Laboa, Lertxundi und die wilde Dreizehn
In den düsteren Zeiten des Franco-Regimes brachte eine handvoll Künstler, Schriftsteller und Sänger/innen die Wiederbelebung und Erneuerung baskischer Kultur, der baskischen Sprache und der baskischen Liedtradition auf die Tagesordnung, die in Zeiten der Zensur kaum Luft zum Atmen gehabt hatte. Namen wie Mikel Laboa, Benito Lertxundi, aber auch Nestor Basterrextea oder Jorge Oteiza sind seitdem unlöschbar mit dem Kampf ums Überleben der baskischen Kultur verbunden. Baskische Medien erinnern täglich an ihr Wirken.
Mikel Laboa
Wenn im Baskenland der Name Mikel Laboa fällt, denken die meisten an sein Lied “Txoria Txori“, das metaforisch den Umgang mit einem Vogel beschreibt. “Würde ich ihm die Flügel stutzen, wäre er für immer mein, aber er könnte nicht mehr fliegen“. Das in den 70er Jahren geschriebene Lied war eine Anspielung auf die Zensur der Franco-Zeit, sein verschlüsselter Text war gleichzeitig die Strategie, das Stück durch die Zensur zu bringen, die allgegenwärtig alles kontrollierte. Wie kein anderes Lied hat sich Txoria Txori in das kollektive Gedächtnis der baskischen Gesellschaft eingeprägt, kein Tag vergeht, an dem nicht wenigstens eine Radiostation das Lied oder eine Version davon spielt. Kein Jahr vergeht, ohne wenigstens zwei drei neue Versionen Laboas Lied auf dem Markt erscheinen zu sehen, in verschiedensten Stilrichtungen. Selbst die legendäre Joan Baez hat vor Jahren eine Version des Vogel-Stücks vorgelegt, in baskischer Sprache.
Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, den Liedermacher Laboa (1934-2008) auf ein einziges Stück zu reduzieren. Erst sein Gesamtwerk hat ihn zu einem der wichtigsten Liedermacher in baskischer Sprache im ausgehenden 20.Jh gemacht. Seine Musik hat Generationen beeinflusst und tut es noch. Sein Album “Bat-Hiru“ wurde von den Leser/innen einer Tageszeitung einst zum Besten der Geschichte gewählt.
Biografie Mikel Laboa
Mikel Laboa verbrachte zwei Jahre seiner Kindheit im Küstenort Lekeitio bevor die Familie zurück nach Gipuzkoa zog. In den 50er Jahren studierte er Psychiatrische Medizin in Pamplona/Iruña. Fast 20 Jahre lang brachte er seine künstlerische Karriere mit der Arbeit als Kinderpsychiater in Einklang. Während des Studiums ließ er sich in seiner musikalischen Entwicklung von Atahualpa Yupanqui und Violeta Parra beeinflussen, in deren Tradition wurde er zum politischen Künstler. Seinen ersten Auftritt hatte er im Gayarre-Theater von Pamplona im Jahr 1958.
Lieder mit Charakter
In den 60ern gründete er mit anderen baskischen Künstler/innen die Kulturgruppe “Ez dok amairu“ (Keine Dreizehn mehr), die sich mutig gegen die bleierne Zeit der Diktatur wandte und versuchte, verschiedene Bereiche der baskischen Kultur wieder zu beleben. Besondere Bedeutung wurde der Wiederaneignung und Würdigung der baskischen Sprache beigemessen. Innerhalb dieser Bewegung entwickelte sich Mikel Laboa neben Benito Lertxundi zum herausragenden Vertreter des “Neuen Baskischen Lieds“.
Laboas Musik kann beschrieben werden als Mischung aus Tradition, Poesie und experimentellen Anteilen, im Liedermacher-Stil der 60er und 70er Jahre, mit einer starken persönlichen Note und einer überaus speziellen Stimme. Sein Werk umfasst alte Volkslieder, die er in neuem moderneren Stil reinterpretierte, aber auch vertonte Poesie, von Bertold Brecht zum Beispiel. Dazu eigene Stücke. Besondere Erwähnung verdienen seine “Lekeitioak“ (Die aus Lekeitio), experimentelle Stücke auf der Basis von Schreien und onomato-poetischen Klängen (Lautmalereien), die den späteren Klängen von Björk und anderen avantgardistischen Sänger/innen viele Jahre voraus sind.
Einige der Stücke von “Bat-Hiru“ sind mittlerweile zu Volkslied-Klassikern geworden. Vor allem “Txoria Txori“, sein bekanntestes Lied. Es existiert sogar eine orchestrale Fassung dieses Stücks, bei der die Orfeón-Orchester von Donostia und das Jugend-Orchester Euskal Herria mitwirkten. Andere bekannte Lieder des Albums sind “Gure Hitzak“ (Unsere Worte), “Haika Mutil“ (Steh auf Junge) und “Baga, Biga, Higa“ (keine Übersetzung).
Laboas Lebenswerk
Mikel Laboa war 35 Jahre kreativ, bis fast zu seinem Lebensende, als die Gesundheit keine weiteren Auftritte mehr zuließ. Er arbeitete regelmäßig mit dem Jazzer Iñaki Salvador, dem Orfeón und anderen Orchestern zusammen. Einige seiner bekanntesten Stücke fanden Aufnahme in den Dokumentarfilm “La Pelota Vasca. Piel contra la Piedra“ (Baskische Pelota. Haut gegen Stein) von Julio Medem, in dem versucht wird, den spanisch-baskischen Konflikt darzustellen. Am 11.Juli 2006 hatte Laboa seinen letzten Auftritt, neben Bob Dylan war er beim Friedenskonzert am Strand von Donostia zu hören.
Kurioserweise wählte Laboa für seine Titel eine fortlaufende Nummerierung. Das begann 1974 mit der Veröffentlichung der Doppel-LP BAT-Hiru (Eins-Drei). Die Zwei, Lieder von Bertold Brecht, wurde von der Franco-Zensur verboten. Es folgte die Doppel-LP Lau-Bost (Vier-Fünf) und die Sei (Sechs). Die Lekeitio-Lieder stehen für Sieben bis Elf, auch wenn davon nur ein Sammel-Album veröffentlicht wurde wegen geringer Verkaufsaussichten.
Darauf folgte die Hamabi (Zwölf), die Dreizehn ließ Laboa im Gedenken an die Kulturgruppe “Ez Dok Hamairu“ aus. Auf die Vierzehn (Hamalau) folgten mit Fünfzehn (Hamabost) und Sechzehn (Hamasei) zwei Live-Aufnahmen. Ohne die Neuauflage von Lekeitioak und einem Mischalbum war seine letzte Platte die Hamazazpi - Xoriek (Siebzehn, auch Xoriek genannt).
Im Jahr 2002 produzierte und sang Mikel Laboa zusammen mit Ruper Ordorika den Begleitsong für die Korrika (ebenfalls “Ez Dok Hamairu“ genannt), den Promotions-Lauf für die baskische Sprache, der alle zwei Jahre stattfindet, ein Stück, das auf perfekte Weise den Charakter vieler Laboa-Lieder symbolisiert. Sein letztes Co-Projekt erfolgte mit der Gruppe Naizroxa aus Pasaia, wo er den Titel "Iqharaturic" beisteuerte.
Im Dezember 2008, kurz vor der Musik- und Buchmesse in Durango starb Mikel Laboa an einer schweren Krankheit. Im Ort Usurbil (Gipuzkoa) und an der Universität des Baskenlandes, Bilbao-Leioa sind Plätze nach ihm benannt. Gerade in Leioa ist ein metallenes Xylofon an der Straße installiert, das bei entsprechender Berührung von links nach rechts Mikel Laboas wichtigste Warnung für bessere Zeiten klingen lässt: bitte nie dem Vogel die Flügel stutzen – Txoria Txori.
Benito Lertxundi
Neben Mikel Laboa ist Benito Lertxundi der bekannteste baskische Liedermacher mit langer Tradition. Wie Laboa wurde Lertxundi Teil der Kulturgruppe “Ez Dok Amairu“, die sich in der Endphase der Franco-Zeit der Erneuerung baskischer Kultur und Sprache verschrieben hatte und an der neben Sänger/innen auch namhafte Künstler wie Jorge Oteiza und Nestor Basterretxea beteiligt waren.
Ez Dok Amairu
In der franziskanischen Kunstschule von Zarautz lernte der aus Orio stammende Lertxundi sein Handwerk. Mit Arbeiten aus Ton und Holz gewann er erste Preise und erlangte Arbeit. Der Weg zu Ez Dok Amairu führte über einen kleinen Umweg, denn Lertxundi bewarb sich 1965 mit Stimme und Gitarre beim Wettbewerb “La Voz de España“ (Die Stimme Spaniens) und hatte Erfolg. Die folgende Pressekritik muss Mikel Laboa in die Hände geraten sein, er kontaktierte Lertxundi und gewann ihn für die Kulturgruppe. Lertxundi wurde zu Vorbereitungstreffen eingeladen, war 1966 Teil der öffentlichen Vorstellung der Gruppe in den Theatern von Hernani und Zumaia, und wurde zu einem tragenden Teil der Gruppe. Im Jahr 1970 nahm er teil am heute legendären Baga-Biga-Higa-Spektakel, das ohne finanzielle Mittel, die Hindernisse der Franco-Zensur überwindend durchs Baskenland tingelte. Im Jahr 1969 wurden Lertxundi Auftritte in Gipuzkoa verboten, 1971 in Bizkaia, wo die Mehrheit der Festivals stattfanden.
Solokarriere
Noch bevor sich die Gruppe 1972 wieder auflöste, publizierte er seine erste Platte, ausschließlich mit Gitarrenmusik begleitet. Nach der Auflösung von Ez Dok Amairu war Lertxundi eine Zeit lang Teil des muskalischen Spektakels “Zazpiribai“ (Ja zu sieben Provinzen) in Iparralde (Nordbaskenland), danach trat er alleine auf. Immer sang er in Euskara, thematisch waren seine Lieder geprägt von Protest, Folk, Lyrik und dem Zeitgeschehen. Lertxundi wurde zum Liedermacher mit den meisten Auftritten, er erwarb sich große Achtung im baskischen Publikum und erschien unter anderem in Barcelona, Valladolid, Madrid, Zaragoza, der Bretagne, Irland, Wales.
Im Jahr 1975 war sein Song “Aur bati“ (Einem Kind) an der Spitze der baskischen “Hitparade“. Musikalisch beteiligte er sich 1983 am Dokumentarfilm des us-amerikanischen Regisseurs Arthur MacCaig “Euskadi hors d'Etat“ (Euskadi außerhalb des Staates), der die politische und gewaltförmige Geschichte des Baskenlandes erzählt, beginnend mit dem Krieg von 1936 bis ins Jahr 1983, erzählt von Protagonisten der Geschichte.
Anders als Laboa blieb Lertxundi immer dem melodiösen baskischen Folklore-Klang treu, heute kann er als der letzte Troubadour der alten Schule bezeichnet werden, die in den 60er und 70er Jahren die baskische Volksmusik revolutionierten, nach dem Lurdes Iriondo (2005), Mikel Laboa (2008) und Xabier Lete (2010) in den vergangenen Jahren gestorben sind.
Diskografie
"Euskal kanta berria" (vor 1970). "Ez dok amairu" (1971). "Oro laño mee batek" (1974). "Eta maita herria, üken dezadan plazera" (1975). "Zuberoa / Askatasunaren semeei" (1977). "Altabizkar / Itzaltzuko bardoari" (1981). "Gaueko ele ixilen baladak" (1985). "Mauleko bidean... izatearen mugagabean" (1987). "Pazko gaierdi ondua" (1989). "Hunkidura Kuttunak I" (1993). "Hunkidura Kuttunak II" (1993). "Hitaz oroit" (1996). "Auhen sinfonikoa" (1998). "Nere ekialdean" (2002). "40 urtez ikasten egonak" (2005). "Itsas ulu zolia" (2008). "Oroimenaren Oraina" (2012).
Ez Dok Amairu
“Ez Dok Amairu“ war der Name einer kulturellen Avantgarde-Gruppe zwischen 1966 und 1972, die sich der Wiederbelebung und Erneuerung der baskischen Kultur widmete, insbesondere der baskischen Sprache und des Liedes. Die Gruppe formierte sich innerhalb der Bewegung “Euskal Kantagintza Berria“ (neues baskisches Lied) und setzte sich zusammen aus Sänger/innen, Schriftstellern, die in Euskara schrieben und nahmhaften gestaltenden Künstlern. Das Lied war ein Mittel, um neue Botschaften von Hoffnung, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit in die Gesellschaft zu tragen, zu einer Zeit, in der die Franco-Diktatur noch fest im Sattel saß. Die Gruppe versuchte, Ungerechtigkeit anzuklagen und der Notwendigkeit Ausdruck zu geben, ein neues baskisches Volks-Bewusstsein zu schaffen. Auch sollte den Menschen die Literatur nahe gebracht werden. Um diese Botschaft zu verbreiten wurden Musik-Festivals organisiert, als Vorwand dafür, dass die Menschen sich versammeln konnten.
Neben kulturellen Besonderheiten enthielten die Darbietungen politische und soziale Elemente, die die Dikatur herausforderten. Die Entwicklung von Ez Dok Amairu fiel zusammen mit ähnlichen Bewegungen in anderen Teilen des spanischen Staates, wie zum Beispiel “Els Setze Jutges“ (Die sechzehn Richter) in der Bewegung für ein neues katalanisches Lied (Nova Cançó) oder das Manifest “Lied des Südens“ in Andalusien.
Der Name der Bewegung Ez Dok Amairu geht zurück auf einen Vorschlag des Bildhauers Jorge Oteiza im Jahr 1965, nach der baskischen Volkserzählung “Die Not des Heiligen Martin“ (San Martinen estutasuna), die mit "Ez dok amairu" schließt. Die wörtliche Übersetzungist: keine Dreizehn mehr, was bedeuten sollte, dass der Fluch der Dreizehn gebrochen war – gemeint war der Fluch der Diktatur symbolisiert durch die Unglückszahl der Abergläubigen. Oteizas Traum war es, alle künstlerischen Disziplinen zusammen zu bringen, um der von den Faschisten durch Verbote schwer beeinträchtigten baskischen Kultur wieder Leben einzuhauchen. Das Mittel der Musik war dazu am Besten geeignet. Im Jahr 1970 präsentierte die Gruppe das Musikspektakel “Baga biga higa“, das zu einer wesentlichen Veränderung in der Bewegung für das neue baskische Lied führte, sowohl in ästhetischer als auch musikalischer Hinsicht.
Im Jahr 1971 veröffentlichte Benito Lertxundi ein Album mit dem Namen der Gruppe als Titel, "Ez dok amairu", in dem die bekannten Lieder "Zenbat Gera" (Wieviele sind wir) und "Urak dakarrena" (Der Wasserführende) enthalten waren.
Die Gruppe löste sich 1972 auf, als die Diktatur bereits in die Krise gekommen war und Francos Versuch scheiterte, mit der Ernennung eines Nachfolgers den Fortbestand des Regimes zu garantieren. Nach dem Ende von Ez Dok Amairu gingen die musikalischen Mitglieder der Gruppe eigene Wege und wurden zu Meilensteinen der baskischen Musik und Kultur: XabierLete, Lourdes Iriondo, Mikel Laboa, Benito Lertxundi. Jorge Oteiza wurde zum Übervater der baskischen Bildhauerei, Nestór Basterretxea ist der letzte verbliebene Gestalter.
Im Jahr 2003 schrieb Mikel Laboa für die 13.Auflage des Korrika-Laufes für die baskische Sprache den Promotions-Song mit dem Titel “Ez Dok Amairu“, in Erinnerung an die richtungsweisende Wirkung der Gruppe.
Die Mitglieder von Ez Dok Amairu
Benito Lertxundi (* 1942). Jexux Artze (*1945-2002). Jorge Oteiza (*1908-2003). Jose Angel Irigarai (* 1942). Joxean Artze (* 1939). Julen Lekuona (*1938-2003). Lourdes Iriondo (*1937-2005). Mikel Laboa (*1934-2008). Néstor Basterretxea (*1924). Xabier Lete (*1944-2010).
Informations-Quellen:
Wikipedia, Auñamendi Eusko Entziklopedia
Fotos:
Ez Dok Amairu - wikipedia
Mikel Laboa, Benito Lertxundi, Universität Leioa - Txeng/Baskultur