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Ingenieur-Consulting am Ufer des Nervión

Seit dem Guggenheim Museum wurde Architektur in Bilbao zum Synonym für Modernität. Die Ästhetik der Bauobjekte tritt stärker in den Vordergrund. Das industrielle Bilbao mit seinen großen Fabriken und Lagerhallen zeichnete sich aus durch Praktikabilität und Nützlichkeit der Produktionsstätten. Demgegenüber tritt mittlerweile auch bei Büro- und Geschäftsgebäuden die Kunst des Baus in den Vordergrund. Dazu kommen ökologische Kriterien wie Nutzung der Sonnenenergie, des Regenwassers oder CO2-Absorption.

Ein Beispiel für diese neue architektonische Ausrichtung ist der neue Hauptsitz der IDOM-Ingenieurs-Gruppe. Gebaut wurde das Gebäude auf den Resten einer Lagerhalle im ehemaligen Hafengebiet, am Ufer des Deusto-Kanals. Entstanden ist ein modernes und gleichzeitig funktionales Gebäude in dunkelgrüner Farbe.

Das neue IDOM-Gebäude, das zu einer vor mehr als sechzig Jahren gegründeten Ingenieurs-Firma gehört, ist zum Aushängeschild der Neubebauung des ehemaligen Industrie- und Hafengebiets am Ufer des Deusto-Kanals geworden. Mitte des 20. Jahrhunderts beschlossen zwei Freunde die Gründung der Firma IDOM: der Ingenieur katalanischer Herkunft Rafael Escolá (1919-1995), unterstützt von dem jungen baskischen Ingenieur Luis Olaortua (1932-2003). 1957 waren die beiden Pioniere bei der Bereitstellung professioneller und unabhängiger Ingenieur-Dienstleistungen. Zu jener Zeit waren Ingenieure größtenteils als Angestellte großer Industrie-Unternehmen tätig.

Die Abkürzung, die dem Unternehmen seinen Namen IDOM gibt, entspricht den spanischen Begriffen “Ingeniería y Dirección de Obras y Montaje“, auf Deutsch: Ingenieurwesen und Organisation von Bau- und Montagearbeiten. Nachdem sich das Unternehmen ursprünglich auf die im Namen genannten Aktivitäten beschränkte, wurden diese später auf praktisch alle Beratungsleistungen in unterschiedlichen Bereichen der Wirtschaft ausgeweitet. Aktuell umfasst die Gruppe weltweit 3.500 Angestellte. (1)

idom2Unternehmens-Struktur

Eigentümer am IDOM-Unternehmen sind die 780 Mitglieder, IDOM gehört somit zur Organisationsform der “Unternehmen im Besitz von Mitarbeitern“ oder “Mitarbeiter-Unternehmen“, eine Betriebsstruktur, die in der angelsächsischen Welt relativ häufig, in der hispanisch geprägten Arbeitswelt jedoch ungewöhnlich ist. IDOM hatte im Laufe seiner Geschichte fünf Präsidenten: den Gründern Rafael Escolá und Luis Olaortua folgten Felipe Prósper und Fernando Querejeta. Aktueller Präsident ist seit 2016 Luis Rodríguez Llopis. (2) (3) (4)

Die Consulting-Firma hat international 45 Niederlassungen und hat in den 61 Jahren seiner Existenz in 125 Ländern auf allen Kontinenten Projekte größerer Dimension umgesetzt. Hier ein paar Beispiele: die Straßenbahn-Strecke in Kopenhagen; ein Universitätsgebäude in Bambey, Senegal; eine Erdgas-Förderungsanlage in Tendrara, Marokko; ein astronomisches Observatorium auf dem Gipfel des Vulkans Haleakalā in 3.050 Metern Höhe auf der Insel Maui, Hawaii; ein Wasserkraftwerk auf der Insel El Hierro; die Linie 3 der neuen Metro von Riad in Saudi-Arabien; eine Straße durch das Kaukasus-Gebirge zwischen Kvesheti und Kobi in Georgien mit einer 432 Meter langen Bogenbrücke und einem 9 Kilometer langen Tunnel. Auch zu Hause ist die Firma aktiv. Ihr letztes Großprojekt in Bilbao war die Planung und Umsetzung des Fußballstadions San Mamés mit Kapazität für 53.000 Fans, das zwischen 2010 und 2015 gebaut wurde.

idom3IDOM, ein Gebäude in grün

Der neue IDOM-Sitz befindet sich im unteren Bereich des Stadtteils San Ignacio direkt am Deusto-Kanal und ist mit seinem avantgardistischen grünen Design das erste Gebäude, das im Zusammenhang mit dem Stadterweiterungs-Projekt Zorrotzaurre gebaut wurde. Ursprünglich stand an dieser Stelle eine Lagerhalle, in der zollfreie Waren zwischengelagert wurden. Nach einem Projekt des Architekten Javier Pérez Uríbarri des Architektur-Unternehmens ACXT, das der IDOM-Gruppe angegliedert ist, wurde ein Teil der Grundstruktur des alten Gebäudes beibehalten und für die neue Nutzung saniert.

Das neue Gebäude wurde 2011 eingeweiht und verfügt über eine Fläche von 14.400 Quadratmetern für Büros und Forschungsräume. Die Einzigartigkeit der Fassade liegt in deren großen Sonnenschutz-Lamellen und dem Dach, das mit einem grünen Teppich ausgelegt ist, einem imaginären Rasen, auf dem die Angestellten ihre Pause verbringen und zur Entspannung spazieren gehen können.

Innovativ, effizient

Das Gebäude verfügt über innovative Energie-Effizienz-Maßnahmen: verbrauchsarme Sanitäranlagen, Regenwasser-Speicher, automatische Beleuchtungsregelung, Sonnenschutz-Lamellen an der Fassade, Photovoltaik-Module und Wasseraufbereitung. Damit wird eine Energie-Einsparung von 60% erreicht. Das grüne Dach mit integrierter Klimaanlage trägt gleichzeitig zur Absorption von Lärm und CO2 bei. Ein Tank im Erdgeschoss dient der Kontrolle großer Wassermengen in Zeiten starker Regenfälle.

Im Inneren werden frühere und neue Elemente kombiniert. Die großen Trägerbalken der ursprünglichen Struktur blieben auf den meisten Etagen erhalten. Die Schächte, in denen sich früher die Lastenaufzüge bewegten, wurden zu verglasten Treppen und Fahrstühlen. Der Dachaufsatz, in dem sich zuvor die Maschinen befanden, verwandelte sich in eine Bibliothek, in der in aller Ruhe Ideen entwickelt werden können. Der restliche Teil des Dachs, auf dem früher das Frachtgut der Schiffe in Bündeln gelagert war, ist jetzt mit Installationen belegt, die unter einem Kunstrasen getarnt sind. Eine Oase, die von Mitgliedern und Mitarbeitern der Firma als Garten und Ruheplatz genutzt werden kann.

idom4Deusto ist nicht Bilbao

Bereits in der Urkunde zur Verleihung der Stadtrechte im Jahr 1300 wurde auf die Existenz einer kleinen Ansiedlung, sowie eines Schiffanlegeplatzes an dieser Stelle hingewiesen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit der Ortskern von Deusto (baskisch: Deustu). Die Pfarrkirche San Pedro von Deusto stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ab dem 16. Jahrhundert verfügte der eigenständige Ort über einige Bauernhöfe. Die meisten Bewohner*innen widmeten sich See-, Hafen- und Marineaktivitäten. Die Existenz von Gezeiten-Mühlen an diesem rechten Flussufer im 18. Jahrhundert ist ebenfalls dokumentiert. Seit dem Mittelalter gibt es Hinweise auf alte Werften, im 15. Jahrhundert galt Bilbao bereits als bedeutendes Zentrum für den Schiffbau. Das 16. Jahrhundert war vom Schiffbau geprägt und es entwickelte sich eine Hilfs- und Unterstützungs-Industrie für die Schifffahrt. San Ignacio ist ein Ortsteil von Deusto, das bis 1925 eigenständig war und danach der Stadt Bilbao zugeschlagen wurde. Zu diesem Gebiet gehörte auch das Terrain des heutigen IDOM-Hauptsitzes.

Der Deusto-Kanal

Die Industrialisierung, die sich im Großraum Bilbao ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte, führte zu einem immer intensiver werdenden Schiffsverkehr. Seit den 1920er Jahren gab es Überlegungen, den Fluss zu begradigen, weil er sich in teilweise engen Kurven von Bilbao zur 14 Kilometer entfernten Mündung schlängelte. Statt einer Begradigung fiel letzten Endes die Entscheidung, an einer besonders engen Kurve vor Deusto einen Kanal abzuzweigen. Dieser Kanal sollte den Fluss entlasten, der nach wie vor stark befahren war. Gegenüber von Deusto lag im Zentrum Bilbaos mit Euskalduna unter anderem die größte Bizkaia-Werft. Dort wurden bis Mitte der 1980er Jahre riesige Schiffe produziert, die Werft war nur über den Flussweg erreichbar. Doch bis dahin reichte der Kanal nicht.

Mit dem Bau des Deusto-Kanals (1950-1967) kam es zu einer radikalen Veränderung: das beschriebene Gebiet wurde zur Halbinsel. Allerdings war die Hafenaktivität des Kanals nur von kurzer Dauer, da einige Jahre nach seiner Einweihung die Auswirkungen der sogenannten Ölkrise von 1973 ihre Spuren hinterließen. Die Halbinsel Zorrotzaurre wurde zu einem riesigen Industriegebiet und der Hafen Bilbaos wurde nach und nach aus dem Stadtgebiet verbannt und liegt heute als Außenhafen vor der Flussmündung am Meer.

idom5Als Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts der industrielle Niedergang begann, kamen erste Ideen auf, einen Plan zur Wiederbelebung dieses Gebiets zu beschließen. Es wurde eine Kommission gegründet, deren Ziel war, dieses ehemalige Industriegebiet, sowohl das Kanalufer als auch die Halbinsel Zorrotzaurre zu sanieren und in einen künftigen Stadterweiterungs-Plan einzubinden. Verschiedene Bebauungspläne wurden erstellt und wieder verworfen. Im Oktober 2018 wurde mit der Wegnahme der letzten Landverbindung aus der Halbinsel eine Insel gemacht, zwei Brücken verbinden Zorrotzaurre seither mit Deusto. Hinsichtlich der neuen Bebauung ist eine Mischung aus Wohnhäusern, Geschäften, Büros, öffentlichen Einrichtungen, Technologie- und Freizeitparks geplant. Auf der San-Ignacio-Seite ist eine lange Uferpromenade entstanden. Wer dort spazieren geht kommt direkt an der grünen IDOM-Fassade vorbei.

Der Name Zorrotzaurre ist übrigens ein baskischer Begriff, der aus zwei Worten besteht. “Zorrotz“ bedeutet scharf oder spitz und bezieht sich in diesem Fall auf den der Insel gegenüberliegenden Stadtteil Bilbaos mit Namen Zorrotza. Dieser Stadtteil hat die Form einer Zunge, die auf der einen Seite vom Nervión-Fluss begrenzt wird und auf der anderen Seite vom Cadagua-Fluss, der an der Spitze der Landzunge in den Nervión mündet. “Aurre“ bedeutet schlicht gegenüber. Zorrotzaurre: Zorrotza gegenüber liegend.

ANMERKUNGEN:

(1) Information vorwiegend aus dem Artikel: “IDOM, un edificio que reverdece en Bilbao“ (IDOM, ein Gebäude, das in Bilbao wieder ergrünt), Tageszeitung Deia vom 22.03.2020, Autor: Jon Mujika (LINK)

(2) IDOM (LINK)

(3) (4) Mitarbeiter-Unternehmen sind solche, deren Anteile sich im Besitz der Mitarbeiter befinden. Unabhängig von ihrer Rechtsform stehen Mitarbeiter-Unternehmen in der basisdemokratischen Tradition einer Produktiv-Genossenschaft, auch wenn sie in Deutschland überwiegend als GmbH oder als Mitarbeiter-AG firmieren. Entscheidend ist die Orientierung an den genossenschaftlichen Grundsätzen, zu denen das Förderprinzip, das Identitätsprinzip sowie innerbetriebliche Demokratie gehören. Förderprinzip: Wirtschaftliche Produktivität sowie die Befriedigung der Bedürfnisse der Mitarbeiter sind dabei gleichberechtigte Ziele des Mitarbeiter-Unternehmens. Identitätsprinzip: Die Belegschaft ist zugleich Eignerin zumindest des stimmberechtigten Stammkapitals, dabei bleibt die Einlagehöhe jedes einzelnen Mitarbeiters begrenzt. Demokratieprinzip: Die innere Organisation des Unternehmens, bis hin zur Unternehmensführung, ist von gleichberechtigter demokratischer Entscheidungsmacht und gemeinschaftlicher Selbstverwaltung bestimmt, die über bloße Partizipation hinausgeht. Bekannte Beispiele für Mitarbeiter-Unternehmen sind das Solartechnik-Unternehmen Wagner & Co. Ehemalige Mitarbeiter-Unternehmen waren die insolvente Photo Porst sowie das jetzt börsennotierte Software-Unternehmen PSI AG. (LINK) (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) IDOM-Gebäude (bilbaoenconstruccion)

(2) Zorrotzaurre (bilbaopedia)

(3) Zorrotzaurre (flickr)

(4) IDOM-Projekt (idom)

(5) Zorrotzaurre (zorrotzaurre.com)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-07-15)

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