Judy Chicago in Bilbao
Judy Chicago (* 1939) gilt als eine der bedeutendsten US-amerikanischen feministischen Künstlerinnen. In den 70er Jahren arbeitete Judy Chicago mit anderen Künstlerinnen zusammen an neuen Konzepten zur Emanzipation von Frauen in der Kunstszene. Aktuell lehrt Judy Chicago und ist als künstlerische Leiterin einer Non-Profit-Kunstorganisation tätig, die sie 1978 in Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Arbeit gründete. Teile ihres Werks sind bis 10.1.2016 in Bilbo im Alhondiga-Zentrum zu sehen.
(2015-10-15) Geboren als Judith Cohen, wuchs Judy Chicago in ihrer Geburtstadt Chicago in einer Familie mit jüdisch-amerikanischer Tradition auf, wurde von ihren gewerkschaftlich engagierten Eltern jedoch weltlich erzogen. In Los Angeles an der California University studierte sie Kunst. „1971 gründete Judy Chicago gemeinsam mit Miriam Schapiro das CalArts Feminist Art Program für das California Institute of the Arts. Sie waren die Organisatorinnen einer der ersten feministischen Kunstausstellungen, Womanhouse. Im Zentrum der Ausstellung stand, als Parodie der gesellschaftlichen Stereotype, die Hausarbeit von Frauen. Die Einnahmen aus dem Verkauf diverser Kunstwerke flossen in ein feministisches Kunstprogramm. Die Ausstellung bestand aus Installationen und einer Performance in einem 17-räumigen verlassenen Haus in Hollywood. Im Prozess des Kunst-Schaffens wurden Schlüsselkonzepte des Feminismus wie Zusammenarbeit und Bewusstmachung umgesetzt. Ziel der Ausstellerinnen war es, aktiv Kunst zu fördern, die weibliche Erfahrungen in den Mittelpunkt stellt“. (1)
„Why not Judy Chicago?” – „Warum nicht Judy Chicago?“ ist der Titel der Ausstellung in Bilbo, die durch das Lebenswerk der Künstlerin führt und den Anspruch hat, die Botschaft dieser Frau darzustellen, die den weiblichen Beitrag in der Kunst deutlich zu machen versuchte und die für die Künstlerinnen einen Platz in der Kunstszene beanspruchte. „Warum sollten wir von Judy Chicago reden?“ wird in einem Artikel der Tageszeitung GARA gefragt. „Weil sie die patriarchalen Normen ablehnte, die Frauen unterdrücken mittels einer Ideologie, die Frauen eine intellektuelle Unterlegenheit zuschreibt“, lautet die Antwort. (2) Und weil sie als Dozentin der Universität Wert darauf legte, die Arbeit vieler Künstlerinnen sichtbar zu machen, die heute bekannt und anerkannt sind“. Judy Chicago machte deutlich, wie die männliche Kunst-Hegemonie angreifbar war. Zusammen mit anderen Künstlerinnen gründete sie „Widerstands-Gebiete“, in denen sie gemeinsam arbeiten konnten, unter anderem das „WomanHouse Project“, das sie zusammen mit Miriam Schapiro an der Uni von Kalifornien gründete. Es sollte ein Forschungsprojekt werden, das auf der einen Seite die Limitierungen der patriarchalen Kunst verdeutlichen und auf den anderen Freiräume für die Entwicklung von Gegenstrategien schaffen sollte. „Diese Erfahrung ist die Grundlage dafür, dass Künstlerinnen heute viel eher sichtbar sind“, (2) auch wenn die ausschließenden Mechanismen bis heute wirksam sind. Mechanismen, die dazu führen, dass Frauen nicht die künstlerische Anerkennung zuteil wird, die sie verdient hätten. In jenen Jahren der sogenannten zweiten feministischen Welle (in den 60er und 70er Jahren des 20.Jhs.) ging es um das Recht, Kunst zu produzieren und zu zeigen. Dazu mussten die traditionellen Rollenverständnissse zwischen den Geschlechtern aufgebrochen werden. Judy Chicago machte das unter anderem über ihre Lehrtätigkeit.
„Die Künstlerinnen schufen und forschten auf der Basis verschiedener kultureller, politischer und ästhetischer Prämissen. Ihr Ziel war es, eine starke künstlerische Identität zu schaffen, die ‘femininen Stereotypen‘ zu überwinden und die persönliche Erfahrung als Ausgangspunkt für eine künstlerische Entwickung zu nehmen“. (2)
The Dinner Party (1974–1979)
„International bekannt wurde Judy Chicago mit ihrer Arbeit The Dinner Party, an der hunderte Freiwillige beteiligt waren. Das in Büchern gut dokumentierte Werk ist seit 2007 im Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art im Brooklyn Museum in New York untergebracht. Der Hauptteil, eine Hommage an die Geschichte der Frauen, besteht aus 39 Tellern auf einem dreieckigen Tisch. Jeder Teller ist, in Anlehnung an die vielfältigen anatomischen Variationen einer Vulva und ihrer poetischen Umschreibung als Blume, passend zum charakteristischen kulturellen Beitrag oder Erkennungszeichen der Eingeladenen gestaltet. Die 39 Sitzplätze an diesem fiktiven Dinner der mythischen und der geschichtlich realen Frauen sind den drei Seiten thematisch zugeordnet:
Die 1. Seite mit einer Reihe der Göttinnen der Prähistorie, bis zu Hypathia in der Zeit des römischen Imperiums, veranschaulicht die Vorläufer und das Aufscheinen der Antike bis zu ihrer Auflösung. Die 2. Seite mit der Reihe von Marcella (325–410), einer Heiligen der römisch katholischen und der orthodoxen Kirche, bis zu Anna Maria von Schürmann (1607–1678), veranschaulicht den Einfluss des Christentums bis zur Reformation. Die 3. Seite mit der Reihe von Anne Hutchinson (1591–1643) bis Georgia O’Keeffe (1887–1986) spannt den Bogen von der Amerikanischen Revolution bis zur ersten und zweiten Welle der Feministischen Umwälzung“. Die Namen weiterer 999 mythischer und historischer Frauen sind auf 2300 unter dem Tischdreieck liegenden Bodenfliesen festgehalten. (1)
Feministische Projekte
Für Judy Chicago war es wichtig, in den Freiräumen nicht nur zu studieren und sich zu entfalten, sondern auch zu lernen, sich auf feindlichem Terrain zu behaupten. Ziel der Ausbildung war es deshalb, „die in feministischen Gemeinschaften ausgebildeten Frauen zu befähigen, einen Dialog zu beginnen zwischen der Welt der Frauen, der Welt der Kunst und der realen Welt“ (2).
„Das Birth Project 1980–1985 führte über die ganze USA ein Netzwerk von ausgebildeten Textilarbeiterinnen zusammen. Im Holocaust-Projekt 1993 wurde der deutsche Völkermord an den Juden mit der universalen Erfahrung der Verletzlichkeit menschlicher Wesen in Verbindung gebracht. ‚Resolutions’ von 1994 kehrte thematisch zum Feminismus zurück”. (1)
Solange Frauen nicht dasselbe Niveau an Repräsentation und Sichtbarkeit erreicht haben, hat die Schule von Judy Chicago innerhalb der Kunstszene ihre Bedeutung. Etwas wehmütig macht bei genau dieser Feststellung der Ausstellungsort in Bilbao, der selbst mit den Mängeln der Nichtbeachtung von Frauen behaftet ist – die Geschichte ist zwiespältig. Denn einerseits ist das ehemalige städtische Weinlager Alhondiga, das vor Jahren zum Kulturzentrum umgebaut wurde, nicht gerade berühmt für Kunstausstellungen, sondern eher für sein Schwimmbad und seine ausgezeichnete Bibliothek. Was dazu führt, dass sich nicht gerade die Massen bei Judy Chicago einfinden. Fast schon programmatisch für die Darstellung weiblicher (Kunst-)Arbeit ist, dass hier kein Eintritt verlangt wird (Ausnahme Niki de Saint Phalle). Dazu liegt der Austellungsraum im Untergeschoss des Gebäudes, aufgrund seiner geringen Beleuchtung kommt dem Ausstellungsraum ein gewisser Bunkercharakter zu. Andererseits, ist eine Ausstellung besser als keine Ausstellung, so ist die Alhondiga seit ihrer Wiedereröffnung als Kulturzentrum zu einem Ort geworden, der qualitativ und intellektuell hochwertige Kunst zeigt (falls solche Begriffe im Rahmen der Kunst überhaupt erlaubt sind). Hier gab es realsozialistische Plakat-Kultur, Fotos der ländlichen Sowjetunion in den 60er Jahren, die exzenllente didaktische Euskara-Ausstellung Badu Bada, das Lebenswerk des Akordeonisten Kepa Junquera, die Krimi-Weltreise „Black is Beltza“ von Fermin Muguruza und Kollegen,sowie eine zweite feministische Expo, die „Guerrilla Girls 1985-2013“. Sollte die subkulturelle Tendenz weitergehen, könnte der Kunstbunker Alhondiga zum Geheimtipp für Bilbo werden – eine qualitative hochstehende Konkurrenz hat das Guggenheim-Museum schon lange verdient.
Judy Chicagos Bücher
Through the Flower: My Struggle as a Woman Artist (1975). The Dinner Party: A Symbol of Our Heritage (1979). Embroidering Our Heritage: The Dinner Party Needlework (1980). The Birth Project (1985). Holocaust Project: From Darkness into Light (1993). The Dinner Party (1996). Beyond the Flower: The Autobiography of a Feminist Artist (1996). Fragments from the Delta of Venus (2004). Kitty City: A Feline Book of Hours (2005). (1)
ANMERKUNGEN:
(1) Wikipedia Judy Chicago
(2) Artikel Tageszeitung GARA: “Siempre pioneras: la imprescindible aportación de Judy Chicago” (Immer Pionierinnen: der unverzichtbare Beitrag von Judy Chicago), 13.10.2015
FOTOS:
(x) Fotoserie zur Ausstellung
(1) Ausstellung Judy Chicago in Bilbao, Alhondiga-Zentrum (Foto Archiv Txeng)
(2) Ausstellung Judy Chicago in Bilbao, Alhondiga-Zentrum (Foto Archiv Txeng)
(3) Ausstellung Judy Chicago in Bilbao, Alhondiga-Zentrum (Foto Archiv Txeng)
(4) Ausstellung Judy Chicago in Bilbao, Alhondiga-Zentrum (Foto Archiv Txeng)