Gemütlich durch die Vor-Pyrenäen
Wiege der tausendjährigen baskischen Sprache, Land der Handwerker, Adligen, Abenteurer und Schmuggler. Die sogenannte “Schweiz Navarras“ beherbergt Naturschätze wie ausgedehnte Buchenwälder, steile Bergrücken, verschlungene Schluchten, kristallklare Bäche, prähistorische Orte und reizvolle Winkel in den abgeschiedenen Tälern von Aritzakun und Urritzate – scheinbar gleichgültig gegenüber dem Lauf der Zeit, im Schatten des Wächter-Berges Alkaxuri, einer schlanken Pyramide von knapp 1.000 Meter Höhe.
Baztan ist ein grünes Tal im Norden von Navarra. Im Osten grenzt Gipuzkoa, im Norden Iparralde. Insgesamt umfasst Baztan fünfzehn Dörfer und Städte. Spätestens nach dem Erfolg der literarischen Trilogie von Dolores Redondo, die vom deutschen Fernsehen verfilmt wurde, wird die Region auch dem deutschen Publikum langsam bekannt.
Das Baztan-Tal liegt im nördlichen Teil der baskischen Region Nafarroa, in den Vor-Pyrenäen; südöstlich von Donostia (San Sebastián, 66 km); nördlich von Iruñea (Pamplona, 49 km); westlich der baskisch-französischen Grenze (17 km) und vom Iparralde-Ort Baigorri (25 km); östlich von Vitoria-Gasteiz (137 km); östlich von Bilbo-Bilbao (154 km); nordöstlich von Zaragoza (230 km). Es folgt eine Beschreibung der besonders erwähnenswerten Dörfer im Baztan-Tal.
1. ALMANDOZ
Wer von Iruñea (Pamplona) auf der NA-121-A nach Norden in Richtung Frankreich fährt, kommt unweigerlich durch Almandoz, das erste Dorf, das zum Gemeindeverbund Baztan gehört. Schon von der Straße aus ist zu sehen, dass hier Buchenwälder und imposante, über 1.000 Meter hohe Gipfel das Bild prägen. Almandoz, an den Hängen des Berges Santa Barbara, auf 450 m Höhe liegend, vermittelt eine Magie, die vom Charakter dieses Tals ausgeht. Seine mit Kopfstein gepflasterten Straßen, imposanten Palastgebäude mit Schnitzereien und Wappen sowie die massiven Steinfassaden seiner Wohnhäuser führen die Gedanken in eine ferne Zeit.
Zwei Paläste fallen besonders auf, der im 18. Jahrhundert erbaute Palacio Cabo de Armería Galtzaga und der Palacio Cabo de Armería Jauregia. Im Jahr 1969 (Franquismus) wurde das Dorf mit dem Nationalen Schönheitspreis ausgezeichnet, als Zeichen für den Eifer der Bewohner*innen für die Pflege, Dekoration und Sauberkeit ihrer Häuser und Straßen. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist die Fassade des Hauses Etxatoa, dessen Besitzer, der Handwerker Fernando Aguerre, bewundernswerte Holzschnitzereien herausgearbeitet hat, indem er jeden Nerv und jede Säule des Hauses bildhauerisch hervorhob. Der Berg Santa Barbara ist bekannt für seine Steinbrüche, angeblich soll aus ihnen der Marmor stammen, der auf dem Roten Platz in Moskau den Kreml ziert.
Zudem gibt es interessante Ausblicke auf das Torfmoor Belate, das 17.000 Jahre alte Sedimente speichert. Das Moor ist von grundlegender Bedeutung für das Wissen über die Entwicklung der Vegetation im Norden der iberischen Halbinsel während des jüngsten Zeitabschnitts der Erdgeschichte, des Quartärs. Außerdem ein wichtiges historisches Archiv für das Wissen über Klima und Vegetation der Vergangenheit sowie die Auswirkungen der menschlichen Präsenz in der Region. Historisch gesehen war Almandoz ein wichtiger Durchgangsort. Bereits 1406, als die Straßen zwischen Iruñea und Donostia (Pamplona, San Sebastián) geplant wurden, und noch mehr zwischen 1844 und 1847, als auf den üblichen Handelswegen breitere Verbindungsstraßen angelegt wurden, die sogenannten königlichen Straßen (caminos reales), altertümliche Vorgänger der heutigen Nationalstraßen. (1)
2. BERROETA
Diese faszinierende Enklave liegt am Fuße des Berges Abartan (1.095 Meter), einem Gipfel voller Dolmen, Grabhügel und Cromlechs, die eine Ahnung von seiner Jahrhunderte langen Geschichte vermitteln. Historisch gesehen birgt Berroeta eine Unzahl von Geschichten und Ereignissen, da es Teil des Handelsweges “Camino Real“ war. Seine Lage macht den Ort zweifelsohne zu einem der schönsten Dörfer im Baztan-Tal. Durch seine Straßen zu gehen, Feuerholz und Natur zu riechen und durch seine magischen Weiler zu wandern, leitet die Gedanken unweigerlich in die Vergangenheit und lädt dazu ein, sich Geschichten von Barden, Hexen und Feen auszumalen.
Neben den prächtigen Bauernhäusern fällt die Kirche ins Auge: ein katholisches Gotteshaus aus dem 16. Jahrhundert mit dem Grundriss eines lateinischen Kreuzes und einem einzigen Schiff. Sie hat einen Glockenturm und zwei später gebaute Barockkapellen. Dem Heiligen Martin von Tours geweiht war sie trotz ihrer Abgelegenheit einer der entscheidenden Schauplätze des Konventionskrieges (2). Dieses Gebäude von großer Schönheit wurde geplündert und später wiederaufgebaut. Berroeta hat zudem eine lange Tradition in Viehzucht und Landwirtschaft. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es zwei Getreidemühlen.
3. AZPILKUETA
Eine Vielzahl von Bauernhäusern (baskisch: baserri, spanisch: caserio) prägt das Bild des Ortes. Beim Spaziergang durch die Straßen finden sich Beispiele der typischen Baztan-Architektur: Gebäude mit Giebel- und Walmdächern und mit dem für das Tal charakteristischen Doppeltür-Portal. Es heißt, dass Maria Azpilikueta, die Mutter des heiligen Jesuiten-Missionars Francisco Javier, hier geboren wurde. Tatsächlich ist dem Asien-Missionar (1506-1552) eine Kapelle aus dem 17. Jahrhundert gewidmet. (3)
Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass seine Brüder in der Zeit der Eroberung Navarras durch die kastilische Krone (1512 und 1521) häufig in dieser Gegend gesehen wurden. Miguel und Juan hatten als Vertrauensleute des navarrischen Königs den oberen Teil des Tals unter ihrem Kommando. In einem letzten verzweifelten Versuch, die Burg von Amaiur zu verteidigen, standen sie einer "riesigen kastilischen Streitmacht" gegenüber, die am Ende den definitiven und bis heute gültigen militärischen Sieg errang.
Erwähnenswerte Gebäude sind der Palast von Azpilkueta. Sein primitiver mittelalterlicher Turm wurde fast vollständig abgerissen. Das Haus Iriartea im Stadtteil Apaioa enthält ein barockes Gemälde von Velázquez, bei dem der Helm durch ein menschliches Gesicht im Profil ersetzt wurde. In der Pfarrkirche San Andrés befindet sich eine Reihe von Altarbildern aus dem 18. Jahrhundert. Die Kirche selbst wurde zu jener Zeit umgestaltet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren zwei Getreide-Mühlen in Betrieb, Sartola und Orabidea. Die Einwohnerzahl liegt derzeit bei ca. 260 Personen. Der unbestrittene Charme des Ortes hat die Aufmerksamkeit einiger prominenter Personen auf sich gezogen, die hier Ruhe und Entspannung genießen, die der Ort und seine freundlichen Bewohner*innen ausstrahlen.
4. GARTZAIN
Dieser Ort ist ideal für alle, die Stille, Ruhe und die Beschaulichkeit der Natur lieben und der städtischen Hektik entkommen wollen. Tatsächlich liegt der Ort weit genug von der Hauptstraße entfernt, um Autolärm und andere Geräusche des modernen Lebens zu ignorieren. Die in diesem Gebiet durchgeführten Studien sagen aus, dass die baskische Sprache hier am besten überlebt hat. Alle Einwohner*innen von Gartzain sprechen Euskera.
Auf einem hohen Hügel und am Fuße des Ezkaldo-Berges gelegen bewahrt dieses Dorf seine uralte Essenz. Die Präsenz von ausladenden Bauernhäusern aus dem 18. Jahrhundert und palastartigen Herrenhäusern mit historischen Elementen ist bemerkenswert. Der Iturbide-Palast ist einer der ersten Adelssitze im Baztan-Tal. Er gehört zu den sogenannten “Casas nobles“ oder “Casas de Armería“ (Noble Häuser, Waffen-Häuser), die an ihrem steinernen Familienwappen an der Fassade erkennbar sind. Der Titel, den alteingesessene Adelsgeschlechter trugen, brachte ihnen neben der Erlaubnis Waffen zu tragen auch Steuerfreiheit ein und das Recht auf einen Sitz im Parlament. Mehrere der Gartzain-Herren waren Bürgermeister des Tals, wie Miguel de Iturbide, der 1641 auch Ritter des Santiago-Ordens war.
Die Kirche, ebenfalls San Martín de Tours gewidmet, ist eine der ältesten im Tal. Der erste Bau wurde 1722 fertiggestellt. Mit einem Grundriss in Form eines lateinischen Kreuzes, befinden sich im Inneren der Kirche zwei Altarbilder, die San José und San Joaquín gewidmet sind, sowie ein barockes Kruzifix. Im Konventionskrieg (2) wurde auch diese Kirche zerstört und musste restauriert werden.
5. ARIZKUN
Arizkun ist eine der historisch bedeutendsten Städte im Tal. Aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im Laufe der Jahrhunderte, wegen ihrer edlen und stattlichen Gebäude, ihrer bewusst gepflegten Ahnentradition und der zahlreichen Beiträge wichtiger Persönlichkeiten in der Geschichte. Neben seinem Zentrum hat Arizkun eine Vielzahl von Ortsteilen: Bozate, Ordoki, Pertalas, San Blas, Bergara, Aintzialde, Otsanaiz, Erniegi und Aritzakun, sowie einige Bauernhöfe, die sich, obwohl sie offiziell zum Nachbarort Erratzu gehören, in ihrem sozio-kulturellen Leben Arizkun zugehörig fühlen.
Bereits im Jahr 1366 wurden alle Einwohner (Männer) als Adelige aufgeführt, im 18. Jahrhundert war es das bevölkerungsreichste Dorf in Baztan, mit 114 Einwohner*innen, 31 Wohnhäusern, 21 Armenhäusern und fünf Palästen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es hier eine Wachskerzenfabrik, einen Arzt, eine Apotheke, zwei Lehrer, eine Schmiede, ein Schuhgeschäft, zwei Schokoladen-Geschäfte, fünf Wein- und Schnapsläden, drei Tavernen, eine Pension und zwei Gasthöfe mit den Namen Laurentx und Ikatzatea.
Was illustre Gebäude betrifft, so sticht das Iturraldea-Haus mit seinen schön geschnitzten Holztraufen hervor. Aus diesem Haus stammte Juan Bautista de Iturralde (1674-1741), der neben seinem Wohnhaus das Kloster Nuestra Señora de los Ángeles gründete. Und das große Herrenhaus von Lamiarrita, neben der Kreuzung Bozate/Erratzu, das 1713 von Juan Tomás de Goyeneche, Ritter des Santiago-Ordens, erbaut und 1721 in die Kategorie der Paläste mit Waffenkammern erhoben wurde. Dieses Haus wurde auch "Palacio de Goyeneche" genannt, in Erinnerung an den anderen, durch einen Brand zerstörten Palast gleichen Namens, dessen älteste Hinweise auf das Jahr 1366 zurückgehen. Die Besitzer dieses Hauses verloren den Familiennamen Goyeneche, als mehrere Nachfolgen durch die weibliche Linie stattfanden. Im Ortsteil Ordoki befindet sich der Palast von Ursúa, erbaut im gotischen Stil (14. und 15. Jahrhundert). Der Amerika-Eroberer Pedro de Ursúa wurde 1526 in diesem Palast geboren. (4)
Das Kloster, in dem noch einige Klausur-Nonnen leben, besitzt eine grandiose Steinfassade aus dem 18. Jahrhundert mit zahlreichen Schnitzereien, Reliefs und Nischen sowie eine kuriose neoklassizistische Orgel mit einem Register, das als "baskische Flöte" bekannt ist, mit einem Klang, der in Navarra einzigartig ist. Ein bemerkenswerter Brauch ist es seit langer Zeit, diesen Nonnen ein Dutzend frischer Eier zu bringen, damit diese für gutes Wetter beten, sowohl für die Landarbeiter als auch für verlobte Paare, die im Begriff waren zu heiraten.
Das Volk der Cagots (auf spanisch Agoten)
Ein eigenes Kapitel in der Geschichte von Arizkun muss den Agoten gewidmet werden. Dabei handelt es sich um eine seit Jahrhunderten in Navarra ausgegrenzte ethnische Gruppe ungewisser Herkunft. Sie war auch in anderen Gebieten wie dem Roncal-Tal ansässig, ihre letzte Hochburg lag jedoch im Bezirk Bozate von Arizkun. Von einigen werden die Agoten als Nachfahren der Goten definiert, von anderen als Nachfahren der albigensischen Ketzer. Die populärste These ist, dass sie Nachfahren von ehemaligen Aussätzigen waren.
Von Kirche und Obrigkeit und nicht zuletzt von der Dorfbevölkerung wurden sie schikaniert: sie durften nicht in den Dörfern wohnen und wurden in abgelegene und isolierte Orte verbannt; sie durften nicht mit den Einheimischen an einem Tisch sitzen; in der Kirche hatten sie ihre eigenen Bänke an den Seiten und ihr eigenes Weihwasser-Becken; sie traten nicht zum Opfer vor, der Priester ging zu ihnen; es wurde ihnen kein Segen gegeben; sie bekamen nur die schlechtesten Arbeiten; Ehen wurden nur unter den Agoten geschlossen. Außerdem wurde ihnen pauschal und fälschlicherweise nachgesagt, sie hätten alle einen schlechten Atem, sie würden ihre Nase nicht reinigen, hätten alle einen langen Schwanz und ein charakteristisches Ohrläppchen. Erst am 27. Dezember 1817 beschloss das Parlament von Navarra, alle diskriminierenden Maßnahmen abzuschaffen, obwohl einige von ihnen informell bis ins 20. Jahrhundert weitergingen. (5)
Das Museum Santxotena
Das Santxotena-Park-Museum in Arizkun – Barrio de Bozate – ist eine Symbiose aus Natur und Kunst, eine Hommage an die Cagots. Der Künstler, Xabier Santxotena, selbst ein Cagot, hat ein skulpturales Museum unter freiem Himmel konzipiert, in direktem Kontakt mit der Natur. (6)
Xabier Santxotena, am 5. Oktober 1946 in Bozate geboren, stammt aus einer Familie, die traditionell mit dem Holzhandwerk verbunden ist, er fühlte sich schon früh zur Bildhauerei hingezogen. 1970 traf er Jorge Oteiza und wurde zu einem seiner besten Schüler. Später studierte er an der Kunstgewerbeschule in Vitoria-Gasteiz. Von seinen frühesten Kreationen an arbeitete er an Serien oder Gruppen von Werken: Hommagen an Dichter, das typische baskische Ballspiel Pelota, prähistorische Menhire, die Zerstörung von Gernika, Masken, Wälder (baskisch: basoak). Ein immer wieder kehrendes Thema ist die urtümliche baskische Mythologie, die für ihn Motiv zu weiterer Forschung ist und seine Kreationen inspiriert.
ANMERKUNGEN:
(1 ) Grundlage dieses Artikels sind die Ortsbeschreibungen aus “5 pueblos bonitos valle Baztan“ (Fünf schöne Dörfer im Baztan-Tal), Tageszeitung Diario de Navarra, 9. Juli 2021. Der Artikel wurde ergänzt durch eigene Kenntnisse der Gegend. Außerdem wurden Erklärungen zum Begriff “Konventionskrieg“, ein Abschnitt zum Volk der Cagots und ein Hinweis auf das Parkmuseum Santotxena hinzugefügt. (LINK)
(2) Konventionskrieg: Zwei Jahre dauernder Krieg, der im Grenzgebiet Frankreich-Spanien ausgetragen wurde. Krieg zwischen der neuen französischen Republik und einer Allianz der Monarchie-Anhänger Frankreichs mit den Königreichen Portugal und Spanien. Der Name Konventionskrieg geht zurück auf die zweijährige Regierungsform während der französischen Revolution: Der Nationalkonvent oder die Nationalversammlung (französisch: Convention nationale) war eine politische Regierungs- oder Staatsform, die Frankreich von 1792 bis 1795 während der Französischen Revolution regierte. Die Auswirkungen des Krieges im Baztan-Tal waren verheerend: mehr als zweitausend Personen verschwanden, ein Viertel der Bevölkerung. Neben den Getöteten kam es zu einem Massenexodus, Häuser wurden verlassen, Flüchtende auf der Straße ausgeraubt, Überlebende als Kollaborateure beschuldigt. Die Verbliebenen litten unter Hunger, zu allem Überfluss breitete sich Typhus aus. (LINK)
(3) Francisco Javier, Asien-Missionar des Jesuiten-Ordens (LINK)
(4) Pedro de Ursua, Amerika-Kolonisator (LINK)
(5) Agote – Cagots (LINK)
(6) Santxotena-Museum Arizkun (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Santxutena (valledebaztan)
(2) Almandoz (valledebaztan)
(3) Berroeta (valledebaztan)
(4) Azzpilkueta (valledebaztan)
(5) Gartzain (valledebaztan)
(6) Arizkun (valledebaztan)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-08-28)