Die Häkelguerilla
Langsam aber stetig verbreitet sich in Euskal Herria eine neue städtische Kunst: das gestrickte Graffiti, bekannt unter dem Namen "urban knitting", städtische Strick-Kunst oder auch "yarnbombing", Garnbombardierung. Ganze Gruppen von Strickerinnen der vier baskischen Großstädte widmen sich dieser Kunstart. Die Kreationen des "yarnbombing" sind auffällig, ironisch und farbenfroh, allerdings auch kurzlebig. Nur mit Glück sind sie zu finden, auch wenn es neuerdings einfacher ist, eine zu erhaschen.
(05.10.2014) Esther Lekunberri verkauft Strickwolle in einer Gasse der Altstadt von Iruñea (span. Pamplona). "Hier sind es vielleicht 14 oder 15 Personen, die im urban knitting aktiv sind", erzählt sie in ihrem Laden voller bunter Knäuel und Nadeln von 20cm Länge. "Sie kommunizieren über die sozialen Netze oder per Email. So koordinieren sie ihre Aktionen. In vielen Fällen liegt der Reiz darin zu sehen, wie lange sich das Kunstwerk hält, obwohl es in aller Regel schnell weggenommen wird", sagt Lekunberri, die von Aktionen auf den Bänken der Vuelta del Castillo Straße spricht, vom Auftauchen von gestrickten Tieren in der Ciudadela (Befestigungsanlage in Iruñea) oder von einem "Angriff" auf das Stierlauf-Denkmal (Monumento al Encierro) Im letzten Fall überlebte die Kreation, eine Art vielfarbige Handschuhe auf den Hörnern des Stiers, nicht einmal eine halbe Stunde.
Die Wollverkäuferin hält für die Gruppen das Arbeitsmaterial bereit. "Guerilla" nennen sie sich selbst. Sie erklärt, dass es sich beim urban-knitting um eine Art städtischer Kunst handelt, die" absolut friedlich ist, niemanden stört, nichts beschädigt und im Grunde die Leute dazu anregt, sich die Stadt anders vorzustellen, also aus einem fröhlicheren Blickwinkel". Auf gewisse Weise versucht sie, die Monotonie der Städte aufzuheben und sie mit Farben zu füllen, ein Kampf, der an Momo gegen die grauen Männer erinnert.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Graffitis werden die Werke der Häkelguerilla nicht signiert. Möglicherweise deshalb, weil die Aktionen von Gruppen ausgeführt werden. Schließlich bedarf es der Solidarität vieler Handarbeiterinnen anderer Städte und Dörfer. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: um genug Material zu produzieren, um beispielsweise einen Baum zu umkleiden, müsste sich eine Person mehrere Nächte lang der Produktion von rechten und linken Maschen widmen. In Euskal Herria konnte ist bislang nur ein Mann beteiligt, er nennt sich Apunto, in den USA hingegen sind Männergruppen ziemlich üblich in dieser neuen Kunstart.
Eine der Aktionen mit auffallend breiter Beteiligung verschiedener Gruppen fand in Bilbao statt, der Stadt mit der aktivsten und am stärksten verwurzelten yarnbombing-Gruppe. Bisher zumindest, denn in Iruñea (Pamplona) geht die Iniatiative mit großen Schritten voran und die Gruppe in Gasteiz (spn: Vitoria), obwohl erst vor einem Jahr gegründet, verspricht für die nächsten Monate Überraschungen. In Bilbo (Bilbao) handelte es sich um eine Aktion, die über Brustkrebs aufklären sollte: rosafarbene Schlaufen im Krankenhaus Basurto. Eigentlich sollte es nur eine einzige riesengroße Schlaufe werden, am Ende jedoch wurden es drei, da Wollreste aus Logroño und Salamanca kamen und somit jede Menge Rohstoff vorhanden war. Diese Aktion wird innerhalb der urban-knitting-Gruppe Bilbaos als großer Erfolg gewertet. Grund dafür ist die Reaktion im Krankenhaus, als sie die Schlaufen anbrachten. Als einige Krankenschwestern sahen, dass der Regen die Schlaufen zu zerstören drohte, holten sie sie nach drinnen, um sie zu schützten. Die Guerilleras sind sich bewusst, dass sie ihre Werke als verloren betrachten müssen, sobald sie auf der Straße angebracht sind. In Iruñea wurde für einen Straßenpoller in der Avenida del Ejército ein gigantischer Hut angefertigt. Kaum einige Stunden später war er bei Einbruch der Nacht verschwunden, bis er auf dem Kopf eines betrunkenen Mannes wiederentdeckt wurde. So kann festgestellt werden, dass die Kunstwerke in Bewegung bleiben.
Diese Art urbaner Kunst ist noch jung. Sie wurde im Jahr 2005 in Houston von zwei Frauen entwickelt, die unter dem Namen Knitta bekannt wurden. In weniger als 10 Jahren verbreitete sich die Idee über die ganze Welt. Bis jetzt ist sie nicht durch die Verbreitung von Forderungen oder tiefschürfenden Botschaften kennzeichnet. Wenn sie sich einem Thema besonders angenommen hat, dann ist es die Ablehnung von Militarismus. Auffällig, da der Staat Texas, in dem die Bewegung ihren Ausgang nahm, der militärisch am meisten aufgerüstete Staat der USA ist. Zu den dortigen Aktionen gehören zwei von Wolldecken umhüllte Panzer. Einer davon wurde von Marianne Jorgenstein mit rosa Resten bedeckt und am Ende der Rohrmündung mit einem enormen Knäuel versehen, das eine herausfallende Bombe symbolisierte. Der andere Panzer, ein Leopard, wurde von Frauen in Dresden letztes Jahr im Februar zur Erinnerung an die Zerstörung der Stadt mit einem vielfarbigen Anzug bekleidet. Für die Aktion wurden 36 Kilo Wolle verwendet, 60 Personen häkelten sechs Monate lang dafür. Die letzte Verrücktheit finden wir in Holbrook, Australien. Dort wurde ein U-Boot mit einer riesigen Wolldecke verhüllt, selbstverständlich in gelber Farbe.
Projekte dieser Größenordnung gab es in Euskal Herria bisher nicht, obwohl generell die Idee geteilt wird, dass die Wollprodukte mit Elementen des Stadtbilds in Beziehung treten sollen. Üblich ist die Verkleidung von Bäumen und Straßenlampen. Donostia-San Sebastián hat sich letztes Jahr mit einer Baumaktion in Szene gesetzt. Darüber hinaus hat sich eine spezielle Vorliebe für Poller und Pfeiler auf Gehwegen entwickelt. Die vergnüglichsten Aktionen sind jedoch mit Statuen verbunden. Hier ein Schal, dort eine Schürze – das gibt den strengen Skulpturen aus Stein und Bronze neues Leben. Jede Idee ist nützlich, zum Beispiel das Ausströmen riesiger Tropfen blaugrüner Wolle aus einem Brunnen.
Die Kämpfe von Cotton Che
Unter den Gruppen der Häkelguerilla werden Decknamen und Anonymität bevorzugt. Obwohl es tatsächlich schwierig ist, unerkannt zu bleiben. Letztlich erfordert das Häkeln viel Zeit und oftmals müssen die Werke auf der Straße vollendet werden – sofern entschieden wird, nicht nachts zu operieren. Für diese Reportage konnten wir eines der aktivsten Mitglieder der Gruppe in Bilbao gewinnen, intern Cotton Che genannt, die sich seit Jahren der Fertigung von Strick- und Häkelarbeiten widmet.
"Für mich liegt der Schlüssel darin, diese Arbeit aus purem Vergnügen zu machen. Ich erinnere mich gerne an die Aktion, als wir im Karneval die Statuen der meistfrequentierten Straßen Bilbaos mit Augenmasken aus Wolle verzierten. Wir brauchten drei bis vier Tage, um alle herzustellen, aber wir hatten viel Spaß dabei. Meist wird mit den Aktionen nichts weiter gesucht, als der ästhetische Anspruch, einem grauen Objekt etwas Farbe zu geben, auch wenn wir viele Stunden dafür arbeiten müssen. Wenn jemand vorbeikommt, ein Foto macht und es in den sozialen Netzen verbreitet, dann ist das für uns ein großer Erfolg", erklärt Cotton Che. Andere Highlights der Gruppe lagen darin, Verkehrsschilder zu umgarnen, Fahrräder zu bekleiden, Bäume zu bemänteln und an Halloween Kürbisse und Spinnen aus Wolle an den Sträuchern der Parks aufzuhängen.
Neben dieser Guerillera gibt es in Bizkaia ungefähr zwanzig Wollaktivistinnen, die unter Pseudonymen wie Hello Knitting, Trikolo oder M.A.Lanakus den harten Kern der Bilbo-Gruppe bilden. Zu dieser Gruppe gehört auch eine junge Frau aus Bermeo, die die anderen davon überzeugen will, den Fischmarkt in Bermeo zu ummanteln. Wer dieses Gebäude kennt weiß, dass dieses Projekt eine bisher unbekannte Größenordnung hätte und eine wahre Herausforderung an die Teilnehmerinnen darstellt. In Laudio (zwischen Bilbao und Vitoria-Gasteiz gelegene Kleinstadt mit 18.000 Einwohnerinnen) sind die Aktionen zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen (25. November) bereits bekannt. "Im letzten Jahr schufen wir einen vertikalen Garten, der bis Juni überlebte, also praktisch bis die Objekte von selbst herabfielen", sagt Cotton Che. Dieser Garten, aufgehängt am Geländer einer zentralen öffentlichen Treppe, bestand aus kleinen gehäkelten Beuteln, die meisten rosafarben, in denen sich kleine Blumentöpfe mit verschiedenen Pflanzen befanden.
Die Mitglieder der Häkelguerilla stammen in der Regel aus Gruppen, die sich wöchentlich treffen, um Handarbeiten zu machen. In Gasteiz (Vitoria) fand sich letztes Jahr eine Gruppe zusammen, die sehr aktiv ist. Bisher haben sie noch keine nächtlichen Aktionen durchgeführt, waren aber schon auf der Straße sichtbar im Zusammenhang mit Solidaritätsaktionen. Piedad Salvatierra sagt, sie seien eine Gruppe mit ca 40 Frauen, die jüngste 20 und die älteste 84. "Im Sommer treffen wir uns in Cafés und Kneipen und im Winter überlassen uns einige Nachbarschafts-Vereine ihre Räume. Am meisten jedoch gefällt es uns, im Freien zu stricken, weil dann Leute ankommen und Fragen stellen. Das hilft uns, unsere Idee zu verbreiten". Die Frauen aus Gasteiz haben sich bisher hauptsächlich an Solidaritätsaktionen beteiligt (Frauentage, Stadtteilforderungen, Sanfilippo-Syndrom). Die Gruppe des Orts Agurain ist besonders stolz auf ihren Baum Zaramago, der von einer Stadtteilgruppe dekoriert wurde und bis heute umgarnt ist.
Esther Lekunberri, die Wollverkäuferin aus Iruñea, erklärt, dass sich auf dem Gebiet der Handarbeit trotz dieser Aktionen wenig verändert hat. "Was wir von unseren Großmüttern lernten, ist noch immer aktuell. Letztendlich umfasst die Arbeit nur wenig verschiedene Techniken: rechte Maschen, linke Maschen, verschränkte Maschen, Zopfmuster, Noppenmuster, Patentmuster, Rippenmuster. Das ist alles. Alles weitere ist Phantasie und Kreativität." Auch Cotton Che misst den Großmüttern große Bedeutung zu: "Das kommt alles von ihnen, sie haben die Techniken wirklich drauf. Heute machen wir zwar viele neue Sachen, aber einer unserer Ansprüche ist, dass Wissen und Tradition nicht verloren gehen".
In diesem Sinne gibt es in Navarra ein originelles Phänomen: Aktivistinnen aus der Stadt helfen dabei, die Traditionen der Dörfer in Erinnerung zu rufen. Lekunberri, eine Städterin, die das Stricken in der Schule lernte, gibt heute Handarbeitskurse für Frauen im Orba-Tal. Ihre letzte Aktion im vergangenen Frühjahr war, die Säulen des Musik-Pavillons im Zentrum Iruñeas zu verkleiden, und zwar mit hunderten von einzelnen Häkelarbeiten aus kunterbunten Wollresten, hergestellt von den Handarbeiterinnen der Dörfer. "Ich nehme an, dass dafür der Begriff urban-knitting nicht wirklich passt, vielleicht war es die erste Aktion eines rural-knitting? Aber was solls, Hauptsache es wird gestrickt und gehäkelt".
Quellen:
•Übersetzung eines Artikels aus der Tageszeitung Gara, 24. August 2014, von Aritz Intxusta: Las Guerrilleras del Ganchillo
•Die Aktivistinnen aus Gasteiz stellen sich auf der Webseite http://tejiendoenvitoria.org/ vor.
•Urban Knitting Bilbao www.urbanknittingbilbao.blogspot.com.
•Fotos: Txeng / Tejendoenvitoria / Urbanknittingbilbao