Die Verbrechen zwischen 1936 und 1978
Nur wenige Tage vor dem 80. Jahrestag des Militärputschs von Franco und weiteren faschistischen Generälen (18.Juli 1936) hat die baskische Regierung eine Studie in Auftrag gegeben, die die Menschenrechts-Verletzungen während des Franquismus untersuchen und dokumentieren sollen. Unter Franquismus wird dabei nicht nur die Zeit des Krieges von 1936 bis 1939 und die folgende 36-jährige Diktatur verstanden, sondern auch die drei Jahre des sog. „demokratischen Übergangs“ nach Francos Tod am 20.November 1975.
Die baskische Regierung hat eine Studie in Auftrag gegeben, die die Menschenrechts-Verbrechen im Franquismus dokumentieren sollen, in den Jahren von 1936 bis 1978. Mit der Studie beauftragt wurden drei Institutionen: das von der Regierung gegründete Erinnerungs-Institut Gogora, die baskische Universität und die wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi, die bereits mehrere Studien zu Krieg und Folter erstellt hat. Bis Jahresende soll ein erstes Ergebnis vorliegen, je nachdem, wie die neue Regierung aussieht – im Oktober wird im Baskenland gewählt – könnte die Studie eine Fortsetzung erfahren. Sie ist Teil des „Plans für Frieden und Zusammenleben“ der baskischen Regierung, die mit dieser Studie einmal mehr deutlich über das hinaus geht, was die spanische Regierung längst hätte unternehmen sollen, aber nie umsetzte, weil die Franquisten und ihre Erben nach wie vor im spanischen Establishment sitzen, bei der Polizei, in den Gerichten, Parlamenten, auch in der Regierung (2016-07-18).
Die in Auftrag gegebene Studie soll eine Übersicht erarbeiten über fundamentale Rechtsverletzungen. Sie ist komplex und nicht einfach, weil sie in eine Zeit zurückgreifen muss, die lange zurück liegt. Viele jener Menschenrechts-Verletzungen sind nicht oder unzureichend dokumentiert, sie ereigneten sich in einer Zeit, in der es besonders viele Morde und Übergriffe aller Art gab und in der die Zensur ein Übriges dazu beitrug, die Wahrheit zu verfälschen, zu verschleiern oder zu verbieten.
Die mit der Studie Beauftragten sehen sich folglich diesem bekannten faschistischen Mantel des Schweigens gegenüber. Die Angst der Opfer – zum Teil bis in heutige Tage – hat mit dazu beigetragen, dass viele Elemente der historischen Realität nie ans Tageslicht kommen konnten. Vielfach wird es also darum gehen, die Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.
Auf drei historische Zeiträume konzentriert sich die Studie somit: erstens auf den Krieg von 1936 bis 1937, der durch den anfangs gescheiterten Putsch der Generäle ausgelöst wurde und der – im Gegensatz zur allgemein gängigen Bezeichnung „Bürgerkrieg“ – eine internationale Dimension annahm; zweitens die Diktatur von 1939 bis 1975, in der die baskischen Provinzen Bizkaia und Gipuzkoa als „Verräter-Provinzen“ gebrandmarkt waren; drittens die Jahre des Übergangs nach dem Tod des Diktators von 1975 bis 1978, in denen die alten franquistischen Eliten fest im Sattel saßen und auf den Straßen hunderte von Streikenden und Protestierenden umbringen ließ, nicht zuletzt am 3.März 1976 bei dem Massaker im baskischen Gasteiz (Vitoria).
In jenen drei Jahren wurde über eine neue Verfassung diskutiert und verhandelt, es wurden wichtige Entscheidungen getroffen, wie die Zulassung der Kommunistischen Partei, eine Amnestie der politischen Gefangenen, die Bestätigung der von Franco beschlossenen Monarchie; und ein Schlusspunkt-Gesetz nach Südamerika-Muster: eine Amnestie für alle franquistischen Verbrechen, sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von der UNO als nicht verjährbar oder amnestierbar definiert werden. Dieses Gesetz ist in den vergangenen Jahren erneut in die öffentliche Diskussionen gekommen, weil der spanische Staat an dieser Stelle internationale Abkommen bricht. Gleichzeitig läuft von Argentinien aus ein Verfahren gegen die noch lebenden franquistischen Minister, Polizisten und Militärs.
Diese drei Jahre von 1975 bis 1978 mit in die Franquismus-Studie einzubeziehen, dürfte in der spanischen Rechten auf deutliche Kritik stoßen, denn für die Zeit nach dem Tod des Diktators schmückt mann sich gerne mit dem Attribut „Demokratie“. Zu diesen Kritikern zählen auch Teile der Sozialdemokratie, der ehemalige Ministerpräsident Felipe Gonzalez zum Beispiel bezeichnet den Franquismus heute als weniger verbrecherisch als die demokratisch gewählte Regierung in Venezuela – eine Geschichtsklitterung ohnegleichen, die zudem ultrarechten Kräften in die Hände spielt.
Für den baskischen Ministerpräsidenten Urkullu, der das Projekt vorstellte, geht es bei der Studie um „die Klärung der Vergangenheit, die einen notwendigen Schritt darstellt für ein versöhnliches Zusammenleben in der Gegenwart und in der Zukunft“. In der ersten Etappe der Untersuchung geht es um den Krieg, um Erschießungen, um Personen, die unter Anwendung von Gewalt verschwanden, um willkürliche Verhaftungen, Zwangsarbeit und Exil.
Dabei beginnt die Arbeit nicht bei Null, denn über diesen historischen Zeitraum liegt bereits eine umfangreiche Studie vor, die ebenfalls im Auftrag der baskischen Regierung erstellt wurde. Bei der neuen Studie wird dennoch auch das Thema Folter nicht zu kurz kommen, zu dem kürzlich ebenfalls ein Bericht vorgelegt wurde, in dem sogar von Folterungen durch baskische Polizei die Rede ist – es wird also nicht vor der eigenen Haustür Halt gemacht, was Menschenrechts-Verletzungen anbelangt.
Konkret beauftragt sind im Fall der neuen Studie die beiden Uni-Professor/innen Enara Garro und Jon Mirena Landa, beide Expert/innen in Strafrecht; der Historiker Josu Txueka und die Geschichts-Wissenschaftlerin Lurdes Herrasti von Aranzadi. Diese vier Expert/innen werden unterstützt von einem Team von drei Forscherinnen, die Interviews und Recherchen durchführen.
Bei ihrer Arbeit könnten die Forscher/innen auf weitere Arbeiten zurückgreifen. Zum Beispiel für die Zeit des Krieges, der im Baskenland von Juli 1936 bis Juni 1937 dauerte (im spanischen Staat 2 Jahre länger bis April 1939). Doch auch private Studien liegen der Öffentlichkeit schon seit langem vor. Dazu zählt die umfangreiche Dokumentationsarbeit der vor wenigen Jahren gegründeten Stiftung Euskal Memoria (Baskische Erinnerung), sie hat mittlerweile sechs dicke Bände von mehr als 450 Seiten herausgegeben, die sich schwerpunktmäßig mit den Themen Folter, Exil, dem unerklärten Krieg, mit Gernika, der Unterdrückung des Euskara und weiteren Themen beschäftigten.
Gerade mal 40.000 Euro kostet die neue Untersuchung die baskische Regierung – für eine Regierung, und sei es eine regionale eigentlich ein Posten aus der Portokasse. Was einmal mehr zeigt, dass es nicht um Geld, sondern allein um den politischen Willen geht. Der im Baskenland vorhanden ist, weitgehend.
FOTOS:
(*) alle Bilder stammen aus einer Ausstellung zur Aufarbeitung der Geschichte des Konzentrationslagers Gurs im Süden Frankreichs, durch das viele Baskinnen und Basken geschleust wurden (Foto Archiv Txeng)