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Die legendäre Freiheit des radikalen Rock

Seit der Verabschiedung eines neuen „Sicherheits-Gesetzes“ im spanischen Staat können kritische Aussagen oder oppositionelle Kommentare mit strengen Strafen belegt werden. Praktisch verboten ist, staatliche Organe oder den König verbal anzugehen. Journalisten können bestraft werden, wenn sie ihre Arbeit tun und zum Beispiel Polizei-Brutalität auf der Straße filmen. Kommentare in Sozialen Netzen haben bereits zu harten Strafen geführt, mehrere Rapper sind kurz davor, Gefängnisstrafen anzutreten.

„Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ ist der offizielle Titel der Regelung, die neu definiert, was unter „Hass“ und „Verherrlichung“ zu verstehen sei. Seither sind Künstler*innen und Journalist*innen von Verfahren bedroht. Im Volksmund ist deshalb von „Maulkorb-Gesetz“ die Rede.

Wie sehr sich die politischen Verhältnisse gewandelt haben, zeigt ein Blick auf die Texte der Rockmusik der 1980er und 1990er Jahre, aus dem Baskenland und darüber hinaus. Die Vertreter*innen des „radikaler baskischer Rock“ genannten Musikstils (und andere Musiker*innen im Staat) mussten kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie durften ihrer Kritik über die gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch ihrem Hass freien Lauf lassen. Dafür wären sie heutzutage in allerhöchster Gefahr, mit Verfahren überzogen zu werden, Bußgelder berappen zu müssen oder direkt ins Gefängnis zu gehen.

Erinnerungen an die Inquisition

maulkorb02Zuletzt unrühmlich bekannt geworden sind die beiden Rapper Pablo Hasel und Valtonyc. Wegen ihrer harschen Kritik an den politischen Verhältnissen bzw. am Königshaus wurden beide zu Gefängnis verurteilt. Staatliche Instanzen zeigen immer unverhohlener ihr autokratisches Gesicht, das unmittelbar an den Franquismus erinnert. Wo der Staat zu scharf rechts abbiegt, tritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf die Bremse. Nicht nur, was Folteranzeigen gegen die Guardia Civil anbelangt – hier musste die spanische Justiz gleich serienweise Niederlagen einstecken. Im März 2018 wurde in Straßburg das Urteil gegen zwei Katalanen aufgehoben, die ein Foto des Königs verbrannt hatten und dafür zu Gefängnisstrafen  verurteilt worden waren. Traurigerweise führt so manche Vergewaltigung zu weniger juristischer Härte. Um den Knast zu vermeiden „durften“ die Katalanen eine saftige Strafe bezahlen.

Tagelang eingesperrt wurden auch schon Marionettenspieler, die das Thema „Terrorismus“ auf die Schippe nahmen. Gleich mehrfach ins Visier der Torquemadas und sonstigen Schnüffler und Zensoren kam die Satirezeitschrift „Jueves“ (Donnerstag). Zuletzte deshalb, weil sie sich mit dem (offenbaren) Kokainkonsum bei der Polizei im Einsatz beschäftigt hatte. Bei dieser Zeitschrift waren schon Razzien angeordnet worden – von Presse- oder Meinungsfreiheit ist hier schon lange keine Rede mehr.

Aufgrund der Härte der aktuellen Zensur drängte sich bei der Tageszeitung „Público“ der Vergleich mit den 1980er Jahren auf. Unter dem Titel „Als gesungener Protest noch möglich war: neun Lieder aus der Vergangenheit, die heute zur Audiencia Nacional führen würden“. (1) Der baskisch-deutsche Blog machte daraus den Titel „Das Maulkorb-Gesetz im Rückspiegel“.

Der Maulkorb im Rückspiegel

Laut Público gab es Zeiten, da konnte mit Gesang protestiert werden. Ein Rückblick lohnt sich. Die folgenden neun Lieder waren frech, kritisch und sie waren populär. Doch in keinem Fall folgte auf die Publikation eine repressive Reaktion. Das wäre heute anders. Es muss davon ausgegangen werden, dass alle jene Texte, würden sie heutzutage publiziert, für Strafverfahren sorgen würden und die Autor*innen mit Geld- oder Gefängnis rechnen müssten. Denn das 2012 verabschiedete „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ hat bereits eine große Zahl von Künstler*innen vor die Richter gebracht. In einigen Fällen gab es Gefängnisstrafen. Vor 25 oder 35 Jahren war das unvorstellbar. Trotz der ätzenden Kritik und Provokation, die Gruppen wie Kortatu, Eskorbuto oder Cicatriz in ihren Texten zum Ausdruck brachten.

Wessen Sicherheit?

maulkorb03Der Name „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ ist eine Nebelkerze, die verschleiert, dass es keinesfalls um Sicherheit, sondern um politische Schnüffelei, Zensur und das Ende von künstlerischer und Meinungsfreiheit geht. Euphemismus ist der Ausdruck für derartige Manöver. Marionettenspieler*innen, Karikaturist*innen, Sänger*innen, Journalist*innen und Rapper*innen wurden mithilfe des Gesetzes vor das Politgericht Audiencia Nacional geschleppt und abgeurteilt. Einmal mehr wurde im spanischen Staat aus der Justiz ein Instrument, um kritische Geister zum Schweigen zu bringen.

Das Vorgehen nahm Dimensionen an, die zuletzt sogar den Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte auf den Plan rief, der (wieder einmal) die spanische Rechtssprechung korrigierte oder verurteilte. Er stellte fest, dass das Verbrennen von Königs-Fotos kein Hass- oder Beleidigungsdelikt ist, sondern vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt wird. Auch die New York Times widmete dem Thema ihre Aufmerksamkeit. Künstler*innen wie Valtonyc, Pablo Hasel, Saúl Zeitsev, Elgio oder der Altrocker César Strawberry von „Def Con Dos“ können im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied singen von diesen Zensurversuchen. Wie im Franquismus gilt auch heute: wer ideologisch nicht auf Linie ist, wird aus dem Verkehr gezogen oder mit existenz-gefährdenden Bußgeldern überhäuft.

Protestmusik – Musikprotest

Musik war im Staat schon immer ein wichtiges und wirksames Instrument der politischen Opposition. Diese Geschichte geht bis in den Franquismus zurück, Namen wie Lluis Llach oder Mikel Laboa sind in dieser Hinsicht legendär. Tatsächlich waren es die Liedermacher im Land – erst in Katalonien, später im Baskenland – die ihre Stimmen und Gitarren in den Dienst des Kampfes gegen den Franquismus stellten. Der Historiker Roberto Torres Blanco hat dies in seinem Werk „Musikalische Opposition gegen den Franquismus: Protestlieder und Plattenzensur” aus dem Jahr 2010 dargestellt (Originaltitel: La oposición musical al franquismo: canción protesta y censura discográfica en España).

Nach dem offiziellen Ende der Diktatur erlebten die Punk-Bewegung und die Rockmusik eine Erfolgsgeschichte, die bis Ende der Neunziger Jahre dauerte. Viele Gruppen jener Zeit – manche sind in Vergessenheit geraten – brachten in ihren Texten ihre politische Wut zum Ausdruck über die Situation der Jugend, die in Drogen und andere Exzesse verwickelt war. Ein Blick auf die Texte der Gruppen des damals entstehenden „Radikalen Baskischen Rock“ macht deutlich, dass heute keiner davon mehr gesungen werden könnte, ohne dass dies eine Vorstellung bei der Audiencia Nacional nach sich ziehen würde.

maulkorb04Der Blick in die Vergangenheit – oder in den Rückspiegel – ist eine gute Methode, die Rückschritte im Bereich der zivilen Rechte festzustellen, die sich seit der Verabschiedung des „Maulkorb-Gesetzes“ abgespielt haben. In ihrem historischen Vergleich hat „Público“ auf neun Musikstücke zurückgegriffen und sie analysiert. Es handelt sich um kämpferische Lieder, die damals, ohne die Aufmerksamkeit von Richtern und Staatsanwälten zu erwecken, gesungen wurden. (An dieser Stelle ist der Hinweis unumgänglich, dass der Público-Artikel Links zu den Songs enthält, die beim Lesen des spanisch-sprachigen Originals direkt angeklickt werden können.) (1)

„Viel Polizei, wenig Vergnügen”

Zu Beginn der Achziger Jahre stellte die bizkainische Punkband „Eskorbuto” einen ihrer berühmtesten Songs vor. Mit ein paar schnellen Quinten und einem einfachen und direkten Text sang die Gruppe aus Santurtzi gegen staatliche Sicherheitskräfte an. Ohne Angst vor Bußgeld oder Verhaftung. „Viel Polizei, wenig Vergnügen. Repression! Repression!“ sang der junge Juanma Suárez, Frontman der baskischen Gruppe. Mit der Zeit wurde das Lied zu einer Art Hymne, insbesondere der Jugendbewegung, bis heute hat der Satz seine Aktualität behalten und wird zitiert. Eine Vielzahl von Interpret*innen sang das Stück bei verschiedensten Anlässen. Sogar der baskische Amaiur-Abgeordnete Xabier Mikel Errekondo trug es vor nicht allzu langer Zeit im spanischen Kongress vor, und zwar just als Protest gegen das „Maulkorb-Gesetz“.

Ein solcher Text gehörte in der Punk-Epoche zur absoluten Normalität der Bewegung. In der Gegenwart könnte er Grund für ein Bußgeld sein. Beweis dafür ist das Strafgeld von 375 Euro, das der Gruppe „Rocavieja“ aufgebrummt wurde, nachdem sie bei einem Konzert in Yecla (Murcia) den Anti-Polizei-Hit gespielt hatten – genau in dem Moment, als die Stadtpolizei einen Jugendlichen aus dem Publikum festnahm.

„Bezahlte Mörder, gute Belohnung für einen toten Etarra“

Ebenfalls in den Achziger Jahren entwickelte sich „Kortatu“ zur bekanntesten Band des musikalischen Panoramas im Baskenland. Nicht nur auf staatlicher Ebene wurde sie bekannt, die Gruppe wurde vielfach auch ins Ausland eingeladen. Vielleicht wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der mythischen Gruppe „The Clash“ aus England. Wie auch immer – der historische Zusmmenhang und die soziale Herkunft der Musiker sorgten für eine Vielzahl von Texten, die die Gewalt der antibaskischen Todesschwadrone zum Thema hatten, die sich spöttisch über Polizeiaktionen lustig machten, oder über die Anti-Terror-Maßnahmen der Sozialdemokraten. „Sarri, Sarri“ ist das vielleicht bekannteste Beispiel. Das Lied handelt von der Flucht des ETA-Gefangenen Joseba Sarrionandia (heute ein in Havanna lebender berühmter Schriftsteller), der sich 1985 mit äußerer Hilfe in Lautsprecherboxen auf Nimmerwiedersehen aus dem Staub machte. (2) Bis heute wird das Stück täglich in irgendwelchen Radios gespielt.

maulkorb05Die Liste der Kortatu-Lieder, die heute eine Anzeige wegen „Verherrlichung” nach sich ziehen könnten, ist lang. In ihrem Lied „Hotel Monbar“ erinnern sich die vier Rocker aus Irun mit Wut an das Massaker, das zwei GAL-Schützen bei einem Kurzaufenthalt in Bayonne anrichteten. Dabei kamen vier ETA-Mitglieder ums Leben. Es ist nicht das einzige Stück, das sich kritisch mit dem Staats-Terrorismus der Sozialdemokraten von der PSOE auseinandersetzt. In Hernani sang Fermin Muguruza im Juni 1984: „Jetzt erinnere ich mich. Bezahlte Mörder, gute Belohnung für einen toten Etarra“. Damals verstand noch alle Welt, dass es sich um ein Lied handelte, das dafür komponiert worden war, damit sich die Punks jener Zeit zwischen Pogo und Kalimotxo die Ellenbogen wärmen konnten. Zensiert wurde nicht, dennoch hatte Kortatu an vielen Orten außerhalb des Baskenlandes Auftrittsverbot.

Albert Pla: „Meine Freundin ist Terroristin”

Nicht nur im Baskenland wurden Tabuthemen angefasst, auch aus Katalonien kam provokative Kunst. Das moralische Dilemma, das Albert Pla vorstellt, ist gewagt und kompliziert: „Soll ich sie verlassen oder nicht?“ Liebe oder Gerechtigkeit. Der katalanische Liedermacher erzählt in diesem Stück, dass seine Geliebte einer terroristischen Gruppe nahesteht und an einem Attentat gegen die Fundamente des spanischen Systems beteiligt ist. Polizisten, Militärs und Politiker werden zu Zielen dieser gewalttätigen Freundin. Das brachte Pla's Ethik durcheinander: „Was für ein Gewissenskonflikt. Wem soll ich untreu werden? Der Geliebten oder dem Vaterland?“ fragte sich der Künstler, um darauf mit Orchester-Hintergrund auch gleich eine Antwort zu geben: „Ein toter Politiker, ein Politiker weniger“.

„Salve” – Heil

Im ganzen Staat gab es möglicherweise keine Stimme, die kritischer und giftiger war als die von Evaristo Páramos, Sänger und Frontmann von „La Polla Records“ (Schwanz-Records), The Kagas (Die Scheißer), The Meas (Die Pisser) und heute von Gatillazo (Abzug). 1984 publizierte „La Polla“ die erste Platte mit dem Titel „Salve” (Heil), gleichzeitig der Name eines Songs. Auf dem Cover ist ein wütender Mönch zu sehen, der mit einem brennenden Kreuz auf jemanden einzuschlagen droht. Das Bild würde unter den Gläubigen heutzutage für Diskussion sorgen. Sicher auch der Text. Aber damals war die Demokratie noch neu. Hätte die Regierung zensierend eingegriffen, hätte das zu sehr an den Franquismus erinnert. „Man muss ein Charmeur sein, um von der Liebe Gottes zu sprechen / und gleichzeitig in den Schulen / die Kader der faschistischen Repression ausbilden / wie kann einer so ein Heuchler sein?“ – so lautete eine Zeile.

„Fraga, stirb doch”

maulkorb06Ein Jahr später (1985) brachte „La Polla Records“ eine zweite Platte auf den Markt. Thematisch wurden dabei die Gedanken der antimilitaristischen und antipatriotischen Linken Spaniens verarbeitet. „Sin País“ (Ohne Land) zum Beispiel ist eine wahre anarchistische Hymne. Bei „Moriréis como imbéciles” (Ihr werdet sterben wie Idioten) geht es gegen den Kriegsdienst – heute könnte das als Beschimpfung oder Ehrenbeleidigung „des Staates, seiner Symbole und Embleme“ ausgelegt werden. Der größte Skandal wäre jedoch „Cara de culo“ (Arschgesicht). In diesem Lied wird dem Ex-Minister Francos und Gründer von Alianza Popular der Tod gewünscht. (3) (4)

Jesus Christus Garcia

Roberto Iniesta von der Rockband Extremoduro könnte sich heute ebenfalls nicht retten, würde er dasselbe singen wie damals. Als er 1985 das Stück „Jesucristo Garcia“ schrieb, konnte er nicht ahnen, dass dieses Lied 30 Jahre später religiöse Gefühle verletzen könnte. Unklar, wer genau die Anzeige erstatten würde: eine Vereinigung religiöser Anwälte oder eine katholische Bruderschaft. Doch könnte es den Sänger aus Plasencia, Etxremadura teuer zu stehen kommen, wenn er singt, wie Jesus ihm Drogen verkauft. „Nicht die Kranken kommen um mich zu sehen / Gesunde kommen zu mir / ich mache sie alle blind … ich vollbringe Wunder, mache Wein aus Wasser / Wiederauferstehung mit einem Joint“.

Aus Satire und Humor eine Waffe für den Protest zu machen, das gelang der Gruppe „Mama Ladilla” in Perfektion. Juan Abarcas Band wurde berühmt mit Songs, in denen die Zuhörer*innen aufgefordert wurden, sich den Papst vorzustellen „im Trainingsanzug, mit einem Propellerhut und Latschen“. Die Reime waren surreal und in Fäkalsprache gehalten. Diese Band aus Madrid bediente sich regelmäßig eines bissigen Humors. Ein Stück des Albums „Directamente a la Basura“ (Direkt auf den Müll) beschrieb Christus: „ein völlig nackter Drogenabhängiger, wie ein Schwein blutend und auf einen Pfahl genagelt“. Das Lied endet mit einem Lachen über den christlichen Götzendienst, weil „eine verwesende Leiche angebetet wird“.

maulkorb07Heute und nach Einführung des „Gesetzes zur Sicherheit der Bürger“ ist der Umgang anders. Das erfährt derzeit der spanische Schauspieler Willy Toledo. Er wurde zum Verhör vorgeladen, weil er „Gott und die Jungfrau Maria beleidigt“ haben soll. Toledo hatte per Facebook gegen eine Anklage gegen drei Frauen protestiert: diese hatten in Sevilla eine satirische Prozession durchgeführt, bei der sie eine überdimensionale Vagina in Marienhaltung gezeigt und sie als „unterwürfige Fotze“ bezeichnet hatten. Das wurde ihnen als „Verletzung religiöser Gefühle“ ausgelegt. Toledo kommentierte: „Ich scheiß auf Gott und auf das Dogma der Heiligkeit und Jungfräulichkeit der Jungfrau Maria. Dieses Land ist eine unerträgliche Schande. Es provoziert Ekelgefühle“. Dafür wurde er ebenfalls zum Verhör vorgeladen. Seine Antwort: „Hiermit teile ich den Auftragskillern des spanisch-borbonisch-franquistischen Regimes mit, dass ich nicht die geringste Absicht habe, auch nur eine einzige Sekunde meines Lebens zu verlieren, um mich bei ihren Berühmtheiten vorzustellen“ (Zitate: soziale Medien). Für Opposition im Staat ist gesorgt, nicht nur aus Katalonien und dem Baskenland. Solche Wort bleiben sicher nicht ohne Folgen. Ein bankrotter Staat mit einer korrupten Führung, 50% Jugendarbeitslosigkeit und 30% Armut der Bevölkerung müsste eine andere politische Tagesordnung haben als die Verfolgung seiner Kritiker.

„Ungehorsam”

Die Bandmitglieder von „Cicatriz” (Narbe) aus der baskischen Hauptstadt Gasteiz-Vitoria könnten am ehesten für Apologie des Nihilismus verurteilt werden. Ihre Ideologie war die Selbstzerstörung, sie fand Eingang in ihre Lieder und belegte die Gruppe mit einem Fluch. Alle Bandmitglieder starben an einer Überdosis oder an Folgen von Exzessen. Als gute Punkgruppe sangen sie nicht nur von Drogen, Alkohol und Überfällen. Die Industrie- und Wirtschaftskrise des Baskenlandes, die vom Innenminister Barrionuevo initiierte staatliche Gewalt fanden genauso Eingang in die Texte wie die von vielen Jugendlichen erlittene gesellschaftliche Ausgrenzung.

Ein Beispiel für die gesellschaftlichen Konflikte jener Zeit ist das Stück „Desobediencia” (Ungehorsam). Cicatriz sangen davon, „den Klerus zu zerstampfen“ und „Polizisten zu töten“. Trotz der Spannung jener Zeit galten solche Worte damals noch als freie Meinungsäußerung oder künstlerische Freiheit. Heute gäbe es dafür zu Hundert Prozent eine Anzeige wegen Hass und Aufruf zu Gewalt.

„Hure Spanien. Okay? Ich scheiß auf den König”

Um die Jahrtausendwende begann eine neue musikalische Tendenz. Hiphop übernahm das Protest-Monopol, das mehr als zwanzig Jahre lang Punk und Rock ausgezeichnet hatte. Vorreiter dieses Wechsels waren Gruppen wie „Violadores del Verso” (Vers-Vergewaltiger), die die Überheblichkeit des nordamerikanischen Rap mit der politischen Respektlosigkeit mischten, die einige Vorgängerbands ausgezeichnet hatte. Im Jahr 2001 sang die Gruppe aus Zaragoza Verse, die mit der Monarchie ins Gericht gingen. Es ging um den damaligen König, den Borbonen Juan Carlos und es ging gegen Spanien. Der Rapper Kase'O sang: „Ich gehöre zur besten Gruppe, die von einer Spanien genannten Hure geboren wurde / Hure Spanien! Okay? Ich scheiß auf den König“.

maulkorb08Solche Worte sind heute gesetzlich verboten. Denn die Monarchie wurde gesetzlich heilig gesprochen. Mit dem Verbot der königlichen Fotoverbrennung hat es (wie eingangs beschrieben) letztlich nicht geklappt, nachdem europäische Instanzen eingeschritten sind.

Perspektiven

Ob das Maulkorb-Gesetz eine Zukunft hat, ist unklar. Zu Zeiten seiner Verabschiedung (die Postfranquisten von der PP hatten die absolute Mehrheit) war die komplette Opposition, von links bis rechts, gegen das Gesetz. Heute haben einige dieser Parteien ihre Haltung relativiert. Die Diskussion um das Gesetz ist untergegangen im allgemeinen politischen Schlagabtausch und die Ablehnung ist zur taktischen Haltung verkommen. Von der Gefährdung der Meinungsfreiheit oder einer künstlerischen Freiheit ist kaum mehr die Rede. Die baskischen Christdemokraten zum Beispiel geben vor, das Gesetz kippen zu wollen, andererseits hat die baskische Polizei das Schnüffel- und Maulkorb-Gesetz bereits hunderte von Malen angewandt. Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr.

Zensur in Form von Text- oder Liedverboten gab es nicht. Dennoch erfuhren viele der damaligen Protestgruppen Repression in Form von Auftrittsverboten. Fermin Muguruza, die baskische Heavygruppe „Su Ta Gar“ und viele andere haben ihre Erfahrungen damit gemacht. Lange Zeit wurden viele Konzerte baskischer Rockgruppen im Reststaat (außer Katalonien) boykottiert oder sabotiert.

ANMERKUNGEN:

(1) Der vorliegende Text beruht auf einem Artikel in der Tageszeitung Público vom 18.3.2018 unter dem Titel „Cuando se podía protestar cantando: nueve canciones del pasado que hoy pasarían por la Audiencia Nacional“ (Als gesungener Protest noch möglich war: neun Lieder aus der Vergangenheit, die heute zur Audiencia Nacional führen würden). Es handelt sich um keine Übersetzung, an einigen Stellen wurde der Artikel ergänzt. (Link)

(2) Joseba Sarrionandia ist einer der bekanntesten baskischen Schriftsteller der Aktualität. 1985 floh er aus dem Gefängnis. Im Jahr 2017 outete er sich nach 32 Jahren in seinem Exil in Havanna. Einige Bücher von „Sarri“ wurden auch auf Deutsch herausgegeben, u.a. „Der gefrorene Mann“. Ruth Bayer publizierte bereits 1995 die Übersetzung von Sarrionandias Gedichtband „Von nirgendwo und überall“. Artikel bei Baskultur.info (Link)

(3) „Insumisión“ war der Name einer breiten Bewegung gegen den Kriegsdienst im gesamten spanischen Staat, vor allem aber im Baskenland. Es ging um Totalverweigerung, Tausende von jungen Männern gingen nach Prozessen ins Gefängnis. Diese Bewegung zwang die spanische Regierung zur Einführung einer Berufsarmee und zur Abschaffung des obligatorischen Militärdienstes.

(4) Manuel Fraga Iribarne (1922-2012), galicischer Politiker, Minister unter Franco und in der folgenden „Demokratie“. Verantwortlich für das Massaker gegen die Streikenden in Gasteiz-Vitoria am 3.März 1976. Mitgründer der aktuellen Regierungspartei PP und deren Ehrenpräsident. 20 Jahre Ministerpräsident der Region Galicien. Kein anderer spanischer Politiker verkörpert besser die Kontinuität des spanischen Franquismus in der Demokratie.

ABBILDUNGEN:

(1) Radikaler Rock (Covers)

(2) Cicatriz Konzert

(3) Jueves Satire (Titel)

(4) Muguruza + Pla (cancioneros)

(5) Cicatriz (Cover)

(6) Evaristo (youtube)

(7) Vagina-Prozession (facebook)

(8) Eskorbuto (Cover)

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