Friedhof Polloe Donostia
Das Madrider “Tal der Gefallenen“ – Diktator Francos Mausoleum – zeichnet sich dadurch aus, dass neben faschistischen Soldaten willkürlich auch republikanische Tote dort begraben liegen. Putschisten und republikanische Opfer in einer Gruft. Zur großen Überraschung der baskischen Öffentlichkeit geschah Ähnliches 85 Jahre lang auf dem Polloe-Friedhof von Donostia. Fast unbemerkt. Bis die linke EH Bildu der Sache nachging und das Institut Aranzadi den kleinen Skandal der Kriegs-Aufarbeitung bestätigte.
Dass Faschisten und ihre Opfer gemeinsam beerdigt werden ist ein Sonderfall. Vom Madrider “Tal der Gefallenen“ war er bekannt. Nun wurde in Donostia ein unangenehmer Parallelfall entdeckt.
Wie im Madrider “Tal der Gefallenen“ befinden sich auch im franquistischen Mausoleum auf dem Friedhof Polloe in Donostia siebzehn Leichen von getöteten Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten, wie aus einer Studie der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi hervorgeht, die im Mai 2022 von der Stadtverwaltung Donostia veröffentlicht wurde. (1)
Als während des Franquismus in der Region Madrid das “Denkmal für die Gefallenen“ errichtet wurde, mit dem Franco-Mausoleum im Zentrum, wurden dort nicht nur die Toten der faschistischen Seite begraben. Gleichzeitig wurden auch die Leichen von Tausenden von Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten, Republikanern und baskischen Nationalisten nach “Cuelgamuros“ (Ortsname) gebracht, in der Regel ohne das Wissen der Angehörigen der republikanischen Toten. Und selbst wenn sie es wussten, hatten sie keine Chance, sich gegen die Zwangsüberführung des Regimes zu wehren. Die Bergung dieser Überreste war Jahrzehnte lang verboten und ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Franquistisches Mausoleum in Polloe
Was anscheinend niemand wusste oder zugeben wollte: Die gleichen Praktiken wie im berüchtigten “Tal der Gefallenen“ wurden auch im Mausoleum der "Gefallenen für Gott und Spanien" auf dem Friedhof Polloe in Donostia / San Sebastian angewandt. Dies teilten Bürgermeister Eneko Goia und die Stadträtin für Gleichberechtigung und soziale Rechte der Presse mit, gemeinsam mit einem Sprecher der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi. Thema war die Veröffentlichung eines von der Gesellschaft erstellten Berichts zu diesem heiklen Thema.
Der Verdacht, dass Milizionäre der kommunistischen PCE, der anarchistischen CNT und der sozialistischen UGT sowie Mitglieder der Volksmilizen neben den Toten von Francos Truppen in Polloe begraben wurden, ist nicht gannz neu. Darauf hat bereits der Historiker Iñaki Egaña in "Irutxuloko Hitza" (Wort aus Irutxulo) im Oktober 2020 hingewiesen. Nach diesen ersten Informationen wurde die Wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi mit einer Untersuchung und Prüfung beauftragt. Deren Ergebnis lautet, dass zumindest siebzehn Leichen von republikanischen Toten in jenem franquistischen Mausoleum in Polloe-Donostia begraben liegen. Es könnten bei weiterer Suche sogar noch vierzehn weitere dazukommen. Die Identität der Toten und Einzelheiten über ihre Biografie können nun auf der Website donostia1936.eus/eu nachgelesen werden.
Identitäten
Bei den republikanischen Toten handelt es sich um Pedro Arriola San Pedro, gebürtig aus Eibar und Mitglied der Volksmilizen; Severiano Asarta Imaz, Mitglied der kommunistischen PCE; Narciso de Santos Herrero, aus Pinarejos (Segovia), wohnhaft in Donostia und Mitglied der anarchistischen CNT; Lorenzo Echarri Isasa, aus Donostia, wohnhaft in Bilbao und Mitglied der PCE; Marcos Galluralde (oder Gallarralde) Elejalde, aus Marañon (Nafarroa), wohnhaft in Bilbao und Mitglied der CNT; Camilo Ibáñez Azcoaga, geboren in Gasteiz, wohnhaft in Arrasate und Mitglied der sozialistischen UGT; Manuel Inoriza Sagarminaga, geboren und wohnhaft in Galdames und Mitglied der PCE; Francisco Irazabal Saéz, aus Gasteiz, wohnhaft in Bilbo und Mitglied der UGT; Álvaro Izurza (oder Izuro) Pascual, aus Iruñea, wohnhaft in Bilbo und Mitglied der CNT; José Lage Iza, aus Guitiriz (Lugo), aus Donostia und Mitglied der Volksmilizen; Luis Larrea López de Ipiña, aus Gasteiz, wohnhaft in Bilbo und Mitglied der UGT; Ambrosio Narvaiza Sarasqueta, aus Eibar und Mitglied der Volksmilizen; Pedro Olmedo Paumero, aus Arrasate und Mitglied der Volksmilizen; Clemento Queipo, gebürtig und wohnhaft in A Coruña; Eusebio Serrano Álvarez, aus Palencia, wohnhaft in Balmaseda und Mitglied der CNT; Benito Uranga Balanzategui, aus Arrasate und Mitglied der Volksmilizen; und Eloy Zufiaurre García, gebürtig und wohnhaft in Altsasu und Mitglied der Volksmilizen.
Nach Angaben von Aranzadi starben sie alle im Kampf bei der antifaschistischen Verteidigung von Donostia nach dem Militär-Aufstand in der Loiola-Kaserne, zwischen dem 22. und dem 24. Juli 1936. Sie kamen vorwiegend aus Städten wie Eibar, Arrasate, Bilbo und Altsasu in die Hauptstadt von Gipuzkoa, und waren (neben Mitgliedern der Volksmilizen) politische Aktivisten verschiedener Parteien und Gewerkschaften.
Von Aranzadi wurde hinzugefügt, dass nach der Analyse der Unterlagen festgestellt wurde, dass das Polloe-Mausoleum im Februar 1939 gebaut wurde. Die neuen faschistischen Machthaber starteten einen Aufruf an die Angehörigen von gefallenen aufständischen Soldaten, deren sterbliche Überreste in die neu geschaffene Gruft zu überführen. Bis dahin lagen sie in Gräbern in anderen Teilen des Friedhofs.
Überführungen
Über die Zeit von 1958 bis 1963 gibt es Unterlagen, in denen das Regime die Stadtverwaltung von Donostia auffordert, die sterblichen Überreste der faschistischen Kämpfer von den Friedhöfen von Polloe, Igeldo, Altza und Astigarraga in das Madrider “Tal der Gefallenen“ zu überführen. Aus Polloe wurden jedoch keine Leichen überführt, nachdem festgestellt worden war, dass sie "kollektiv begraben wurden und schwer zu unterscheiden waren". Vier Leichen wurden vom Friedhof des Ortes Altza (Gipuzkoa) nach Cuelgamuros-Madrid transportiert. Es wird angenommen, dass die Leichen der Aufständischen im Juli 1940 in das franquistische Mausoleum in Polloe gebracht wurden.
In der Studie erscheinen die Namen von 121 Personen, die in dem franquistischen Polloe-Mausoleum begraben sind. Aranzadi erklärt, dass nach einem Abgleich der Liste festgestellt wurde, dass es sich bei mindestens 17 von ihnen nicht um Aufständische, sondern um antifaschistische Widerstandskämpfer handelt, die bei der Verteidigung von Donostia getötet wurden. Darüber hinaus gibt es Zweifel an weiteren vierzehn Leichen, bei denen nicht klar ist, ob sie antifaschistischen Gruppen angehörten und ob sie zwischen dem 22. Juli und dem 23. August 1936 im Kampf gefallen sind. Auf jeden Fall scheinen ihre Profile nicht mit denen der franquistischen Toten übereinzustimmen.
Unklarheit
Dabei handelt es sich um Pedro Aramendia Laca, gebürtig und wohnhaft in Donostia; Manuel Arconilla Vega, gebürtig und wohnhaft in Madrid; Manuel Báez Machuca, aus Estepa (Sevilla) und wohnhaft in Donostia; eine Person mit dem Nachnamen Etura; Juan Herren Aller; Santos López Pinto; Rogelio Miranda; Juan Ortiz de Zárate Urbina, aus Haro (La Rioja); Rodrigo Pérez Santamaría, aus Getxo; Pedro Samper; Fernando San Saturnino Torre (oder Torres), aus Basauri; Cesáreo San Sebastián Zubiarrain, aus Donostia, wohnhaft in Bilbo; Julián Sánchez Sola, aus Bilbo; und Luis Tapia.
Die Podemos-Abgeordnete Haizea Garay von Elkarrekin-Podemos wies auf Twitter darauf hin, dass der Erstgenannte der Liste ein Aktivist der Kommunistischen Partei PCE gewesen sei und bedauerte, dass die Informationen von Memoria-Organisationen nicht berücksichtigt worden seien, die schon seit langem mit der Aufarbeitung des Krieges beschäftigt sind.
Aranzadi bezeichnete es als äußerst ungewöhnlich, dass in den auf den lokalen Friedhöfen errichteten Mausoleen, die sich durch Lobeshymnen der Franquisten auszeichnen, Leichen beider Seiten nebeneinander liegen. Auf der Suche nach einer Erklärung wurde darauf hingewiesen, dass es sich möglicherweise um einen ganz pragmatischen Hintergrund handeln könnte: dass der Leichenbestatter die Leichen all derer, die im Sommer 1936 im Kampf gefallen sind, in das Mausoleum brachte, ohne auf ihre politische Zugehörigkeit Rücksicht zu nehmen oder aus bloßer Unkenntnis.
Eine faschistische Gedenktafel
Im Mausoleum, auf dem die Inschrift "Zum Gedenken an die Ermordeten, die ihre Ideale, Gott und Spanien verteidigt haben. Ein Gebet für ihre Seelen" wurden Huldigungsakte von Mitgliedern der Guardia Civil und der spanischen Armee registriert, wie der Abgeordnete Jon Iñarritu von der linken baskischen Partei EH Bildu bereits 2018 im Senat beklagt hatte.
Diese Inschrift und die Tatsache, dass sie nicht den Anforderungen des “Gesetzes über die historische Erinnerung“ aus dem Jahr 2007 entsprach (das erste Gesetz zur Aufarbeitung des Franquismus), war der Auslöser für den Beginn der Aranzadi-Untersuchung, so Donostia-Bürgermeister Goia. Die Tafel werde nun entfernt, danach werde in Rücksprache mit Memoria-Gruppen entscheiden, ob eine neue Kennzeichnung oder Erklärung eingeführt werden solle. Der Bürgermeister betonte, dass es sich bei dem Mausoleum um kommunales Eigentum handelt, so dass mit einer raschen Durchführung der Arbeiten zu rechnen sei.
Appell an die Angehörigen
Aranzadi informierte, dass es nicht gelungen sei, Kontakt zu den Angehörigen der antifaschistischen Milizionäre aufzunehmen, die in dem franquistischen Mausoleum begraben sind. Dieses Ziel solle jedoch weiterhin verfolgt werden. Die Stadtverwaltung bittet die Bevölkerung, sich per E-Mail oder telefonisch zu melden.
Die linke Koalition EH Bildu unterstrich die Bedeutung der von Aranzadi vorgestellten Studie und betonte die eigene Initiative, die letztlich zur Entdeckung des Charakters des Mausoleums geführt habe. Schon bei der Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Massakers an den streikenden Arbeitern von Ategorrieta (ebenfalls Donostia) habe erst die Initiative von EH Bildu zum entscheidenden Schritt geführt.
Aufgaben
In Donostia müssen nun Daten gesammelt und Hintergründe ermittelt werden, bevor entschieden wird, was mit den Knochen passieren soll, die angeblich nicht auseinander zu halten sind. Vielleicht endet das Ganze in einem Kompromiss wie in Durango. Denn ganz so einzigartig, wie die Pollue-Geschichte heute dargestellt wird, ist sie dann doch nicht. Denn im bizkainischen Durango liegen in einer öffentlich zugänglichen Gruft ebenfalls tote Republikaner neben Faschisten begraben. Mit Stirnrunzeln aber ohne Protest. Jeden 31. März nimmt der baskische Ministerpräsident (von derselben Partei wie Donostia-Bürgermeister Goia) dort an einer Ehrung teil. Nur für die für die Republik gestorbenen baskischen Kämpfer, versteht sich. Die toten Franquisten hingegen werden an jenem Tag geflissentlich übergangen.
ANMERKUNGEN:
(1) “Un Valle de los Caídos en el cementerio donostiarra de Pollue” (Ein Tal der Gefallenen im Friedhof Pollue von Donostia), Tageszeitung Gara 2022-05-16 (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Friedhof Polloe (naiz)
(2) Tal der Gefallenen, Madrid (gazeta)
(3) Gruft in Durango (mugalari)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-05-19)