbeträge gehen über den Tisch, oder es wird kassiert für nicht existierende Gegenleistungen (wie der Schwager des Königs).

Im Baskenland funktioniert dies eher dezent. Wenn Jobs in der Verwaltung frei werden, wird nach Leuten mit Parteibuch Umschau gehalten. Derzeit läuft ein Verfahren wegen Weitergabe von Prüfungsfragen für öffentliche Stellen-Ausschreibungen. Oder eben die Gogora-Variante: der Schwager der Abgeordneten X hat ein Unternehmen, das dies und das liefern kann. Es gab Fälle, in denen solche Unternehmen nach dem Ausgliedern von öffentlichen Diensten extra gegründet wurden. Das schafft Loyalität, die nicht zuletzt in Parteispenden zum Ausdruck kommt.

Den Chef-Job bei Gogora macht übrigens eine studierte Journalistin, die es über die Jahre gut verstanden hat, sich durch die Parlamente und Institutionen zu hangeln. Erst ein kurzer Durchlauf beim baskischen Fernsehen, dann hauptamtlich als Friedensvermittlerin einer zivilgesellschaftlichen Organisation. Danach als Abgeordnete der Batasuna-Abspaltung Aralar, bis zu dem Zeitpunkt, als ETA Auflösungs-Erscheinungen zeigte und ihre Partei sich wieder der baskischen Linken zuwandte. Nächste Station war das neu geschaffene Friedens-Sekretariat der baskischen Regierung, in dem verschiedene Friedens-Macherinnen großzügige Aufnahme fanden. Eine Art Vorläufer-Institution von Gogora, das zur logischen Nachfolgerin wurde. Baskische Verhältnisse, baskische Korruption. Hier wird sowas “politische Drehtür“ genannt.

RÜCKBLICKE: * (1976) Ulrike Meinhof wird in ihrer Zelle im Gefängnis Stammheim tot aufgefunden. Eine internationale Kommission bezweifelt die offizielle Selbstmord-Version. * (1976) Bei der traditionellen Bergwanderung am Montejurra-Berg (Navarra) kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Karlisten, es kommt zu zwei Toten. * (1983) In Galdako/Bizkaia sterben sieben Arbeiter bei der Explosion in der Sprengstofffabrik Rio Tinto. * (1994) Nelson Mandela wird vom neugewählten südafrikanischen Parlament zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt. * (2012) Der Fußballclub Athletic Bilbao verliert das zweite Europacup-Finale seiner Geschichte mit 3:0 gegen Atletico Madrid.

(2021-05-08)

POLIZEIBRUTALITÄT GEGEN JUGENDPROTEST

Eine Demonstration der linken Jugendorganisation Ernai zum Thema Lage der Jugend im Baskenland während der Pandemie endete gestern mit einem brutalen Polizeieinsatz. Bis zur Abschluss-Kundgebung verlief alles relativ ruhig, einige Teilnehmer*innen platzierten Matratzen auf der Straße, wodurch der Verkehr kurzzeitig behindert wurde. Laut rechter Presse soll versucht worden sein, am Endpunkt – der Parteizentrale der rechten PNV – Farbbeutel an die Wand zu werfen. In jedem Fall kam der brutale Einsatz der Ertzaintza-Polizei überraschend, wahllos wurden Jugendliche mit Gummiknüppeln verprügelt, die Gewaltorgien zogen sich durch ein ganzes Kneipenviertel der Innenstadt. In Bilbao wurden sieben Personen verhaftet, in Gasteiz eine Person, sie wurden am frühen Morgen freigelassen. Als Folge der Verhaftung wurde einer der Festgenommenen mit einer ausgekugelten Schulter ins Krankenhaus eingeliefert, in Gasteiz ebenfalls, nachdem sich vor dem baskischen Parlament regelrechte Menschenjagden abspielten.

mai73x08Die Mobilisierung startete ohne Probleme vor dem Sitz der Baskischen Regierung in der Gran Via, wo streikende Arbeiter und im Dauerprotest befindliche Rentner*innen Erklärungen zur Unterstützung vorlasen. Dann ging es zum Jardines de Albia Park, dem Sitz der Regierungspartei PNV. Wenige Minuten nachdem zwei Mitglieder von Ernai ein Kommuniqué verlesen hatten, stürmten die Ertzaintza auf die Demonstranten zu, begannen zu prügeln und verhafteten mehrere Personen. Verschiedene Videos in sozialen Medien zeigen die Brutalität des Polizeieinsatzes. Verschiedene Polizisten trugen spanische Armbänder und solche einer ultrarechten Polizeiorganisation. Eine Gruppe von Demonstrant*innen ging anschließend zur Polizeistation von Deustu, um Solidarität mit den Inhaftierten zu zeigen, dort gab es erneut Polizeiprügel.

Der Tag der Mobilisierung hatte den Slogan "Larrialdi egoeran gaude" (Unsere Situation ist beschissen) und thematisierte die Situation der Jugend in der Pandemie. "Die gestrige Gewalt durch die Ertzaintza verschärft diese Situation zusätzlich, deshalb werden wir auch heute auf die Straße gehen, um die Gewalt anzuprangern und unseren Forderungen Gehör zu verschaffen". Bilbo, 19.30h Moyua-Platz, Gasteiz, 20h, Virgen Blanca. Bereits am Morgen hatten mehrere Proteste stattgefunden, einer davon vor dem Regierungssitz, wo von der Polizei Plastikgeschosse eingesetzt wurden. (VIDEOS)

RÜCKBLICKE: * (1945) Mit der Kapitulation von Nazi-Deutschland endet in Europa der Zweite Weltkrieg. Franco-Spanien war offiziell neutral und beginnt nun, flüchtende Nazis aufzunehmen oder nach Lateinamerika zu schleusen. * (1995) ETA entführt den baskischen Industriellen José María Aldaya.

(2021-05-07)

WENN DIE PATENTE FALLEN …

Ausgerechnet der Chef der US-Imperialisten hat den Vorschlag gemacht, die Impf-Patente der Pharma-Mafia auszusetzen, um sicherzustellen, dass die ganze Welt mit Impfstoffen versorgt wird. Die Idee blieb nicht ohne Folgen, die Börsennotierungen der Coronavirus-Impfstoff-Hersteller fielen. Tatsache ist, dass die Pharma-Mafia die Pandemie schamlos ausnutzt, um Milliarden zu verdienen mit Produkten, die lange nicht ausgereift sind. In den reichen Ländern ist dieser Geld-Transfer zwar denkbar, aber die armen Länder sind weit davon entfernt, die horrenden Preise zu bezahlen, für ihre teilweise riesigen Bevölkerungen. Ein Aussetzen der Patente würde nichts anderes bedeuten, als den Kapitalismus für kurze Zeit und auf konkrete Produkte bezogen, außer Kraft zu setzen.

mai73x07So kam es, dass die Aktien von Pfizer, BioNTech, Moderna, Novavax oder Johnson & Johnson, die bereits am Mittwoch von der Nachricht betroffen waren, sich an der Börse erneut im Minusbereich wiederfanden. Am heftigsten traf es Moderna, dessen Aktien um 7,39% fielen. Die US-Firma gab bekannt, dass sie zwischen Januar und März Impfstoffe gegen Covid-19 im Wert von 1,7 Milliarden Dollar verkauft hat und zum ersten Mal einen Quartalsgewinn erzielen konnte. Das Produkt ist jedoch praktisch die einzige Einnahmequelle des Unternehmens, das nach der Ankündigung der Regierung Biden um seine Investoren bangt.

Man muss kein Markt-Analyst sein, um vorherzusehen, dass eine Patent-aussetzung, wenn sie denn beschlossen wird, bei den entsprechenden Unternehmen zu erheblichen Profitverlusten führen würden. Die Aktien von Pfizer fielen um 2,25%, während die des Partners bei der Entwicklung des Impfstoffs gegen Kuhpocken, des deutschen Labors BioNTech, um mehr als 6% zurückgingen.

Die Werte von Novavax fielen um 4,31%, während Johnson & Johnson, ein Gigant mit vielen anderen Geschäftsbereichen, nur leicht um 0,16% verlor. Nach der Ankündigung der USA sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission (EK), Ursula von der Leyen, Europa sei bereit, den Vorschlag zur Aussetzung von Patenten zu diskutieren, der im Oktober 2020 von Indien und Südafrika vorgelegt worden war und von den reichen Industrieländern bisher abgelehnt wurde.

RÜCKBLICKE: * (1945) Nazi-Militärs unterzeichnen das Kapitulations-Abkommen, das am folgenden Tag in Kraft tritt. * (1981) ETA tötet in Madrid drei Militärs der königlichen Wache durch eine Autobombe.

(2021-05-06)

TOURISMUS INNOVATIV

Die Tourismus-Branche setzt in der mit Sicherheit größten Krise ihrer Geschichte auf neue Werte: neben Sonne, billig, Strand, Sex, exotisch ist “maskenfrei“ der neue Schlager. Das liest sich so:

mai73x06“Zehn Reiseziele, die Sie diesen Sommer ohne Gesichtsmaske bereisen können: Das massive Eintreffen von Impfstoffen in den meisten Ländern, Restriktionen, Einschränkungen und die erhöhte Verantwortung der Bürger haben dazu geführt, dass die Covid-Fälle in vielen Ländern deutlich zurückgegangen sind und der Horizont für Auslandsreisen in den kommenden Monaten etwas klarer aussieht. Obwohl alles mit Vorsicht zu genießen ist und sich die Dinge langsam normalisieren, ist es nicht schlecht, die Reiseziele zu überprüfen, die für eine baldige Reise sicherer erscheinen, mit allen Vorsichtsmaßnahmen, da sich die Dinge jederzeit ändern können. Dennoch gibt s Reiseziele, wo es keine oder nur minimale Anforderungen gibt. Hier zehn Orte, zu denen man diesen Sommer ohne Maske reisen kann.“ Zum Beispiel:

“Thailand hat sich für eine stufenweise Öffnung für geimpfte Touristen entschieden, mit Phuket als zentralem Ziel, die Insel kann ab 1. April mit einer siebentägigen Quarantäne besucht werden, die touristische Freizeitaktivitäten erlaubt. Reiseversicherung und feste Hotelreservierung sind erforderlich. Die nächsten Ziele sind Krabi, Phang Nga, Ko Samui, Pattaya und Chiang Mai. Bangkok und sein geschäftiges Treiben werden warten müssen. Thailand hat gerade das neue Online-Informationszentrum "Entry Thailand" für geimpfte internationale Besucher gestartet.“

Das Beispiel Zypern zeigt: Reisen kann, wer geimpft ist oder einen Test nachweist. Zusätzliche Voraussetzung ist selbstverständlich das nötige Kleingeld auf dem Konto. Reisen also für Mittelklasse aufwärts, denn bekanntlich hat die Pandemie die Wohlstandsschere weiter geöffnet. Reif für die Insel?

“Geimpfte Touristen aus Großbritannien waren die ersten, die ab dem 10. Mai ohne Quarantäne oder Tests nach Zypern einreisen dürfen, für die übrigen und weitere 65 Länder haben die zypriotischen Behörden eine neue Klassifizierung eingeführt, um die Einreise-Beschränkungen zu bestimmen. Personen, die aus Spanien kommen (Rote Kategorie), können frei einreisen, wenn sie geimpft sind oder mit einem negativen PCR-Test vorweisen, der 72 Stunden vor Reiseantritt durchgeführt wurde, und sich bei der Ankunft am Flughafen Larnaca oder Paphos einem zweiten Test unterziehen. Solange das Testergebnis nicht vorliegt, muss der Reisende in Isolation bleiben. Etwas Ähnliches wird im benachbarten Griechenland praktiziert.“

RÜCKBLICKE: * (1924) In Bermeo/Bizkaia wird Nestor Basterrextea geboren, einer der großen Maler, Bildhauer und Filmregisseure des 20.Jh. * (1937) Auf dem Seeweg beginnt die Evakuierung der baskischen Bevölkerung während des Spanienkriegs. * (1979) Attentat der faschistischen Todesschwadron in BVE (Spanisch-Baskisches Bataillon) in Gipuzkoa. * (1998) ETA tötet in Pamplona den Sprecher der rechten Partei UPN.

(2021-05-05)

ERINNERUNGS-VERLUST – NACHTRAG ZUM 1. MAI

Chicago ist voll von Fabriken. Selbst im Herzen der Stadt, rund um das (einst) höchste Gebäude der Welt, gibt es Fabriken. Chicago ist voll von Fabriken, Chicago ist voll von Arbeitern. Als ich auf dem Haymarket ankomme, bitte ich meine Freunde, mir den Ort zu zeigen, an dem 1886 jene Arbeiter gehängt wurden, denen die ganze Welt den 1. Mai verdankt. “Es muss hier sein", sagen sie mir. Aber so genau weiß es niemand. An der Gedenkstätte der Märtyrer in der Stadt Chicago wurde keine Statue errichtet. Kein Denkmal, kein Monolith, keine Bronzetafel, kein Nichts.

mai73x05Der erste Mai ist der einzige wirklich universelle Tag der gesamten Menschheit. Der einzige Tag, an dem alle Geschichten und Geographien, alle Sprachen, Religionen und Kulturen der Welt zusammenkommen. Aber in den Vereinigten Staaten ist der erste Mai nur irgendein ein Tag unter vielen anderen. An diesem Tag arbeiten die Menschen ganz normal, und niemand, oder fast niemand, erinnert sich daran, dass die Rechte der Arbeiterklasse weder auf den verrückten Einfall eines unbekannten Philosophen zurückgehen noch von der Hand Gottes geschaffen wurden.

Nach der vergeblichen Erkundung des Haymarket nehmen mich meine Freunde mit in die beste Buchhandlung der Stadt. Und dort entdecke ich rein zufällig ein altes Poster, das zwischen vielen anderen Film- und Rockmusik-Plakaten auf mich wartet. Das Plakat wiederholt ein Sprichwort aus Afrika: "Solange Löwen ihre eigenen Historiker haben, werden Jagdgeschichten weiterhin den Jäger verherrlichen." (Eduardo Galeano)

RÜCKBLICKE: * (1818) In Trier wird Karl Marx geboren. * (1945) Befreiung der Nazi-Konzentrationslagers Mauthausen in Österreich durch US-Truppen. * (1981) Am 66. Tag seines Hungerstreiks stirbt in Nordirland der IRA-Aktivist und gewählte Parlaments-Abgeordnete Bobby Sands. * (1982) Tödliches ETA-Attentat gegen den Chefingenieur des in Lemoiz gebauten AKW, Angel Pascual Mugica, Nachfolger des ebenfalls erschossenen Jose Maria Ryan 15 Monate zuvor. * (2009) Wahlen zum baskischen Parlament, die baskische Linke wird für illegal erklärt, die Stimmen-Proportionen verändert sich, der PSOE-Kandidat Patxi Lopez wird zum Ministerpräsidenten gewählt.

(2021-05-04)

KEIN ALIBI FÜR DEN HOCHGESCHWINDIGKEITSZUG

Forscher der baskischen Universität UPV/EHU kommen zu dem Schluss, dass die Nachfrage den Bau des AHT-TAV Schnellzugs nicht rechtfertigt. Die Ekopol-Forschungsgruppe der UPV/EHU ist der Meinung, dass die Entscheidung, den AHT-TAV in Süd-Euskal-Herria, sowie im Valencia-Korridor zu bauen, aufgrund der zu erwartenden geringen Nachfrage der Nutzerinnen nicht gerechtfertigt ist (AHT – Baskisch: Abiadura Handiko Trena / TAV – Spanisch: Tren de Alta Velocidad).

mai73x04Der Streit geht bereits 15 Jahre lang. Niemand bezweifelt, dass das bergige Baskenland eine bessere Zugverbindung braucht. Die Gewerkschaften haben deshalb vor langer Zeit schon einen Sozialen Zug vorgeschlagen, eine Ausbau des bestehenden Schienennetztes durch Euskadi mit Verbindung nach Navarra. Durchgesetzt hat sich jedoch das europäische Modell, das auf Metropolen-Verbindungen setzt, von Berlin über Paris nach Madrid oder Lisboa. Ein solcher Schnellzug kann per se nicht in jeder Kleinstadt halten, ohne seinen Charakter zu verlieren. Als Verbindungsmittel zwischen baskischen Städten ist er deshalb wertlos. Im krassen Gegensatz zu dieser Nicht-Nützlichkeit für die Region steht der enorme Verbrauch an Bergen, Tälern und ökologischen Ressourcen, es ist der größte bauliche Eingriff der Geschichte des Baskenlandes.

Die Forscher haben die Notwendigkeit des AHT-TAV im spanischen Staat analysiert. Zugrunde gelegt wurden Kriterien wie die angebliche Reduzierung der Umweltfolgen und des Energieverbrauchs durch den neuen Zug. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Bau der Korridore Levante und Nord aufgrund der geringen Nachfrage nicht gerechtfertigt ist. "Die meisten Studien zu diesem Transportmittel haben sich auf die Einsparungen durch den Betrieb des Zuges konzentriert. Sie ignorieren aber die gesellschaftlichen und ökologischen Belastungen, die mit dem Bau der Infrastruktur verbunden sind", so einer der UPV/EHU-Forscher.

Die Ekopol-Forschungsgruppe hat die Umweltbilanz aller AHT-Linien, die 2016 in Spanien in Betrieb waren, mit einem kompletten Bestandsdauer-Zyklus analysiert und berechnet, das heißt, neben der Betriebsphase des Zuges werden auch die Bau- und Wartungsphasen berücksichtigt. "Die Methode des vollständigen Existenz-Zyklus umfasst alle Auswirkungen und Kosten, die der Zug während seiner gesamten Existenz erzeugt, von den Rohstoffen bis zum Abriss des Schienennetzes", erklärte Kortazar, der darauf hinwies, dass für die Studie eine Bestandsaufnahme des gesamten Netzes mit Luft- und Satellitenaufnahmen der vier AHT-Korridore durchgeführt wurden. Im Fall des Nord-Korridors (Euskadi und Navarra), wo die Bauphase deutlich länger dauert als ursprünglich geplant, ist das Projekt noch viel weniger gerechtfertigt.

WEDER ENERGIE-EINSPARUNG NOCH EMISSIONS-MINDERUNG

Die Umweltbilanz kommt zu dem Ergebnis, dass die Variable mit dem größten Einfluss die Transport-Nachfrage ist. "Der spanische TAV hat insgesamt 4,7 Millionen Passagier-Kilometer (oder entsprechende Passagiere) pro Jahr. Das ist eine geringere Dichte als der Transport in anderen Ländern (der französische Staat hat 25 Millionen, Deutschland 11 Millionen, China 18 Millionen, Taiwan 30 Millionen und Japan 99 Millionen)", wird betonte. "Die Umweltbilanz der Korridore Andalusien und Katalonien ist relativ bescheiden – der Bau der Korridore Levante und Nord ist jedoch aufgrund der geringen Nachfrage in Bezug auf Energie-Einsparung und Emissions-Reduzierung nicht gerechtfertigt.

Die Entscheidung, neue Abschnitte des AHT zu bauen, sollte daher auf einer Analyse der Nachfrage beruhen, so dass nur Korridore mit hoher Verkehrsnachfrage gebaut werden, fügte der Forscher hinzu. Gleichzeitig hat die Studie festgestellt, dass "nur um die Umwelt-Folgen des Baus zu kompensieren, der TAV 15 Jahre lang betrieben werden müsste. Die Verbesserung bei den Emissionen, die durch das Schienennetz innerhalb eines Jahres verursacht wird, "entspricht nur 1% der gesamten CO2-Emissionen des Verkehrs in Spanien", sagte er.

VOLLE ZÜGE, LEERE STRASSEN

Laut Ecopol ist es wichtig, dass die Züge immer voll sind, dass sie auf jeder Fahrt so viele Menschen wie möglich transportieren und dass alle Fahrgäste von den Straßen geholt werden. Die Forscher sind der Meinung, dass der TAV nicht die einzige und aktuelle beste Lösung für einen ökologischen Übergang in Spanien ist. Sie weisen auch darauf hin, dass die politisch Verantwortlichen andere Maßnahmen beschließen sollten, die die Umweltbelastung stark und schnell reduzieren, ohne die Konsequenzen des Baus neuer Infrastrukturen in Kauf zu nehmen. (Quelle)

RÜCKBLICKE: * (1863) Nach einer hitzigen Rats-Debatte wird in Donostia (San Sebastián) damit begonnen, die Stadtmauer einzureißen. Damit endet die historische Etappe der Festungsstadt, Donostia wird erweitert und erfüllt Hauptstadt-Funktion. * (1890) Die sozialistische Partei PSOE ruft zusammen mit der anarchistischen CNT in Bilbao zur ersten 1-Mai-Demonstration der spanischen Geschichte auf. Hauptforderung ist der 8-Stunden-Tag. Nach Verhandlungen mit den Behörden findet die Demonstration am 4.Mai statt, einem Sonntag, damit den Bergwerken und Fabriken kein Arbeitstag verloren geht. *(1937) In den von den Franquisten besetzten baskischen Gebieten (nur Bilbao ist noch in republikanischer Hand) wird die baskische Schreibweise verändert, der häufig vorkommende Zischlaut tx wird ersetzt durch das gleich klingende spanische ch. Baskische Namen werden verboten. * (1938) Während der Spanienkrieg noch im Gang ist, erkennt der Vatikan die aufständischen Faschisten um General Franco als legitime Regierung Spaniens an, entgegen der Tatsache, dass die republikanische Regierung demokratisch gewählt wurde. * (1979) Bei einem Attentat in Biarritz wird der ETA-Führer Txomin Iturbe verletzt, zehn Jahre später verhandelt er in Algier im Namen ETAs mit der spanischen Regierung. Er stirbt bei einem Autounfall in Algerien. * (2018) In Kanbo (frz: Cambo-les-Bains) trifft sich eine Gruppe internationaler Konflikt-Beobachter*innen. Sie bestätigen das Ende der Untergrund-Organisation ETA.

(2021-05-03)

BASKISCHE JOURNALISTEN ERSCHOSSEN

Bei Recherche-, Foto- und Dreharbeiten zum Thema Wilderei in einem Naturpark von Burkina Faso wurden vier Personen bei einem Überfall getötet, darunter zwei Basken aus Bizkaia und Navarra. Eigentlich waren die Filmarbeiten gut abgesichert, durch eine NGO, die ihre Mitarbeiter auf solcherart Zwischenfälle vorbereitet hatte, daneben waren UN-Sicherheitskräfte und Soldaten der staatlichen Armee zur Begleitung eingesetzt.

mai73x03Sie alle konnten jedoch nichts ausrichten gegen eine mehr als 30-köpfige Gruppe von islamistischen Angreifern, die mit Motorrädern operierten. Die aus zwei Fahrzeugen bestehende Film- und Armee-Truppe wurde auseinander getrieben, die Journalisten und ein irischer NGO-Mitarbeiter versteckten sich in einem Wald, wurden aufgespürt und aus nächster Nähe erschossen, vorher schon ein Armeeangehöriger. Zwei weitere Namen auf einer langen Liste von Medienarbeitern, die bei ihrer Arbeit in Konfliktgebieten getötet werden.

Die beiden Basken hatten einen guten Ruf als gründliche und kritische Personen, die nicht auf der Suche nach irgendwelchen Sensationsberichten waren, sondern an seriösen Dokumentarfilmen arbeiteten. Erst ein Woche zuvor lief ein solcher Dokfilm im spanischen Fernsehen.

Die beiden Basken hatten seit 2002 immer wieder zusammengearbeitet, unter anderem in Afghanistan, Sudan, Kolumbien, Libyen, Pakistan und bei der Invasion des Irak. Gleichzeitig widmeten sie sich aber auch Themen im eigenen Land, wie die Mafia im spanischen Staat und in deren Auftrag bestellte Killer.

RÜCKBLICKE: * (1983) Mehr als 1 Million Menschen versammeln sich in Bilbao, um das Gabarra-Schiff zu sehen, mit dem das Meisterteam von Athletic Bilbao den Fluss hinauf fährt. * (1984) Von spanischen Politikern, Militärs und Faschisten organisierte Todesschwadrone (GAL) ermorden im Nord-Baskenland (Iparralde, französischer Teil des Baskenlandes) einen Aktivisten und verletzen einen zweiten. * (1987) Der fünfte Korrika-Solidaritätslauf für die baskische Sprache startet in Hendaia (frz: Hendaye) im französischen Baskenland und endet neun Tage später in Bilbao. * (2018) In einem Video erklärt Josu Urrutikoetxea “Ternera“ als Sprecher der Untergrund-Organisation ETA, dass diese nach einer Umfrage unter 3.000 Militanten, von denen die Hälfte stimmberechtigt war, sich demobilisiert und alle ihre Strukturen aufgelöst hat.

(2021-05-02)

TREIDLERINNEN IN BILBO

Am Nervion-Fluss unweit der Kunsthalle mit G-Effekt wurde die Skulpturen-Gruppe “ZIRGARIAK“ eingeweiht. Sie soll eine Anerkennung der Arbeit von Frauen darstellen und die Anstrengungen der Stadt zugunsten der Gleichberechtigung der Geschlechter symbolisieren. Ausgerechnet zum 1. Mai (an dem von den Senator*innen sicher niemand auf die Straße geht) wurden die "Zirgariak", eine Arbeit der bekannten Künstlerin Dora Salazar, in Szene gesetzt.

mai73x02Aber was sind denn nun Zirgariak (spanisch: sirgueras)? Der deutsche Begriff ist Treidlerinnen und muss erklärt werden. Die Treidel-Arbeit bestand darin, kleinere Schiffe in Häfen zu ziehen, die nicht direkt am Meer lagen. Auf dem Weg von Getxo nach Bilbao zum Beispiel war am rechten Flussufer ein Weg, auf dem Gruppen von Frauen die Schiffe mit dicken Seilen in den Hafen nahe der Altstadt zogen, wenn die Gezeiten dies zuließen. Nicht überall war dies Frauenarbeit, in Ilya Repins berühmtem Gemälde “Wolgatreidler“ zum Beispiel waren es zerlumpte ausgemergelte Männer, die ein Schiff durch den Fluss zogen.

Im spät-mittelalterlichen Bilbo war dies eine Angelegenheit für Frauen. Irgend jemand soll einst die Frage gestellt haben, weshalb eine so harte Arbeit ausgerechnet von Frauen ausgeübt wurde, und nicht zum Beispiel von Zugtieren. Die Antwort war klar und zynisch zugleich: Frauen waren billiger als Ochsen. Die Frauen gingen nach der Arbeit nach Hause, die Ochsen mussten weggebracht und versorgt werden.

Weil an die unsichtbare Arbeit von Frauen erinnert werden soll, und daran, dass “Arbeiterinnen zum Aufbau der Gesellschaft beigetragen, Wohlstand geschaffen und maßgeblich dazu beigetragen haben, so viele Familien im Laufe der Geschichte über die Runden zu bringen“, bilden nun vorübergehend vier weibliche Figuren die Skulptur "Zirgariak" (am Paseo Uribitarte). Jede der Figuren ist 2,50 Meter hoch.

Nicht zum ersten Mal werden die Treidlerinnen in Bilbo auf das Erinnerungs-Podest gestellt. Vor vier Jahren wurden für neue Plätze und Straßen der Stadt Frauen-Namen ausgegeben, weil das weibliche Geschlecht im Straßen-Verzeichnis völlig unterrepräsentiert ist. Dazu ist die Hälfte der weniger als 5% Frauennamen Heiligen und Jungfrauen vorbehalten, was das Panorama zusätzlich patriarchaler gestaltet. Die Zirgariak-Sirgueras sichtbar zu machen ist ein wohlgemeinter Schritt, dem Tausende von weiteren Maßnahmen folgen müssen, um das zu erreichen, was die Politik Gleichberechtigung nennt. Diese Abschaffung des Patriarchats wird sicher nicht in irgendeinem baskischen Rathaus beschlossen, sondern auf der Straße erkämpft werden.

RÜCKBLICKE: * (1879) Gründungstag der Spanischen Sozialistischen Partei (Pablo Iglesias), die jedoch erst 1881 legalisiert wird und solange im Untergrund existiert. * (1989) Spanien unterzeichnet die Europäische Konvention zur Verhinderung von Folter, 25 Jahre später beklagt die EU, dass Folter in Spanien an der Tagesordnung ist. * (2011) Osama Bin Laden wird in Pakistan bei einer Kommando-Aktion der US-Armee erschossen.

(2021-05-01)

BASKULTUR.INFO AM ERSTEN MAI

Das in Hannover ansässige freie Radio Flora hat am heutigen 1. Mai einen Mitarbeiter der Redaktion Baskultur.Info zu einer Radio-Reportage über die sozialen und politischen Folgen der Coronavirus-Pandemie und die Gewerkschaftspolitik eingeladen. In einem halbstündigen Interview war es selbstverständlich nicht möglich, alle vorbereiteten Gedanken unterzubringen. Deshalb an dieser Stelle eine kurze vorläufige Bilanz der vergangenen 15 durch die Pandemie geprägten Monate.

WAS HAT CORONAVIRUS GEBRACHT?

In den Armen-, Arbeiter und Migrations-Vierteln brachte die Pandemie offenen Polizei-Rassismus gegen Migrantinnen, in Form von willkürlichen Kontrollen mit verbaler und physischer Gewalt. Nachbarinnen, die die Gewaltakte filmten, wurden mit Bußgeldern belegt. Zu Beginn des Lockdowns gab es den Versuch einer Militarisierung auf den Straßen, Militärtrupps wurden zur Desinfizierung von öffentlichen Einrichtungen eingesetzt (eigentlich Aufgabe der technischen Hilfsdienste) und teilweise führten sie Ausweiskontrolle auf der Straße durch (eigentlich Polizeiaufgabe). Das führte ebenso zu lautstarken Protesten wie die ständige Anwesenheit von Militärs bei den täglichen Covid-Pressekonferenzen der Regierung. Beides wurden fortan unterlassen, die Militärs verschwanden von der Bildfläche. Unter einer Zentralregierung mit anderen ideologischen Vorzeichen hätte das Bild anders ausgesehen.Der Polizeistaat im Baskenland (nirgendwo anders gibt es derart viel Polizei) wurde aufgerüstet, weil sich viele Personen nicht an die Beschränkungs-Maßnahmen hielten. Jede Regelverletzung war ein perfektes Alibi für eine immer intensivere Polizeipräsenz.

mai73x01Die Armen wurden komplett im Stich gelassen, viele hatten nichts mehr zu essen oder konnten ihre Miete nicht mehr bezahlen – ganz nach dem internationalen Fazit: die Reichen reicher und die Armen ärmer. Die Armenküchen und karitativen Lebensmittel-Verteiler waren überfordert. Auf der anderen Seite wurden umgehend nachbarschaftliche und regionale Hilfsnetze aufgebaut, zur gegenseitigen Hilfe. Dieser Aufbau wurde von den Behörden zwar behindert, setzte sich jedoch durch. Zeitweise hatten diese wohlgemeinten Netze keine Anfragen, weil die Nachbarschaften oder Hausgemeinschaften auf individueller Ebene näher dran waren und Probleme gelöst haben. Bestimmte Läden in den Armenvierteln gaben kostenlos Lebensmittel ab an Bedürftige, gleichzeitig wurden Kassen aufgestellt, für Spenden, um die Lebensmittel zu bezahlen.

Aus diesen Lockdown-Netzen sind teilweise Basis-Gewerkschaften geworden. Dabei geht es um Themen, die die großen Gewerkschaften nicht angehen wollen oder können. Wie Zwangsräumungen, Mobbing bei der Arbeit, oder sklavenähnliche Ausbeutung. Diese außer-institutionelle Organisierung von Teilen der Bevölkerung ist ein ausgesprochen positiver Effekt der sogenannten Pandemie-Krise, sie umfasst alle Altersgruppen, vor allem aber junge Leute.

GRUNDRECHTE

Zur Einschränkung von Grundrechten (wie in Deutschland) ist es im Baskenland bzw. im spanischen Staat nicht gekommen (abgesehen von Lockdown und Ausgangssperre, die als temporär verstanden werden, das entsprechende Alarm-Gesetz läuft am 9. Mai aus). Ein Grund dafür ist, dass es mit den Grundrechten im post-franquistischen Staat ohnehin nicht weit her ist. Dass Journalistinnen, Theaterleute oder Rapper wegen ihrer politischen Aussagen eingesperrt werden, ist nicht der Pandemie geschuldet, sondern ein bereits vorher existierendes Übel. Das sogenannte Maulkorb-Gesetz (mordaza) der Rajoy-Regierung stellt alles unter Strafe, was die Polizei willkürlich als Vergehen interpretieren will. In Katalonien werden Politikerinnen eingesperrt, die Wahlen ausschreiben. Der Führergruß wird mehr und mehr zum Tagesgebrauch faschistischer Kräfte. Die Kontaktsperre von 5 bzw. 10 Tagen ermöglicht der Polizei jegliche Art von Misshandlung. Spanische Demokratie. 

Selbst die (in Deutschland durchgesetzte) Impfpflicht war nur kurz in der Diskussion und wurde von der Regierung selbst abgewehrt. Die politischen Debatten im Baskenland drehten sich während der Pandemie stark um die Frage von regionalen Entscheidungs-Kompetenzen (Autonomie-Statute) gegenüber staatlichem Zentralismus, die in Euskadi regierende rechte PNV beschwerte sich 15 Monate lang bitter über zentralistische Ignoranz in Madrid. Direkt mit Ursache, Umgang und Folgen der Pandemie zusammenhängende Themen wurden dabei vernachlässigt.

UMGANG MIT DER PANDEMIE

Wir als Linke im Baskenland gehörten mit zu den diszipliniertesten aller Bevölkerungs-Gruppen. Wir haben die gesetzlichen vorgeschriebenen Restriktionen manchmal unwillig, aber schnell bei Demonstrationen und Veranstaltungen aller Art umgesetzt. Was von außen gesehen als Unterwürfigkeit betrachtet werden kann, war tatsächlich ein politischer Pragmatismus, der darauf abzielte, politische und kulturelle Arbeit weiterführen zu können: Demos, Kleinkonzerte, Informations-Veranstaltungen, Flohmärkte, kleine Buchmessen. Dieses Ziel wurde erreicht, die politischen Aktivitäten stagnierten nicht, im Gegenteil, selbst unter den Voraussetzungen des Lockdown der ersten drei Monate wurde über Internetmedien weitergearbeitet. Die formale Akzeptanz der Regeln war auch eine Taktik, der Konfrontation mit der Polizei aus dem Weg zu gehen. Nach Beginn der Lockerungen im Mai 2020 wurde täglich von illegalen Partys, verabredeten Schlägereien oder Besäufnissen berichtet, die zu einer Unzahl von Auseinandersetzungen mit der Polizei führten. Auch in dieser Hinsicht blieb die linke Bewegung makellos.
Weil sich das Leben hier stark auf Straße und Plätzen abspielt (mediterrane Mentalität), hat uns die Schließung der Gaststätten besonders hart getroffen, sie sind für viele der kommunikative Lebensmittelpunkt. Infolge der Verbote haben sich Beziehungen verändert, mit den Verboten oder Schließungen haben sich Gewohnheiten und Bewegungswege verändert haben, bestimmte Personen verschwanden von der Bildfläche, die sozialen Beziehungen haben sich aufgrund von räumlicher Nähe teilweise neu gemischt.

WAS KÖNNEN WIR LERNEN?

Das vergangene Jahr war bei aufmerksamer Betrachtung eine einmalige Gelegenheit, den Kapitalismus und seine Funktionsweise intensiv zu studieren. Soziale Ausgrenzung, Nichtversorgung von Mittellosen waren an der Tagesordnung, die ambulanten Verkäufer, Afrikaner und Latinas, verloren sämtliche Einkünfte, ebenso Prostituierte, Obdachlosigkeit war “verboten“.

Zu Beginn der Pandemie-Krise war viel von Kapitalismus die Rede, das kapitalistische System sei möglicherweise nicht in der Lage, auf solche Krisensituationen adäquat und für die gesamte Bevölkerung zu reagieren; oder dass die Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen wie der Gesundheits-Versorgung problematisch sein könnte. Solche kritischen Nachfragen waren überraschenderweise sogar in der bürgerlichen Presse zu finden. Desgleichen kritische Stimmen zu Tourismus, Gentrifizierung und Massen-Tourismus. Nach einem Jahr lässt sich feststellen, dass diese kritischen Stimmen opportunistisch waren, dem Zeitgeist geschuldet, sie sind allesamt schon seit Herbst verschwunden.

Von Analysen zum Ursprung der Pandemie und zu notwendigen Alternativen, solche Phänomene in der Zukunft zu vermeiden, war – auch in linken – Massenmedien nicht viel die Rede. Heute praktisch gar nicht mehr, außer in elitären Fachzirkeln. Der Begriff Zoonose, ein Schlüsselbegriff zum Verständnis der Pandemie, kursierte erst im Herbst 2020 zum ersten Mal – als er in Deutschland bereits deutlich mehr in der Diskussion war. Trotz Kapitalismus-Zweifel funktionierte die mediale Selbstzensur an dieser Stelle vorzüglich.

Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben, dass nicht einmal 1% der Bevölkerung eine Vorstellung davon hat, wie die Pandemie (über Zoonosen bei der Lebensmittel-Produktion in China) zustande gekommen ist, oder wie sie zustande gekommen sein könnte. Einige mehr werden erahnen, dass das Virus mit Fleisch zu tun hat, mit dessen industrieller Produktion; schließlich achten wir alle beim Einkauf auf Eier von freilaufenden Hühnern, bei Rindern schließen wir die Augen.

Ein vielsagendes aktuelles Beispiel ist der Streit um zwei Mega-Rinderfarmen in Süd-Navarra und Nord-Soria, wo 7.000 bzw. 23.000 Rinder bewirtschaftet werden sollen. Derzeit geht der Streit um den Wasserbedarf solcher Anlagen, nicht aber um die anfallende Masse von Gülle und Mist; und schon gar nicht um den beträchtlichen Einfluss, den die Rinderzucht über die Methan-Produktion auf die Erderwärmung hat. Das Problem wird lokal abgehandelt, dabei sollte es ein Politikum im ganzen Baskenland darstellen.

Stattdessen spielen sich viele Debatten, auch in den Medien, auf Stammtisch-Niveau ab, “die Chinesen sind schuld“, oder Verschwörungs-Theorien wie die von Bill Gates, die Pharmaindustrie selbst habe das Virus in die Welt gesetzt, oder die US-Armee. Kapitalismus-kritische oder system-kritische Diskurse kommen allenfalls von Tierschützerinnen oder von hartgesottenen Ökologinnen. Für linke Organisationen oder Gewerkschaften war und ist das so gut wie kein Thema.

Die Gewerkschaften (als potenzielle Akteure solcher Debatten) sind derzeit mit Abwehrkämpfen beschäftigt, um wenigstens einen Teil der angekündigten Massen-Entlassungen zu verhindern. Ähnliches gilt für den Gesundheitsbereich: keine weiteren Kürzungen, keine Privatisierungen, Rücknahme von Privatisierungen. Damit kommt der linke Diskurs jedoch bereits an sein Ende. Die institutionelle baskische Linke fordert größere Anstrengungen bei den Massen-Impfungen und die Fortsetzung von restriktiven Maßnahmen. Selbst linksradikale Organisationen haben keinen alternativen oder kritischen Diskurs zur Pandemie, abgesehen von der Ablehnung von Polizei-Rassismus und Militarisierung.

Die Pandemie wird je nach Land, Klassenzugehörigkeit, Alter, Bildung, wirtschaftlichen Verhältnissen und psychischer Stabilität bei der Mehrheit der C19-Betroffenen Spuren hinterlassen. Angesichts der erlittenen Schläge sind mehr denn je kollektive und kommunale Strukturen vonnöten, um die Folgen abzumildern und das Leiden in Energie zur Veränderung der Verhältnisse umzuwandeln.

RÜCKBLICKE: (1886) Am 1. Mai 1886 beginnt in Chicago (USA) ein Streik für die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit von 12 auf 8 Stunden. Während der folgenden Tage erschießt die Polizei mehrere Arbeiter, acht Anführer werden zum Tode verurteilt. Die Chicago-Geschichte ist der Ursprung für den 1. Mai, als internationalem Kampftag der Arbeiterklasse. * (1937) Im Verlauf des Krieges nach dem faschistischen Aufstand in Spanien bombardieren baskische Schiffe die baskische Hafenstadt Bermeo, um eine Gegenoffensive der baskischen Regierung gegen die Faschisten zu unterstützen. * (1975) Bei der 1.Mai-Demonstration in Vigo wird in der Fabrik Fenosa der Arbeiter Manuel Montenegro erschossen. *(1983) Athletic Bilbao gewinnt nach 27 Jahren wieder den Titel der spanischen Fußball-Liga, zum siebten Mal in seiner Geschichte.

ABBILDUNGEN:

(00-05) Fiesta-Collage (FAT)

(01-05) Erster Mai

(02-05) Treidlerinnen

(03-05) Journalisten erschossen

(04-05) Schellzug unnötig

(05-05) Haymarket

(06-05) Tourismus maskenfrei

(07-05) Börsenkurse

(08-05) Polizeibrutalität

(09-05) Ethik, Korruption

(10-05) Otegi gewählt

(11-05) Gegen Besetzung

(12-05) Schnellzug-Demokratie

(13-05) Richter vs Euskara

(14-05) Zwangsräumung verhindert

(15-05) Korruption

(16-05) Radboom, Unfallboom

(17-05) Kurierfahrer fest eingestellt

(18-05) Bellas Artes Erweiterung

(19-05) Zornotza besetzt

(20-05) Amorebieta Bomben

(21-05) Dora Maar

(22-05) Gefängnis-Politik

(23-05) Gegen Wohn-Spekulation

(24-05) Minderheitensprachen

(25-05) Bomben Amorebieta

(26-05) Hass-Delikte

(27-05) Letzter Interbrigadist

(28-05) Zwangsräumung

(29-05) Rentner*innen

(30-05) Baskisch-Feste

(31-05) Keine Gnade

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-05-01)

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