Verhandlungen sind limitiert
Herbst 2022, die Streikaufrufe häufen sich, bei der Gewerkschaft ELA herrscht frenetische Aktivität. Angesichts des hohen Verbraucherpreis-Index und der Debatte, wie die Löhne angeglichen werden können, haben sich die Konflikte vervielfacht. Euskadi ist führend in diesem Bereich, 46% der Streiks im spanischen Staat finden hier statt. Darin sieht der Vorsitzende von ELA, Mitxel Lakuntza (* 1976), einen Wert, den es zu bewahren gilt, da es der einzige Weg sei, um gute Vereinbarungen zu erzielen.
Streik- und Kampfbereitschaft: "Die Erfahrung lehrt uns, dass Streiks notwendig sind, um gute Tarif-Vereinbarungen zu errzielen", sagt Mitxel Lakuntza, Generalsekretär der Gewerkschaft ELA.
Lakuntza negiert, dass ELAs Alleingang im aktuellen Metall-Streik wahltaktische Ziele verfolgt. Denn während die übrigen Gewerkschaften auf fortgesetzte Verhandlungen und Tagesstreiks setzen, hat ELA einen unbefristeten Streik ausgerufen. Lakuntza beharrt auf seinem harten Diskurs gegenüber dem Lehendakari (dem baskischen Ministerpräsidenten) und der PNV: "Er geht nach Madrid, um eine Steuersenkung für Banken und Energie-Unternehmen auszuhandeln". Auch der links-abertzalen Koalition EH Bildu steht er kritisch gegenüber und stellt die Verhandlungserfolge in Frage, die die Linkskoalition der Regierung von PSOE und Podemos in der Diskussion um die Staathaushalte abgerungen hat.
INTERVIEW MITXEL LAKUNTZA, ELA
Frage: Die ELA hat den Wert der von EH Bildu mit der Regierung getroffenen Vereinbarung über die Kontrolle des Kurzarbeitsgeldes (ERE) durch die Aufsichtsbehörde heruntergespielt. Doch hat dieser Pakt den Arbeitgeberverband CEOE dazu veranlasst, mit Yolanda Díaz zu brechen.
Mitxel Lakuntza: Die Überreaktion der Arbeitgeber hat dazu beigetragen, eine Vereinbarung überbewertet wird, die nichts Wesentliches ändert. Die Aufsichtsbehörde darf nur die Ursachen der EREs bewerten, was im Baskenland bereits praktiziert wurde. Die vorherige Genehmigung des Arbeitsministeriums, die Rajoy mit der Reform von 2012 abgeschafft hat, wird nicht wiederhergestellt, und auch die Ausweitung der Kündigungsgründe, die er damals eingeführt hat, wird nicht geändert. Die Unternehmen haben weiter alle Möglichkeiten, auf leichte Art zu entlassen. Die öffentliche Bewertung der Abkommen hat nichts mit dem Inhalt zu tun, der vereinbart wurde.
F: Geht die Überbewertung auf EH Bildu zurück?
ML: Der EHB-Abgeordnete Oskar Matute sagte so etwa, dass wir zu der Situation vor 2012 zurückkehren würden, das stimmt nicht. Der (für die Zustimmung zum Staatshaushalt) erreichte Gegenpart wird überschätzt, um ihn bei den Wahlen besser verkaufen zu können.
F: Es gab auch andere Vereinbarungen, wie die Ausweitung der MIR-Plätze für Mediziner*innen oder die Erhöhung der beitragsfreien Renten.
ML: Es handelt sich um Teilmaßnahmen im Gegenzug für die Unterstützung eines Haushalts, der als Ganzes bewertet werden muss. Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Haushalt schlecht ist, weil er den sozialen Bedürfnissen nicht gerecht wird und eine Erhöhung der Militärausgaben um 26% vorsieht. Aber wir haben EH Bildu und die PNV auch gebeten, dass sie Fragen der Selbstverwaltung wie die Gehälter im öffentlichen Sektor, die Ersatzraten oder die MIR-Stellen zurückgewinnen müssen. Es ist unverständlich, dass eine links-abertzale Partei die Gehaltserhöhungen akzeptiert, die Madrid beschließt.
F: Halten Sie es in Bezug auf die Gehälter der Angestellten für logisch, dass das Durchschnittsgehalt im öffentlichen Sektor bei 2.800 Euro liegt, während es in der Privatwirtschaft 1.900 Euro sind?
ML: Im öffentlichen Sektor gibt es 46.210 Zeitarbeiter, und nur 12.000 Stellen wurden geschaffen, um sie zu stabilisieren. Bei Osakidetza (baskisches Gesundheits-System) verlassen die Fachkräfte die Region, weil sie schlecht behandelt werden. Ich habe keine Daten zu den Gehältern, um diese Statistik zu bestätigen, aber sie zeigt auf jeden Fall, dass die Gehälter im privaten Sektor niedrig sind. Diese konstruierte Wahrnehmung, dass Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst privilegiert sind, hat nichts mit der Realität zu tun. Es ist ein Diskurs, um den öffentlichen Sektor zu diskreditieren und immer mehr Bereiche zu privatisieren.
In Tapia's Büro
F: Hat diese Privatisierung im Baskenland stattgefunden?
ML: Natürlich. In Großküchen, bei der Reinigung ... Diejenigen, die das Büro der Wirtschafts-Senatorin Arantza Tapia reinigen. Das ist ein privates Zugeständnis.
F: Sie streiken im Bildungsbereich wegen eines Gesetzes, das sich noch im Entwurfsstadium befindet und das auf einem politischen Pakt mit 90% Parlaments-Unterstützung beruht. Wie rechtfertigen Sie das?
ML: Wir wissen ziemlich genau, dass das Ziel darin besteht, das derzeitige System der Trennung der Bildungsnetzte beibehalten werden soll. Wir verteidigen die Interessen der Arbeitnehmer*innen und sind für ein einziges, öffentliches, baskisch-sprachiges Netzwerk.
F: Seit wann haben Sie sich nicht mehr mit Urkullu getroffen? LAB hat dies im November getan.
ML: Ich hatte noch kein Treffen. Als wir im Januar 2020 den Streik vorschlugen, schickten wir ihm einen Brief, in dem wir um ein Treffen baten, er antwortete, er sehe keinen Grund dazu. Für uns war dieser Mangel an Respekt und Ernsthaftigkeit endgültig. In den zehn Jahren seiner Amtszeit haben der Lehendakari und die PNV gezeigt, dass ihr Hauptziel darin besteht, die Interessen des Großkapitals und der Arbeitgeber zu fördern. Dies zeigt sich auch in der Steuerpolitik. Die Steuern werden hier nicht angetastet, obendrein will man in Madrid versuchen, die Steuern für Banken und Energie-Unternehmen zu senken. Sie erwägen auch, die Steuer auf große Vermögen im Baskenland nicht anzuwenden. Das Gleiche ist zu beobachten, wenn es in Unternehmen wie Mercedes oder Tubacex zu Konflikten kommt. Gewerkschaften werden für Streiks kriminalisiert.
F: Bei Tubacex vermittelte die baskische Regierung, und es wurde eine Vereinbarung erzielt, die von ELA unterzeichnet wurde.
ML: Aber nach einem monatelangen Streik, der Entlassungen verhinderte.
F: Das Unternehmen hat zunächst eine Lohnkürzung ohne Entlassungen angeboten.
ML: Das ist die Version des Unternehmens.
F: ELA rühmt sich, dass in Euskadi die Hälfte der Streiks des spanischen Staates staatfinden, aber selbst LAB wirft der ELA vor, das Instrument der Streiks für Wahlzwecke zu nutzen.
ML: Die Tatsache, dass wir in diesem Land in der Lage sind, die Arbeitnehmer zu aktivieren, führt dazu, dass wir bessere Bedingungen haben als andere Regionen. Es ist eine Realität, die es zu bewahren gilt und die dieses Land auszeichnet.
F: Gefährdet diese Konflikthäufigkeit nicht die Investitionen und die Beschäftigung?
ML: Wir konzentrieren uns jetzt auf den Kampf um die Löhne und um eine Erhöhung, die an den Verbraucherpreis-Index gekoppelt ist. Die Unternehmen machen Rekordgewinne; selbst die spanische Zentralbank warnt, dass die Profite siebenmal stärker gestiegen sind als die Löhne. Mit schlechten Bedingungen kann man keinen Arbeitsmarkt aufbauen.
F: Aber es gibt Unternehmen mit Problemen, die eine Erhöhung der Löhne um die Preissteigerungsrate nicht bezahlen können.
ML: Wie immer wird es Unternehmen mit Problemen geben. Aber der Börsenwert IBEX (der 35 stärksten Unternehmen) verzeichnet Rekordgewinne.
F: Für 60% der baskischen Arbeitnehmer sind die Löhne eingefroren, weil keine Einigung über die Erneuerung von Tarifverträgen erzielt wurde. Sollten nicht eher Verhandlungen statt Streiks gefördert werden?
ML: Wir sind dafür, zu verhandeln, um eine gute Einigung zu erzielen. Das Problem ist, dass die Kluft oft sehr groß ist und die Erfahrung zeigt, dass ein Streik notwendig ist, um eine gute Einigung zu erzielen. Nur so können Vereinbarungen getroffen werden, die sonst unmöglich sind. Die Arbeitgeber wissen, dass sie durch die Blockade von Tarifverhandlungen eine Lohnabwertung erreichen. Deshalb besteht die Herausforderung für die Gewerkschaft darin, die Arbeitnehmer zu organisieren.
F: Könnte diese fehlende Erneuerung der Verträge der Grund dafür sein, dass die Durchschnittslöhne im Baskenland nur um 1% gestiegen sind, was die geringste Steigerung im Staat darstellt?
ML: Die Gehälter im Baskenland sind nach wie vor die höchsten im Staat und liegen im Durchschnitt bei rund 2.300 Euro. Und in den getroffenen Vereinbarungen hier beträgt der Anstieg mehr als 5%, gegenüber 3% im Staat. Das bedeutet, dass gute Gehälter nur mit guten Verträgen erzielt werden können.
Was erreicht werden soll
F: Bei Metall-Bizkaia verhandeln CCOO, LAB und UGT gemeinsam und werden bei der nächsten Sitzung ein Angebot vorlegen, nachdem die Arbeitgeber ihr Angebot achtmal verbessert haben. Die ELA ist für einen unbefristeten Streik. Warum gehen Sie getrennte Wege?
ML: Wir hatten den Präzedenzfall in der Provinz Araba, wo die übrigen Gewerkschaften eine Vereinbarung unterzeichneten, die die Löhne nur auf dem Papier, nicht aber die Reallöhne anhob, das kam nur 10% der Arbeitnehmer zugute. In Bizkaia wollten wir Mindest-Forderungen vereinbaren, mit der Preissteigerung für jedes Jahr, die Praxis der Subunternehmen, aber die anderen waren nicht dazu bereit.
F: Aber in allen Gebieten werden Formeln akzeptiert, um die Inflation am Ende der Tariflaufzeit zu aktualisieren, und das nicht immer zu 100%, angesichts einer rasant steigenden Preissteigerung.
ML: So garantieren wir nicht die Kaufkraft.
F: Andere Gewerkschaften werfen ELA vor, sich aus den Tarifabschlüssen herauszuhalten, sich nicht in die Verhandlungen einzumischen, obwohl sie wissen, dass sie unterzeichnet werden. Auf diese Weise hält sie eine radikale Position aufrecht, die ihr bei den Wahlen zugute kommt.
ML: Wir haben deutlich gemacht, was wir für den Metall-Bereich in Bizkaia fordern, deshalb wollten wir uns auf diese Mindestinhalte einigen. Wo die anderen ihre Messlatte ansetzten, das ist eine andere Sache.
F: Bei Mercedes ist etwas Ähnliches passiert. Die anderen haben sich auf eine Vereinbarung bis 2026 geeinigt, die von der Mehrheit der Arbeitnehmer*innen unterstützt wird, und es wurde erreicht, dass das Stammwerk in Deutschland Millioneninvestition in Vitoria-Gasteiz bestätigt. Aber die ELA hat nun die Betriebsrats-Wahlen gewonnen.
ML: Es mag sein, dass die Arbeitnehmer, als sie für die Vereinbarung stimmten, Angst hatten oder andere Beweggründe. Bei den Wahlen haben sie jedoch die Arbeit jener Gewerkschaften anerkannt, die sich der Erpressung des Unternehmens, das Rekordgewinne erzielt, widersetzt haben.
F: Hat ELA die Löhne der Beschäftigten der Gewerkschaft entsprechend der Preissteigerung angehoben?
ML: Das ist eine kollektive Entscheidung, die von den Gewerkschafts-Gremien getroffen werden muss, und sie ist im Gesamthaushalt enthalten. Wir sind kein Unternehmen. Unser Ziel ist es, unsere Autonomie durch die Mitglieder zu erhalten, wobei wir uns darüber im Klaren sind, dass wir gute Arbeitsbedingungen brauchen, damit das Projekt Bestand hat.
F: Sie haben sich sehr kritisch über die Arbeitsmarktreform geäußert. Im Baskenland sind jedoch 80% der Arbeitnehmer fest angestellt.
ML: Bei festen Verträgen, die nicht durchgängig sind, kann man sechs Monate lang arbeitslos sein und Arbeitslosengeld beziehen, ohne als arbeitslos zu gelten. Es gibt Tausende solcher Arbeitnehmer*innen. Da wurden nur die Statistiken geschönt. Nur 12% der neu unterzeichneten Verträge sind unbefristete Vollzeitverträge.
ANMERKUNGEN:
(1) “La experiencia nos dice que para llegar a un buen acuerdo es necesaria la huelga” ("Die Erfahrung lehrt uns, dass ein Streik notwendig ist, um eine gute Einigung zu erzielen"), Interview mit dem Generalsekretär der baskischen Gewerkschaft ELA, in der Tageszeitung El Correo, 2022-12-18 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Streik Altersheime (ecuador etxea)
(2) Mitxel Lakuntza (elcorreo)
(3) Streik Metall (diario vasco)
(4) Streik Altersheime (ecuador etxea)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-12-20)