Wahlen, Parteien, politische Tendenzen
Am 28. Mai 2023 finden wie alle vier Jahre in allen spanischen Regionen Kommunal-Wahlen statt. Ein Rhythmus, der es ermöglicht, die Nadelöhre zu betrachten, durch die der Faden der jüngsten Geschichte in den Regionen Baskenland und Navarra läuft. Geprägt wurden die Wahlen seit 1979 in Euskadi von PNV, HB, PSE und PP. In der aus politischen Gründen vom Baskenland abgespaltenen Region Navarra waren es UPN, CDN, PSN, HB, Geroa Bai und Podemos, mit deutlich stärkerer Vertretung der spanischen Rechten.
Nach Ende der franquistischen Diktatur wurden im spanischen Staat wieder Wahlen ausgeschrieben. Die Ergebnisse der seither stattgefundenen Kommunal-Wahlen zeigten in Euskadi eine relative Kontinuität. In Navarra hingegen kam es zu einigen politischen Kurswechseln.
Die ersten Kommunalwahlen nach Francos Tod im November 1975 fanden im April 1979 statt, viereinhalb Jahre später, kurz nach den spanischen Parlamentswahlen. Es war der erste Wahlzyklus nach Inkrafttreten der spanischen Verfassung im Jahr 1978. Vor 44 Jahren ging es darum, die politische Landkarte des Baskenlandes auf der Ebene der Städte und Gemeinden und der kommunalen Institutionen zu festzulegen. (1)
Eine der großen Neuheiten dieses ersten kommunalen Urnengangs war die Vorstellung der kürzlich gegründeten Wahlplattform Herri Batasuna bask: Volks-Einheit), eine Koalition verschiedener abertzaler (patriotischer) Organisationen. Denn die links-nationalistische KAS-Alternative und die bewaffnete Gruppe ETA-militar hatten bei den verfassungsgebenden Wahlen von 1977 im Staat ohne großen Erfolg für eine Stimmenthaltung plädiert. Das politische Gewicht des Wahl-Sektors der abertzalen (patriotischen) Linken war noch nicht abzusehen, da er für den Bruch mit dem Franquismus eintrat und nicht für dessen Reform. Gleichzeitig ging es um die Rivalität mit einer anderen abertzalen Strömung, der Partei Euskadiko Ezkerra (Euskadi Linke). Die war aus der Auflösung von ETA-politico-militar (ETA-pm) hervorgegangen und stand für eine Anpassung an den "demokratisch-spanischen und autonom-baskischen Kontext", wie Mario Onaindia sagte, der erste Generalsekretär von Euzkadiko Ezkerra (Euskadi-Linke) und einer der 1970im Prozess von Burgos zum Tode Verurteilten. (2)
(Herri Batasuna, HB war der wahltaktische Ausdruck der baskischen Unabhängigkeits-Linken. Abertzal ist baskisch und bedeutet “patriotisch“, die abertzale Linke ist somit die “patriotische Linke“, auf den Begriff “nationalistisch“ wird wegen seiner Rechtslastigkeit gerne verzichtet. Die Alternative KAS wurde 1976 von Organisationen der baskischen Linken als Minimal-Programm herausgegeben, darunter ETA und die Gewerkschaft LAB. ETA hat sich im Verlauf ihrer Existenz mehrfach gespalten oder in politische Linien aufgeteilt, zuletzt ETA-politico-militar, 1982 aufgelöst, und ETA-militar, 2018 aufgelöst. Mario Onaindia war Mitglied bei ETA politico-militar, später Parlamentarier von Euskadiko Ezkerra, EE, dem politischen Ausdruck des aufgelösten Flügels ETA-pm, und schließlich Senator bei der PSOE-PSE.)
In seinem Buch "El aventurero cuerdo: memorias 1977-1981" (Der vernünftige Abenteurer. Erinnerungen 1977-1981), das nach dem Tod von Onaindia 2003 veröffentlicht wurde, beschrieb er diesen Kampf in in klaren Worten: "Ich war überzeugt, dass das von ETA-militar, den beiden Geister-Organisationen Herri Batasuna und Gestoras Pro Amnistia geschaffene "Szenario" sich nicht in den Wahlurnen widerspiegeln würde. Dies sagte ich ganz direkt einigen Aktivisten, die besorgt waren über die sich abzeichnende Stimmenflut des Phänomens Herri Batasuna, auf eine unverblümte und etwas protzige, aber nicht minder aufrichtige Weise. Zu Pello Arrizabalaga und Goyo Baldús sagte ich in der Jocker-Kneipe, wo wir uns mit einem Gin Tonic trösteten, dass “ich mir mein Ding abschneiden“ würde, wenn HB mehr Stimmen bekäme als EE. (Gestoras Pro Amnistia war eine 1976 gegründete Organisation zur Unterstützung der politischen Gefangenen von ETA, die 2002 für illegal erklärt wurde.Ihr Logo entwarf der bekannte Bildhauer Eduardo Chillida.)
Die Ergebnisse dieser "populistischen, kleinbürgerlichen und irrationalen Kraft" bei den Parlaments-Wahlen im März fielen jedoch völlig anders aus als von Onaindia vorhergesagt. "Die Wahlnacht war aus politischer Sicht eine der bittersten Nächte meines Lebens. Es war ein furchtbarer Schlag", gestand er in seinen Memoiren. Bei den Kommunalwahlen im April war die Kluft noch größer, da HB den Vorsprung vor EE fast verdreifachte.
Diese erste Kommunalwahl bestätigte im Übrigen das politische Panorama, das aus dem Franquismus hervorging, mit der PNV als hegemonialer Kraft, auch wenn sie aufgrund ihrer geringen Präsenz in Navarra regional sehr unterschiedlich in Erscheinung trat. In Araba, Bizkaia und Gipuzkoa sammelte sie in den kommunalen Parlamenten und in den Provinzräten eine beträchtliche Macht an.
(Die katholische PNV , Baskisch Nationalistische Partei, wurde 1895 gegründet und war der erste Ausdruck des neuen, modernen baskischen Nationalismus. Sie blieb im Spanienkrieg auf Seite der Republik, war in der Diktatur 40 Jahre im Exil und wurde nach dem Franquismus zur stärksten politischen Kraft in Euskadi. Aus ihr ging in den 1950er Jahren die militante Organisation ETA hervor.)
Balduz, Bürgermeister von Iruñea
In Navarra kam es bei den Wahlen zu einer anderen Dynamik. Dort war die spanische postfranquistische Rechte in Form der UCD-Partei der wichtigste Bezugspunkt. Die rechts-regionalistische UPN steckte in den Kinderschuhen und brauchte noch einige Zeit, um ihre Position zu festigen.
Die UCD (Unión de Centro Democrático, Union des Demokratischen Zentrums) wurde 1977 als Wahlbündnis von ehemaligen franquistischen Politikern gegründet, in ihrem Namen amtierte der ehemalige Falangist Adolfo Suarez von 1976 bis 1981 als Ministerpräsident, ihm folgte Leopoldo Calvo-Sotelo. Die politische Nachfolge der Postfranquisten übernahmen erst die AP (Alianza Popular und später die PP (Partido Popular), in denen ebenfalls viele alte Franquisten agierten, wie Manuel Fraga Iribarne oder José María Aznar. Die UPN war nichts anderes als der regionalistische Ableger der Postfranquisten.
Im April 1979 kam es im Stadtrat von Iruñea zu einem bedeutenden Ereignis, das den Auftakt zu einem Regime der navarrischen Rechten bildete, das erst in den letzten 10 Jahren ins Stocken geriet und heute um sein Überleben kämpft. In der Hauptstadt gewann die rechte UCD mit acht Abgeordneten, während die abertzale Herri Batasuna mit einem Abgeordneten weniger zur zweiten Kraft wurde. Die sozialdemokratische PSOE und die rechts-regionalistische UPN gewannen jeweils fünf Sitze, die PNV die restlichen zwei. Es eröffnete sich die Möglichkeit, dass Patxi Zabaleta, Kandidat von Herri Batasuna, Bürgermeister würde.
PSOE-Manöver
Die PSOE beschloss jedoch, für sich selbst zu stimmen, was die Stadtregierung in den Händen von UCD und UPN belassen hätte. Zum Zeitpunkt der entscheidenden Plenarsitzung wussten die Vertreter von Herri Batasuna bereits, was die PSOE plante, und beschlossen, für den PSOE-Kandidaten Julián Balduz zu stimmen, um so zu verhindern, dass die spanische Rechte den Bürgermeister stellt.
Doch hinter den Kulissen gab es bereits einen Pakt zwischen der UCD von Jaime Ignacio del Burgo und der PSOE von Víctor Manuel Arbeloa (mit Duldung der regionalistischen UPN von Rafael Aizpún). Diese Absprache schlug sich in der Konstituierung des damaligen Regional-Parlaments nieder: Arbeloa wurde zum Ministerpräsidenten gewählt, die PSOE erhielt so die beiden wichtigsten Ämter. Die UCD-Zustimmung war ein strategischer Schachzug, um mit den Soziademokraten zusammen einen Navarrismus zu installieren, der letztendlich als antibaskische Haltung seinen Ausdruck fand.
Auf Betreiben von Arbeloa und Gabriel Urralburu (beide PSOE) verließ die Sozialistische Gruppe Navarra (Agrupación Socialista de Navarra) die Sozialistische Partei Euskadi (PSE, PSOE-Ableger) und gründete 1982 die Partido Socialista de Navarra (PSN), eine Partei, die nicht mehr für eine gemeinsame regionale Einheit der vier Territorien eintrat. Die PSE als PSOE-Ableger in Euskadi war bis dahin für eine einzige baskische Region der vier Süd-Provinzen Navarra, Araba, Gipuzkoa und Bizkaia eingetreten. In der Folge wurde das südliche Baskenland gespalten in Euskadi und Navarra.
1983: Die Hegemonie der PNV
Die zweiten Kommunalwahlen bestätigten ein Panorama, das sich im Laufe der Zeit bestätigte: das der "Hochburgen", die jeder Partei zugeschrieben werden. Einige dieser politischen Festungen bleiben über längere Zeiträume bestehen, bei anderen sind die Bewegungen und Schwankungen deutlicher zu erkennen. Ein typisches Beispiel ist die Industriestadt Sestao (50.000 Ew) vor den Toren Bilbaos. Bei den Wahlen in den 1970er und 1980er Jahren erhielt die PSE zwei- oder dreimal so viele Stimmen wie die zweitstärkste Kraft, noch in den 1990er Jahren erreichte sie bequeme Mehrheiten. Mit der Jahrtausend-Wende nahm ihr Gewicht jedoch ab, bis sie bei den letzten Kommunalwahlen weit hinter der PNV lag.
Spanische Dynamik
Bei diesen Wahlen im Jahr 1983 erreichte die PSE in Sestao, der Beispiel-Stadt, ihr höchstes Ergebnis bei einer Kommunalwahl. Sie erhielt 10.073 Stimmen. Die Gründe für einen so hohen Stimmenanteil sind nicht nur in den Besonderheiten der Bizkaia-Gemeinde selbst zu suchen, sondern auch im allgemeinen politischen Kontext des spanischen Staates. Wenige Monate zuvor hatte der Sozialdemokrat Felipe González (PSOE) in Madrid mit einer spektakulären absoluten Mehrheit die Parlaments-Wahlen gewonnen. Dieses Ereignis beeinflusste den kompletten Wahlzyklus im Baskenland.
Nach der Zerschlagung der UCD von Adolfo Suárez erhielt die spanische Sozialdemokratie das Mandat zur Bewältigung der noch anstehenden Herausforderungen: industrielle Umstellung, Integration in die Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft und die NATO, sowie der unerbittliche Kampf gegen ETA. Damit war die zweite Phase der Reformen des sogenannten “demokratischen Übergangs“ angebrochen.
Doch trotz des Tsunamis der Parlaments-Wahlen im Oktober 1982, die die PSOE zur führenden Kraft im Süden des Baskenlandes machten, konnte die PNV diese Spitzenposition bei den Kommunalwahlen 1983 zurückgewinnen, wie die linke Tageszeitung "Egin" auf ihrer Titelseite berichtete. Sie konnte ihre bedeutende kommunale Macht in Araba, Bizkaia und Gipuzkoa festigen. Nur in wenigen Orten dieser drei Provinzen erhielt sie nicht die meiste Unterstützung und war nicht die führende Kraft.
PNV-Spaltung, Regierung verhandlt mit ETA
Die Kommunal- und Regional-Wahlen von 1987, die zum ersten Mal mit den Europawahlen zusammenfielen, waren von zwei bedeutenden Umständen geprägt. Der erste betraf die Erwartungen, die durch die Verhandlungen von ETA und der spanischen Regierung in Algier geschürt wurden. Der zweite Umstand hatte mit der Spaltung der PNV zu tun, die zum Austritt des Lehendakari-Ministerpräsidenten Carlos Garaikoetxea aus der autonomen Regierung und zur Bildung von der Partei Eusko Alkartasuna (EA, Baskische Solidarität) führte.
Beide Ereignisse hatten eine direkte quantitative Auswirkung auf diese Wahlen. Bei den Kommunal- und Europawahlen wurde Herri Batasuna zum ersten Mal zur führenden Kraft in Gipuzkoa, nur bei den Ergebnissen der Provinzwahlen ging diese Position an die Abspaltung EA, Imanol Murua zum Präsidenten des Provinzrats gewählt.
In vielen Gemeinden, in denen bis dahin die PNV dominiert hatte, gab es nun eine Mehrheit der abertzalen Linken oder von EA. Im Allgemeinen wurde respektiert, dass die Liste mit den meisten Stimmen den oder die Bürgermeisterin stellte, mit Ausnahme von Andoain, Villabona und Ordizia, wo HB eine Mehrheit hatte, der Posten aber an die Partei Euskadiko Ezkerra (EE, Baskische Linke) ging. Erst mit dem Ajuria-Enea-Pakt wurde eine Regel eingeführt, die besagte: Die linke Unabhängigkeits-Partei Herri Batasuna sollte nur dort regieren, wo sie eine absolute Mehrheit erreichte, keine andere Partei sollte sie unterstützen.
(Dieses “Abkommen zur Normalisierung und Befriedung des Baskenlandes“, benannt nach dem Tagungsort Ajuria-Enea, Sitz der baskischen Regierung. Der Pakt wurde 1988 von Alianza Popular, CDS, PNV, Euskadiko Ezkerra, PSE-PSOE, Eusko Alkartasuna unterzeichnet in der Absicht, ETA zu bekämpfen. Teil des Abkommens war, die ETA-Gefangenen auf entlegene Knäste im Staat zu verteilen, die sogenannte Dispersion.)
PNV-Krise
Die PNV erlitt bei diesen 1987er-Wahlen einen schweren Schlag, als sie in Donostia (San Sebastian) und Vitoria-Gasteiz die Bürgermeister-Posten verlor, wobei im letzteren Fall der beliebte José Ángel Cuerda im Amt blieb, nachdem er zu EA übergetreten war. Die Figur von Cuerda wurde schließlich symptomatisch für die Krisenkurve und Rekomposition der PNV, da er zur PNV zurückkehrte und bei den Wahlen 1991 für die PNV erneut Bürgermeister der Stadt wurde. Cuerda bekleidete dieses Amt von 1979 bis 1999.
Die PNV verhinderte, dass der Provinzialrat von Araba in die Händen ihrer Abspaltung EA fiel, obwohl diese eine überwältigende Mehrheit errungen hatte. Man wählte den Sozialdemokraten Fernando Buesa von der PSE zum Provinz-Präsidenten. Zu diesem Zeitpunkt regierte der Lehendakari José Antonio Ardanza (Ministerpräsident) bereits in der ersten Koalitions-Regierung mit der PSE, entsprechend dem Kurs, der auf der PNV-Vollversammlung 1988 festgelegt wurde. Eine lange Idylle mit der PSOE wurde eingeleitet.
Donostia und der Autobahnkonflikt
Das Nicht-Respektieren der Liste mit den meisten Stimmen, was zum Beispiel dazu führte, dass Hernani in Gipuzkoa trotz großer Mehrheit von HB in die Hände der PNV fiel. Die Wunden, die die Spaltung des historischen konservativen Nationalismus verursacht hatte, führten bei den Wahlen 1991 zu Ereignissen, die bleibende Folgen haben sollten. Donostia wurde zum Symbol. In der Hauptstadt war EA mit Abstand die stimmenstärkste Kraft, aber die PNV beteiligte sich an einem Pakt mit der PSE und der PP (damals von Gregorio Ordóñez angeführt), was zur Ernennung des Sozialdemokraten Odón Elorza zum Bürgermeister führte.
Was zunächst ein Querschuss war, wurde zu einer dauerhaften Angelegenheit. Elorza blieb bis 2011 im Amt. Vor dieser beispiellosen Vereinbarung zwischen PNV, PSE und PP hätte sich niemand vorstellen können, dass ein Bürgermeister, der kein baskischer Nationalist war, die Hauptstadt von Gipuzkoa würde regieren können. Die PSE hatte nicht einmal in der Boomzeit der Parlamentswahlen von 1982 gewonnen. Elorzas erster Amtsantritt als Bürgermeister wurde zu einem wahren Schlagabtausch.
Die Liste mit den meisten Stimmen, Herri Batasuna, wurde auch im Provinzialrat nicht respektiert. Der Ajuria-Enea-Pakt zur Isolierung der abertzalen Linken war in vollem Gange. Aber auch die zweite Kraft, Eusko Alkartasuna, erhielt nicht die Präsidentschaft. Der PNV-Politiker Eli Galdos wurde zum Provinz-Präsidenten ernannt. Die Verständigung zwischen PNV und PSE hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die drei Monate zuvor im Februar 1991 gebildete regionale Dreier-Regierung aus PNV, EA und EE wurde zu einem kurzlebigen Experiment. Die Exekutive hielt sich nur bis Herbst, die Regierung wurde zu der Zwei-Parteien-Formel, die die PSE der PNV angeboten hatte.
Der Wechsel im Provinzialrat von Gipuzkoa sorgte mit der radikalen Wende im festgefahrenen Konflikt um die Leitzaran-Autobahn (umstrittene Autobahn von Donostia nach Altsasu) für eine weitere Überraschung. Eli Galdos verhandelte mit der Bürgerinitiative Lurraldea und suchte den Konsens mit Herri Batasuna, heraus kam die Einigung auf eine neue Trasse.
Der Ajuria-Enea-Pakt hatte zuvor den EA-Politiker Imanol Murua und Vorgänger im Provinzrat gezwungen, dieses Thema in den Antagonismus von "Demokraten und Gewalttätigen" einzuordnen und Positionen zu vertreten, die nicht zu seinem umgänglichen, dialog-orientierten Charakter passten. Er durfte nicht verhandeln. Wie er selbst Jahre später in einem Interview zugab, hatten diejenigen, die danach mit Lurraldea verhandelten, ihn einige Monate zuvor daran gehindert, mit einer Routen-Änderung einen Ausweg zu suchen, weil dies angeblich bedeutet hätte, vor ETA "die Hosen runterzulassen". Er machte keinen Hehl daraus, dass er sich über die ganze Sache fürchterlich ärgerte.
Baskische Gefangene
Es lief das Jahr 1995. Jene Wahl war von einer Verschärfung des bewaffnet-militärischen Konflikts geprägt. Die soundsovielte Ankündigung, ETA sei nach der Verhaftung ihrer Führung in Bidarte im Jahr 1992 am Ende, wurde mit einer Welle von Gewalt dementiert. ETA erlangte in jenen Jahren wieder erhebliche operative Kraft und machte mit ihren bewaffneten Aktionen qualitative Sprünge. Das tödliche Attentat auf den stellvertretenden Bürgermeister von Donostia, Gregorio Ordóñez, wenige Monate vor den Kommunalwahlen, hatte eine besondere Wirkung.
Ebenso die Situation der Gefangenen und ihrer Familien. Mit der Verschärfung der Verlegung der Gefangenen in Gefängnisse auf den kanarischen Inseln und den Enklaven in Nordafrika wurden vor allem die Besucher*innen bestraft. Dass viele Gefangene 500 oder 1.000 Kilometer entfernt eingesperrt waren und dass es auf dem Weg zu Besuchen zu vielen Unfällen kam, führte zu Reaktionen. Schon bald hing an vielen Balkonen des Baskenlandes das Transparent "Euskal Presoak Euskal Herrira" (Baskische Gefangene ins Baskenland).
Es war bereits eine Art Tradition, dass Herri Batasuna Untersuchungs-Häftlinge in ihre Wahllisten aufnahm, dass sie gewählt wurden und ihre Ämter antraten, sie jedoch nach einer Verurteilung wieder verloren. Gerade um die Situation in den Gefängnissen hervorzuheben und auch um ihre Sicht des Konflikts darzulegen, nominierte Herri Batasuna mehr Gefangene als je zuvor als Kandidaten für die Stadträte. Neunzehn wurden in ebenso vielen Gemeinden gewählt.
Die Konstituierung der Stadträte entwickelte sich so zu lebhaften Plenarsitzungen mit einer großen Anzahl von Menschen, die sich versammelten, um die inhaftierten Stadträte zu begrüßen, mit beeindruckenden Sicherheits-Vorkehrungen, in einigen Fällen auch mit Zwischenfällen. Die linke Tageszeitung "Egin" (Machen) bemühte sich, über diese Situationen anschaulich zu berichten. Mit teils eindrucksvollen Ergebnissen. Ein Bild zeigte den damaligen Gefangenen Aritz Arnaiz in der Plenarsitzung in Andoain.
(Die linke Tageszeitung Egin wurde 1998 von der spanischen Justiz geschlossen unter dem Vorwurf, mit ETA zusammenzuarbeiten. Einem deutlich späteren Prozess hielt dieser Vorwurf nicht stand. Als Nachfolge von Egin wurde die Tageszeitung Gara ins Leben gerufen.)
Udalbiltza
Das Lizarra-Garazi-Abkommen zur Beilegung des Konflikts und der Pakt zwischen ETA, PNV und EA zur Förderung des Souveränitäts-Prozesses prägten die Wahlen von 1999, bei denen die neu formierte abertzale Koalition “Euskal Herritarrok“ (Baskische Bürgerinnen) stark zulegte und die gemeinsamen Kandidaturen von PNV und EA eher diskret abschnitten. Diese beiden Parteien hatten sich wieder zusammengetan, um die Auswirkungen von Einzelkandidaturen abzumildern, angesichts des Erfolgs der von Herri Batasuna unterstützten Koalition.
(Lizarra-Garazi war ein Pakt zwischen allen baskischen politischen Kräften, von der PNV bis zu HB, einschließlich ETA, und der baskischen Fraktion der Vereinigten Linken. Der Pakt beinhaltete die Bildung einer allgemeinen Versammlung von baskischen Gemeinde-Abgeordneten, Udalbiltza, aus Iparralde, Nafarroa und Euskadi, einer Art baskisches Neben-Parlament, und basierte auf einem von ETA ausgelobten Waffenstillstand. Ziel waren Verhandlungen mit der spanischen Regierung über eine politische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts).
Am 18. September 1999 wurde im Euskalduna-Palast (Bilbao) Udalbiltza gegründet, die Versammlung baskischer Rathäuser bzw. die Versammlung der Stadträtinnnen und Stadträte aus allen baskischen Regionen und Provinzen. Damit sollte eine baskische Institution auf kommunaler Basis für das ganze Baskenland gegründet werden. Doch die Interpretationen des neuen Gremiums waren je nach politischem Standpunkt unterschiedlich. Der PNV-Bürgermeister von Bilbao, Iñaki Azkuna, nahm offenbar nur widerwillig an der Veranstaltung teil, er ließ durchblicken, dass Udalbiltza in seinen Augen nichts weiteres war als eine Zahlung an ETA, damit diese ihre Waffen niederlegt.
Ende des Lizarra-Pakts
Die neu formierte linke Koalition Euskal Herritarrok, der mehr Gruppen angehörten als zuvor zu Herri Batasuna erlebte einen Wahlerfolg, der der PNV Angst machte. Letztere zog sich langsam vom Udalbiltza-Projekt zurück, der Pakt kam in die Krise. Sein definitives Scheitern wurde mit dem ETA-Attentat von 2000 besiegelt, bei dem der PSE-Politiker Fernando Buesa und sein Fahrer ums Leben kamen.
Die Bilder des Wandels und die Frage, ob Udalbiltza von der spanischen Verfassung juristisch abgedeckt sei, führten zu einer spanischen Reaktion, die sich auch an den Wahlurnen widerspiegelte. Zum ersten Mal gewann die postfranquistische Partido Popular (PP) das Bürgermeisteramt von Vitoria-Gasteiz und den Posten des Provinz-Präsidenten von Araba, die von Alfonso Alonso bzw. Ramón Rabanera bekleidet wurden.
Zudem wurde der Versuch gestartet, 2001 die Präsidentschaft in der Region Baskenland (Euskadi) zu übernehmen, angeführt von dem ultrarechten PP-Politiker Jaime Mayor Oreja und dem Sozialdemokraten Nicolás Redondo Terreros. In seinen Memoiren berichtet der ehemalige spanische Regierungschef José María Aznar (in seiner Jugend Falangist), dass man sich darauf einigte, dass Mayor Oreja für zwei Jahre Lehendakari (Ministerpräsident) sein sollte und der damalige Vorsitzende der PSE für die restlichen zwei Jahre. In einer "großen politischen Operation", die "den politischen Kurs des Baskenlandes und Spaniens insgesamt" verändert hätte. Der Plan scheiterte bei den Wahlen.
Illegalisierung
Die Kommunalwahlen von 2003 und 2007 waren von Illegalisierungen der baskischen Linken geprägt. 2003 unter der PP-Regierung Aznar, 2007 mit dem Sozialdemokraten Rodríguez Zapatero, PSOE. Die Wahlen 2007 fanden ausgerechnet zu einem Zeitpunkt statt, als die Regierung eine letzte Verhandlungsrunde mit ETA führte. Eine skurrile Situation: die Regierung verhandelte mit einer illegalen und einer bewaffneten Organisation. Vielleicht führte dieser besondere Umstand dazu, dass die Illegalisierung zwar überwältigend, aber nicht für alle Kandidaten vollständig war. So konnte beispielsweise die linke ANV (Acción Nacionalista Vasca – Baskisch Nationalistische Aktion) in Hernani antreten und gewinnen. Weil die ANV als historische Partei aus den 1930er Jahren nicht eindeutig als Nachfolge-Partei von Herri Batasuna eingestuft werden konnte, blieb die Hälfte aller Wahllisten legal. Erst später wurde die ANV ebenfalls illegalisiert.
Durch die Illegalisierung verschiedener aufeinander folgender abertzaler Wahllisten wurde die politische Landkarte völlig verzerrt, die Volksvertretung wurde stark verändert, da Hunderttausende von Stimmen für die abertzale Linke als ungültig betrachtet wurden. Fast eine Dekade lang wurde somit ein Anteil von 20 bis 30% der baskischen Bevölkerung ihres Wahlrechts beraubt. Schöne Demokratie!
Das Lizartza-Syndrom
Im gipuzkoanischen Lizartza zum Beispiel wurde in der Legislaturperiode 2003 der PNV-Politiker Joseba Egibar mit wenigen Stimmen Bürgermeister, 2007 geschah dasselbe mit Regina Otaola von der PP. Egibar begründete seine Kandidatur damit, dass er verhindern wollte, dass die spanische Rechte das Amt übernehme. Beim nächsten Wahltermin rief er dazu auf, ungültige Stimmen abzugeben, falls die von der abertzalen Linken vorgestellten Kandidat*innen das Sieb der spanischen Gerichte nicht passieren würden. Die Linke blieb verboten, die ungültigen Stimmen gewannen haushoch und die PPlerin Otaola wurde in einer surrealen Situation mit einer Handvoll Stimmen für vier Jahre Bürgermeisterin. Verhältnisse wie im Franquismus.
Die Illegalisierung hatte zur Folge, dass spanisch-orientierte Parteien und der spanische Nationalismus in den Institutionen künstlich gestärkt wurden. Das folgenreichste Beispiel dafür war die Wahl des Sozialdemokraten Patxi López (PSE) zum Lehendakari (Ministerpräsidenten) im Jahr 2009. Die Summe der linken und rechten baskischen Stimmen lag höher als die Summe der linken und rechten Stimmen für spanische Parteien. Da die abertzalen Stimmen jedoch ungültig waren, überwogen PP und PSE, die PNV hatte die Wahl zwar gewonnen, verlor das Präsidenten-Amt jedoch für drei Jahre. Spanische Demokratie. In die Regierungszeit des Sozialdemokraten Lopez fiel die Waffenstillstands-Erklärung von ETA – ohne jegliche Beteiligung der Exekutive.
Strategiewechsel der Linken
Der nächste Wahlzyklus fand inmitten einer politischen Legitimitäts-Krise des Staates statt – der nicht aufgearbeitete Franquismus und seine scheindemokratische Nachfolge werden von linken und rechten Basken sowie linken Spanier*innen mittlerweile als Regime von '78 bezeichnet. Diese Krise im Staat war der Auslöser des Protest-Phänomens 15M, eine Spontan-Massenbewegung, die in der neuen Partei Podemos mündete (derzeit mit der PSOE in einer Koalitions-Regierung). Im Baskenland wurde die abertzale Linke zum Subjekt von Veränderungen. Ihr Strategiewechsel, begleitet vom langsamen Ende von ETA, führte zur Gründung einer neuen Partei (Sortu, bask: Gründen) und nach der Wieder-Legalisierung zur Bildung der neuen Wahlkoalition Euskal Herria Bildu (Baskenland Zusammenbringen) als neuem politischen Bezugspunkt der linken Unabhängigkeits-Bewegung.
Die Koalition besteht aus der abertzalen Partei Sortu, der sozialdemokratischen Unabhängigkeits-Partei EA (jene ehemalige Abspaltung von der PNV in den 1980er Jahren) und Alternatiba, einem der Spaltungsreste der spanischen Vereinigten Linken (Izquierda Unida). Ihr schloss sich später auch die Batasuna-Abspaltung Aralar an, die sich Jahre später zugunsten von EH Bildu auflöste. Das letzte ETA-Attentat war 2009, 2011 kündigte die Organisation ihren definitiven Gewaltverzicht an, 2017 gab sie ihre Waffendepots und 2018 ihre Auflösung bekannt.
EH Bildu
Durch das Ende des bewaffneten Kampfes, das Aufkommen einer breiten Protestbewegung gegen Korruption und die verkrusteten Strukturen des postfranquistischen Staates, sowie durch den realpolitischen Rechtsschwenk der baskischen Linken wurde das politische Spektrum sowohl im Baskenland wie auch in Spanien nachhaltig verändert.
Ohne Podemos, die neue pragmatische baskische Linke und die sozialdemokratischen Republikaner der katalanischen Unabhängigkeits-Bewegung wäre der Regierungs-Antritt des Sozialdemokraten Pedro Sanchez völlig undenkbar. Diese Minderheits-Regierung lebt (Stand Frühjahr 2023) von den Stimmen von Basken und Katalanen.
Die neue Wahlkoalition, die sich nicht mehr unmittelbar für die Unabhängigkeit, sondern für das Recht auf Selbstbestimmung einsetzt, konnte einen beträchtlichen Prozentsatz der baskischen Wählerschaft für sich gewinnen. Dies zeigte sich bei den Kommunal- und Regional-Wahlen 2011, 2015 und 2019, mit einem jeweiligen Stimmenateil zwischen 25 und 30%. Dabei wies jede Wahl ihre eigenen Besonderheiten auf.
Gipuzkoa, Nafarroa
Bei der ersten Wahl 2011 gewann EH Bildu das Bürgermeisteramt von Donostia (San Sebastian) und stellte den Präsidenten des Provinzrats von Gipuzkoa. Die Niederlage vier Jahre später war ernüchternd. Gleichzeitig gab es im traditionell rechtsorientierten Nafarroa bemerkenswerte Umbrüche. Sowohl in der Region wie auch im Stadtparlament Pamplona (baskisch: Iruñea) kam es zu Wechseln. Eine Koalition aus EH Bildu, Podemos, Geroa Bai und der Vereinigten Linken wählte Uxue Barkos von der rechts-liberalen Plattform Geroa Bai zur Präsidentin, Bürgermeister wurde der Sortu-Politiker Joseba Asiron.
Auch dieser politische Wechsel hielt nur 4 Jahre und machte einem neuen Modell Platz: zum ersten Mal ließ sich die sozialdemokratische PSN als stärkste Kraft einer Minderheits-Regierung von der baskischen Linken (EHB) “dulden“, was bei der navarrischen und der spanischen Rechten seither zu starken Protesten führt (rechter Slogan: “ETA regiert in Navarra“). Eine solche Duldung wäre zu Zeiten von ETA weder auf der einen noch auf der anderen Seite denkbar gewesen. Der Strategiewechsel der baskischen Linken führte eindeutig zu einer Annäherung an sozialdemokratische Positionen und Politikformen.
Bei den Wahlen im Jahr 2019 gab es, neben den fast schon üblichen Erfolgen in Gipuzkoa, gute Nachrichten für EH Bildu in Bizkaia, in mittleren Städten wie Galdakao, Durango und Arrigorriaga konnte die Koalition die Rathäuser übernehmen.
Die Stärkung von EH Bildu ging allerdings nicht zu Lasten der PNV, die ihre institutionelle Macht dank ihrer treuen Wähler und eines bisher gut funktionierenden Pakts (auf verschiedenen Ebenen) mit der sozialdemokratischen PSE bewahren konnte. Diese institutionelle Stabilität hat es der Partei von Idoia Mendia / Eneko Andueza ermöglicht, trotz andauernder Wahlniederlagen “an der Macht zu bleiben“, denn ihre Wahlergebnisse sind weit von ihren früheren Erfolgen entfernt.
PP-Niederlage in Gasteiz
Die spanische Rechte verlor 2015 ihre Hochburg in Vitoria-Gasteiz, neuer Bürgermeister wurde der PNV-Politiker Urtaran. Obwohl die PP als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging, kam es zu einem breiten Protest der Bevölkerung gegen den bisherigen Bürgermeister Javier Maroto, der mit rassistischen Parolen Wahlkampf gemacht hatte. Als zweitstärkste Kraft schlug EH Bildu den Kandidaten der drittstärksten Partei PNV vor, nur um der PP das Amt zu nehmen. Für den traditionellen PNV-Koalitions-Partner PSE war es bitter zu sehen, mit welchem Erfolg die baskische Linke in das politische Geschehen eingriff. Dennoch regierte sie die vergangenen acht Jahre mit der PNV.
PNV-Machthöhepunkt
Es erfordert keiner politischen Analyse, festzustellen, dass die Baskisch Nationalistische Partei PNV-EAJ am bisherigen Höhepunkt ihrer Macht und Geschichte steht. In der Region Euskadi stellt sie den Ministerpräsidenten, daneben die drei Provinzräte in Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, und in den drei Hauptstädten dazu noch die Bürgermeister. Das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit auch nach dem 28. Mai 2023 so bleiben. In Nafarroa ist die PNV seit zwei Legislaturen ebenfalls an der Regierung beteiligt, zwar nicht unter ihrem eigenen Siegel, sondern als Bündnispartner bei Geroa Bai. Nur in Iparralde ist ihr Einfluss beschränkt.
Im Mai 2023 richtet sich die Aufmerksamkeit wieder einmal auf die navarrische Hauptstadt Iruñea, in der nach dem abertzalen Joseba Asiron 2019 wieder die regionale Rechte mit Enrique Maya die Regie übernahm. Nach vier Jahren rechter und antibaskischer Politik gilt es festzustellen, ob das Korsett des alten Regimes noch taugt, oder ob einmal mehr seine Niederlage verkündet werden kann.
Nafarroa 2023
In vergangenen Legislatur-Zyklus wurde das in Nafarroa zwischen der rechten UPN und der sozialdemokratischen PSN errichtete Regime zum ersten Mal demontiert. Was dort installiert wurde, war eine Konstellation von staatlichem Charakter, denn für Bündnisse von regionalistischen Parteien (wie Geroa Bai oder EH Bildu) mit spanischen (wie die PSOE, PSN) muss es jeweils eine Zustimmung aus der Parteizentrale in Madrid geben. Bereits im August 2007 gab es in der sozialdemokratischen PSN die Bereitschaft, statt mit der navarrischen Rechten mit Geroa Bai (inclusive der PNV) zu koalieren. Doch die Madrider PSOE-Zentrale zwang ihren Ableger in Navarra, für die UPN zu stimmen und von einer möglichen Regierung aus NaBai, PSN und IU (VL) abzusehen.
Miguel Sanz von der UPN blieb in der Regierung (1996-2011) und wurde danach durch die korrupte Parteikollegin Yolanda Barcina ersetzt. Bis 2015 eine Vierer-Koalition unter Führung von Uxue Barkos (Geroa Bai) die Regierung übernahm. Als diese Koalition 2019 keine Mehrheit mehr bekam, bedeutete das jedoch nicht die Rückkehr zum UPN-PSN-Pakt. Die folgende Regierung der Sozialdemokratin Maria Chivite kann sicher nicht als Regierung des Wandels bezeichnet werden, doch ist die reaktionäre Rechte in den Hintergrund gedrängt worden. Erschwerend hinzu kommt für die navarrische Rechte, dass die postfranquistische PP nach taktischen Konflikten nun selbst in der Region kandidiert und der UPN die Stimmen streitig macht.
Aussichten
Erneut wird es Zehntausende geben, die sich nicht an der Wahl beteiligen. Weil Wahlen nichts verändern, weil die Wahlversprechen ohnehin nicht eingehalten werden, weil keine der Parteien dem individuell gewünschten Profil entspricht. Die baskische Linke könnte die PNV überflügeln, würde sie nicht mit ihrer sozialdemokratischen Realpolitik auf die kritische Jugend verzichten. Im Baskenland gilt noch die alte Regel, dass in den Arbeitervierteln links und in den Reichenvierteln rechts gewählt wird, sei es PP oder PNV. Statistisch erwiesen ist, dass mehr reiche als arme Leute zur Wahl gehen, sicher deshalb, weil sie sich von den Stadträten besser repräsentiert sehen. Das bedeutet, dass die Interessen von Reichen in Parlamenten überrepräsentiert sind.
Dass in Bilbao weiter die PNV regieren und weiter auf die Karte des Massentourismus setzen wird, darf als gesichert gelten. Gleiches gilt für den Provinzrat. Sicher ist auch, dass es in Vitoria-Gasteiz zum ersten Mal eine Bürgermeisterin geben wird, weil die drei Favoriten-Parteien jeweils Kandidatinnen ins Rennen geschickt haben. Offen ist hingegen, ob EH Bildu die PNV erneut überflügeln kann, in Donostia wie in der Provinz. Ebenso offen, ob Bildu die Rechte aus dem Rathaus werfen kann oder nicht.
Prognosen sprechen davon, dass die PNV ihre Machtposition halten kann, EH Bildu leicht zulegen wird, die Sozialdemokraten leicht verlieren, ebenso wie Podemos. Die Faschisten von Vox sind im Wahlkampf nicht in Erscheinung getreten, es ist davon auszugehen, dass sie in dem einen oder anderen Stadt- oder Gemeinderat ein Mandat gewinnen können, am ehesten in Araba oder Navarra. Dennoch bleibt das südliche Baskenland mit Sicherheit weitestgehend faschistenfrei.
ANMERKUNGEN:
(1) “Cartografía municipal, otra forma de mirar al país” (Kommunale Landkarte, ein anderer Blick aufs Land), Tageszeitung Gara, 2023-05-21 (LINK)
(2) Burgos Prozess: “Der Burgos-Prozess – Franco auf der Anklagebank“, Baskultur.Info, 2020-12-15 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Wahlen (naiz) Tageszeitung EGIN, die Titelseiten beziehen sich auf die ersten beiden Kommunal- und Provinzwahlen, die 1979 bzw. 1983 stattfanden.
(2) Wahlen (naiz) Die Konstituierung von Udalbiltza, der baskischen Gemeinderäte-Versammlung. Foto: Marisol Ramirez, foku.
(3) Wahlen (naiz) Der Häftling Aritz Arnaiz bei seinem Amtsantritt als Stadtrat. Foto: Juan Antonio Amilibia.
(4) Wahlen (naiz) Die Illegalisierung machte die PP-Politikerin Regina Otaola zur Bürgermeisterin von Lizartza in Gipuzkoa. Foto: Andoni Canellada, foku.
(5) Wahlen (naiz) Joseba Asiron wurde 2015 nach der Illegalisierung Bürgermeister von Iruñea (span: Pamplona). Foto: Jesus Diges.
(6) Wahlen (naiz) Das Bild stammt von der Titelseite der Zeitung EGIN und bezieht sich auf die Plenarsitzung, in der Odón Elorza zum ersten Mal zum Bürgermeister von Donostia gewählt wurde, obwohl EA die Liste mit den meisten Stimmen war. Argazkia: Andoni Canellada, foku.
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-05-28)