kolu41x00Gesundheit in aller Munde

Die Bevölkerung im Baskenland und in Navarra hat die Gesundheit entdeckt, oder besser gesagt: die Gefahren für die Gesundheit. Bisher hatte das baskische Gesundheits-System den Ruf, eines der besten im Staat zu sein. Doch nach Kürzungen und Privatisierungen ist die öffentliche Grundversorgung in Frage gestellt. Nicht erst die Pandemie hat Gesundheit zur Sorge Nummer eins der Bevölkerung gemacht. Demonstrationen, Streiks, Anklagen, Lügen bestimmen die Schlagzeilen. Eine Debatte mit Klassencharakter.

Zwischen Martxoa und März gibt es kaum Unterschied. Wohl aber beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Wer 3.000 Euro netto verdient, ist privat versichert und braucht sich um das öffentliche Gesundheitswesen nicht zu scheren. Für die Ärmeren und Armen hingegen geht es um die bloße Existenz.

(2023-03-30)

51.500 KLAGEN BEIM GESUNDSHEITSAMT

Mehr als 51-tausend Beschwerden und Schadensansprüche gegen die baskische Gesundheitsbehörde Osakidetza – das sind die vielsagenden Daten zum Jahr 2022, die die Behörde dem Parlament vorgelegt hat. 47.428 dieser Beschwerden wurden vom Patienten-Betreuungsdienst bearbeitet. Berücksichtigt man, dass die Daten für August fehlen, waren es hochgerechnet mehr als 51.500 Fälle. Das bedeutet einen Anstieg von mindestens 47% gegenüber dem Vorjahr 2021.

kolu41x30Im vergangenen Jahr haben sich überraschend viele Patient*innen und Nutzer*innen von Osakidetza die Mühe gemacht, eine Beschwerde beim Patienten- und Nutzer-Betreuungsdienst einzureichen, indem sie das Formular direkt in ihrem Zentrum abgegeben oder per Post oder E-Mail geschickt haben. Die Daten wurden dem Parlament übermittelt auf Anfrage der Partei EH Bildu. Demnach wurde 35.178 Reklamationen und 12.250 Beschwerden eingereicht. Insgesamt 47.428 negative Interaktionen mit dem baskischen Gesundheitsdienst. Außerdem gab es 1.887 Danksagungen, ebenfalls die höchste Zahl seit Jahren. Bei den Zahlen ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Daten für den Monat August nicht enthalten sind. Legt man den Durchschnitt der einzelnen Monate zugrunde, so ergibt sich, dass es im gesamten Jahr mehr als 51 500 Beschwerden und Anträge gab.

Höchststand im November

Unter den monatlichen Daten für 2022 fällt auf, dass im November 6.978 Reklamationen bearbeitet wurden, was einer Verdoppelung und in einigen Fällen sogar einer Verdreifachung der Zahlen für die anderen Monate des Jahres entspricht. Das Gleiche gilt für die registrierten Beschwerden, die sich auf 2.243 beliefen und ebenfalls mehr als doppelt so hoch sind wie die Zahl von vergleichbaren anderen Zeitpunkten. Die Zahl der Reklamationen und Beschwerden stiegen somit um 47%, im Vorjahr waren es noch 34.956.

Was die Beschwerden von 2022 betrifft, so wurden 12.250 Fälle bearbeitet, etwas weniger als die 12.407 im Jahr 2017. Doch fehlen die Daten von August, so ergeben sich hochgerechnet 13.363 Beschwerden. Das Jahr mit den wenigsten Beschwerden war 2020, der schwerste Moment der Covid-19-Pandemie, als drei Monate Einschluss angeordnet wurden, in denen viele nicht einmal ihr Haus verlassen konnten, um die Osakidetza-Dienste aufzusuchen.

Nach Angaben der Gesundheitsbehörde wurde auf alle eingereichten Beschwerden geantwortet, um die gesetzlichen Bestimmungen zu erfüllen. Es wird darauf hingewiesen, dass alle eine erste Antwort erhalten, dass jedoch bei manchen eine Zeit zur Untersuchung und weiteren Bearbeitung nötig sei bis zum Abschluss. Die parlamentarische Antwort weist auch die Reaktionszeiten auf die Beschwerden aus: in der Primärversorgung wurden die Antworten nur 2019 in weniger als 10 Tagen verschickt.

In den Statistiken, die dem Parlament von der von Gotzone Sagardui geleiteten Abteilung übermittelt wurden, sind auch die vom Dienst für Patienten- und Nutzerbetreuung bearbeiteten Danksagungen enthalten, die im Jahr 2022 mit 1.887 ebenfalls am höchsten waren und inclusive August auf 2.058 ansteigen würden. In einer beigefügten Tabelle ist zu sehen ist, dass die Danksagungen seit 2017 ansteigen. Leider sind sie weit von den Reklamationen entfernt.

Friedensrichter

Am Dienstag stellte der baskische Friedensrichter (Ararteko), Manu Lezertua, seinen Jahresbericht vor, aus dem hervorgeht, dass im vergangenen Jahr 307 Beschwerden über Osakidetza in seinem Büro eingingen, was einem Anstieg von 220% im Vergleich zu 2021 entspricht. Lezertua erläuterte, dass 12% der eingereichten Beschwerden den Gesundheitssektor beträfen, was einen deutlichen Anstieg bedeute und die "angespannte Situation" verdeutliche, in der sich das System befindet. Aus diesem Grund hat sein Team vor kurzem ein Treffen mit Gesundheits-Senatorin Sagardui abgehalten, um die Situation zu analysieren, er schließt nicht aus, eine "allgemeine Empfehlung" zur Funktionsweise von Osakidetza vorzulegen. Nach jüngsten Umfragen ist die Gesundheits-Versorgung bereits das zweitwichtigste Problem der Bevölkerung in der Region Baskenland. Im Sommer 2022 war es für 19-20% der Befragten ein Anliegen, jetzt ist diese Zahl auf 35-39% gestiegen.

(2023-03-29)

VOM SCHNELLZUG ÜBERFAHREN

Der im Bau befindliche Hochgeschwindigkeitszug AHT (das baskische Ypsilon) wird die Überreste einer Siedlung aus der Jungsteinzeit und einer Straße aus der Römerzeit in Gasteiz vergraben. Diese Straße verband vor 2.000 Jahren Astorga und Bordeaux, nun wurde sie im Industriegebiet von Jundiz in Gasteiz wieder entdeckt. Die Funde, die bei den Bauarbeiten entdeckt wurden, werden an diesem Wochenende bei einem Tag der offenen Tür in Jundiz quasi zum Abschied gezeigt.

kolu41x29Die Arbeiten am AHT-Schnellzug haben die Überreste einer 5.000 Jahre alten Siedlung ans Licht gebracht. Die Archäologen haben zwanzig Vorratssilos, acht Öfen und mehrere Löcher gefunden, über denen Wohnungen errichtet wurden. Darüber hinaus wurden Handmühlen, Töpferwaren und Holzkohle gefunden. Was die römische Straße betrifft, so betonten die für die Ausgrabungen Verantwortlichen, dass sie sich in einem guten Erhaltungszustand befindet. Es wurden keramische Elemente gefunden, die eine Datierung der Bauzeit und der Nutzungszeit ermöglichen.

Diese Funde werden jedoch unter den Schienen des AHT verbleiben, "es gibt keine Möglichkeit, sie zu retten", wie die Verantwortlichen der Ausgrabung erklärten. So bleibt nur, dass die Archäologen an der Dokumentation der Überreste arbeiten, die an diesem Wochenende an zwei Tagen der offenen Tür von der Öffentlichkeit besichtigt werden können. Die Ruinen befinden sich an der Straße A-4302, die Jundiz und Tresponde verbindet.

Eine Burg in Nafarroa

Die Entscheidung für Gasteiz ist weit entfernt von dem, was im vergangenen Sommer in Nafarroa geschah, genauer gesagt in Tafalla. Dort wurden die Ruinen eines über 2.000 Jahre alten römischen Kastells entdeckt. Als Reaktion ordnete die Regierung Navarras an, dass die Gleise die Stätte nicht zerstören dürfen. Die Leiterin des Amts für historisches Erbe unterzeichnete eine Entschließung, in der sie anordnete, "die vollständige Erhaltung des bebauten Gebiets von La Gariposa zu gewährleisten". Daraufhin forderte sie den Bauträger Adif auf, eine Alternative zu präsentieren.

Adif schlug vor, einen Tunnel zu graben, so dass das Schloss direkt über dem Tunnel liegen würde. Ein kompliziertes Unterfangen, denn, wie ein Archäologe der Regierung von Nafarroa erklärte, "heutzutage werden Tunnel nicht mehr durch Bohren, sondern mit schweren Maschinen geöffnet. Dabei kann es zu Erschütterungen kommen, so dass wir zunächst die Unversehrtheit der Stätte sicherstellen müssen".

Lezetxiki in Gipuzkoa

In Gipuzkoa sind die durch die AHT-Tunnel verursachten Schäden wohlbekannt. Es genügt, an die Beschwerde einer Gruppe von Höhlenforschern zu erinnern, die im Februar darauf hinwiesen, dass die Arbeiten einen der Stollen der Höhle Lezetxiki in Arrasate beschädigt hätten. Die Institutionen bestritten jegliche Beschädigung des geschützten Gebietes, und organisierten eine Führung, um "zu zeigen, dass es keine Schäden durch die HST-Arbeiten gab". Doch der Leiter der Ausgrabungen, Forscher von der baskischen Universität und Mitglied von Aranzadi, wies auf der Höhlen-Karte auf den Punkt hin, an dem "das Problem mit den AHT-Arbeiten aufgetreten ist".

(2023-03-28)

UNGEKANNTER SPORTSGEIST

Das Halbfinale im Doppel des baskischen Hand-Pelota am Sonntag hatte einen seltsamen Ausgang. Beim Stand von 19:15 (es geht bis 22 Punkte) musste es abgebrochen werden, weil sich der Hintermann des in Rot spielenden Teams eine Zerrung zuzog, die ihn am Weiterspielen hinderte. Das Match wurde abgebrochen, aus Beinahe-Siegern wurden traurige Verlierer. Dass der nichtverletzte Verlierer Tränen in den Augen hatte, als er vors Mikrofon gerufen wurde, war nachvollziehbar. Der derzeit beste Pelotari war kurz vor einem erneuten und verdienten Triumpf gestanden, hatte ein starkes Spiel geliefert und stand vor dem Nichts.

kolu41x28Dass die überraschenden Sieger des Blau-Teams ebenfalls von bedröppelt bis tieftraurig in die Kamera schauten, war schon nicht mehr so selbstverständlich. Nicht die geringste Erfolgspose. Der blaue Hintermann suchte nach Worten und fand sie nicht, der Vordermann sagte schlicht: sie hatten es verdient, während er sich die Tränen aus den Augen wischte. So folgte dem spannenden Spiel auf hohem Niveau eine Demonstration von Sportsgeist, die in der heutigen Gesellschaft selten zu finden ist.

Pelota Vasca ist nicht nur irgendeine sportliche Tätigkeit, Pelota verkörpert den baskischen Sport. Gespielt wird mit Holzschlägern, mit gekrümmten Körben, oder mit der Hand. Letzteres wird live übertragen und wird mehr gesehen als Fußball, das von Pay-Sendern dominiert ist. Die Saison besteht aus zwei Einzel-Turnieren, den Sommer-Turnieren bei Fiestas und dem Doppelturnier von Dezember bis April. Organisiert wird das Ganze von zwei Unternehmen, die jeweils die Hälfte der Spieler (mittlerweile auch Spielerinnen) unter Vertrag haben. In den Einzelturnieren spielen die besten, beim Doppel werden die Teams so zusammengestellt, dass das Turnier ausgeglichen bleibt, also keine zwei Favoriten in einem Doppel.

Die Spieler kennen sich lange, sind ständig zusammen im Baskenland unterwegs, Neid und Schadenfreude haben hier keinen Platz. Nur auf den Rängen herrscht mehr Konkurrenz und Identifizierung mit dem Pelotari aus dem eigenen Ort. So geht die Feststellung des Siegers in die Geschichte von Euskal Pelota ein: Die anderen hatten es verdient. Wenn im Fußball alle vier Jahre etwas Ähnliches passiert, gibt es gleich einen Fairness-Preis von der UEFA. Im baskischen Pelota geht es ein in die kollektive Erinnerung.

(2023-03-25)

ENDE DER SONDER-HAFTBEDINGUNGEN

Mit der Verlegung der letzten fünf außerhalb des Baskenlandes inhaftierten baskischen politischen Gefangenen geht eine 34-jährige Etappe der extremen Sondern-Behandlung zu Ende. Nun sind alle in Basauri, Langraiz, Martutene oder Iruñea eingesperrt, in der Nähe ihrer Wohnorte, in der Nähe ihrer Familien und Freund*innen. Dasselbe gilt für die im französischen Staat Inhaftierten.

kolu41x25Bis vor drei Jahren galt nördlich wie südlich der Pyrenäen die Politik der Dispersion, der Verteilung der Gefangenen auf möglichst weit entfernte Knäste, in Andalusien, Galicien, Extremadura, Murcia, Madrid. Für einen Besuch von 40 Minuten mit allerlei Schikanen mussten die Angehörigen bis zu 2.000 Kilometer zurücklegen. Eine Regelung, die Menschenrechte verletzt und einer “Resozialisierung“ völlig widerspricht. 16 Angehörige verloren bei Verkehrsunfällen auf dem Weg zu Knast-Besuchen ihr Leben und wurden zu Opfern dieser Staats-Politik. Bestraft wurden somit nicht n´die gefangenen, sondern ihre Familien und Freund*innen.

Ganz zu Ende ist die als “Rachejustiz“ und “Sonder-Haftbedingungen“ bezeichnete Politik noch nicht. Obwohl die Verwaltung der baskischen Gefängnisse vergangenen Herbst 2022 in die Verantwortung der baskischen Regierung überging, mischt sich das Madrider Sondergericht Audiencia Nacional (alle stramm rechts) weiterhin in die baskischen Maßnahmen ein. Dabei geht es um die Haftgrade. Generell galt für die baskischen Gefangenen lange Zeit Grad Eins, gefährliche Gefangene mit eingeschränkten Rechten. Grad Zwei bedeutet das Recht zu Ausgängen und Grad Drei bedeutet Freigang bei Übernachtung im Knast.

Die neue baskische Gefängnis-Verwaltung ist stark an Resozialisierung interessiert, und gewährt Grad-Veränderungen, um den Gefangenen Außenkontakte zu erleichtern, wie Arztbesuche oder Ausflüge. In der Hälfte dieser Fälle hat Madrid Veto eingelegt. Unterstützt von rechten Medien, die von “Straffreiheit“ faseln bei Gefangenen, die bereits 20 oder mehr Jahre abgesessen haben. In dieselbe Kerbe hauen die ultrarechten Opferverbände und die post- und neo-franquistischen Parteien.

(2023-03-22)

EXTRALEGALE HINRICHTUNG

Es hat 39 Jahre gedauert, bis die Familien der vier Aktivisten der Autonomen Antikapitalistische Kommandos ein offizielles Dokument erhielten, das zeigt, was schon immer klar war: dass die vier am 22. März 1984 in der Bucht von Pasaia zu Opfern einer "extralegalen Hinrichtung" durch die spanische Polizei wurden. Die Schlussfolgerung lautet: "Es gibt eine Reihe von Beobachtungen, die mit überwältigender Mehrheit für einen Polizeieinsatz sprechen, der einer extralegalen Hinrichtung gleichkommt".

kolu41x22Beweis: 113 Einschusslöcher. Die offizielle Polizei-Version behauptet eine bewaffnete Konfrontation. Im Gegensatz dazu stand von Anfang an fest, dass die baskischen Militanten keinen einzigen Schuss abgaben. Im Bericht werden unter Berufung auf die damals durchgeführten Autopsien 36, 28, 28 und 21 Einschusslöcher in den vier Leichen aufgeführt. Verschiedene Arten von Munition und Geschosse, darunter Schrot, eine damals verbotene Jagdmunition. Für die politisch Verantwortlichen beschränkte sich die Polizei darauf, "die Aggression abzuwehren". Doch ein direkter Zeuge bestätigte, dass es weder Rufe der Polizei noch Schüsse gab bis das Spezialkommando aus dem Hinterhalt auftauchte.

Was war geschehen?

Die Lebensgefährtin eines der Aktivisten war vier Tage zuvor von der spanischen Polizei in Donostia entführt worden, ohne dass je ihr Name genannt wurde. Sie wurde als "Köder" für den Hinterhalt benutzt. Sie wurde gefoltert und gezwungen, "ein Treffen" mit ihrem Freund zu arrangieren. Dann wurde sie in die Bucht von Pasaia gebracht und gezwungen, "das vereinbarte Signal mit einer Fackel zu geben". Als das aus Ziburu in Iparralde kommende Boot die Felsen erreichte, wurde der Kugelhagel entfesselt, die Insassen hingerichtet. Nur einer der Kämpfer aus dem Boot überlebte. Er warf sich nach den ersten Schüssen ins Wasser, wurde als einziger festgenommen und verbrachte 17 Jahre im Gefängnis.

Die Justiz blockierte jegliche Ermittlungen von Beginn an, das erste Verfahren wurde vier Monate nach den Ereignissen eingestellt, im Jahr 2000 auf Initiative einer familiären Klage wieder aufgenommen. Seitdem geht es auf und ab, mit einem gemeinsamen Nenner: die an der Aktion beteiligten Polizeibeamten können nicht identifiziert werden. Dank der Verdunkelung der Sicherheitskräfte. Heute vor 39 Jahren – die Familien haben ihren Kampf für Aufklärung nicht aufgegeben.

(2023-03-19)

FATALE RENTENPOLITIK

kolu41x19Die Bewegung der Rentnerinnen und Rentner in Bilbo hat ihre Aktionswoche mit einer Groß-Demonstration beendet, zu der Gruppen aus allen baskischen Provinzen kamen und sogar aus Galicien. Um ihre seit fünf Jahren auf den baskischen Straßen vertretene Forderung nach 1.080 Euro Minimal-Rente für alle zu bekräftigen, griffen die Pensionärinnen zum Mittel des öffentlichen Hungerstreiks.

Die Bewegung informiert, dass in den drei baskischen Provinzen 155.000 Personen mit einer Rente von weniger als 1.000 Euro auskommen müssen. Bei einer Bevölkerung von 2,186 Millionen sind das 7,1%. Sicher ist, dass es sich bei einem Großteil dieser Personen um Frauen, Witwen handelt. Weniger als 1.000 Euro bedeutet nicht, dass alle 999 Euro zur Verfügung haben, sie bekommen 800, 700, 600, 500, 400 oder auch nur 300 Euro von der Rentenbehörde. Angesichts der hohen Wohnungspreise sind sie auf zusätzliche Hilfe angewiesen, über Sozialhilfe oder die Familie. Wenn beides versagt, droht im Fall von Mietverhältnis der Verlust der Wohnung. Armut hat das Gesicht von Frauen und Pensionär*innen.

(2023-03-18)

DER GUTE BÜRGERMEISTER

Juan Manuel Sánchez Gordillo ist Andalusier, Mitglied der Kommunistischen Partei und seit 44 Jahren Bürgermeister der Stadt Marinaleda in der Provinz Sevilla. Zudem ist er im Baskenland bekannt und beliebt, was auf die große Entfernung nicht gerade einfach ist. Was ihm diese Sympathie eingebracht hat, ist sein Lebenswerk in seinem Heimatort. Denn als Bürgermeister und Kommunist hat er nicht etwa Reden geschwungen und ein gutes Gehalt kassiert. Er hat ein Konzept entwickelt, mit dem er allen Stadtbewohnerinnen ein Dach über dem Kopf garantiert hat, zu einem erschwinglichen Preis. Nun will er nicht mehr für das Amt kandidieren.

kolu41x18Juan Manuel Sánchez Gordillo hat in Marinaleda ein einzigartiges Beispiel von Stadtverwaltung geschaffen, das auch noch "auf jeden Teil der Welt übertragbar ist". Man muss nur wollen. Er förderte zum Beispiel eine Stadtplanung, die Spekulationen verhindert und den Zugang zu Wohnraum ab 15 Euro pro Monat durch ein solidarisches Selbstbau-System ermöglicht. Außerdem haben in der andalusischen Stadt alle Arbeitnehmer ein gleiches Gehalt von etwa 1.200 Euro. Zwischen 2008 und 2014 war er zudem Abgeordneter des andalusischen Parlaments für die Vereinigte Linke.

Mit 74 Jahren und gesundheitlichen Problemen gibt Sánchez Gordillo die Leitung des Linksbündnisses ab, wer ihn bei der Kandidatur ersetzen wird ist noch nicht klar. Sánchez Gordillo war jahrelang auch eines der sichtbaren Gesichter der andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT). Zu deren Aktionen gehören die "Enteignung" von Grundnahrungsmitteln in Supermärkten, die anschließend an bedürftige Familien verteilt werden; oder die Besetzung von Gelände von Grundbesitzern oder öffentlichen des Staates mit der Forderung, dass diese Ländereien nicht verkauft werden.

Kritisch äußerte er sich gegenüber den spanischen Sozialdemokraten, indem er fragte: "Wie kann man sich Sozialist oder fortschrittlich nennen und gleichzeitig dem Geld und dem Markt so hundetreu dienen?

Im selben Interview bezeichnete er das Selbstbestimmungs-Recht als "nicht verhandelbar", was ihm im Baskenland viel Zustimmung einbrachte: "Wir schlagen vor, ein eindeutig antikapitalistisches, andalusisches, souveränes, naturfreundliches und systemfeindliches Umfeld aufzubauen und vor allem eines, das die Utopie erlaubt". Laut Sánchez Gordillo ist "die Linke utopisch oder sie ist nicht links".

(2023-03-17)

TÄTER UND OPFER AM TISCH

Wir schreiben das Jahr 1975, der Putschist, Diktator und Massenmörder Franco stirbt friedlich an Altersschwäche. Für viele Menschen im spanischen Staat öffnet sich die Perspektive für eine neue Gesellschaft, in der die Arbeiterklasse eine wichtige Rolle spielt. Streiks werden organisiert, nicht von Gewerkschaften, denn die sind noch verboten, die Arbeiterklasse selbst organisiert sich in Vollversammlungen. Direkte Demokratie, keine Vertreter-Gesellschaft. Für die noch franquistische Herrscherklasse eine große Bedrohung, die militärische Antwort erfordert.

kolu41x17Generalstreik in Vitoria-Gasteiz, die Arbeiter*innen versammeln sich in der Kirche des Stadtteils Zaramaga. Die anrückende Polizei wirft Rauchbomben in die Kirche und schießt auf flüchtende Menschen, Tote und Verletzte sind die Folge. In den folgenden 47 Jahren sieht sich die spanische Justiz nicht in der Lage, den Polizeimord aufzuklären oder juristisch aufzuarbeiten. Die Täter – mit Namen und Funktion – bleiben straffrei. Seither ist der 3. März (1976) in Gasteiz zum Gedenktag geworden.

Der von Opfern gegründete Verein “Martxoak Hiru“ kämpft seither für Anerkennung des Polizeiterrors als staatliche Gewalt. Bislang wurden die Opfer nicht als solche anerkannt. Die aktuelle sozialliberale Regierung in Madrid hat sich hingegen für die Einrichtung eine Gedenkstätte geöffnet. Die Kirche soll zum Museum und Gedenkort werden. Dafür soll eine Stiftung gegründet werden, in der M3, die Stadtverwaltung Gasteiz und die baskische Regierung vertreten sein sollen. Soweit kein Problem.

Nun meldet sich die spanische Regierung mit dem Anspruch, ebenfalls in diesen “Aufsichtsrat“ aufgenommen zu werden. „“Wenn wir schon 600.000 Euro für die Gedenkstätte bezahlen, wollen wir auch eine Stimme haben“.

Im Opferverband wird dies als Zumutung angesehen. Denn die spanischen Regierungen haben sich nie für das mörderische Vorgehen ihrer franquistischen Vorgänger entschuldigt. Anders ausgedrückt: Die Täter, bzw. ihre Nachfolger, wollen im Gedenken an die Opfer mitmischen – völlig undenkbar. Dabei sind die aktuellen regierungs-Vertreter*innen von PSOE und Podemos nicht das größte Problem. Aber man stelle sich nur vor, im Herbst wird eine neue Regierung gewählt, eine rechte, von der PP angeführt, mit den Faschisten von Vox als Juniorpartner. Dann müsste diese neue Regierung ihren Vertreter in den Aufsichtsrat in Gasteiz schicken. Damit säßen dann Mörder und Täter tatsächlich an einem Tisch. Denn Martin Villa und Fraga Iribarne, die Verantwortlichen für den damaligen Polizeieinsatz, waren und sind Mitglieder der PP. Spanische Verhältnisse, der Franquismus ging nie zu Ende.

(2023-03-15)

FUSSBALL-BOTSCHAFTERINNEN

kolu41x15Gute Nachrichten sind im Fußball selten (mal abgesehen davon, dass das eigene Team gewonnen hat). Auch in Bilbao sind sie froh, wenn Punkte eingefahren werden, doch angesichts der Charakteristik des Clubs (hier spielen nur Einheimische) ergeben sich daneben noch andere Aspekte. So ist die Verbindung der Fans mit dem Club eine engere, heutzutage ist es eben etwas Besonderes, wenn der Erfolg nicht einfach mit Millionen zusammengekauft wird.

Dieser Athletic Club Bilbao (Athletic mit “h” weil einst von Engländern gegründet) feiert gerade sein 125-jähriges Bestehen. Und die Verantwortlichen haben sich zur Feier des Jahres etwas einfallen lassen. Jeden Monat wird eine mehr oder weniger bekannte Person zur Botschafterin bzw. zum Botschafter des Clubs ernannt – eine Art kostenlose Werbung für Athletic und sein Modell. Dabei wurde es bereits in den ersten drei Monaten international.

Zum ersten Botschafter ernannt wurde der derzeitige Erste der Welt-Rangliste im Profi-Golf, der auf den deutsch erscheinenden Familiennamen Rahm hört, Jon Rahm. Der wurde in Barrika geboren, einem Minidorf 20 Kilometer nördlich von Bilbo an der baskischen Küste. Seine Begeisterung für Athletic hat er mit in die USA genommen, wo er derzeit lebt und eine Menge Geld verdient. Tatsächlich geht der Name väterlicherseits auf einen Schweizer Ursprung zurück.

Die Februar-Nominierung dürfte vor allem in Gipuzkoa mit Argusaugen zur Kenntnis genommen worden sein. Es handelt sich um den derzeit besten baskischen Hand-Pelota-Spieler: Jokin Altuna. Jokin wurde im tiefsten Gipuzkoa (Gipuzkoa profunda) geboren, ist jedoch seit seiner Kindheit ein eingefleischter Athletic-Fan, ein Onkel hat ihn auf diesen Weg gebracht. Das Dorf Amezketa ist zwar regelmäßig blau-weiß geschmückt, weil Real Sociedad San Sebastian aus Donostia dort die absolute Hoheit besitzt. Doch Jokin wars egal, er ließ sich in Bilbo im Athletic-Zentral in rot-weiß begeistert mit dem Präsidenten fotografieren.

Kommen wir also zum März, mit der ersten Botschafterin des Jubeljahres. Honey Tahljieh ist Palästinenserin, sie hat das Frauenteam des international nicht anerkannten Palästina-Verbandes gegründet und war Spielerin. “Honey verkörpert dank ihres Kampfes für die Gleichstellung der Geschlechter und für den Frieden perfekt das Profil einer Botschafterin. Auf ihrem Lebensweg hat sie Werte verkörpert, die der Athletic Club teilt. Menschen, die, ohne als Athletic-Fans geboren zu sein, Sympathie für unsere einzigartige Identität in der Welt des Fußballs gezeigt und als Anregung für den Club gedient haben", hieß es in der Club-Mitteilung zur Vorstellung der Botschafterin. Wir dürfen gespannt sein, was die nächsten neun Monate noch bringen.

(2023-03-14)

RENTNERINNEN IM HUNGERSTREIK

kolu41x14Seit 5 jahren forden Mitglieder der Bewegung der Rentnerinnen und Rentner in Bilbo (und einigen wenigen anderen Regionen des Staates) eine Minimalzahlung von1.080 Euro pro Monat. Das wäre kein Luxus, sondern entspricht internationalen Vorgaben. Vor allem für Witwen ist diese Zahl von existenzieller Bedeutung, denn viele kommen nicht einmal auf die Hälfte, um ihr Leben zu bestreiten. In fünf Jahren wurde diese Forderung trotz Preissteigerungen und Inflation nicht erhöht, um niemand zu irritieren. Die von der „progressivsten Regierung in der Geschichte Spaniens“ erteilten Erhöhungen bewegten sich nicht annähernd in der Größenordnung der Forderung der Bewegung. Im europäischen Schnitt sind die spanischen Renten ausgesprochen schlecht.

Zu Beginn einer Aktionswoche Mitte März ist die Bewegung der rentner*innen nun einen Schritt weiter gegangen und hat mit einer Demonstration vom Rathaus zum Provinzrat eine Woche des Hungerstreiks für Mindestrenten begonnen. An der Aktion nehmen 150 Personen teil, 30 pro Tag imWechsel. Fünf Tage wirde der Hungerstreik mit täglichen Aktionen begleitet wie, Informationsveranstaltungen, die Mobilisierungswoche endet mit einer Demonstration am Samstag (18.3.).

Die Bewegung hat erklärt, dass die vor wenigen Tagen von der Zentral-Regierung vorgelegte Reform "nicht zufrieden stellt", obwohl es einige Aspekte gibt, die positiv bewertet werden. Zum Beispiel die geringfügige Erhöhung der Mindestrente. Bedauert wird, dass diese nicht die 1.080 Euro erreicht, die einer der Hauptgründe für die Mobilisierung war. Begrüßt wurde auch der Verzicht, die Renten-Berechnungszeit auf 30 Jahre zu erhöhen. Die Bewegung erinnerte daran, dass nach Angaben der spanischen Zentralbank jedes Jahr Verlängerung des Berechnungs-Zeitraums eine Kürzung der Rente um 0,5% bedeutet. "Weder 25, noch 29, noch 30, die Rentnerbewegung des Baskenlandes fordert, dass der Renten-Berechnungszeitraum auf die 15 besten Beitragsjahre festgelegt wird".

Sie seien auch damit einverstanden, die Entschädigung für Beitragslücken zu verbessern, auch wenn diese immer noch sehr unzureichend ist, da sie nicht einmal die Situation von 2011 erreicht. Auch die Verabschiedung von Maßnahmen zur positiven Diskriminierung in Bezug auf den Zuschlag für geschlechtsspezifische Lücken und die Deckung von Lücken für Frauen sei unzureichend. Das Gleiche gilt für die Erhöhung der Sozialversicherungs-Reserven aus dem Mechanismus der Generationen-Gerechtigkeit (MEI) und der Solidaritätsquote, die zwar für positiv erachtet wird, aber ebenfalls noch sehr niedrig angesetzt ist.

Die Bewegung beklagte, dass die neue Reform die Kürzungen bei den Renten und den Rechten der Rentner fortsetzt, wie es seit der Reform von 2011 der Fall ist. "Dies ist nicht die Reform, die wir seit mehr als fünf Jahren auf der Straße fordern; ein großer Teil unserer Forderungen wurde ausgeklammert", heißt es.

Mit den Demonstrationen in dieser Woche fordert die Rentnerbewegung des Baskenlandes die Reduzierung des Renten-Eintrittsalters auf 65 Jahre und die Rückgewinnung der Kaufkraft durch eine Ausgleichszahlung, die Einführung von Maßnahmen zur Beseitigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede, die Anhebung der Mindestrente auf 1.080 Euro, eine 100-prozentige Witwenrente, die Abschaffung der Kürzungskoeffizienten für die Frühverrentung bei 40 Beitragsjahren sowie die Garantie von Renten, die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen und angemessenen Löhnen. (Presseerklärung der Bewegung der Pensionär*innen in Euskal Herria - Euskal Herriko Pentsiodunen Mugimendua)

(2023-03-13)

FRANQUISTISCHES GRABMAL

kolu41x13Auf dem Friedhof Polloe von Donostia (San Sebastian) war bisher ein franquistisches Grabmahl zu sehen, in dem franquistische Soldaten und später Guardia Civil Polizisten beerdigt lagen. Ein historischer Schandfleck und Zeichen dafür, dass die Geschichte von Krieg, Diktatur und Faschismus keineswegs aufgearbeitet ist. Neue Gesetze zwangen die Behörden, der “Verherrlichung des Franquismus“ (genau das stellt das Ehrenkreuz dar) etwas entgegenzusetzen. Das geschah am vergangenen Sonntag, als eine Gedenktafel eingeweiht wurde, neben einem Monument zum Gedenken an die republikanischer Verteidiger der Stadt, die im Kampf gegen die Faschisten ihr Leben gelassen hatten.

Dazwischen lag eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi, im Baskenland und darüber hinaus bekannt für Exhumierungen von Opfer aus dem Spanienkrieg. Im Auftrag der Stadtverwaltung Donostia wurde um das franquistische Mausoleum herum gegraben, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Dabei stellte sich heraus, dass hier nicht nur Franquisten begraben lagen, sondern auch eine Reihe von Republikanern, deren individuelle Identifizierung jedoch unmöglich ist. Insgesamt liegen unter dem faschistischen Kreuz ungefähr 200 Leichen unterschiedlicher politischer Herkunft.

Das war sehr wahrscheinlich der Grund dafür, dass das Faschistenkreuz nicht fallen musste und “nur“ die franquistischen Parolen entfernt wurden. Das antifaschistische Denkmal erscheint dennoch eher bescheiden klein neben dem Kreuz. Auf der Gedenktafel sind die Namen von 17 bekannten republikanischen Toten aus Donostia eingraviert, ob sie in diesem Mausoleum liegen, weiß niemand.

Weil Ende Mai Kommunalwahlen sind und der Wahlkampf längst begonnen hat, ließen sich die Spitzenkandidat*innen aller politischen Richtungen die Gelegenheit zum Pressefoto nicht nehmen. Es wurde appelliert an demokratische und republikanische Traditionen, jede Form von Totalitarismus sei abzulehnen – eine eher ungenaue und auslegbare Definition. Halbwegs zufrieden waren jedenfalls die Nachkommen von republikanischen Gefallenen, nach dem Motto: “besser spät als gar nie“. Sie hätten ihre Angehörigen lieber individuell beerdigt, um Abschied nehmen zu können. So müssen sie sich mit der anonymen Inschrift auf der Tafel zufrieden geben.

(2023-03-10)

DER GIPFEL DER KORRUPTION

Die rechte baskische Partei PNV nähert sich in rasantem Tempo der Haltung der spanischen Rechten, die Korruption auf der Tagesordnung stehen hat und das Ganze als normales Kavaliersdelikt betrachtet. Lange Zeit war das Baskenland zwar für Vetternwirtschaft bekannt, galt aber dennoch als korruptionsfreie Zone. Damit ist seit dem De-Miguel-Urteil endgültig Schluss.

kolu41x10Wie funktionierte das De-Miguel-System? Auf öffentliche Ausschreibungen verschiedener Art melden sich gewöhnlich Unternehmen mit dem Interesse an der Durchführung, das beste Angebot erhält den Zuschlag. An der Schnittstelle zwischen Ausschreibung und Zuschlag setzte Alfredo de Miguel, hoher Parteifunktionär der PNV seinen Hebel an. Denn vor den definitiven Zuschlag rief er – höchstpersönlich – bei den Unternehmen an und forderte ganz unverfroren seine Prozente für den Fall des Zuschlags. Das System funktionierte, mehr als 10 Personen waren am DMS beteiligt.

Bis sie auf die Rechtsanwältin Ainhoa Alberti stießen. Sie fand diese Praxis seltsam und erstattete eine Anzeige, die Folgen haben sollte. Der Erpressungsring flog auf, es kam zu Verhaftungen, später zu einem Prozess und zu Verurteilungen bis zu neun Jahren Haft. Nicht wenig für Beamte, die Gemachte Nester gewöhnt sind. Nach der Bestätigung des Urteils durch das Oberste Spanische Gericht müssten dasselbe eigentlich vollzogen werden. Und vor allem: die Verurteilten müssten auf ihren öffentlichen Posten gekündigt werden. Dem ist jedoch nicht so. Sie arbeiten weiter auf ihren Posten und kassieren fürstliche Gehälter. Dafür sorgt die Mutterpartei, die PNV. Die Opposition kocht vor Empörung, die PNV verteidigt sich mit dem Argument, das Urteil sei noch nicht offiziell zugänglich gemacht worden. Skandalös!

Ganz anders sieht es bei der Beschwerdeführerin Ainhoa Alberdi aus. Ihre Firma hat seine der Anzeige im Jahr 2009 keine öffentlichen Zuschläge mehr erhalten. Unter der Hand sagte ein PNV-Naher zu ihr, es wäre besser, sich gar nicht mehr zu bewerben. Ein bereits erteilter Auftrag wurde ohne Angabe von Gründen wieder entzogen. So sieht im Baskenland die Strafe der Parteibonzen aus, die alles kontrollieren.

Doch war noch nicht alles. Drei Tage vor der gerichtlichen Aussage von Frau Alberdi veranlasste die Finanzbehörde Bizkaia eine Untersuchung wegen Steuer-Unregelmäßigkeiten. Bei Prozess sprach sie von einer ganz unverfrorenen Haltung der „Straffreiheit“ der Erpresser: "Ich sah, dass die Forderung nach Geld mit einer solchen Leichtigkeit und Freude gestellt wurde“. Nun muss ihr Unternehmen dennoch bezahlen, wenn auch auf eine ganz andere Weise. Alberdi hat sich mit Big Brother PNV angelegt – so etwas verzeiht das PNV-System der Drehtüren, Vetternwirtschaft und Erpressungsgelder nicht. Möglicherweise bereut Alberdi ihre Anzeige von damals. Andere Beobachter der Vorgänge, darunter mögliche Bewerber bei öffentlichen Ausschreibungen, werden ihre heimlichen Schlüsse ziehen.

(2023-03-07)

PFLEGEARBEIT

kolu41x07Wenn es darum geht, Kinder, alte Menschen oder Kranke zu pflegen, ziehen sich Männer in der Regel dezent zurück, häufig mit der dummen Ausrede, das sei Frauenarbeit. Tatsächlich leisten Frauen weltweit zu einem riesigen Anteil. Meist eine schlecht bezahlte Arbeit, wenn überhaupt. Mit einem großen Anteil an Frauen mit Migrationshintergrund.

Im Baskenland organisieren sich in der Pflege tätige Frauen seit einigen Jahren, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen zu erreichen. In einigen Gewerkschaften wurden extra Abteilungen gegründet. Nun haben verschiedene feministische Netzwerke aus Anlass des Internationalen Kampftages arbeitender Frauen – der achte März – dem Thema angenommen und die Pflege als zentrales Thema ihrer Mobilisierungen gemacht.

Pandemiebedingt wurden zwei Jahre lang keine oder nur beschränkte Aufrufe durchgeführt, davor lagen zwei Jahre mit Streikaufrufen, die auch von einem Teil der Gewerkschaften (den radikaleren) unterstützt wurden. Davon ist in diesem Jahr nichtmehr die Rede. Das Problem des männlichen Absentismus in der Pflege soll thematisiert werden.

Im Prinzip ist das Panorama in diesem Bereich noch brisanter. Denn Männer machen sich nicht nur aus dem Staub, sie profitieren auch noch von der von Frauen geleisteten Pflegearbeit. Denn immer dann, wenn sich Unternehmen auf den Weg machen, Pflegedienste anzubieten und zu organisieren, dann sind es Männer, die daraus Profite abziehen und die Arbeiterinnen zusätzlich ausbeuten.

Frauen aus der Situation schlecht- oder unbezahlter Arbeit herauszuholen, bedeutet, das System von Arbeit und Arbeitsteilung insgesamt in Frage zu stellen. Denn das kapitalistische System baut auf dieser Art von Ausbeutung. So ist Feminismus nicht nur der Kampf um Rechte von Frauen, sondern auch ein Kampf gegen das kapitalistische Modell. Oder sollte es zumindest sein. Der Feminismus in den Institutionen und Parlamenten kommt in dieser Frage viel zu schnell an seine Grenzen. Die Mobilisierung auf der Straße hingegen kennt keine Grenzen.

(2023-03-05)

FASCHISTEN IM PARLAMENT

Ein Portrait von Himmler im Vorraum des deutschen Bundestags? Unvorstellbar. Nicht so im spanischen Staat. Im Senat von Madrid hängt (unter anderem) ein Portrait des franquistisch-faschistischen Ministers Manual Fraga Iribarne. Fraga (1922-2012) war von 1962 bis 1969 Minister für Information und Tourismus, nach Francos Tod Innenminister. In dieser Funktion schickte er militärische Kräfte in die baskische Stadt Vitoria-Gasteiz, um die dort aufkommende Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Fraga: Ein Faschist an der Wand einer “demokratischen“ Institution.

kolu41x05Nach dem Tod des Massenmörders Franco und nach 40 Jahren Diktatur setzten viele auf eine radikale Änderung im Staat, angefangen bei der Arbeiter-Bewegung. Da es noch keine Gewerkschaften gab, organisierten sich streikende Fabrikarbeiter in öffentlichen Versammlungen, um ihre Strategien und Ziele zu diskutiere, die weit über Lohnerhöhungen hinaus gingen. Im alten Regime löste das umstürzlerische Befürchtungen aus, die gestoppt werden mussten.

Fraga, zusammen mit dem ebenfalls alten Falange-Kameraden Martin Villa, schickte Repressionskräfte, um die Versammlung in der Barrio-Kirche San Francisco de Aziz im Stadtteil Zaramaga zu unterbinden. Durch die Fenster wurden Tränengas-Bomben geworfen, die Versammelten verließen fluchtartig die Kirche. Draußen wurden sie von der franquistischen Polizei mit Schüssen empfangen: Hunderte von Verletzten, fünf Tote. Der Fall wurde nie untersucht, die Verantwortlichen nie zur Rechenschaft gezogen, weder Fraga Iribarne noch der noch lebende Martin Villa. Stattdessen hängt Fragas Portrait im Senat. Zur Erinnerung, dass er danach Vorsitzender der postfranquistischen Rechten war und 20 Jahre Ministerpräsident von Galicien, als aus Faschisten auf wundersame Weise Demokraten wurden.

Am 3. März jährte sich das Massaker zum 47sten Mal. Für die linke baskische Koalition EH Bildu Anlass, das Portrait öffentlich in Frage zu stellen. Zu mehr als einer Zeitungsnotiz wird es voraussichtlich nicht kommen, denn Krieg, Franquismus und Diktatur wurden auch 47 Jahre danach nie aufgearbeitet, trotz Memoria-Gesetzen. Faschisten in spanischen Institutionen, an der Wand und neuerdings auch auf Abgeordneten-Bänken.

(2023-03-04)

POLIZEILICHER RASSISMUS

Sagt besser nicht "die Polizei diskriminiert" oder "die Polizei ist rassistisch" (auch wenn ihr davon überzeugt seid), denn das wird als Beleidigung oder Respektlosigkeit interpretiert und mit Geldbußen bestraft. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie ist möglich es, dass diese Äußerung mit einer Geldstrafe belegt wird, die Polizei aber offen rassistische Beleidigungen ausspricht, was völlig ungestraft bleibt. Im Stadtteil San Francisco ist dies eine Realität.

kolu41x04SOS Racismo-Bizkaia erklärt dazu:

Wir haben die Absicht, die unmäßige Anzahl von Beamten der Ertzaintza und der Stadtpolizei, die sich täglich im Viertel San Francisco in Bilbao aufhalten, sichtbar zu machen und in Frage zu stellen. Außerdem wollen wir die Leibesvisitationen und Kontrollen von ausschließlich Migranten anprangern, die Einschüchterungen, Schikanen, illegalen Räumungen, Festhalten und Inhaftierung von Personen in einer administrativ gesehen irregulären Situation.

Gestern versammelten wir uns zum zweiten Mal auf dem Fleming-Platz im Rahmen unserer Kampagne "Rassismus raus aus unseren Vierteln", mit der wir die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen, die Rassismus erleiden, insbesondere von Migranten und dunkelhäutigen Jugendlichen, durch die Polizei anprangern.

Vor der festgelegten Zeit für die Kundgebung warteten dort bereits zwei Polizeiwannen, zwei Autos und etwa 24 Beamte (dazu einige in Zivil) beider Polizeikräfte. Wir fragen uns, warum so viele öffentliche Mittel für eine Aktivität verschwendet werden, bei der etwa 40 Personen ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, wenn diese Mittel für Vorschläge für ein gesundes und interkulturelles Zusammenleben verwendet werden könnten, für die Verstärkung von Aufnahme-Programmen, für Investitionen in die öffentliche Gesundheit, für die Nichtschließung von Kliniken und für angemessene Unterbringung von Menschen, die auf der Straße leben.

Es ist paradox, dass ausgerechnet in dem Moment, in dem wir die Militarisierung des Viertels anprangern, ein so großer Polizeieinsatz stattfindet. Das gibt uns nur Recht. Nach 15 Minuten kamen zwei Beamte der Ertzaintza auf uns zu, um mitzuteilen, dass wir die Bestimmungen der Kundgebungs-Genehmigung nicht einhalten, da bei unserer Aktion nur der institutionelle Rassismus erwähnt werden dürfe. Sie teilten mit, sie würden ein Verfahren gegen uns einleiten, weil unsere Slogans "die Polizei diskriminiert" und "die Polizei ist rassistisch" respektlos seien, sie würden als Beleidigung der Polizeikräfte angesehen. Wenn wir damit weitermachen, hätte dies bei der Verwaltungs-Sanktion erschwerenden Charakter.

Polizei und staatliche Sicherheitskräfte sind öffentliche Einrichtungen. Institutioneller Rassismus ist keine Erfindung, keine Meinung und noch viel weniger eine Beleidigung. Er ist ein gut dokumentiertes Herrschaftssystem, das Ungleichheiten untermauert und das Migranten, Menschen afrikanischer Abstammung und Roma unterdrückt. Rassistische Polizeipraktiken sind Teil einer diskriminierenden Politik. Polizei-Rassismus ist in fast 70 Prozent aller Beschwerden über institutionellen Rassismus, die wir im Büro von SOS Racismo Bizkaia erhalten, nachweisbar. Darüber hinaus wurde in Europa bereits festgestellt, dass rassistische Praktiken - wie z.B. Kontrollen auf der Grundlage von ethnischem Profiling - bei den Polizeikräften der europäischen Staaten weit verbreitet sind.

Wie ist es möglich, dass die Äußerung "die Polizei ist rassistisch" mit einer Geldstrafe belegt wird, dass es jedoch völlig straffrei ist, wenn die Polizei offen rassistische Beleidigungen ausspricht? Die Strafverfolgungs-Behörden müssen sich selbst als unterdrückerische Institution erkennen, in ihrem Rassismus und in ihrer weißhäutigen Zerbrechlichkeit.

SOS Racismo Bizkaia weist erneut darauf hin, dass die Polizeipräsenz im Viertel San Francisco völlig überdimensioniert ist. Wir verurteilen die Kriminalisierung von dunkelhäutigen Menschen, die dort leben, und verteidigen das Recht auf freie Demonstration. Die Feststellung von Rassismus ist keine Beleidigung, sondern eine Realität.

(2023-03-03)

3/3/1976 MASSAKER VON GASTEIZ

kolu41x03Die Ereignisse von Vitoria-Gasteiz, auch als Massaker vom 3. März bekannt, fanden am 3. März 1976 in der Hauptstadt der baskischen Provinz Araba (Alava) statt, wenige Monate nach dem Tod des Diktators Francisco Franco, mitten in der spanischen Transition, dem sogenannten “Übergang von der Diktatur in die Demokratie“.

Die Ereignisse ereigneten sich am Nachmittag um 17.10 Uhr, als Angehörige der Reserve-Kompanie Miranda und der bewaffneten Polizei 4.000 streikende Arbeiter zu vertreiben versuchte, die sich in der Kirche San Francisco de Asís im Viertel Zaramaga versammelt hatten. Die Polizei schoss Tränengas in die Kirche, die Menschen rannten aus der Kirche und wurden von den Sicherheitskräften mit scharfer Munition und Gummigeschossen enmpfangen Dabei wurden fünf Menschen getötet und mehr als 150 verletzt. Die Verstorbenen waren:

Pedro María Martínez Ocio, 27 Jahre alt, er starb auf der Stelle. Francisco Aznar Clemente, 17 Jahre alt, Student und Bäckereiarbeiter, starb auf der Stelle. Romualdo Barroso Chaparro, 19 Jahre, schwer verletzt, starb kurz darauf. José Castillo García, 32, Arbeiter bei Basa, starb später. Bienvenido Pereda Moral, 30 Jahre alt, starb später. In der Folge, während der in verschiedenen Städten organisierten Proteste, starben zwei weitere Menschen an den Folgen der Repressionen gegen die Solidaritäts-Demonstrationen gegen das Massaker: in Tarragona der junge Juan Gabriel Rodrigo Knafo und in der Bizkaia-Stadt Basauri Vicente Antón Ferrero.

Es handelte sich um eines der größten Massaker während der so genannten spanischen Übergangszeit. Die Ereignisse wurden weder untersucht noch strafrechtlich verfolgt. Die franquistischen Minister Rodolfo Martin Villa und Manuel Fraga Iribarne wurden als Verantwortliche für das Massaker ausgemacht.

(2023-03-02)

TRAUER UM MIKEL

kolu41x02Mikel Martín war eines der bekannten Gesichter einer Bewegung, deren Abkürzung immer länger wird: LGTBIQ+. Er war Aktivist von EHGAM (Euskal Herriko Gay-Les Askapen Mugimendua), der Baskischen Befreiungs-Bewegung für Schwule und Lesben. Nun hat EHGAM hat über seine Sozialen Medien den Tod von Mikel Martín bekannt gegeben. Mikel wurde 1954 geboren, er lebte in Errenteria und war auch ein Aktivist der linken Organisation Alternatiba.

Mikel Martín hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv in der Öffentlichkeit engagiert und an verschiedensten Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen, die auch über die EHGAM-Bewegung hinaus gingen. Im Januar 2005 wurde er im Zentrum von Donostia von zwei Soldaten der Fallschirmjäger-Brigade angegriffen und brutal zusammengeschlagen, ein politisch motivierter Angriff.

Infolge der Schläge erlitt er Schädel- und Gesichtstraumata, Wunden an der Oberlippe, mehrfach Kontusionen und einen teilweisen Bruch des Wadenbeinkopfes, daneben einen Knochenbruch und eine Zerrung im Knie. Er benötigte 137 Tage zur Genesung.

Vier Personen wurden vor Gericht angeklagt, die beiden Angreifer und zwei Kollegen, die zuschauten und nicht intervenierten. Sechs Jahre später wurden die beiden ersten zu zwei Jahren Haft verurteilt, die anderen zu einer Geldstrafe und einer Entschädigung. Über die Todesursache von Mikel Martín wurden keine Angaben gemacht.

(2023-03-01)

DREHTÜREN

kolu41x01Drehtüren sind in aller Munde. Nicht nur als Zugang zum Schwimmbad oder zum Sportplatz, auch in der Politik. Mit Drehtüren gemeint sind Karrieresprünge von Politiker*innen oder Verwaltungsfunktionären, von der Parlamentsbank oder einem Behördenposten in die Privatwirtschaft. Solche Leute sind in der kapitalistischen Wirtschaft gefragt, gerade in Zeiten, in denen Lobby-Arbeit zu einer Basis des Geschäftslebens geworden ist. Denn wer durch Parlamente oder Behörden gelaufen ist, weiß, wo und wie Entscheidungen getroffen werden, wer Zulassungen oder Genehmigungen unterschreibt. Behörden und Parlamente sind insofern die besten Sprungbretter in die Wirtschaft, mit nach oben offenen Gehaltskategorien.

Bestes Beispiel ist der PNV-Politiker, ex PNV-Vorsitzende und ehemalige Regierungssprecher Josu Jon Imaz. Der hat über das Raffinerie-Konsortium Petronor den Sprung ganz nach oben geschafft, und ist jetzt Chef des spanischen Multi-Konzerns Repsol. Egal, welcher Schuh den Konzern gerade drückt, Josu Jon weiß immer einen geeigneten Gesprächspartner in seiner Partei, rund um die Uhr. Er ist mit Sicherheit bereits informiert, bevor im Parlament wirtschaftspolitische Beschlüsse überhaupt erst entschieden werden.

Um diese Drehtüren zu verlangsamen und sie moralisch etwas zu beschönigen, gibt es im Baskenland ein Gesetz: vor dem Drehtür-Wechsel muss eine zweijährige Pause eingelegt werden. Ausnahmen bestätigen die Regel, Ausnahmen können beantragt werden. Von den fünf ehemaligen Beamten der baskischen Regierung, die in dieser Legislaturperiode vor Ablauf der gesetzlichen Frist durch die "Drehtür" in die Privatwirtschaft gewechselt sind, hat einer dies getan, ohne eine offizielle Antwort auf seinen Antrag zu erhalten. Vor zwei Tagen wurde bekannt, dass ein gewisser Alexander Arriola im September 2020 nicht auf eine Genehmigung gewartet hat, um den Karrieresprung zu machen. Im Gegenteil, der Antrag wurde nie beantwortet.

Arriola hat das Schweigen seiner Verwaltung dazu genutzt, um nur einen Tag nach seiner Entlassung als Generaldirektor der Baskischen Agentur für Unternehmens-Entwicklung (SPRI) in das Unternehmen Eurocybcar zu wechseln, eine Firma, die sich mit der Cybersicherheit von Fahrzeugen befasst. Von solchen Saltos innerhalb von 24 Stunden können 99% der Bevölkerung nur träumen. Thematisch ist die Drehtür leicht nachvollziehbar: von der Unternehmens-Entwicklung zur Unternehmens-Führung.

Das Gesetz sieht hingegen eine zweijährige Beurlaubung vor, so dass ehemalige hochrangige Regierungsbeamte "keinerlei Dienstleistungen erbringen oder Beschäftigungs- oder Geschäftsbeziehungen zu den Unternehmen, Gesellschaften oder anderen privaten Einrichtungen unterhalten dürfen, zu denen sie in direkter Beziehung standen". Drei Jahre wurde der Vorgang gedeckelt, jetzt ist er ans Tageslicht gekommen. Peinlich für die neoliberale Regierungspartei PNV. Aber typisch.

ABBILDUNGEN:

(*) Tagespresse

(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-03-01)

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