Viel Folter und Zensur, wenig Demokratie
Baskische Zeitungen wurden während des Franquismus verboten, aber auch danach, im “demokratischen Spanien“. EGUNA, EGIN, ARDI BELTZA, EUSKALDUNON EGUNKARIA sind die Namen der Publikationen, die von den jeweils Herrschenden aus politischen Gründen geschlossen wurden. Mit unterschiedlichen Begründungen. Jene baskische Medien hatten gemein, Ausdruck der baskischen Realität, Kultur und Sprache zu sein. Das war ausreichend, um elementarste Prinzipien der Meinungs- und Pressefreiheit zu verletzen.
In verschiedenen Etappen der Geschichte wurde die baskische Sprache Euskara von der herrschenden Klasse verboten. Um die baskische Bevölkerung zu assimilieren und ihr die Identität zu nehmen, sollte die Sprache marginalisiert werden. Und mit der Sprache ihre medialen Ausdrucksformen. Eine Bilanz der Zensurmaßnahmen in einem System, das sich als “demokratisch“ tituliert, aber eher autokratische Züge zeigt. (Der Text wurde 2003 verfasst.)
Die gemischtsprachige baskische Tageszeitung GARA hat es im Jahr 2021 geschafft, Schulden von drei Millionen Euro aus dem vermeintlichen Erbe der 1998 verbotenen Tageszeitung EGIN zu begleichen. Die spanische Sozialversicherung forderte diese Gelder mit der Begründung ein, GARA sei ein direktes Nachfolgeprojekt von EGIN. GARA soll, so die staatliche Behörde, die Belegschaft und Leserschaft übernommen haben. Dahinter stand zweifellos der Versuch, auch diese aus spanischer Sicht unliebsame Zeitung in die Knie zu zwingen.
Vorgeschichte EGIN
Am 15. Juli 1998 stürmte die kasernierte paramilitärische Guardia Civil (die auch während des vom spanischen Staat als illegal erklärten Referendums 2017 in Katalonien eine brutale Rolle spielte) die Redaktion und Druckerei der baskischen Tageszeitung EGIN (baskisch: machen). Ermittlungsrichter Baltasar Garzon warf der Zeitung vor, ein Sprachrohr der Terror-Organisation ETA zu sein. Die Zeitung und das dazugehörende Radio wurden geschlossen. Kurz darauf gründeten Journalisten als Reaktion auf die Schließung von EGIN die neue Zeitung GARA (die erste Ausgabe erschien am 30. Januar 1999). Ein Teil der EGIN-Belegschaft fand bei GARA einen Job. Das EGIN-Eigentum, Redaktion, Computer und Archiv, blieb im ”Gewahrsam“ der richterlichen Zwangsverwaltung.
Drei Jahre danach wurde die ETA-nahe Partei Batasuna verboten. Die Justiz warf der links-nationalistischen Partei vor, die Partei der Untergrund-Organisation zu sein. 2003 folgten Schließung und Verbot der Tageszeitung ”EUSKALDUNON EGUNKARIA“, später als verfassungswidrig festgestellt, konstatiert heise.de, unter dem gleichen juristisch-politischen Vorwand. Die Journalisten sind laut Telepolis gefoltert worden. Das Team gründete darauf die Nachfolge-Zeitung BERRIA.
Mateo Taibon kommentierte 2003 in der damaligen GFBV-Zeitung “Pogrom“ (Gesellschaft für bedrohte Völker) das Vorgehen des spanischen Staates folgendermaßen: “Das Erbe der Folterknechte. José Maria Aznar: Verbot einer Partei, dann einer Zeitung, Unterstützung der Apologie Francos. Spaniens gar nicht so leiser Weg zum autoritären Staat. Europa schweigt.“ Ministerpräsident Aznar war zuerst in der “Allianza Popular“, einer politischen Erbin der faschistischen Partei des verstorbenen Diktators Franco (später war er Vorsitzender der Partido Popular, PP). In seiner Studentenzeit zählte Aznar zu den Mitgliedern der rechtsextremen Falangisten, weiß Wikipedia zu berichten.
Protestiert haben damals, schreibt Taibon, die Reporter Sans Frontières und Amnesty International, aber auch das Netzwerk der europäischen Minderheiten-Zeitungen MIDAS (Präsident Toni Ebner: ”Kein Staat hat das Recht, die Presse zu knebeln“, Spaniens Vorgehen erinnere ”an die dunkelsten Kapitel spanischer und europäischer Geschichte“) und die International Federation of Journalists (2), deren Generalsekretär Aidan White die Schließung der Zeitung als ”Angriff auf die Pressefreiheit“ kritisierte. Protestiert hat auch das für seine ausgewogenen Positionen abseits aller Extremismen bekannte EU-Minderheiten-Büro EBLUL.
Der Justiz gelang es, mit ihrer fragwürdigen Vorgangsweise baskische Medien in den Konkurs zu treiben. Telepolis schreibt: ”Es dauerte 11 Jahre bis der Oberste Gerichtshof in Madrid das Verbot aufhob.“ Giovanni Giacopuzzi kommt auf der Homepage der GFBV-Südtirol (Pogrom) zum Schluss, dass das Verbot von zwei baskischen Zeitungen in Europa einmalig ist. GARA-Direktor Iñaki Soto sagte im Gespräch mit Giacopuzzi, die erwähnte Eintreibung der angeblichen EGIN-Schulden sei ein weiterer Versuch des Staates, die neue Zeitung GARA zu knebeln und zu vernichten. Der Versuch scheiterte. Baskische und katalanische Sympathisanten unterstützten nach einem Appell der GARA-Redaktion mit Spenden die Rettung der Zeitung. Die Zeitung lebt, freut sich GARA-Direktor Soto.
Rückblick EUSKALDUNON EGUNKARIA
Am 20. Februar 2003 wurde auf Anordnung des Richters Juan del Olmo vom Nationalen Gerichtshof in Madrid die einzige vollständig in baskischer Sprache publizierende Tageszeitung ”EUSKALDUNON EGUNKARIA“ von 300 maskierten Polizisten in schusssicheren Westen gestürmt. Beschlagnahmt wurden Unterlagen und Computer, aber auch persönliche Dokumente. Die Sitze der Zeitung in Andoain (Gipuzkoa), Iruñea (Nafarroa), Gasteiz (Araba) und Bilbo (Bizkaia) wurden versiegelt, Chefredakteur Martxelo Otamendi und zehn weitere leitende Mitarbeiter festgenommen. Durchsucht wurden zudem die Büros der autonomen baskischen Schul-Föderation ”Euskal Herriko Ikastolak“, die jährlich 100.000 Kinder muttersprachlich betreut; dabei wurden pädagogisches Material sowie Unterlagen zu Buchhaltung und Kulturarbeit beschlagnahmt.
Martxelo Otamendi
Alle Verhafteten waren mindestens fünf Tage in Isolationshaft (Kontaktsperre-Haft) – wie dies im spanischen Antiterrorismus-Gesetz vorgesehen ist. Allerdings ist es ungewöhnlich für einen Staat, in dem die Menschenrechte geachtet werden, dass Journalisten ohne Verfahren als Terroristen eingesperrt werden. Eigenen Angaben zufolge wurden alle gefoltert. Otamendi, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, erzählt: ”Man hat mir die ‘bolsa‘ (Plastiktüte) über den Kopf gestülpt, ich musste stundenlang körperliche Übungen machen. Unter ständigen Schlägen und Drohungen brüllte man mich an, man würde uns früher oder später zum ‘Singen‘ bringen. Ich hörte die Schreie der anderen Inhaftierten. Juan Mari Torrealdai, eine der wichtigsten Gestalten der baskischen Kultur, der mit ETA nichts zu tun hat, wurde zusammengeschlagen“, erklärte Otamendi im baskischen öffentlichen Fernsehen EITB und ergänzte: ”Das ist eine Situation, die wir in den Büchern über die Franco-Diktatur lesen; doch die Straflosigkeit ist die gleiche geblieben“. In einem anderen Interview nannte er weitere Details: ”Sie beleidigten mich wegen meiner sexuellen Neigungen. Während ich nackt war, steckten sie mir ein Stück Plastik in die Darmöffnung“. Auch die anderen Gefangenen beklagten Folter, erzählen von der “bolsa“ oder der “rueda“ (Rad, dabei wird der Häftling von Polizisten geschlagen, die sich im Kreis um ihn aufstellen), von vorgetäuschten Exekutionen und den Schreien anderer Häftlinge.
Systematische Folter
Man weiß aus der Geschichte Spaniens und gerade des Baskenlandes, dass die Folter bei der Guardia Civil zur Tagesordnung gehörte und gehört. Amnesty International, die Folter-Kommissionen der UNO und der EU berichten jedes Jahr erneut von Folter auf spanischen Polizeistationen. Die Regierung Aznar (1996 bis 2004) weist die Vorwürfe verärgert zurück, verhindert aber die Beseitigung der Missstände. Die wenigen wegen Folter verurteilten Polizeibeamten wurden begnadigt. Auch die spanischen Medien wollen die Berichte nicht zur Kenntnis nehmen, das Thema Folter ist tabu.
Ob die Journalisten (zur Folter) freiwillig schweigen oder dazu gezwungen werden, sei dahingestellt. 2000 hat die Regierung Aznar jedenfalls die Internetseiten der Vereinigung gegen die Folter in Madrid sperren lassen. Dabei belegen selbst die offiziellen Zahlen einen dringenden Handlungsbedarf: Von 1992 bis 2001 wurden im Baskenland 950 Fälle von Folter angezeigt; allein 2002 waren es 150. Elektroschocks, Erstickung, sexuelle Gewalt, vorgetäuschte Exekutionen und – in diesem Repertoire geradezu selbstverständlich – Schläge gehören zu den von Madrid großzügig geduldeten Verhör-Methoden. Seit 1977 sind sieben baskische Häftlinge an den Folgen der Folter gestorben.
Tradition von Zeitungs-Schließungen
”EGUNKARIA“ ist das vierte baskische Medium, das im demokratischen Spanien geschlossen wurde. 1998 traf es die Zeitung “EGIN“ und die Radiostation “EGIN Irratia“, 2000 die Monatszeitung ”ARDI BELTZA“ (baskisch: Schwarzes Schaf). Nach der Schließung von ”EGIN“ wurden die Produktionsstätten zerstört und die Konten gesperrt, die Journalisten verhaftet. Dann aber kamen die Ermittlungen zum Stillstand, weil es keine juristischen Grundlagen gab. Dennoch nahm ”EGIN“ seine Tätigkeit nicht mehr auf.
Die gewaltsame Schließung von ”EGUNKARIA“ hat eine Parallele auf: 1937 wurde die einzige baskisch-sprachige Tageszeitung ”EGUNA“ von den (siegreichen faschistischen) Truppen von Francisco Franco geschlossen. Es war der Beginn von 40 Jahren Diktatur und radikalem Sprachverbot. Da werden Journalisten wie Terroristen behandelt, eingesperrt, gefoltert, es wird ohne juristische Grundlage die Tageszeitung einer ethnischen Minderheit mit militärischer Gewalt gesperrt – und Europas Politik schweigt. Während sich beim Parteiverbot (2003) die Kritik aufgrund der “extremistischen Position“ von Batasuna in Grenzen hielt, gab es bei der Schließung der Zeitung deutliche Worte der Verurteilung.
Verherrlichung des Diktators Franco
Großzügig ist die Regierung Aznar, wenn es um eine andere ideologische Ecke geht. Das Kulturministerium subventioniert die ”Fundación Nacional Francisco Franco“ (Nationale Franco-Stiftung, gemeinnützig, erhält staatliche Gelder), eine entsprechende Vereinbarung wurde im Oktober 2001 unterzeichnet; Subventionen gab es in den Jahren 2000, 2001 und 2002, so die Stiftung selbst. Offiziell begründet werden die Zuschüsse mit der Digitalisierung und Speicherung auf Mikrofilm von 29.000 Dokumenten des Generals, was als Beitrag zur Dokumentation der Landesgeschichte ausgelegt wird.
In Wirklichkeit jedoch pflegt die (im Jahr 2003) von Carmen Franco geleitete Stiftung, wie der Internet-Auftritt (3) erschreckend deutlich belegt, eine verherrlichende Darstellung des Diktators, eine unverblümte Apologie des spanischen Faschistenführers, getragen von einem Personenkult, der unmittelbares Erbe dieses Faschismus ist. Das erklärte Ziel der Stiftung ist ”difundir el conocimiento de Francisco Franco en sus dimensiones humana, política y militar“ (das Wissen über Franco in seinen humanen, politischen und militärischen Dimensionen zu verbreiten). In diesem Lichte erscheint es nur selbstverständlich, wenn der spanische Innenminister (Ángel Acebes im Jahr 2003) die Bestätigung des Parteiverbotes als ”großen Tag für die Demokratie“ bezeichnet.
Die einzige baskische Tageszeitung
”EUSKALDUNON EGUNKARIA“ (Zeitung der Baskisch-Sprechenden) war 1990 als das erste Blatt (nach der Diktatur) gegründet worden, das vollständig in baskischer Sprache erschien. Die Idee für die Zeitung nahm 1989 konkretere Formen an, als 70 Persönlichkeiten der baskischen Kultur sowie Journalisten aus Funk und Presse die Gesellschaft die Plattform ”EGUNKARIA Sortzen“ auf die Beine stellten, die ihrerseits die Tageszeitung gründete. Im Frühjahr 1990 wurden im gesamten Baskenland Subskriptionen gesammelt, so kamen 50 Millionen Pesetas zusammen (ca. 300.000 Euro). An einer Kundgebung als Schlussveranstaltung der Kampagne 1990 in Donostia (span: San Sebastián) nahmen 17.000 Menschen teil.
Zum Kapital der Gesellschaft trug auch die öffentliche Verwaltung bei, Gemeinden und Schulen, aber auch Gewerkschaften und Privatunternehmen kauften Aktien. So konnte ein Startkapital von 150 Millionen Pesetas (900.000 Euro) erreicht werden. Am 6. Dezember 1990 erschien die erste Ausgabe des “EUSKALDUNON EGUNKARIA“. Innerhalb eines Jahres erreichte die Tageszeitung eine Verkaufszahl von 11.200 Exemplaren pro Tag, die ca. 45.000 Leser*innen erreichten. “EGUNKARIA“, die einzige vollständig auf baskisch erscheinende Tageszeitung und die einzige, die das gesamte baskische Gebiet abdeckte, erschien sechs Mal in der Woche. Von anfangs 32 Seiten wuchs sie auf 60 Seiten heran und deckte alle Informations-Sparten einer überregionalen Zeitung ab, von der internationalen Politik zu Sport und Kultur. Unter Fachleuten galt die Zeitung als ausgesprochen pluralistisch. ”Euskara“, eine der ältesten Sprachen Europas, wird von ca. 700.000 der insgesamt 3 Millionen Einwohner*innen der Region gesprochen.
ANMERKUNGEN:
(1) “Von EGIN zu GARA – Eine baskische Zeitung wehrt sich gegen den spanischen Staat”, ursrüngliche Quelle: info.baskenland, Autor: Wolfgang Mayr. Dokumentiert in der Zeitschrift “Pogrom“ der Gesellschaft für bedrohte Völker, GFBV, Nr. 218 – 2/200, wiederpubliziert 2021-07-06 (LINK)
(2) International Federation of Journalists (LINK)
(3) Nationale Franco-Stiftung (LINK)
ZUR WEITEREN LEKTÜRE:
Unter dem unter (1) genannten Link befinden sich weitere Artikel-Hinweise, die zu Berichten über damals aktuelle und heute bereits historische Ereignisse im Baskenland führen:
(*) “Das Erbe der Folterknechte“, Gesellschaft für bedrohte Völker (GFBV), Autor: Mateo Taibon, 2003-05-09 (LINK)
(*) “Wenn Zeitungsverbote versagen, kommt die ökonomische Keule“, Telepolis (heise.de), Autor: Ralf Streck, 2019-02-01 (LINK)
(*) “Paesi Baschi. GARA, oltre la continuità ideologica“, Gesellschaft für bedrohte Völker, Autor: Giovanni Giacopuzzi, 2021-05-17 (LINK)
(*) “Paesi Baschi. Intervista a Iñaki Soto, direttore del quotidiano basco GARA“, Gesellschaft für bedrohte Völker, Giovanni Giacopuzzi, 2021-05-17 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) EGIN (Joxe Lacalle)
(2) EGUNKARIA (publico)
(3) EGIN (Joxe Lacalle)
(4) BERRIA ((berria)
(5) GARA (gara)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-07-17)