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80 Jahre Massenflucht aus der Bergfestung

Am 22. Mai 2018 jährt sich zum 80sten Mal die Flucht von Gefangenen aus dem franquistischen Festungsgefängnis San Cristóbal auf dem Berg Ezkaba im Norden Pamplonas. Es handelte sich um die größte Gefängnisflucht der spanischen Geschichte. An der Massenflucht aus dem Vernichtungslager beteiligte sich ein Drittel der 2.500 Häftlinge. 795 Gefangene machten sich auf den Weg. 207 von ihnen wurden auf der Flucht erschossen, der Großteil festgenommen und zurückgebracht. Nur drei erreichten die Freiheit.

Im Jahr 1938 flüchteten fast 800 Gefangene aus dem franquistischen Vernichtungslager San Cristóbal auf dem Berg Ezkaba. Die Flucht endete in einem Massaker.

Im Norden Pamplonas, auf dem von der Stadt aus gut sichtbaren Berg Ezkaba, erhebt sich ein Komplex von mehreren militärischen Einrichtungen: Gräben, Mauern, Kontrolltürme, Gefängniszellen und unterirdische Trakte. Der gesamte Komplex trägt den Namen San Cristóbal. Heute ist die Festung und das sie umgebende Areal von 615.000 Quadratmetern ein riesiges Massengrab. Hier liegen die Leichen von 207 der geflüchteten Gefangenen. Sowie die Reste einer unbestimmten Anzahl von nicht registrierten Männern, die auf Anweisung von Falangisten verschiedener Dörfer im Zuge der Säuberungsaktionen aus dem Festungsgefängnis geholt und in der ersten Kurve erschossen wurden.

ezkaba2Bekannt ist außerdem, dass zwischen Januar 1937 und Juli 1945 in diesem Vernichtungslager 305 Gefangene starben: an Herzstillstand, Tuberkulose, Anorexie – was nichts anderes als Unterernährung bedeutet – oder an Erschöpfung und Entkräftung. Anfangs wurden die ermordeten Häftlinge namenlos in Massengräbern auf den Friedhöfen der umliegenden Dörfer verscharrt. Angesichts der großen Zahl legten die jeweiligen Bürgermeister jedoch bald Beschwerde ein, worauf der Festungsleiter einen improvisierten Friedhof rund um die Festung anlegen ließ. (1)

Gerichtsmediziner und Antropologen der Wissenschaftsgesellschaft Aranzadi haben mit der Bergung der Leichen begonnen. Bisher konnten sieben geborgen werden. Klar ist jedenfalls, dass niemals alle sterblichen Reste geborgen werden können. Dennoch hat der Beginn der Exhumierungen bei Hunderten von Familienangehörigen eine neue Hoffnung geweckt. (2)

Geschichte von San Cristóbal

Gebaut wurde die Festung am Ende des zweiten Karlistenkrieges (nach 1876), nachdem deutlich geworden war, wie angreifbar das in einer Ebene liegende Pamplona durch die moderne Artillerie geworden war. Die in den Berg eingegrabene Festung sollte einer effektiveren Verteidigung dienen. Allerdings kam es nie dazu. Als der Bau im Jahr 1919 fertig war, war die beabsichtigte Funktion der Festung bereits veraltet, angesichts moderner Kriegstechniken wie der Luftangriffe. Als es im Oktober 1934 in vielen Orten der spanischen Nordküste zu Arbeiteraufständen kam wurde die Anlage im Zuge der folgenden Repressionswelle zum ersten Mal zum Gefängnis umfunktioniert. (3) Hunderte von Gefangenen wurden nun eingepfercht. Dafür wurden spezielle Mauern hochgezogen, um die verschiedenen Zellen voneinander zu trennen. Das gesamte Gebäude war in äußerst schlechtem Zustand. Weil ein Teil der Verließe unter der Erde lag waren sie ständig feucht, die hygienischen und gesundheitlichen Bedingungen waren deshalb mörderisch. Die 750 Gefangenen wurden nach und nach in andere Gefängnisse verlegt. Insgesamt beherbergte das Gefängnis San Cristóbal im Jahr 1934 bis zu 2000 Häftlinge.

1936 – Republik und Militärputsch

Im Februar 1936 wurden nach dem republikanischen Wahlsieg mit einer Amnestie alle Gefangenen auf freien Fuß gesetzt. Doch füllte sich die Festung nach dem Militärputsch vom Juli 1936 erneut schnell mit Gefangenen. In diesem Fall unter noch extremeren Haftbedingungen, sofern möglich. Von diesem Gefängnis aus wurden immer wieder Häftlinge ohne Gerichtsbeschluss auf die Straße gezerrt und erschossen. Auch im Inneren selbst gab es zu Beginn des Krieges standrechtliche Erschießungen. Dazu kamen viele Todesopfer aufgrund der unsäglichen sanitären Bedingungen, Misshandlungen, Massifizierung von Häftlingen, etc. Wenn von San Cristóbal gesprochen wird, fällt insofern zurecht der Begriff Vernichtungslager. Die Gefangenen hatten keinerlei Rechte – die Aufseher, Militärs und Falangisten mordeten in absoluter Straffreiheit.

Massenflucht 1938

ezkaba3Am 22. Mai 1938 kam es zu einer Massenflucht aus der Bergfestung San Cristóbal – die zahlenmäßig bedeutendste Flucht aus einem Gefängnis der spanischen Geschichte. Zu jenem Zeitpunkt befanden sich 2.487 Häftlinge in der Festung, fast alle mit einem politischen Bewusstsein. Sie überlebten unter absolut lebensfeindlichen Bedingungen – eine Flucht war trotz des großen Risikos eine der wenigen Überlebenschancen. Vorbereitet wurde die Flucht von ungefähr dreißig Häftlingen. Insgesamt 795 republikanische Gefangene machten sich auf den Weg in die Freiheit. Der Großteil wurde erneut festgenommen und zurück nach Ezkaba gebracht. 207 Geflüchtete wurden sofort erschossen, als sie erwischt wurden. Nur drei der fast 800 gelang es, über die französische Grenze zu kommen und somit wirklich in die Freiheit. Vierzehn der mutmaßlichen Anführer wurden zum Tode verurteilt und am 8. September 1938 auf einem öffentlichen Platz in Pamplona-Iruñea hingerichtet.

Die Flucht begann um 20 Uhr abends, als die Schließer das Abendessen verteilten. Unter der Regie des Kommunisten und Gewerkschaftsführers Leopoldo Pico brachte eine Gruppe von ungefähr 50 Gefangenen innerhalb einer halben Stunde die Festung unter ihre Kontrolle. Um 20.30 Uhr waren die Tore der Festung geöffnet und die ersten Häftlinge gingen unter dem Ruf „Viva la República! Viva la libertad!“ nach draußen (Es lebe die Republik! Es lebe die Freiheit!). An diesem Tag hatten alle Häftlinge die Möglichkeit, sich der Flucht anzuschließen, die Mehrheit entschied sich jedoch dagegen. Viele hielten die Aktion für eine Falle seitens der Aufseher, um sie erschießen zu können. 795 Männer entschieden sich jedoch, die Gelegenheit beim Schopf zu packen und machten sich barfuß und hungrig auf den Weg in die Freiheit.

Alles ging schief

Es war ein schicksalhafter Zufall, dass ein junger Fähnrich an seinem freien Tag von der Flucht erfuhr und das Militär alarmierte. Der Plan wurde so vereitelt. Statt nach Pamplona zu fliehen, entschieden die Gefangenen, sich in kleinen Gruppen zur französischen Grenze durchzuschlagen, die ungefähr 50 Kilometer entfernt lag. Die Flucht wurde zum Chaos. In den folgenden Tagen wurden fast alle erwischt. 207 Geflüchtete wurden sofort erschossen (unter Anwendung des Flucht-Gesetzes, ley de fuga). Das Militär verfolgte sie über die Berge und jagte sie wie Tiere. Die hungrigen Männer, kraftlos und barfuß, hatten keine Chance. 585 Flüchtende wurden festgenommen und zur Festung zurückgebracht. Dort wurden sie in Strafzellen gesperrt, ohne Licht, ohne Betten, ohne Decken, und immer wieder verprügelt.

Der „Rädelsführer“

Der Hauptorganisator der Flucht, Leopoldo Pico, wurde laut Aussage des Staatsanwalts noch vor Beginn des Gerichtsverfahrens erschossen. Nach den Schilderungen von anderen Geflüchteten geschah dies bereits in den Bergen während der Flucht. Ein Mithäftling erklärte, er sei in einer Zelle der Festung hingerichtet worden. Diesem überlebenden Mithäftling ist die Information zu verdanken, dass Pico zum Zeitpunkt seines gewaltsamen Todes 27 Jahre alt war und aus dem kleinen Ort Rasines in der Provinz Kantabrien stammte, die an Bizkaia grenzt. Zusammen mit seiner Familie war er nach Bilbao gekommen und arbeitete in der Euskalduna Werft. Leopoldo Pico wohnte in einem Haus der Kommunistischen Partei in der Correo-Straße der Altstadt Bilbaos. Dort hatte er sich auch mit Dolores Ibarruri „La Pasionaria“ und anderen Verantwortlichen der KP getroffen.

ezkaba4Seine Ehefrau Concha Mazo Mendieta erzählte später, dass er bereits während der Oktoberaufstände 1934 festgenommen worden war. Nach dem Militärputsch der Generäle um Franco schloss er sich den Milizen zur Verteidigung der Republik an. Eines Tages erhielt er den Auftrag, eine Brücke zwischen Bizkaia und Alava zu sprengen, wurde dabei jedoch gefangen genommen. Bei einem Schnellverfahren in Vitoria-Gasteiz wurde er wegen Militäraufstand verurteilt und anschließend nach San Cristóbal gebracht. (4)

Die wieder gefangenen 585 Geflüchteten wurden von einem Kriegsgericht in einem Mammutprozess alle zusammen verurteilt. Aus den Gerichtsakten geht hervor, welche Delikte ihnen ursprünglich vorgeworfen wurden, weshalb sie verurteilt und nach San Cristóbal gebracht worden waren. 499 von ihnen waren wegen politischer Delikte nach dem 18. Juli 1936 abgeurteilt worden. Dabei war von Militäraufstand, Rebellion, Unterstützung der Rebellion, Aufruf zur Rebellion und Äußerungen gegen die national-katholische Bewegung die Rede.

Viele von ihnen waren bereits seit dem 19. Juli 1936 ihrer Freiheit beraubt. Aus verschiedensten Regionen des spanischen Staates wurden sie nach San Cristóbal gebracht. Das war eine Methode, um ihnen die soziale und familiäre Unterstützung zu entziehen und – wie der konkrete Fall deutlich macht – die Flucht zu erschweren. Tatsache ist, dass die große Mehrzahl der aus San Cristóbal Geflüchteten die Umgebung nicht kannten. Nur drei der Flüchtenden erreichten die französische Grenze:

Die drei „Glücklichen“

Jovino Fernández González, geboren 1908 in der Provinz León, arbeitete als Maurer und war aktiv in der anarchistischen Gewerkschaft CNT. Nach dem Militärputsch schloss er sich den Milizen zur Verteidigung der Republik an. Er wurde in Santander festgenommen als die Stadt in die Hände der Aufständischen fiel. Zunächst zum Tode verurteilt, wurde seine Strafe in lebenslänglich umgewandelt. Am 23. Oktober 1937 wurde er nach San Cristóbal gebracht. Nach der Flucht gelangte er mit der Unterstützung eines navarrischen Hirten nach Frankreich, 12 Tage lang hatte er sich von Eichenblättern und Gräsern ernährt. Er ging wieder zurück nach Spanien, um weiter auf Seiten der Republik zu kämpfen. Nach dem Sieg der Faschisten im Jahr 1939 schlug er sich erneut nach Frankreich durch, wo er in mehreren Lagern inhaftiert war. Zur Zwangsarbeit wurde er in die Kohleminen von Decazeville geschickt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann er wieder als Maurer zu arbeiten. Seine spanische Heimat besuchte er erst wieder nach dem Tod des Diktators (1975). Er starb mit 87 Jahren im Exil.

ezkaba5Valentín Lorenzo Bajo wurde im Jahr 1900 in Salamanca geboren. Die Tatsache, dass er der lokale Vorsitzende der Gewerkschaft UGT war, reichte aus, ihn wegen Unterstützung der Rebellion zu 21 Jahren und 1 Tag zu verurteilen. Am 24. Juni 1937 kam er nach San Cristóbal. Zusammen mit José Marinero gelang es ihm, die französische Grenze zu erreichen, am 31. Mai 1938, drei Tage vor Jovino. Von dort aus ging er nach Barcelona, um weiter auf Seiten der Republik zu kämpfen. Im Februar 1939 flüchtete er wieder nach Frankreich, wo er in die Lager Argeles-sur-Mer und Gurs gebracht wurde. Er hatte das linke Bein verloren. Nach der Befreiung von den Nationalsozialisten traf er seine Frau in Frankreich und lebte in Bordeaux bis zu seinem Tod im Jahr 1986.

José Marinero Sanz wurde 1916 in Segovia geboren. Er war Tagelöhner, wurde des Militäraufstands beschuldigt und zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Nach San Cristóbal kam er am 15. August 1937. Zusammen mit Valentín erreichte er die französische Grenze neun Tage nach dem Ausbruch und mit einer Schussverletzung im linken Bein. Auch er kehrte kurz danach nach Spanien zurück und schloss sich den republikanischen Verteidigungstruppen wieder an. Nach Kriegsende flüchtete er erneut nach Frankreich und von dort mit dem Schiff Sinaia am 13. Juni 1939 nach Mexiko. Dort lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1963.

Die drei Männer begegneten sich nie wieder. Alle drei starben im Exil. (5)
Die Rockgruppe Barricada aus Navarra widmete der Flucht aus Ezkaba ein Lied mit dem Titel „22 de mayo“. Auf ihrer Platte „La tierra está sorda“ (Die Erde ist taub) sind 18 Lieder, die verschiedene Geschichten während des Krieges und des Franquismus zum Thema haben.

ANMERKUNGEN:

(1) Die Information zu diesem Artikel stammt aus folgender Quelle (Link)

(2) Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet, um baskische Studien durchzuführen. Benannt nach Telesforo de Aranzadi, einem Anthropologen und Ethnologen (1860-1945).

(3) Der Asturische Bergarbeiterstreik von 1934 war ein revolutionärer Generalstreik, anlässlich des Eintritts der rechten Koalition CEDA in die spanische Regierung. In Anlehnung an die Pariser Kommune wird er auch als Kommune von Asturien bezeichnet. Er wurde von der spanischen Marine, Armee und Fremdenlegion niedergeschlagen. Der spätere Caudillo Francisco Franco hatte das Oberkommando über die militärischen Operationen zur Aufstandsbekämpfung. (Wikipedia)

(4) Die Information über Leopoldo Pico stammt aus der Webseite Foro por la Memoria (Link)

(5) Die drei Biografien stammen aus (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Festung Ezkaba (vidangoz.com)

(2) Festung Ezkaba (vidangoz.com)

(3) Gedenkfeier Ezkaba (fuertesancristobal)

(4) Luftaufnahme Ezkaba (euskal Kultura)

(5) Festung Ezkaba (vidangoz.com)


(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2018-05-17)

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