Künstlerin an der Seite Nerudas
Die baskisch-stämmige Künstlerin Delia del Carril Iraeta (1884-1989) war die zweite Frau des chilenischen Schriftstellers Pablo Neruda. Nach Ansicht vieler hatte sie großen Einfluss auf Nerudas Weg als Schriftsteller und für seinen politischen Werdegang. Auf Reisen zeigte sie ihm viele Facetten der Welt und machte ihn zu einem großen Dichter. Als Künstlerin widmete sie sich der Malerei, Zeichnung und der Druckgrafik. Ihrem Werk gewidmet ist das Museum Michoacán de los Guindos in Santiago de Chile.
Delia del Carril Iraetas Mutter, Julia Iraeta Iturriaga, war die Tochter eines wohlhabenden baskischen Kaufmanns. Mit dem Großgrundbesitzer, Aristokraten und Politiker Victor del Carril Dominguez hatte sie achtzehn Kinder, von denen neben Delia zwölf überlebten. Delia erfuhr eine liberale Erziehung und wurde Künstlerin.
Geboren wurde Delia Carril Iraeta in Polvareda, Landkreis Saladillo, in der Provinz Buenos Aires. Von deutschen, englischen und französischen Lehrerinnen erzogen wuchs sie in einer ländlichen Umgebung auf. Ihr Vater war glühender Unitarier, einer Religionsgemeinschaft freien Glaubens, und zudem ein Gegner des Diktators Juan Manuel de Rosas (1793-1877). Seine politische Haltung färbte in ihrer frühen Kindheit sicherlich auf Delia ab. (1)
Die politischen Ambitionen des Vaters veranlassten zum Umzug der Familie nach Buenos Aires. Delia ging auf eine von italienischen Nonnen geleitete Schule. Dort wurde sie außerhalb der sonst üblichen katholischen Strenge erzogen. Lesen durfte sie alles, von Boccaccios Decameron bis zu Baudelaires Gedichten. Gefördert wurden philosophische Diskussionen und intellektuelle Neugier. Hier konnte Delia, das talentierteste Kind der Familie, ihre rebellische und unabhängige Natur ausleben. Der Selbstmord ihres Vaters 1899, kurz vor ihrem 15. Geburtstag, war für sie ein schwerer Schlag.
Mitsamt ihren 13 Kindern zog die Mutter nach Paris, um ihnen eine gute Ausbildung zu garantieren. Delias materieller Wohlstand ermöglichte dennoch viele Reisen zwischen Frankreich und Argentinien. Gegen den Wunsch der Familie begann sie ein Studium der Malerei und des Zeichnens bei dem kubistischen Künstler Fernand Léger, "dem ersten Meister, der mir die Augen öffnete", erinnerte sie sich.
Vorher hatte sie Lenin und Trotzki kennen gelernt, die in Paris im Exil lebten. Sie schloss sich wie andere Künstler*innen jener Zeit der Pariser Kommunistischen Partei an, die in ihrer Ideologie der "Vereinigung der revolutionären Schriftsteller und Künstler" nahestand. In dieser Vereinigung wurde Delia Mitglied. Im Nachkriegs-Paris der 1920er Jahre lernte sie viele Künstlerinnen kennen. Daneben den argentinischen Kaufmann Adan Diehl Arget, der zu ihrem ersten Ehemann wurde. Der Plan, auf Mallorca eine Künstler-Kolonie zu gründen scheiterte, es folgten die Trennung und Delias Umzug nach Madrid, wo sie sich in Kreisen von Künstler*innen und Intellektuellen bewegte. (2)
Ihr Eifer, ihren meist armen Künstlerfreunden zu helfen, veranlasste den Maler Isaías Cabezón, ihr den Spitznamen "Hormiguita" (kleine Ameise) zu geben, "wegen der leidenschaftlichen Energie, mit der sie ihre Ziele verfolgte". In Madrid begegnete sie im Jahr 1934 Pablo Neruda. Um die Umstände dieser Begegnung ranken sich zahlreiche Legenden. Sicher sind nur Jahr und Stadt. Delia war zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alt, Neruda 20 Jahre jünger.
Spanische Flüchtlinge
Pablo Neruda lebte und arbeitete in den 1930er Jahren als chilenischer Konsul zunächst in Barcelona und später in Madrid. Der durch den Militärputsch im Juli 1936 ausgelöste Spanienkrieg und der Sieg Francos im April 1939 führte zu einem Strom spanischer Flüchtlinge, die in überfüllten französischen Internierungslagern unter miserablen Bedingungen lebten. Sie konnten oder wollten nicht zurück ins faschistische Spanien und suchten verzweifelt nach Aufnahmeländern.
Auf Anfrage erklärte sich Chile bereit, eine bestimmte Anzahl spanischer Flüchtlinge aufzunehmen und deren Überführung nach Chile zu finanzieren. Der chilenische Außenminister Abraham Ortega Aguayo organisierte zusammen mit Delia del Carril und Pablo Neruda auf dem Schiff Winnipeg die Überfahrt von 2.078 spanischen Flüchtlingen, die am 3. September 1939 in Chile an Land gingen.
Zusammen mit Neruda begann Delia 1943 ein neues Leben in Chile. Ihr Haus "Michoacán" in Santiago de Chile wurde zum Treffpunkt für politische Aktivitäten, Partys und Versammlungen. Für Freundinnen und Freunde stand die Tür immer offen. Delia erinnert sich: "Das waren intensive Zeiten für Pablo. Er stand früh auf, schrieb, aß zu Mittag und machte seine heilige Siesta. Ich tippte seine Gedichte ab, die wir am Nachmittag lasen, und am Abend besuchten uns Freund*innen und Genoss*innen. Unser gemeinsames gesellschaftliches und politisches Leben war damals von vielen Aktivitäten geprägt."
Mit der Kandidatur des Dichters für die Abgeordneten-Kammer und wenig später, nach dem Aufstieg von Gabriel González Videla zum Präsidenten kam es zu Verrat und unerbittlicher Verfolgung, wer seine Haut retten wollte, musste politische Aktivitäten heimlich machen. Neruda musste ins Exil, der Plan des Paares war, sich in Italien wiederzusehen.
Doch genau dort kam es zur Trennung. Denn Neruda lebte bereits heimlich mit Matilde Urrutia zusammen. (Urrutia ist im Übrigen ebenfalls ein Name baskischer Herkunft, der bis heute weit verbreitet ist. Urruti bedeutet "entfernt, weit weg"). Neruda verabredete sich mit Delia im Hafen von Ostia, um gemeinsam nach Chile zurückzukehren. Das Schiff nach Barcelona legte um 10 Uhr morgens ab. Delia war jedoch auf 12 Uhr bestellt. So wartete sie vergeblich auf die Ankunft ihres Mannes. Der Dichter war nicht mehr da, er war ohne sie abgereist, ein sehr unrühmliches Ende. Ohne ein Wort der Erklärung und resigniert kehrte Delia nach Chile zurück. Dort trennten sich die beiden im Februar 1956 definitiv. Trotz dieser Schmach sprach Delia nie schlecht über Pablo, verriet keine Einzelheiten über ihre Trennung und ließ auch nicht zu, dass andere dies taten.
Von allen Frauen, mit denen Pablo Neruda zusammen war, war Delia del Carril zweifellos die Einflussreichste. Sie machte ihn zu der Berühmtheit, die er wurde, bekehrte ihn zum Kommunismus und machte ihn mit vielen Menschen bekannt. In jenen Jahren wurde das Familienerbe verteilt, Delia wurde zu einer wohlhabenden Frau. Sie unterstützte finanziell die Partei, kaufte das Haus in La Reina und finanzierte gleichzeitig Pablos Leben, seine Reisen und auch seine Exzentrik. Aufgrund ihrer Gefühle für den großen Künstler nahm Delia dennoch immer einen bescheidenen zweiten Platz ein. Sie war eine Frau von großer Sensibilität und von großen intellektuellen Fähigkeiten.
Nach der Trennung beschloss Delia, sich ganz der Zeichnung und der Druckgrafik zu widmen. In den 1960er Jahren wurde die Künstlerin Mitglied des Ateliers "Taller 99" unter der Leitung von Nemesio Antúnez. Hier konnte sie ihre Drucktechniken weiter perfektionieren und neue entwickeln. Sie schuf auch Werke in Öl, jedoch konnte sie damit nicht weitermachen, weil ihre motorischen Fähigkeiten aufgrund der Folgen eines Unfalls eingeschränkt waren. Es waren ihre grafischen Arbeiten, die sie sowohl in der chilenischen Kunstwelt als auch im Ausland bekannt machten. Außerdem gründete sie im selben Jahrzehnt zusammen mit anderen Künstler*innen die Galerie "Sol de Bronce" (Bronze-Sonne) mit dem Ziel, das Spektrum der bestehenden Galerien in Santiago de Chile zu erweitern.
Ihr reifes Alter war für die Künstlerin kein Hindernis, große Werke zu schaffen. Ihre Werke zeichnen sich durch ihre monochromen und dicken Striche aus, die sowohl menschliche Figuren als auch die Physiognomie von Pferden darstellen, mit denen Delia seit ihrer Kindheit in Argentinien vertraut war. Durch ihre Stiche konnte Delia del Carril ihre Visionen zu Themen wie menschliche Gefühle, Freundschaft, Zärtlichkeit, Liebe und Beziehungen zum Ausdruck bringen. Im Jahr 1961 hatte sie schließlich ihre erste Einzelausstellung in der Galerie Beaux Arts in Santiago de Chile. (2)
Freunde erzählten, dass Delia im Alter materiell nicht viel blieb, sie wurde von Freunden unterstützt und gefördert, die wussten, was sie erlebt hatte, und die sie als Frau und Künstlerin respektierten. Die geliebte "Hormiguita", “die Blume mit einem nicht biegsamen Stiel, wie Rafael Alberti es formulierte, starb am 13. August 1989 in "Michoacán", im selben Haus, in dem sie mit Neruda gelebt hatte. Sie wurde 104 Jahre alt. Ihr Haus vermachte sie der Kommunistischen Partei Chiles, die dort ein Museum einrichtete, das dem Werk der Künstlerin Delia del Carril Iraeta gewidmet ist. (3)
ANMERKUNGEN:
(1) Zitate und Information aus dem Artikel “Delia del Carril, artista entrañable“ (Delia del Carril, liebenswerte Künstlerin), El Imparcial, 2020-07-08 (LINK)
(2) Delia del Carril Iraeta, Wikipedia (LINK)
(3) Casa Museo Michoacán de los Guindos – Michoacán de los Guindos: der Künstlerin Delia del Carril gewidmetes Museum (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Delia del Carril (heroínas)
(2) Delia del Carril (heroínas)
(3) Delia del Carril (facebook)
(4) Delia del Carril (heroínas)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-08)