Volksfeste - Wege des sozialen Wandels
Seit dem Ende des Faschismus im Jahr 1975 mobilisiert im Baskenland eine breite Bewegung für eine basisdemokratische Organisation von Volksfesten, Fiestas von unten. Sie setzt auf die Beteiligung der Bevölkerung, auf Gleichberechtigung, auf Umweltverträglichkeit und auf die Stärkung der baskischen Sprache Euskara. Dieses Fiesta-Modell ist im Aufwind und breitet sich auf immer mehr Orte im Baskenland aus. An manchen Orten wieder, nachdem die Tradition verboten wurde.
In der Geschichte der Menschheit sind Feste eng mit gesellschaftlichen Riten verbunden, ihr Hauptzweck ist das kollektive Vergnügen, die Stärkung des Gefühls von Zusammengehörigkeit und die Vermittlung von Werten. Der Soziologe Markel Ormazabal erklärt dazu folgendes: "Ein gemeinsam erlebtes Vergnügen verbindet stärker als es Ideen, Symbole oder Diskurse vermögen. Bei Festen steht heutzutage immer mehr die individuelle Bedürfnisbefriedigung im Vordergrund, das kollektive Erlebnis gerät in den Hintergrund. Nicht zufällig wiederholen sich gesellschaftliche Konflikte auch auf Festen, solange diese Feste lediglich die traditionellen und meist konservativen Tendenzen der Gesellschaft reproduzieren". (1) Feste sind ein durch und durch politisches Konzept, sagt Ormazabal. Aber auch in umgekehrter Richtung: "Feste können die Gesellschaft, also das Gemeinschaftsgefühl stärken. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft öffnet den Weg zum Aufbau eines kollektiven Lebens und eines sozialen Wandels. Feste sind dafür vorzüglich geeignet, weil sie der Selbstorganisation Spielraum geben und der Ausweitung von Grenzen dienen".
In diesem Sinne sei es notwendig, Feste zu organisieren, die über Konsum, Vergnügungs- und Spielsucht hinausgehen, die emanzipative Werte in sich tragen. Ormazabal: "Die Logik der Bewegung von unten steht heute mehr denn je im Widerspruch zur Logik des herrschenden Gesellschaftsmodells. Deshalb müssen die Ansätze, die in den sozialen Bewegungen entstehen, nicht nur aktiv den Erhalt von Stadtteilstrukturen garantieren. Sie müssen auch dazu geeignet sein, ethische Werte zu verändern. Aus einer kritischen Perspektive kann ein neues kollektives Verhalten erfolgen, kreativ, antikapitalistisch, antipatriarchal, selbstkritisch, ökologisch, einem anderen Konsummodell zugewandt, multikulturell." Unter diesen Gesichtspunkten betrachten wir die folgenden Kollektive und Gruppen im Baskenland:
Gora Iruñea: Geschlechterverhalten und sexistische Übergriffe (2)
Txosna (3) werden im ganzen Baskenland die Feststände genannt, die die Größe einer Marktbude haben können oder die eines dreistöckigen Wohnhauses (Foto). Im Jahr 2002 verschwanden die Txosnas in Iruña (Pamplona), gleich nachdem Yolanda Barcina Bürgermeisterin wurde, sagt ein Mitglied der Bürgerinitiative Gora Iruña, sie wurden verboten. Um den ständigen Anfeindungen der regierenden konservativen Partei UPN (Volksunion Navarra) etwas entgegen zu setzen, schlossen sich viele Gruppen zusammen und gründeten 2006 die Initiative. Gora Iruña besteht aus den Festkomitees der Stadtteile, sie organisiert das ganze Jahr über verschiedene Fiestas und trifft sich regelmäßig. Daneben gibt es eine Gruppe, die das international bekannte Stadtfest San Fermín im Juli und den Festtag San Saturnino im November vorbereitet. In diesem Jahr richtete Gora Iruñea während der San Fermines eine eigene Festmeile ein.
Gora Iruña macht sich die genannten Werte der basis-organisierten Feste zu eigen. Besonders am Herzen liegt den Mitgliedern die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. "Leider gab es vor Kurzem bei zwei Stadtteilfesten sexuelle Übergriffe", erinnert Garcia. Zuerst wurde deshalb definiert, was unter Gleichberechtigung bei Fiestas zu verstehen ist. Für das Festprogramm und die interne Organisationsstruktur wurden Kriterien festgelegt, mit deren Hilfe das Konzept umgesetzt werden soll. Gleichzeitig fand eine Auseinandersetzung mit dem Problem der sexuellen Übergriffe statt. "Zur Prävention und Sensibilisierung haben wir Verhaltensregeln erarbeitet, um den Unterschied zu verdeutlichen zwischen einem normalen Techtelmechtel und sexistischer Anmache". Außerdem wurden feministische Selbstverteidigungskurse angeboten. In einem 20-seitigen Protokoll wurde festgehalten, welche Maßnahmen frau oder man bei einem sexuellen Übergriff ergreifen kann und welche Schritte die Plattform unternehmen wird, um den Vorfall anzuzeigen und weiteren Vorfällen vorzubeugen. Dieses Protokoll wird in den Stadtteilen breit verteilt. "Was sich manche Typen vergangenes Jahr beim Festbeginn von San Fermín in der Menge geleistet haben und über das Fernsehen in alle Welt übertragen wurde, ist beschämend. Von Seiten der Behörden gab es dazu nicht einen einzigen Kommentar", kritisiert Garcia.
Ziel der Plattform ist, das Stadtfest San Fermín gemeinschaftlich zu organisieren und einen runden Tisch einzurichten, an dem sowohl das Rathaus als auch die Bevölkerung beteiligt ist. "In den 90er Jahren war das schon mal so. Stadträte, Gruppen und Vertreterinnen von sozialen Bewegungen trafen sich, um gemeinsam ein Programm zu erstellen. Heute dagegen macht das Rathaus Ausschreibungen und private Firmen entwickeln das Fiesta-Programm. Das geht so nicht."
EHZ – Umweltverträglichkeit
Das Musik-Festival "Euskal Herria Zuzenean" (Baskenland Live) in Lekorne im nördlichen Baskenland (4) fand 2014 zum 19.Mal statt. Ins Leben gerufen wurde es mit dem Ziel, die Region kulturell zu beleben und musikinteressierte Leute zusammenzubringen. Dabei waren Werte wie antikapitalistisch, links oder feministisch entscheidend. "Was uns von anderen unterscheidet ist, dass es sich um ein Festival ohne Logo handelt, es gibt weder T-Shirts noch Getränke mit Markenzeichen. Wenn ein Unternehmen eine Fiesta finanziert, dann nur wegen der Eigenwerbung. Wenn dieses Interesse verloren geht, ist auch die Finanzierung dahin. Unser Projekt hingegen wird von der Bevölkerung getragen und geht auf die Wünsche und Bedürfnisse der Leute ein, sodass unser Überleben nicht von privaten Interessen abhängt, sondern vom Nutzen für ein gemeinsames Interesse", beschreibt der Vereinsvorsitzende Eneko Etxegarai.
Seit drei oder vier Jahren hat EHZ seinen Kriterien einen weiteren wichtigen Wert hinzugefügt: die Nachhaltigkeit. Es wurden mehr als 20 Klogruben ausgehoben, Recycling und Müllentsorgung sind bestens organisiert. "Die Umgebung nach dem Besuch von 12.000 Leuten so zu hinterlassen wie sie vorher war, also so wenig Schaden wir möglich anzurichten, das ist unser Ziel". In einem Prospekt wurden die bisherigen Initiativen zusammengefasst, "weil unsere Erfahrung auch anderen Bewegungen dienen kann". So bieten sie zum Beispiel Essen aus Produkten der lokalen Landwirtschaft, gute Qualität und preislich für alle zugänglich. "Essen von örtlichen Produzenten für alle Festival-Teilnehmerinnen anzubieten, ist eine große Herausforderung. Anfangs war die Koordination schwierig, aber wir haben es geschafft und finden es sehr positiv. Das ist eine unvergleichliche Möglichkeit, die regionale Ökonomie zu stärken". Außerdem wurden in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit anderen Fiesta-Kollektiven zwei bewegliche Fest-Stände aufgebaut, die von einer Veranstaltung des Baskenlands zur anderen gebracht werden können. Der Festival-Schreiner machte die Pläne, in Zusammenarbeit mehrerer Freiwilliger wurden sie umgesetzt.
Zum Gelingen von EHZ tragen der Organisationsrat, verschiedene Arbeitsgruppen, Helferinnen und Helfer bei, sowie die Hauptversammlung, in der alle vertreten sind. Über das Jahr organisiert die Gruppe auch andere Aktivitäten: "Wir helfen bei der Realisierung von Vorschlägen, die an uns herangetragen werden und die unseren Grundsätzen entsprechen. Was wir an drei Festival-Tagen zeigen und in die Praxis umsetzen, ist letztlich ein Modell, das wir uns morgen für ganz Euskal Herria wünschen", sagt Etxegarai.
Bilbao Fiestagruppen, Anregung sozialer Ökonomie
Die Fiestagruppen in Bilbao – comparsas oder konpartsak genannt (spn/bsk) (5) – halten fest an einem im Jahr 1978 vereinbarten Konzept, das darauf basiert, dass die Fiestas von sozialen Gruppen organisiert werden. Die Bevölkerung ist mit diesem Modell nicht nur beteiligt an der Aste Nagusia (Große Woche), sie wird geradezu zur Protagonistin. Große Stärke der Konpartsak ist die Vielfalt der Gruppen und ihre Fähigkeit, diese Vielfalt gemeinsam in eine bis weit über die Grenzen des Baskenlands bekannte Fiesta umzusetzen, so die Sprecherin Itziar Villafañez. Jede Gruppe hat ihre eigene interne Organisationsform und bringt ihre Inhalte, Forderungen und Mitteilungen auf sehr unterschiedliche Weise zum Ausdruck, auf Transparenten und Events: dabei geht es um die baskische Sprache Euskara, um Feminismus, Ökologie, Sport, freie Radios, Antimilitarismus, internationale Solidarität und um Solidarität mit politischen Gefangenen. "In Bilbao sind die sozialen Bewegungen traditionell ziemlich stark, wir erhalten viele interessante Vorschläge und sind ständig in der Diskussion: vom wiederverwertbaren Becher über soziale Ausgrenzung, oder Maßnahmen gegen sexuelle Übergriffe. Gerade sexuelle oder rassistische Gewalt sind wichtige Themen, weil die Fiesta für alle sein soll". 2014 hat sich eine Fiestagruppe aus Migrantinnen gegründet. "Das hilft uns sicher dabei, die Frage der Integration noch ernsthafter anzugehen", sagt Villafañez.
Die diesjährige Herausforderung gilt der Benutzung der lokalen Alternativ-Währung in Bilbao, genannt Ekhi (Sonne auf baskisch). "Wir stärken damit unsere Beziehung zu lokalen Produzenten und zu Organisationen, die die soziale Ökonomie vorantreiben. Beim diesjährigen Mittsommerfest haben wir beispielsweise den heißen Kakao, den wir dort verteilten, aus Schokolade und Milch der Kooperative Esnetik gemacht, die hier in der Region produziert". Esnetik ist eine Kooperative, die Milchprodukte herstellt, ohne damit Gewinn zu machen. Sie wird betrieben von mehreren Milchbauern der Regionen Aiara und Durango.
Piraten von Donostia: starke Gemeinschaftsarbeit
Seit der Entscheidung im Jahr 2003, Donostia (spn: San Sebastian) zu entern, hat die Gruppe der Piraten dem Modell des Stadtfestes eine neue Wendung gegeben. Sie hat sich die zuvor beschriebenen Werte zu eigen gemacht, unter anderem das Modell der Müllvermeidung (zero zabor filosofia), die Selbstverwaltung, die Gleichberechtigung und die Förderung der baskischen Sprache. Laut Piraten-Koordinator Aitor Alberdi ist die freiwillige gemeinschaftliche Arbeit ihr größter Schatz: "Unsere Fiestas sind Ausdruck einer ausgeprägten Gemeinschaftsarbeit. Alle tragen freiwillig und unbezahlt dazu bei, die Festwoche zu gestalten. Selbst über die Fiesta hinaus ist diese Gemeinschaft ein wirksames Instrument. Als der Stadtteil Martutene überschwemmt war, halfen wir zusammen mit Leuten anderer sozialer Bewegungen bei den Aufräumarbeiten, freiwillig versteht sich".
Die Fiesta-Gruppen in Donostia nennen sich "cofradías / kofradiak" (spn/bsk), nach der jahrhundertelangen Tradition der sogenannten Bruderschaften oder Zünfte in der Fischereiwirtschaft. (5) Bei ihrem Organisationsmodell liegt der Schwerpunkt heutzutage auf der Stärkung der Vielfalt und ebenfalls auf der aktiven Beteiligung der Bevölkerung. Den Kern der Piraten sollen künftig Gruppen bilden, die das Programm der Stadt-Fiesta selbst gestalten: die Bevölkerung wird animiert, sich nach Stadtteilen oder anderen Kriterien zu Gruppen zusammenzufinden (zur Zeit gibt es acht), um eine möglichst breite Bewegung zu schaffen und möglichst viele Personen an Entscheidungen und an der Gestaltung der Fiestas zu beteiligen. "Wir verstehen die große Festwoche Aste Nagusia als Gemeinschaftsarbeit verschiedener Gruppen, als vielseitiges Programm, das sich aus vielen Elementen zusammensetzt. Über diese Gruppen kommen viele Leute zu uns, die Vielfalt bereichert unsere Bewegung und garantiert, dass sich etwas entwickeln kann über Diskussionen, die zwischen allen geführt werden, über Werte und Modelle. Das ist ein überaus wertvoller Lernprozess", erklärt Alberdi.
Blusak und Neskak aus Gasteiz: eine Art Sozialarbeit
Die in den 1950er Jahren – während der Diktatur – zunächst ausschließlich von Männern gegründeten Blusak-Gruppen und die später hinzugekommenen weiblichen Neskak-Gruppen bilden die Seele des Stadtfests von Vitoria-Gasteiz (Provinz Araba, Hauptstadt des Baskenlandes). Im Jahr 2013 organisierten sie mehr als 30 Aktivitäten, die auch im vom Rathaus herausgegebenen Programm Aufnahme fanden. Politische, kulturelle und soziale Kritik wird auf Transparenten zum Ausdruck gebracht. Die Gruppen sind verschieden, alle bewahren ihre organisatorische und inhaltliche Unabhängigkeit. Sie tragen in blauer und weißer Farbe gehaltene Bauerntrachten, große Kittel, Feldschuhe und dicke Strümpfe, der bäuerlichen Tradition entsprechend. Luis Izaga, der Vorsitzende der Kommission der Blusak und Neskak betont den sozialen Beitrag der Gruppen. "Wir unterstützen viele Projekte: einen Verein, der sich von Krebs betroffenen Kindern widmet; einen anderen Verein, der Migrantinnen Rückhalt bietet; Projekte zur Betreuung von Obdachlosen. Wenn wir eine Veranstaltung machen, stellen wir einen Spendentopf auf und geben das gesammelte Geld weiter".
Die sozialen Bewegungen von Vitoria-Gasteiz sind seit über 30 Jahren in der Txosna-Meile vertreten (3), einem Platz etwas abseits des Stadtzentrums, in der alternative und politische Kultur sowie Konzerte geboten werden. Zu finden sind dort alternative Medien, Internationalismus, Feminismus, die Förderung der baskischen Sprache, Anti-Repressionsarbeit, insgesamt sind 13 Kollektive in 12 Fiesta-Ständen vertreten.
All diese Gruppen, die in den verschiedenen Orten des Baskenlands für basis-orientierte Feste eintreten, haben zum Austausch von Erfahrungen und zur Stärkung der Zusammenarbeit im Jahr 2009 den Fiesta-Ausschuss der baskischen Hauptstädte ins Leben gerufen. Eine zweifellos ernsthafte und produktive Arbeit, "weil diese selbstorganisierten Feste ein wichtiges Instrument sind, um eine anders strukturierte Gesellschaft aufzubauen", sagt der Pirat Aitor Alberdi, "das machen auch die Angriffe deutlich, die konservative Politiker immer wieder gegen dieses Fiesta-Modell starten".
Stadtteil-Ambiente
In Barañain in Navarra war der Festausschuss mit vielen Auflagen und Behinderungen seitens der Behörden konfrontiert, als es um den Aufbau einer Txosna-Meile ging. (3) Dennoch arbeitet er seit Jahren für selbstorganisierte Fiestas. Das diesjährige Programm wurde von zehn Kollektiven vorbereitet, die unter anderem T-Shirts zum Verkauf anbieten, um das eigene Programm durchführen zu können. In Baiona (frz. Bayonne, Iparralde) organisiert die Jugend-Versammlung (Gazte Asanblada) ein alternatives Stadtfest in Zusammenarbeit mit vielen anderen Kollektiven. Lasarte-Oria in Gipuzkoa: um dem sterilen Fiesta-Programm des Rathauses etwas entgegen zu setzen, haben Gruppen aus der Bevölkerung vor ein paar Jahren den Hexentanz (Sorgin Dantza) wieder ins Leben gerufen. Später entstand aus diesem Tanz das sogenannte Hexenfest (Sorgin Jaiak).
In Bilbao wurde im Jahr 2000 aus den Festausschüssen verschiedener Stadtteile die "Bewegung der Nachbarschaften" gegründet. Sie hilft bei der Organisation von Festen, bei der Lösung von Problemen, bei der Koordination, beim Aufbau von Insfrastruktur, beim Erstellen eines breiten Kulturprogramms und bei der Einbindung der Bevölkerung des jeweiligen Stadtteils. In Vitoria-Gasteiz bringt ein selbstorganisiertes Altstadtfest unter dem Motto "Alt macht stolz" in festlicher Stimmung die Forderung nach einer erhaltenswerten Altstadt zum Ausdruck. Viele Stadtteile und Nachbarschaften im Baskenland machen in eigenen Festen ihren spezifischen Charakter deutlich und organisieren ihre Feste ohne institutionelle Beteiligung, in Bilbao zum Beispiel in den Stadtteilen Uribarri, Rekalde oder La Vieja.
Kritik und Parodie
Der Ausschuss von Baztan musste im Laufe seiner Geschichte (seit der Gründung 1963) viele Hindernisse bewältigen, ist aber nach wie vor aktiv. Bei der Fiesta, die die Bevölkerung des navarrischen Baztan-Tals zusammenbringt, werden wie beim Karneval Karren durch die Straßen gezogen, die die Probleme und Forderungen der Bevölkerung artikulieren. Das Jahr über werden zusätzliche Aktivitäten organisiert. Die in Uztaritz gefeierte Lapurtarren Biltzarra gibt den Jugendlichen der Region Lapurdi (baskische Provinz im französischen Staat mit Hauptstadt Baiona) die Möglichkeit, sich zu treffen und mittels eines Wagenumzugs Ärger und Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Dieses Fest wird seit 1979 gefeiert. In Lasarte-Oria werden beim Fest der heiligen Ana die Geschehnisse des letzten Jahres auf humorvoll-kritische Weise in einer Art Tribunal parodistisch kommentiert. Mit dabei sind Richter, die heilige Ana, der heilige Joachim, die Waldbewohner aus der baskischen Mythologie (Basajaun) und etliche Zeuginnen. Das Tribunal findet bereits seit 64 Jahren statt.
Olympiade
In Hernani (Gipuzkoa) fand 1988 die erste Olympiade statt mit dem Ziel, die Jugendlichen der Stadt zu mobilisieren, die baskische Sprache zu verankern und ein anderes Freizeitmodell anzubieten. Das Konzept drohte wieder in Vergessenheit zu geraten. Die Initiative wurde im Jahr 2010 von der Bevölkerung erneut aufgegriffen, seitdem haben sich diese Gruppenspiele mit einem Fest etabliert. In Hondarribia gab es Olympiaden seit Ende der 1980er Jahre bis 1996. Im Jahr 2014 wurden sie von Neuem organisiert, um die Verbindung zwischen verschiedenen Gruppen zu stärken und Leute aus ihren Lokalen heraus zu holen und auf die Strasse zu bringen. Angesichts des Erfolgs dieser Olympiade ist die zweite Auflage gesichert.
Vielfalt
In Trapagaran wird seit 6 Jahren ein Jugendfest gefeiert, bei dem die Jugendlichen aus ihren privaten Clubräumen (lonjas) (6) auf die Strasse gehen, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Sie wollen damit der Vereinzelung der verschiedenen Gruppen entfliehen und die gemeinsame Beteiligung von Jugendlichen an öffentlichen Aktivitäten stärken, soziale Netze entwickeln und die Vielfalt der Einwohnerinnen sichtbar machen. In Durango gibt es eine ähnliche Initiative, sie geht aus vom dortigen besetzten Gaztetxe-Jugendhaus (7): verschiedene Jugendgruppen kommen aus ihren Lokalen auf die Strasse und machen ihre Forderungen und Bedürfnisse deutlich. Der Verein Euskal Herria 11 Kolore (Vielfarbiges Baskenland) (8) trägt der Forderung nach Multikulturalität Rechnung und feiert die Bereicherung der baskischen Gesellschaft durch an unterschiedlichen Orten der Welt geborene und heute im Baskenland lebende Menschen mit eigens organisierten Festen in Donostia (San Sebastian) und Iruña (Pamplona). Daneben nimmt die Initiative an anderen bereits bestehenden Fiestas teil.
Euskara – die baskische Sprache
Die Peñas aus Tutera (Navarra) arbeiten daran, die baskische Sprache in dieser von der spanischen Sprache dominierten baskischen Region zu stärken. Peña (9) ist im Baskenland ein viel benutzter Begriff für Interessengruppen aller Art. So nennen sich beim Sport die Fanclubs, aber auch Jugendcliquen, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam ihre Freizeit verbringen, tragen diesen Namen. Unter dem Motto "Ich will die Fiesta baskisch leben", gibt es im Nord-Baskenland Iparralde (4) viele Festkomitees, die sich der Verbreitung und Umsetzung der Maßnahmen widmen, die vom Beirat baskischer Organisationen erarbeitet werden, um die Stellung der baskischen Sprache zu stärken.
Feminismus, Freiheit und Umwelt
In Zeiten des neuen Sidra und der Sidra-Keller von Januar bis April organisiert die feministische Brigade aus Hernani ein Straßenfest, bei dem ein anmachefreier Raum proklamiert wird. Dasselbe gilt für die Fiesta in Baiona, Dort organisieren die beiden feministischen Gruppen PAF und Altxa Neskatxa einen Umtrunk in der Altstadt, als Kontrapart zu den leider verbreiteten sexuellen Übergriffen. Bei der Fiesta in Zarautz gibt es einen Tag, an dem Sexualität, Liebesbeziehungen und respektvolles Anbändeln thematisiert werden. Dafür werden jährlich verschiedene Aktivitäten organisiert: eine Kuss-Kette, ein Lesgaytrans-Theaterstück, das Röcke-Fest, bei dem alle eingeladen sind, mit einem Rock bekleidet zur Txosna-Meile zu kommen, um die Rollenfestlegung aufzubrechen, sowie eine bunte Demonstration. Das sogenannte Akelarre-Hexenfest hat nicht zuletzt eine erzieherische Funktion. Gefeiert wird es unter anderem in Hernani, Leioa, Barañain und Zugarramurdi. In Amikuz gibt es den Bauernhof Bizi Toki (Lebens-Ort), ein pädagogisches Projekt, das sich dem alternativen Lernen widmet. Dort werden Feste und Feierlichkeiten in enger Verbindung mit der Natur und der Umgebung organisiert: Hexentreffen mit Heilkräutern, Kennenlernen von Samen und Aussaat, ökologische Produktion und Treffen von Imkerinnen.
Emanzipatorische Werte
In Lizarra (Navarra, spn: Estella) ist das Stadtfest stark geprägt vom offiziellen Festkomitee der Stadt, die das Aufstellen von Txosnas (3) verboten hat. Dagegen hat sich eine Initiative von Einwohnerinnen zusammengetan und organisiert verschiedene Aktivitäten. In Irun wurde die Festmeile Mosku von der Stadtverwaltung aus der Innenstadt an den Stadtrand verlegt, neben die Messehalle. Nun werden auf dem Innenstadt-Gelände alternative Aktivitäten organisiert, um der Forderung "Mosku bleibt!" Nachdruck zu verleihen. Auch in Erandio hat die Stadt vor ein paar Jahren die alternativen Txosnas aus dem Zentrum ins Abseits verlegt. Und auch dort gibt es eine große Bevölkerungsgruppe, die für einen angemesseneren Standort kämpft. Auf der Webseite "Jaiak Bultzatuz" (Feste fördern) sind das basis-orientierte Fiesta-Modell und die damit verbundenen Werte ausführlich beschrieben. Das Manifest wurde bereits von vielen Organisationen, Vereinen, bekannten Einzelpersonen und 75 Fiesta-Gremien unterschrieben.
Anmerkungen:
(1) Große Teile des vorliegenden Artikels entstammen einer Übersetzung aus der Wochenzeitschrift ARGIA (bsk: Licht, hell), Nr.2421, vom 2014-06-29, Mikel Gracia Idiakez: "Jai herrikoiak. Eraldaketa sozialerako tresna" (Volksfeste. Wege eines sozialen Wandels)
(2) Gora Iruñea: Gora bedeutet auf Baskisch "Hoch, es lebe, vorwärts"; Iruñea oder Iruña ist der baskische Name von Pamplona, der alten Hauptstadt des Königreichs Navarra und der gleichnamigen heutigen Region.
(3) Txosna ist der baskische Begriff für die Feststände, die während der Fiestas aufgestellt werden und die Größe einer Marktbude haben können oder die eines dreistöckigen Wohnhauses. Aufgestellt und betrieben werden sie von Freiwilligen aus kulturellen Gruppen oder sozialen Bewegungen, die die Einnahmen dazu verwenden, eigene Lokale zu betreiben, dort Leute anzustellen oder Kulturarbeit zu betreiben. In den Txosnas werden Getränke und Essen verkauft, in der Regel liegen die Publikationen und Aufkleber der jeweiligen Gruppe aus.
(4) Unter dem nördlichen Baskenland sind die drei kleinen Provinzen Lapurdi, Zuberoa und Nieder-Navarra zu verstehen, die nördlich der Pyrenäen auf der französischen Seite des Baskenlandes liegen und in der baskischen Sprache mit Iparralde (bsk: Nord-Seite) bezeichnet werden.
(5) Konpartsak, blusak, kofradiak – sind die Eigenbezeichnungen der Fiesta-Gruppen in Bilbo (Bilbao), Gasteiz (Vitoria) und Donostia (San Sebastián), spanisch: comparsas, blusas, cofradias. Sie betreiben Txosnas oder beteiligen sich auf andere Art an den Festen, wenn es keine Txosnas gibt. In Gasteiz gibt es zwar Txosnas, sie werden von sozialen Bewegungen betrieben, die Blusas haben damit nichts zu tun. Anderswo nennen sich die Fiesta-Gruppen auch penak/peñas.
(6) Lonjas sind Abstellräume im Erdgeschoss von Wohnblocks, die privat oder kommerziell als Geschäfte genutzt werden. Gruppen von Jugendlichen nutzen solche Lonjas in vielen baskischen Dörfern und Städten auch als private Jugendtreffs. Weil es so gut wie keine öffentlichen Jugendhäuser gibt, mieten sich Gruppen oder Cliquen von Jugendlichen Garagen oder kleine Lokale an, richten sie nach eigenem Geschmack ein und verbingen dort ihre Freizeit mit Spielen und Fernsehen. Linke Jugendliche ziehen es vor, Häuser oder leerstehende Fabriken zu besetzen und Gaztetxes zu gründen und dort öffentliche Jugendzentren zu betreiben, in denen Kulturprogramm organisiert wird.
(7) Gaztetxe: der Name für die meist besetzten Jugendzentren setzt sich zusammen aus den baskischen Worten Gazte + Etxe = Gaztetxe (dt: Jugend + Haus). Oft in leeren Wohnhäusern, Fabriken oder Bauernhäusern werden Kommunikationszentren eingerichtet, in denen die Jugendlichen eine konsumfreie Zone einrichten und Kulturprogramm, Workshops, Konzerte organisieren. In manchen Gemeinden stellen die Rathäuser selbstverwaltete Gaztetxes zur Verfügung, sodass aus Sicht der Jugendlichen keine Besetzung notwendig ist (Gernika, Ondarroa). Gaztetxes gibt es praktisch in jedem halbwegs großen Ort des Baskenlandes, allein in Bilbo gibt es mit wechselnden Standorten mehr als sechs.
(8) Euskal Herriko 11 Kolore: Euskal Herria ist der baskische Begriff für das gesamte Baskenland. 11 Kolore (hamaika kolore) ist ein Wortspiel, denn "hamaika" heißt einerseits "elf", andererseits bedeutet es "viel". "Hamaika jaia" sind insofern nicht "elf Feste" sondern "viele Feste". EH 11 Kolore ist eine neue Bewegung, in der sich Migrantinnen und Migranten organisieren und ihre Rechte im Baskenland einfordern.
(9) Peña ist im Baskenland ein viel benutzter Begriff für Interessengruppen aller Art. So nennen sich beim Sport die Fanclubs, aber auch Jugendcliquen, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam ihre Freizeit verbringen, tragen diesen Namen.
(10) Fotos Txeng (www.flickr.com/photos/txeng)