Von der Ausnahme zur Selbstverständlichkeit
Eine Anzahl von Liedermacherinnen gibt es in der baskischen Musikszene: Anari, Lurdes Iriondo, Izaro, Maria Rivero, Sorkun, Maddi Oihenart, Alaitz eta Maider – viele Frauenbands hingegen nicht. Schon gar keine Punkbands! Nun sorgen die „Hexen“ für Furore, indem sie in einer fast hermetischen Männerdomäne Musik machen. Erfolgreich dazu. Nach der legendären Punkrock-Band „Vulpes“ der 1980er Jahre könnten die „Hexen“ zu einem neuen Inbegriff rebellischer baskischer Frauenmusik werden.
„Hexen“ ist eine aus fünf jungen Frauen bestehende Punk-Band, die im Baskenland mit dem Album „Frauenjagd“ für Furore sorgte und die im November 2017 zu einer Mini-Tournee nach Deutschland eingeladen war.
Sie wollten einen Namen, der Dynamik und eine spezielle Bedeutung verkörpert. So kamen sie auf das deutsche Wort „Hexen“. Die Energie und Intensität, die die Band aus Bizkaia charakterisiert passt perfekt zum Musikstil: denn angesagt ist Street Punk / Oi! Zuletzt waren Vir, Vicky, Jone, Meri und Ainhoa nach Deutschland eingeladen, zu einer kleinen Tour mit Konzerten in Berlin, Essen und Hamburg. Dazu waren sie vom Sänger der in Deutschland bekannten Punk-Gruppe Battleship eingeladen worden. „Da konnten wir nicht nein sagen – ab auf die Autobahn!“ – kommentierten die „Hexen“ ihre spontane Zusage.
Erste Platte „Frauenjagd“
Ihre bisher einzige EP-Platte trägt den martialischen Namen „Frauenjagd“ – ebenfalls im deutschen Original. Sie besteht aus vier Stücken, alle selbst geschrieben und in englischer Sprache interpretiert. Publiziert wurde die Scheibe im Label „Bird Trouble“. Nach dem Vorbild von Bishops Green, The Gits, The Gymslips oder Bovver 96 spielen die „Hexen“ bei Fiestas und in Konzertsälen. Bei ihrer Publikation haben sie vorläufig auf traditionelles Vinyl gesetzt. „Der Sound gefällt uns besser, außerdem geht das besser in der Szene in der wir uns bewegen“, ist die Begründung für die Wahl.
Das Cover-Design dieser EP stellt ebenfalls einen Bezug zu Frauen dar: zur Epoche der Inquisition und Hexenjagd. Dem baskisch- und spanischsprachigen Publikum müssen diese deutschen Begriffe erklärt werden. „La traducción de ‘Frauenjagd’ sería ‘La caza de mujeres’ o ‘La caza de brujas’, reivindicándola, no apoyándola, lógicamente”. – „Das heißt wir nehmen Bezug auf diese Geschichte, aber wir unterstützen das natürlich nicht”, erklärt die Gruppe die Titelwahl.
Die „Hexen” sind eine besondere Gruppe, denn bis heute ist es ziemlich unüblich, dass sich fünf Frauen zusammenfinden und dazu noch Musik dieser Stilrichtung machen. Sie führen diese Tatsache auf die „aktuell bestehende gesellschaftliche Erziehung“ zurück. „Von klein auf erhalten wir Botschaften, die uns direkt oder indirekt deutlich machen, was wir machen sollen oder wie wir uns verhalten müssen. Manchmal merken wir gar nicht, wieviel Müll sich in unseren Köpfen ansammelt. Umso schwieriger ist es, sich von dieser Belastung frei zu machen. Denn dabei müssen wir auch darauf gefasst sein, dass uns bei Zuwiderhandlung gesellschaftliche Sanktionen erwarten“. Deshalb gehen die „Hexen“ davon aus, dass es „ein schlechtes Zeichen ist, wenn es in diesem ordinären Kreativitäts-Sektor nur sehr wenige Frauen gibt“.
Legendäre Vorgängerinnen
Einiges hat sich geändert, seit die bisher bekannteste baskische Frauenband für Furore sorgte. Das war Anfang der 1980er Jahre, bis dahin war es noch undenkbar, dass Frauen auf der Bühne – außer einer guten Stimme und ihrer Erscheinung – etwas zu bestellen hatten. Mit „Me gusta ser una zorra“ (Es gefällt mir eine Hure zu sein) wurden die „Vulpes“ zum öffentlichen Skandal. Sogar ein Fernsehmacher wurde entlassen, nachdem er sie präsentierte. All das ereignete sich in einer Epoche voller Provokationen, in der der sogenannte Rock Radical Vasco entstand. „Was wir damals sagten, sangen, schrieben und zeichneten würde uns heute ins Gefängnis bringen, mit all den neuen Zensurgesetzen“, sagte neulich einer der Aktivisten aus jener Zeit vor ungefähr 30 Jahren bei einer Bilanz. „Punk war nicht nur Musik, es war eine politische Haltung. Wir hatten keine Utopie, wir wollten alles zerschlagen“. - „Macht kaputt was euch kaputt macht“ hatten Ton Steine Scherben 15 Jahre zuvor etwas weiter im Norden gesungen.
Dieser Rock Radikal Vasco war nicht zuletzt eine politisch-kulturelle Antwort auf die Friedhofsruhe des vergangenen Franquismus, eine Stilrichtung, bei der es nicht nur auf den Sound ankam, sondern auf radikale politische Texte. Doch Kortatu, Hertzainak, Cicatriz und viele andere waren reine Männerbands – die „Vulpes“ stellten die große Ausnahme dar. Statistisch hat sich nicht viel verändert, qualitativ aber doch etwas. Das Thema der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Feldern ist stärker präsent als je zuvor.
Selbstorganisiert
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte stellen die „Hexen“ fest, dass es gar nicht so schwierig war, sich in dieser männlich dominierten Musikszene einen Platz zu ergattern. Von Beginn an, seit sie zuerst vor dem Publikum und in den Medien erschienen, wurden sie begeistert aufgenommen. „Seit den ersten Konzerten, mit all unseren Freundinnen in der ersten Reihe, auch nach dem Erscheinen unserer ersten EP, und bis zu unseren heutigen Mini-Tourneen, sind wir korrekt behandelt worden. Ausnahmen gibt es immer. In der Skin-Szene ist es natürlich eine große Besonderheit, Frauen auf der Bühne zu sehen.“ Einige der „Hexen“ hatten bereits Erfahrung gesammelt in anderen Musikgruppen – Jone bei „Octopussys“, Virginia bei „Awaking the North“, Ainhoa bei „Zuloak“ und Meri bei der Vertonung des Theaterstücks „Ez Dok Hiru“. Das hat ihnen die Sicherheit gegeben, sich selbst zu organisieren, eine Managerin haben sie nicht.
„Ohne Managerin ist es manchmal nicht einfach, aber in vielen Situationen doch von Vorteil. Manchmal gehen wir auf dem Zahnfleisch und denken, wie gut wäre es doch, jemanden zu haben … aber bisher haben wir es dennoch ganz gut alleine geschafft. Wenn wir eines Tages überfordert sein sollten – was zu wünschen wäre! – müssen wir eben umdenken“, so der aktuelle Stand der Dinge.
Frauen in der Punk-Szene
Die jungen Frauen, die sich über Internet kennenlernten und zusammenfanden, sind sich darüber bewusst, dass es trotz großer Vielfalt im Musiksektor nach wie vor für viele eine Überraschung darstellt, ausgerechnet in der Oi!-Szene auf fünf Frauen zu treffen: „Das ist alles andere als normal“. Aber es sei immer dasselbe: „Überrascht sind nur jene, die sich überraschen lassen. Auch wenn es wenige Frauen auf der Bühne gibt, wollen wir dennoch nicht als Frauen auffallen und überzeugen, sondern mit der Musik, die wir machen. Wir wollen, dass den Leuten unsere Musik gefällt und sie unsere Konzerte genießen.“
Es gibt viele Stereotypen über Punkmusik, das wissen wenige besser als die „Hexen“. „Die meisten (männlichen) Punk-Gruppen singen über Typen, die zum Fußball gehen, über Biertrinken und Schlägereien, und am Ende gibt es dann noch ein Lied über ein hübsches Skingirl. Das ist so ungefähr die bekannteste und platteste Version in diesem Musikbereich. "Doch Oi! ist für die „Hexen“ ein Musikstil, der aus den armen Stadtteilen kommt, bei dem die täglichen Dramen und Tragödien besungen und soziale Ungerechtigkeiten angeklagt werden.“
„Um ehrlich zu sein, es gibt viele gute Oi!-Gruppen mit äußerst fragwürdigen Texten, da machen wir uns nichts vor. Du triffst auf Leute, die Orwell zitieren, wie die Gruppe „Stanley“ zum Beispiel, oder auf Typen wie „The Unborn“, deren Texte von Terrorfilmen handeln“, stellen die Musikerinnen aus Bizkaia realistisch fest.
Nach den Deutschland-Konzerten wollen die „Hexen“ wieder in die Zarata-Aufnahmestudios, um ihre zweite Platte zu produzieren. Ebenfalls im Vinylformat, „aber dieses Mal in einer längeren Fassung.“ Diese Platte soll nach dem bisherigen Plan im März 2018 auf dem Tisch liegen. „Wir haben bereits angefangen, in verschiedenen Orten ab März Konzerte abzusprechen“, so die Ankündigung der Gruppe.
ANMERKUNGEN:
(1) Zitate aus dem Artikel „Hexen, el punk femenino“ (Hexen, weiblicher Punk) (Link)
(2) Die „Hexen” – Webseite (Link) und auf Facebook (Link)
ABBILDUNGEN:
(*) Punkband „Hexen” (Facebook)