nikisaintphalle21Feministische Plastiken

Eine Retrospektive zu Niki de Saint Phalle wird vom 26.Februar 2015 an in einer Ausstellung in Bilbao zu sehen sein. Zum ersten Mal wird dabei das gesamte Werk einer der großen feministischen Künstlerinnen des 20.Jh zu sehen sein. Bekannt wurde die französische Malerin und Bildhauerin Niki de Saint Phalle vor allem durch ihre sogenannten "Nanas", Frauenfiguren mit betont üppigen Formen – anfangs aus Draht und Textilien, später aus Polyester gefertigt, die in der ganzen Welt zu sehen sind.

(30.01.2015) Mit einem Arbeits-Overall bekleidet, das Gewehr angelegt, auf eine zum Malen bereite Leinwand zielend – das ist eines der berümtesten Fotos der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle. Das Bild ging um die Welt und trug zu ihrem Ruf als erste feministische Künstlerin des 20. Jahrhunderts bei. "Die Kunst zu entdecken war für mich ein großes Glück", sagte sie einmal, "denn psychologisch gesehen hatte ich alle Voraussetzungen, zur Terroristin zu werden. Stattdessen benutzte ich die Waffen für einen guten Zweck: die Kunst" (1). Die von ihr kreierte Explosion von Farben wird mit 200 Kunstwerken auf 2000 Quadratmetern in der Hauptstadt von Bizkaia bis zum 11.Juni zu sehen sein.

Leben und Schaffen der Künstlerin

Niki de Saint Phalle wurde am 29.Oktober 1930 in Neuilly-sur-Seine geboren und starb in San Diego am 21.Mai 2002. Ihr eigentlicher Name war Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle. Sie wurde in einem Pariser Vorort geboren, wuchs aber hauptsächlich in den USA auf und wurde infolge ihrer Heirat mit Jean Tinguely im Jahr 1971 in der Schweiz eingebürgert (...) Von 1936 bis 1945 besuchte Niki de Saint Phalle die Klosterschule Sacré-Cœur in New York. Mit elf Jahren wurde sie von ihrem Vater sexuell missbraucht, ein Schock, der sie über eine spätere Therapie zur Kunst führte. (2)

Ihr Künstlerfreund Pontus Hultén schrieb über sie: "Mehr oder weniger bewusst verstand sie ganz allmählich, dass Kunst ein Lebensprinzip ist, für manche Menschen vielleicht das Lebensprinzip überhaupt, das aber mitsamt seinen Kräften leider domestiziert und kultiviert worden war. Gleichzeitig erkannte sie, dass man sich dieses Prinzips nach Gutdünken bedienen konnte, um dunkle Mächte zu rufen und sie für sich in den Dienst zu nehmen. Hierfür gab es weder Regeln noch Einschränkungen, sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Dieser Weg, zwischen der Welt in ihrem Innern und der Außenwelt eine Beziehung herzustellen und damit eine Identität zu finden, bot sich ihr in einer Krisensituation. Ihre ersten Bilder zeigen sehr genau, wie sie Gewalt und Erregung auf diese Weise freisetzen konnte." (2)

nicisaintphalle22Sie selbst sagte dazu: "Ich war eine zornige junge Frau, doch gibt es ja viele zornige junge Männer und Frauen, die trotzdem keine Künstler werden. Ich wurde Künstlerin, weil es für mich keine Alternative gab – infolgedessen brauchte ich auch keine Entscheidung zu treffen. Es war mein Schicksal. Zu anderen Zeiten wäre ich für immer in eine Irrenanstalt eingesperrt worden – so aber befand ich mich nur kurze Zeit unter strenger psychiatrischer Aufsicht, mit zehn Elektroschocks usw. Ich umarmte die Kunst als Erlösung und Notwendigkeit." (2)

Mit 18 Jahren heiratete sie heimlich ihren Jugendfreund Harry Mathews, 1951 und 1955 bekamen sie ihre Kinder Laura und Philip. 1952 kehrte sie nach Paris zurück. 1953 entstanden ihre ersten Gemälde. Zunächst arbeitete sie als Aktionskünstlerin und machte ab 1956 mit ihren Schießbildern auf sich aufmerksam, dies waren Gipsreliefs mit eingearbeiteten Farbbeuteln, auf die sie während der Vernissage schoss. 1960 erfolgte die Scheidung von Mathews. Ab 1962 wurde sie von Alexander Iolas finanziell unterstützt, er organisierte ihr Ausstellungen und führte sie in den Kreis prominenter Künstler ein. 1962 nahm sie gemeinsam mit Jean Tinguely an der Ausstellung Dylaby in Amsterdam teil. (2)

Ab 1964 entstanden die ersten "Nanas" − Frauenfiguren mit betont üppigen und runden Formen – anfangs noch aus Draht und Textilien gefertigt. Schon bald wechselte sie jedoch ihre Technik und arbeitete vorwiegend mit Polyester, einem Material, das unter anderem bevorzugt im Bootsbau verwendet wird. 1965 entstand für die Peter Stuyvesant Zigarettenfabrik in Zevenaar die 2 Meter hohe Lili ou Tony. 1966 installierte sie auf Veranlassung des Direktors Pontus Hultén und des Schweden Per Olof Ultvedt im Stockholmer Moderna Museet eine 29 Meter lange liegende Skulptur mit dem Namen Hon (schwedisch: sie), die durch die Vagina betreten werden konnte und in deren Innerem sich unter anderem eine Bar und ein Kino befand. (2)

1968 nahm Niki de Saint Phalle erstmals an einer Ausstellung des Museum of Modern Art in New York teil. Weitere Ausstellungen folgten 1969 in München und in Hannover sowie 1970 in Paris, 1971 in Amsterdam, Stockholm, Rom und New York. 1979 begann sie in der Toskana in Capalbio, südlich von Grosseto, mit dem Bau des Giardino dei Tarocchi. Dieser "Garten des Tarot" wurde 1998 für die Öffentlichkeit freigegeben. Noch bekannter ist der 1982 begonnene Bau des Strawinski-Brunnens vor dem Centre Pompidou in Paris, der von Niki de Saint Phalle zusammen mit Jean Tinguely gestaltet wurde. (2)

nicisaintphalle23nicisaintphalle24Ausstellung in Bilbao

Zusammengestellt wurde die Ausstellung in Bilbao von Camille Morineau und Alvaro Rodríguez Fominaya, es wird die erste Retrospektive für Niki de Saint Phalle im spanischen Staat sein. Organisiert wurde sie vom Guggenheim Museum Bilbao und Musées Nationaux-Grand Palais de París, in Zusammenarbeit mit der Kunststiftung Niki Charitable Art Foundation. In einem dutzend Sälen wird ein chronologisch-thematischer Rundgang durch Saint Phalles Werk zu erleben sein. Vorgestellt werden die Themen, die sie während ihrer Laufbahn beschäftigt haben: die Macht des weiblichen Geschlechts und der Angriff auf alte gesellschaftliche Konventionen. Schwerpunkt werden die anmutigen und farbenfrohen Nanas sein, insgesamt wird ihr gesellschaftliches Engagement vorgestellt, die Radikalität ihrer Innengestaltung, die unter anderem von Gaudi, Pollok und Dubuffet inspiriert wurde. Am Anfang der Ausstellung stehen die ersten Arbeiten der Autodidaktin Niki de Saint Phalle, die sich der Kunst widmete, um "das Chaos zu besänftigen", das in ihrer Seele stürmte. Und um "die Drachen zu befrieden", die ihrer Ansicht nach im Laufe der Jahre in ihren Werken erschienen. (1)

Ein weiterer Schwerpunkt ist die berühmte "Schüsse"-Serie aus der Zeit von 1961 und dem Beginn der 70er Jahre. Aufgrund dieser Werke schlug der Kunstkritiker Pierre Restany ihre Aufnahme in die Gruppe der sogenannten Neuen Realisten vor. Neben der Auffälligkeit und Frühreife dieser Werke verbergen sich in ihnen gesellschaftliche und politische Kritik, sowie feministische Forderungen – zentrale Aspekte ihrer gesamten Karriere.

Die Feministin Saint Phalle

Niki de Saint Phalle war eine verlässliche Kämpferin für die Rechte der Frauen. Sie entschied sich, eine Heldin zu werden und wählte die Figur der Frau als wesentliche Form. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt dies bei den berühmten Nanas, den Kriegerinnen im künstlerisch-feministischen Kampf von Niki de Saint Phalle, die nach ihrer Definition Fruchtbarkeit und Geburten verkörpern. Ihre üppigen Körper mit oft dicken Bäuchen stehen für eine neue Welt, in der die Frauen die Macht innehaben. Saint Phalle wollte die erste Frau der Welt sein, die ihren Fingerabdruck im öffentlichen Raum hinterließ. Bereits in der Anfangszeit ihres Schaffens hatte sie das Bedürfnis, sich "an die ganze Welt zu richten, nicht nur an die Besucherinnen der Museen", wie es in der aktuellen Ausstellungs-Broschüre des Museums heißt. Die Skulptur mit dem Titel "Drei Grazien" wird nicht im, sondern neben dem Museum auf der Terrasse zu sehen sein – sichtbar für alle, die sich den Eintritt nicht genehmigen wollen oder können.

In zwei weiteren Sälen wird die öffentliche Arbeit der Künstlerin vorgestellt, die in Brunnen, Kinderparks, monumentalen Skulpturen, esotherischen Gärten und bewohnbaren Häusern ihren Ausdruck fand. Eines ihrer spektakulärsten und ehrgeizigsten Projekte war der "Tarot-Garten" in der italiensichen Toscana, für dessen Finanzierung sie allein aufkam – ein weiteres Symbol für das revolutionäre und pionierhafte künstlerische Schaffen der Niki de Saint Phalle.

Niki de Saint Phalle starb am 21. Mai 2002 im Alter von 71 Jahren in San Diego, im Süden des US-Bundesstaates Kalifornien. Die Ärzte hatten ihr den Aufenthalt dort aus gesundheitlichen Gründen empfohlen. Sie selbst war der Meinung, dass sie nach jahrzehntelanger Arbeit mit den giftigen Dämpfen, die bei der Verarbeitung des Kunststoffes entstehen, schwere Gesundheitsschäden der Atemwege davongetragen hatte. Ihre Grunderkrankung war aber selektiver Immunglobulin-A-Mangel.

nicisaintphalle25Ehrungen

Zwei Jahre vor ihrem Tod wurde Niki de Saint Phalle zur Ehrenbürgerin von Hannover ernannt. Aus diesem Anlass vermachte sie über 400 ihrer Werke dem Sprengel-Museum, der vorgesehene Ergänzungsbau soll eine Dauerausstellung ihrer Werke ermöglichen. Im Jahr 2002 wurde eine Einkaufspassage in der Innenstadt in Niki-de-Saint-Phalle-Promenade umbenannt. Filmografisch hat die Künstlerin folgende Spuren hinterlassen: 1968: Ich (Fernsehen), 1973: Daddy, 1976: Un rêve plus long que la nuit, 1995: Niki de Saint Phalle, ein Dokumentarfilm von Peter Schamoni. Die Hörspielautorin und -regisseurin Barbara Meerkötter entwickelte das Hörspiel Big Girl Now! Klappe 1-16 für Niki de Saint Phalle, welches assoziativ und impulsiv Nikis Leben mit dem Film Un rêve plus long que la nuit (dt. Ein Traum – länger als die Nacht, oder: Camélia und der Drachen) verbindet.

Zu erleben ist die Retrospektive Niki de Saint Phalle im Guggenheim Museum Bilbao, vom 27.Februar bis 11.Juni 2015.

Quellen:

(1) Artikel aus der baskischen Tageszeitung DEIA, mit dem Titel "La plástica del feminismo" (Die feministische Plastik) von Leire Eguskiza

(2) Wikipedia: Niki de Saint Phalle

(3) Fotostream Ausstellung Bilbao, Flickr-Txeng

Fotos:

(1) Tageszeitung Deia 28.1.2015 "La plástica del feminismo"
(2) Darstellung nach Saint Phalle, Andrea. Foto: Txeng
(3) Darstellung nach Saint Phalle, Andrea. Foto: Txeng
(4) Darstellung nach Saint Phalle, Andrea. Foto: Txeng
(5) Saint-Phalle-Magnetfiguren am Küchenschrank. Foto: Txeng

 

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