sexisms1Rote Karte für Machismus

Ainhoa Azurmendi (Hernani, 1978) ist Dozentin an der Fakultät für Psychologie der Baskischen Universität UPV und war Beraterin für die Ausarbeitung eines Protokolls zur Prävention und Bekämpfung von sexistischer Gewalt im Sport, das 2019 fertiggestellt wurde. Durch den Skandal nach dem Gewinn der Frauen-Weltmeisterschaft im Fußball wurde dieses Protokoll aktueller denn je. Der spanische Fußball-Verband und eine ganze Reihe von Verbands-Verantwortlichen zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite.

Nach dem Gewinn der Fußball-WM der spanischen Frauen legte Verbands-Präsident Rubiales mehrfach ein sexistisches Verhalten an den Tag, was zu einem Skandal von internationalen Dimensionen, zu seiner Suspension durch die FIFA, nicht aber zu seinem Rücktritt führte.

Ainhoa Azurmendi ist mit dem Protokoll gegen sexistische Übergriffe des Obersten Sport-Rates (Consejo Superior de Deportes, CSD), das nach seiner Verabschiedung an alle Sportverbände und Einrichtungen in Spanien verschickt wurde, bestens vertraut. Denn als Beraterin hat sie das Dokument mit ausgearbeitet. Azurmendi hat das Chaos nach dem Übergriff von Luis Rubiales, dem Präsidenten der Fußball-Föderation (RFEF) gegenüber verschiedenen Spielerinnen bei der Medaillenverleihung der Weltmeisterschaft genau verfolgt.

Was war geschehen?

sexisms2Nach dem sportlichen Erfolg hatte sich der Präsident auf der Ehrentribüne in die Eier gefasst, bei der Ehrung eine Spielerin wild umarmt und in Eigeninitiative geküsst. Um den Skandal herunterzuspielen wurde die Spielerin genötigt, eine öffentliche Erklärung abzugeben, was sie verweigerte. Auch der Trainer übte entsprechenden Druck aus. Es folgte eine gefälschte angebliche Erklärung der Spielerin, ein Angriff durch den Übergreifer gegen die Regierung wegen deren “falschem Feminismus“ und eine scharfe Antwort der Regierung. Bei der folgenden Verbands-Versammlung beschuldigte der Präsident die Spielerin der Lüge und erhielt teilweise stehenden Applaus, unter anderem von den Trainern der Frauen und der Männer. Der Frauen-Trainings-Stab wurde gezwungen, sich in die sichtbare erste Reihe zu setzen. Darauf erklärten alle Kickerinnen ihren Rückzug aus dem Team, 11 Personen aus dem Trainings-Stab ihren Rücktritt. Der Skandal nahm internationale Dimension an, die FIFA suspendierte den Präsidenten, der weiter mit wilden Anschuldigungen um sich warf und seine Kritiker*innen des “sozialen Mordes“ bezichtigte. Die Regierung kann nicht entlassen, weil sie zur Neutralität verpflichtet ist und sich in die Autonomie des Verbands nicht einmischen darf.

Schwerwiegendes Verhalten, Machtverhältnisse

In einem Interview analysiert die Psychologin Ainhoa Azurmendi aus Hernani ein Verhalten, das sie "sofort als ziemlich schwerwiegend identifizierte, weil es sich um ein Machtverhältnis handelt". Das Sport-Schieds-Gericht TAD wertete das Verhalten des Präsidenten “nur“ als “schwerwiegendes Vergehen“ (nicht als besonders schweres), was nicht ausreicht, dass der CSD-Sport-Rat den Funktionär vorübergehend suspendieren kann. Im Interview geht es auch um die Bedeutung der Protokolle zur Vorbeugung und Sensibilisierung für unangemessenes Verhalten, "das häufig in normalisierter Form“ angetroffen wird, sowie um das Wissen, was im Falle eines Missbrauchs getan werden sollte. (1)

Was sind die wichtigsten Punkte des CSD-Protokolls?

Die wichtigsten Punkte sind die Grundsatz-Erklärung, eine Definition der Terminologie und die hauptsächlichen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit sexistischer Gewalt. Das stammt bereits aus dem Leitfaden, den wir 2015 für das baskische Frauen-Institut Emakunde erstellt haben. Dafür hatten wir verschiedene Definitionen gesammelt, welche Situationen in unterschiedlichen Untersuchungen zum Thema ermittelt wurden. Daraus haben wir eine Tabelle mit allgemeinen Situationen erstellt, Körperkontakt, mit verbaler und nonverbaler Kommunikation ...

Das Ganze wurde überarbeitet mit neuen Arbeiten, die wir durchgeführt haben, und mit den Beiträgen von Sportlerinnen. Auf dieser Grundlage gibt es eine Klassifizierung der Vergehen: welche sind weniger gravierend, welche sind gravierender, welche sind schwerwiegend ... Jeder Teil-Verband musste zustimmen, unterschreiben und eine oder einen Unterstützungs-Beauftragten benennen, der oder die im Falle eines Verstoßes tätig wird und Maßnahmen ergreift. Das Verfahren ist sehr wichtig. Normalerweise dient ein Protokoll der Prävention, der Sensibilisierung aller Akteurinnen und Akteure im Sport, nicht nur der Athleten und Athletinnen. Danach wird ein Verfahren für Maßnahmen zusammengestellt, um zu wissen, was unternommen werden soll, wenn etwas passiert.

Würden Sie sagen, dass dieses Protokoll einer der Schlüssel dazu war, dass der Sport-Rat Rubiales beim Schieds-Gericht anzeigen konnte?

Einerseits ja. Weil es ein Protokoll gibt, weil es nicht eingehalten wurde, weil eine Reihe von Verhaltensregeln verletzt wurden. Auf der anderen Seite gibt es die FIFA. Ich arbeite in diesem Bereich auch für die FIFA. Die FIFA berücksichtigt die Figur der jungen Fußballerin, weil sie dort wissen, dass es sich um stark maskuline Strukturen handelt. Auf internationaler Ebene wird diese Art von maskulinen Strukturen als Risikosituation erkannt, in der es Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, die versuchen, Skandale zu vertuschen ...

Auf internationaler Ebene wird das Vorgehen von Rubiales von allen Experten angeprangert. Wie ist es möglich, dass dieser Mann immer noch glaubt, dass das, was er getan hat, legitim ist?

Erinnern Sie sich, als wir vor Jahren davon sprachen, dass der Fußball die letzte Bastion der Männlichkeit ist? Nun, er ist ein Vertreter dieser extremen Männlichkeit. Er glaubt, dass der Feminismus einen Krieg gegen ihn führt. Er fühlt sich im Besitz der Macht und glaubt, dass er die von ihm begangenen Verhaltensweisen verharmlosen kann. Wenn in anderen Ländern ein Regierender für einen Skandal verantwortlich ist, bleibt ihm in der Regel nur der Rücktritt. Dieser Fall ist ein Anhängsel der Macho-Gesellschaft, es geht auch darum, dass es um Interessen und Macht geht. Er versteht dies keineswegs als Fehlverhalten.

sexisms3Es wurde eine Art Kampagne gestartet, um das Opfer zu beschuldigen, indem einige Videos von der Spielerin veröffentlicht wurden.

Das ist brutal. Er hat auf der ganzen Linie Erpressung betrieben. Eine Person, die Gewalt anwendet, nutzt verschiedene Elemente, um ihren Ruf zu wahren und die Geschichte umzudrehen. Um sich selbst davon zu überzeugen, dass die Schilderung der Spielerin eine Erfindung ist, dass ein Einverständnis vorlag … das ist eine Schande. Das wurde vom ersten Moment an gelogen, von der Benutzung der Worte der Spielerin in der angeblichen Erklärung, bis hin zu der Inszenierung in der Umkleidekabine, sie wollten die Sache herunterspielen. Ganz zu schweigen von dem, was er auf der außerordentlichen Verbands-Versammlung gesagt hat, was uns alle sprachlos gemacht hat.

Alles, was er gesagt hat, ist schwerwiegend. Und wieder einmal lastet nun der ganze Druck auf dem Opfer, und zwar dauerhaft. Es gibt zwei klare und unterschiedliche Dinge: auf der einen Seite die sportliche Disziplin und auf der anderen Seite den strafrechtlichen Weg – das angebliche Einverständnis, mit dem er die ganze Zeit versucht hat, die Sache herunterzuspielen. Das ist der eine Weg, wenn nötig, muss er gegangen werden. Nach meiner Interpretation weiß ich, dass die Protokolle, mit denen im Sportbereich gearbeitet wird, dies als Verhalten im Zusammenhang mit sexistischer Gewalt identifizieren. Außerdem muss der gesamte Kontext berücksichtigt werden: die Einstellung zum Frauenfußball, die Infantilisierung der Frauen, das Benutzen der Macht zum eigenen Vorteil?

Alle Spielerinnen haben sich solidarisch gezeigt und sich gestärkt. Kann das ein Meilenstein sein?

Ja, auf jeden Fall. Dies wird ein Meilenstein sein, denn diese Frauen haben einen Punkt erreicht, an dem sie gesagt haben, genug ist genug, jetzt reicht es. Der Schlüssel war die Sensibilisierung. Im Prinzip wissen sie selbst nicht, wie schwerwiegend der Fall ist. Das ist typisch. Wenn Situationen von Gewalt gegen Frauen oder Diskriminierung atomisiert werden, ist das eine sehr gute Strategie für das Patriarchat, um uns zum Schweigen zu bringen oder ohnmächtig zu machen. Ich habe schon oft gesagt, dass es für Frauen bereichernd ist, mehr über andere Sportarten oder den Feminismus zu erfahren. Der Fußball ist immer die letzte Station, weil es dort männlichen Widerstand gegen die Umsetzung von Gleichstellungs-Maßnahmen gibt. Im männlichen Bewusstsein ist der Frauenfußball zweitrangig, und sie handeln auf allen Ebenen in diesem Sinne.

Seit der FIFA-Entscheidung (Suspendierung) hat es viele Verurteilungen gegeben. Hätten diese früher kommen sollen?

Der Grund, warum dies nicht als unangemessenes Verhalten erkannt wurde, ist der Macho-Charakter des Fußballs. Oder weil es auch wichtigere Interessen gibt als die Forderung nach grundlegenden Menschenrechten. Denn es gibt in unserer Gesellschaft viele normalisierte Verhaltensweisen in allen Bereichen, die nicht als Gewalt betrachtet werden. Die Menschen haben Angst, den Begriff Gewalt zu benutzen. Und deshalb sind Menschen, die nicht in der Lage waren, das Verhalten als Gewalt zu identifizieren, davon überzeugt, dass es nicht so schlimm war, dass Vergebung ausreicht und dass wir über das Erreichte reden müssen. Aber in Wirklichkeit ist es viel ernster, wir können es nicht einfach dabei belassen.

In einem Tweet erwähnten Sie, dass das Verhalten der Spielerin für vorbildlich und intelligent halten. Warum?

Vor allem, weil sie sich nicht erpressen ließ, als sie ihr vorschlugen, in dem Video (noch während der Rückreise) mit Rubiales aufzutreten. Sie wollte sich auf den Sieg konzentrieren. Und das ist auch besser so, denn im Eifer des Gefechts bist du nicht in der Lage, das zu bewerten. Denn diese männliche Struktur hat sehr darauf geachtet, keine Sensibilität zu zeigen bei solchen Verhaltensweisen. Ich weiß nicht, ob diese Frauen wissen, dass es ein gültiges Protokoll gibt. Die FIFA ist auch kritisiert worden, ab jetzt muss das bei allen Turnieren umgesetzt werden - dann können wir auch über Katar reden und so weiter. Das ist durch die Gewerkschaft der Fußballerinnen zum Ausdruck gebracht worden. Auf jeden Fall, nicht jedes Opfer hat die Möglichkeit, so zu handeln. Ich möchte klarstellen, dass wir von einem Opfer nichts zu fordern haben, weil das System in der Lage ist, alles zu manipulieren.

Mit welchen anderen Sportverbänden oder Einrichtungen haben Sie an Protokollen gegen sexistische Belästigung gearbeitet? Mit dem Provinzialrat von Bizkaia haben Sie einen Gleichstellungsplan für die Anwendung in Sportverbänden und -einrichtungen erstellt, mit dem Fußball-Club Real Sociedad arbeiten sie ebenfalls seit Jahren zusammen.

sexisms4Mit Real Sociedad arbeiten wir seit 2017-2018 an der Prävention von sexistischer Gewalt unter Erwachsenen und auch an der Prävention zum Schutz der Jugend. Ein Kulturwandel braucht Zeit, und dafür brauchen wir Engagement, um uns darüber klar zu werden, was Rechte von Einzelnen in einer Verbands-Struktur bedeuten. Die Funktionäre müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie sich auf das Wohlergehen der Beteiligten konzentrieren müssen und nicht auf Macht oder Geschäfte, obwohl auch diese relevant sind, damit die Struktur funktioniert. In den letzten Jahren hat vor allem die FIFA großen Wert auf die Aspekte Integrität, Korruptions-Bekämpfung und Transparenz gelegt. Diese Grundlage, die wir 2015 für Emakunde geschaffen haben, haben wir in vielen Vereinen angewandt. In Vereinen, die eine Vereinbarung mit La Real haben, zum Beispiel, aber auch in anderen Bereichen wie Rugby, Basketball, Leichtathletik. Auch auf lokaler Ebene, mit den Stadtverwaltungen, damit sie das an die Vereine weitergeben und Fortbildungen anbieten. Eine Verpflichtung ist enorm wichtig, und dass die Ressourcen für diese Arbeit vorhanden sind.

Die Arbeitsaufsichts-Behörde der baskischen Regierung hat alle Sportverbände und -institutionen daran erinnert, dass das Protokoll gegen sexistische Belästigung obligatorisch ist. Glauben Sie, dass in der Region Baskenland alle dieses Protokoll anwenden?

Nein. Viele, die ein Protokoll haben, haben keine Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit geleistet, sondern haben es zur Kenntnis genommen und abgeheftet. Die ein Protokoll anwenden, verteilen die Information unter allen Akteuren, sie machen Präventionsarbeit, und wenn etwas passiert, werden Verfahren aktiviert und es kommt zu Konsequenzen. Ich weiß, dass an verschiedenen Orten Protokolle angewandt oder informell akzeptiert werden mussten, wenn bereits etwas passiert war. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sexistische Belästigung vorkommt. Keine Information zu haben oder Nichtwissen bedeutet nicht, dass es nicht zu Übergriffen kommt. Der Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, das gilt auch für den Bereich der Übergriffe. Ich würde sogar feststellen, dass der Sport eigene Merkmale hat, die Übergriffe begünstigen: Reisen, individuelles Training, sportliche Zweier-Beziehungen? Auf der einen Seite gibt es Vereine, die nicht wissen, wie sie sich in solchen Situationen verhalten sollen und denen geholfen werden muss. Auf der anderen Seite ist ein kultureller Wandel absolut notwendig, damit bestimmte Verhaltensweisen wie sexistische oder andere Arten von Gewalt nicht als normal hingenommen werden.

ANMERKUNGEN:

(1) “No identificar como inadmisible la conducta de Rubiales refleja lo machista que es el fútbol” (Rubiales Verhalten nicht als unakzeptabel zu betrachten, zeigt, wie machohaft der Fußball ist), Tageszeitung Gara, 2023-09-03 (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Fußball (RLS)

(2) Azurmendi (gara)

(3) Fußball (ARD)

(4) Fußball (jaumann)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-09-04)

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