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Bilbao beste Stadt Europas!

Bilbaos Bürgermeister Juan Mari Aburto nahm in London den Award für „die beste Stadt Europas des Jahres 2018“ entgegen, der von der englischen „Academy of Urbanism“ jährlich vergeben wird. Bereits 2016 durfte sich eine baskische Stadt mit diesem Titel schmücken: San Sebastian. Für Bilbao ist es nicht die erste internationale Anerkennung. Es ist schon fast Gewohnheit, Preise zu bekommen oder internationale Großveranstaltungen austragen zu dürfen wie die Basketball-WM oder Klippenspringer Cups.

Die bizkainische Stadt Bilbao wurde am 8.November 2017 mit dem renommierten Urbanism Award ausgezeichnet und darf im Jahr 2018 den Titel „Beste Stadt Europas“ tragen. Nicht alle sind begeistert.

„Europa liegt Bilbao zu Füßen“ – so lautete die Schlagzeile in einer baskischen Tageszeitung am 9.November 2017, mit der ein Lobgesang eingeläutet wurde auf die bizkainische Stadt und den Preis, den diese am Vortag in Empfang nehmen durfte. „Der Bürgermeister Juan Mari Aburto nahm in London die Anerkennung für die beste europäische Stadt 2018 in Empfang. Die Stadt hatte eine prestigeträchtige Jury von Urbanismus Expert*innen überzeugt, ihr den Titel zu überlassen, zum Nachteil der Konkurrenten Wien und Ljubljana.“ (1)

„Trotz des hohen Niveaus der rivalisierenden Städte erfüllten sich die optimistischsten Prognosen. Bilbao erhielt den Titel ‘Beste Stadt Europas 2018‘. Diese Ernennung wurde innerhalb der Zeremonie The Urbanism Awards 2018 in der englischen Haupstadt bekannt gegeben. Der Bürgermeister Bilbaos nahm den Preis stolz und gerührt entgegen und widmete ihn allen Bewohner*innen Bilbaos.“

best02„Hier unter den letzten drei zu sein und den Urbanisten aus London Geschichten aus Bilbao zu erzählen war für uns bereits ein Erfolg“, so der Stadtvorsteher der christdemokratisch-nationalistischen Partei PNV. Einmal mehr wurde klar, dass Bilbao sich international einen hervorragenden Ruf erworben hat, gerade in London. Denn hier wird demnächst der Standort für die Music-TV-Preise 2018 (MTV) bekannt gegeben – die Wahl Bilbaos steht bereits fest.

Die „Miesmacher“ haben Einwände

Begeistert sind jedoch lange nicht alle in der Stadt, mit denen Aburto den Preis teilen will. Denn die Auszeichnung bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung eines Massentourismus, der in Bilbao alle Bedenken hinwegzufegen droht. In weniger als 20 Jahren – nach der Eröffnung des Guggenheim-Museums und der In-Szene-Setzung des sogenannten Guggenheim-Effekts, der mittlerweile Bilbao-Effekt genannt wird, hat die Reisetätigkeit in einem bedrohlichen Maße zugenommen. Die vorher industriell gepägte Stadt kannte bis zum Museumsbau praktisch keinen Tourismus, sie galt als schmutzig und unattraktiv. Seither schreibt die Stadt jährlich Rekordzahlen an Reisenden, die vor dem Museum Schlange stehen und die Altstadt überschwemmen. Denn außer dem Innenstadt-Kommerz bietet die Stadt keine weiteren Reize. Alles konzentriert sich auf engstem Raum.

Starke Konkurrenz

Die Konkurrenz im Finale des Urbanism Award war stark, denn Bilbao hatte es mit zwei schönen Städten zu tun. Über die Kriterien, nach denen die Preisvergabe entschieden wird, gibt die Webseite der Academy of Urbanism Auskunft (2). Bewertet werden die urbanistische Entwicklung, ökologische, gesellschaftliche, innovative Elemente, die Bürgernähe der Verwaltung und „identitäre“ Aspekte. Allein zu diesen Kriterien hätten Bewohner*innen der marginalisierten Stadtteile Bilbaos wahre Grusel-Romane erzählen können – wenn sie denn gefragt worden wären.

„Wir sind glücklich”, sagte Juan Mari Aburto. „Bilbao hat eine große Umwandlung hinter sich. Es ist eine Stadt in Entwicklung, sie bereitet sich auf die Zukunft vor. Eine Zukunft für die Jugend, mit dem Hochgeschwindigkeitszug, der Bebauung von Zorrotzaurre, mit dem Fluß als Rückgrat. Ein Bilbao, das sich als Universitätsstadt ausgezeichnet hat, als Museums- und Geschäftsstadt.“

best03„Die im Dunklen sieht man nicht“ (B. Brecht)

In diesem Zusammenhang die Jugend und ihre Zukunft zu erwähnen ist reiner Zynismus. Die Jugendarbeitslosigkeit im Baskenland liegt bei mehr als 40%, gut ausgebildete junge Akademiker*innen fliehen auf der Suche nach beruflicher Zukuft nach Deutschland, Großbritannien oder Skandinavien, weil sie hier nur in Kneipen Arbeit finden. Die Stadt ist überaltert, von 342.000 Einwohner*innen sind nur 92.000 unter 30 Jahren. In 8 Jahren hat die Stadt 12.000 Personen verloren, weil die Lebensqualität sehr schlecht ist.

Der Stadtteil Zorrotzaurre, vormals mit Fabriken und Handwerksbetrieben bestückt, der von einer künstlichen Halbinsel zu einer künstlichen Insel werden soll, ist ein Spekulationsprojekt ersten Ranges. In der Nähe soll nach Münchner Vorbild ein Strand angelegt werden. Auch der Hochgeschwindigkeitszug AHT-TAV ist ein unrühmliches Kapitel bei der Verwertung von Steuergeldern. Er ist Teil der Verbindung Paris-Madrid und löst die Transportprobleme im Baskenland nicht. Um seine Geschwindigkeit zu erreichen, darf er nicht anhalten. Der neue unterirdische AHT-Bahnhof in Bilbao wird zu einer neuen Spekulationsblase, an der Baufirmen und Immobilienhaie Unmengen verdienen.

Prüfungskommission vor Ort

Von all dem hat die Kommission der Academy of Urbanism wenig oder gar nichts mitbekommen, als sie im September nach Bilbao kam, um sich vor Ort ein Bild zu machen. „Betrachtet und bewertet wurden Infrastrukturen, städtische Dienstleistungen, die politische Landschaft, die örtliche Kultur, Lebensqualität und Wohlstand, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, öffentlicher Transport, wirtschaftlicher Erfolg und dessen Zukunftsaussichten.“ Ob die prüfenden Gäste auch in die marginalen Stadtteile kamen, dort wo die Putzmaschinen nicht alle drei Stunden vorbeikommen, sondern ein Mal in der Woche, dort wo die Arbeitslosigkeit bei 40% liegt, darf bezweifelt werden.

best04Der Stadtteil San Francisco, ist durchaus in der Lage einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, nur einer ganz anderen Richtung. Hier, im ehemaligen Bergbau- und Arbeiter-Barrio leben 80% der Migrant*innen der Stadt, die Armut und Unterversorgung übertrifft hier alle Ziffern von anderen Stadtteilen, die ebenfalls nicht vorteilhaft dastehen. So wird die Mehrheit der Bewohner*innen von Rekalde, San Inacio, Otxarkoaga, Arangoiti, Bilbao La Vieja oder La Peña nur ein mildes Lächeln für die Auszeichnung übrig haben, wenn sie überhaupt davon erfährt.

Es ist schwer zu verstehen, wie eine Stadt ausgezeichnet werden kann, bei der ein Drittel der Bevölkerung von „Lebensqualität und Wohlstand“ ausgeschlossen ist, wenn die offiziellen Kriterien der OECD angelegt werden, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dazu kommen 10% der baskischen Bevölkerung, die trotz überdurchschnittlicher Sozialausgaben im spanischen Vergleich, von sozialem Ausschluß bedroht sind. Es wäre interessant zu erfahren, was jener Personenkreis über den Award denkt.

Die Entscheidung

„Aufgrund der Besuche in den drei Kandidatur-Städten musste die Jury eine komplizierte Entscheidung treffen. Denn eine Stadt als Beste in Europa zu markieren bedeutet eine herausragende Auszeichnung, die im Curriculum jeder Stadt an oberster Stelle steht und eine exzellente Visitenkarte darstellt, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt.“(1) Um die Bedeutung dieser Auszeichnung aufzuwerten, wird bei der Academy of Urbanism herausgehoben, dass es sich um eine gemeinnützige Organisation handelt, deren Ziel es ist, britische und europäische Städte bekannt zu machen. Unter der Prämisse, „herausragende urbanistische Anstrengungen“ zu bewerten. Über die Finanzierung dieser Organisation, die einen stattlichen Haushalt haben muss, um europaweite Events zu veranstalten, ist nichts weiter bekannt.

Mit den Awards hat sich die Organisation einen weitreichenden Ruf verschafft: um Bemühungen zu unterstützen, urbane Umgebungen zu schaffen, die sich durch höhe Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit auszeichnen. Mit Bilbao haben sie eine fatale Entscheidung getroffen, weil die eigenen Kriterien in vielerlei Hinsicht nicht berücksichtigt wurden. Eine Stadt, die weitgehend auf ein einziges Entwicklungsmodell setzt, kann niemals nachhaltig sein. Denn die geringste Störung bringt die Euphorie zum Kippen. Traditionelle touristische Ziele wie Tunesien, die Türkei oder Ägypten wissen ein Lied davon zu singen.

Urbanismus-Awards

best05Seit 10 Jahren wird der Best-of-Titel vergeben. Zu den Jurymitgliedern gehören Architekt*innen und Stadtplaner*innen, die jedes Jahr zehn Finalisten aussuchen. Nicht nur für die beste Stadt, auch kleinere Orte, Stadtteile, Straßen und Plätze werden ausgezeichnet. Wie nicht anders zu erwarten nutzte die bilbainische Delegation ihre Anwesenheit in London für Kontakte und Treffen, um für ihre Stadt zu werben. Einen Tag vor der Preisverleihung stand ein Besuch beim World Travel Market auf dem Programm, eine der weltweit bedeutendsten Messen des Tourismus-Sektors. Hier werden die letzten Neuigkeiten und Innovationen ausgetauscht, die weltweit größten und bekanntesten Firmen sind vertreten – natürlich auch Bilbao.

Promotion-Tour

Danach wird die baskische Delegation noch Tech City UK besuchen, einen technologischen Distrikt, in dem Firmen konzentriert sind, die sich mit Digital-Technologie und Kreativität beschäftigen. Tech City, auch als Silicon Roundabout bekannt, ist ein Technologiepark im Londoner Eastend, der nicht nur auf technologischer sondern auch kultureller Ebene sehr gefragt ist. Er stellt ein Europäisches Innovationszentrum dar für Startups, Digital-Unternehmen und Technologie.

Vom Wert solcher Awards

Preise der Art von Urbanism Award sind fragwürdig, im selben Maße wie die Vergabe von großen Sportveranstaltungen wie Olympia oder Fußball-Weltmeisterschaften immer stärker in ein dunkles Licht von Korruption, Profitgier und politischen Machtspielen geraten. Auszeichnungen dieser Dimension sind unbezahlbar, weil sie weltweite Relevanz und Resonnanz haben. Denn sie werden zu Kriterien der Reiseauswahl zwischen Johannesburg, Trondheim und Peking. Der Kampf um touristische Marktprozente ist zum Kleinkrieg geworden, bei dem viel Geld zum Einsatz kommt. Geld, das an anderer Stelle fehlt.

Im bilbainischen Stadtteil San Francisco werden die schlechten Sozialindikatoren der Stadt noch einmal um mehr als das Doppelte übertroffen, der Stadtteil leidet seit Jahrzehnten unter Nichtbeachtung. Zuletzt hat er sich in ein Hauptquartier für Airbnb verwandelt, weil die illegale Vermietung an Touristen für viele ein Rettungsanker ist, die angeschlagene Hauswirtschaft aufzumotzen. Airbnb ist letztendlich die einzige Option, an der Verteilung des Tourismus-Kuchens teilzunehmen, von dem es heißt, dass er bereits 6% des Bruttosozialprodukts von Bilbao ausmacht.

MTV Europe Music Awards

Diese weltweit beachtete Veranstaltung wird im kommenden Jahr in Bilbao stattfinden, genauer gesagt in Barakaldo, im Bilbao Exhibition Center, wie die Bilbao Messe genannt wird. Die Veranstaltung wird mit großer Sicherheit zur Komplettbelegung der Hotels des gesamten Großraums führen. Gleichzeitig ist es ein Werbeeffekt ohnegleichen, denn der Event wird in die ganze Welt übertragen. Musikfans, die bisher nicht einmal von der Existenz Bilbaos wussten, werden erfahren, an welcher Küste des Atlantiks es liegt.

More and more and more

Das ist nicht alles, was 2018 für Bilbao vorgesehen ist. In Bizkaia stattfinden wird auch die Veranstaltung „The World's 50 Best Restaurants“, bei der die besten Restaurants der Welt gekürt werden. Dazu das Finale der Champions-League im Rugby – in einer Stadt ohne jegliche Beziehung zu diesem Sport. Weitere Option ist eine Etappenankunft der „Vuelta de España“, der drittbekanntesten Radrundfahrt der Welt. Für 2019 oder 2020 ist vorgesehen, dass Bilbao die Startetappe der Tour de France einkauft, ein mittlerweile üblicher Deal, den sich jedes Jahr andere Städte (Berlin, London) Millionen kosten lassen. Bürgermeister Aburto hat diesen Plan bereits im Sommer angekündigt.

best06Es scheint, wenn der Leumund erst einmal stimmt, fallen die Events wie reife Früchte in den Schoß einer Stadt, die immer mehr Weltruf genießt. Oder erkauft. Denn solch wertvolle Titel werden nicht kostenlos abgegeben. Danach füllen sich Hotels, die Modeläden in der Innenstadt machen große Umsätze, die Gastronomie brummt. Nur bei den Arbeitenden bleibt wenig hängen, aufgrund der in jeder Hinsicht prekären Verhältnisse verdienen sie kaum genug zum Leben. Eine Art Dritte-Welt-Verhältnis. Wohl verstandene Nachhaltigkeit müsste heißen, dass die im Tourismus Arbeitenden so viel verdienen, dass sie sich einen Gegenbesuch im Land der Bilbao-Touristen leisten können – derzeit völlig unrealistisch. Die großen Gewinne gehen ins Ausland, dahin, wo die Hotelketten und Modezentralen ihren Sitz haben. Allein die Gastronomie hinterlässt Einnahmen im Land.

Auf Sand gebaut

Massentourismus ist eine Monokultur ohne Perspektive und reale Basis. Sobald sich der Geschmack der Reisenden ändert, oder sich ein anderer Renner besser platziert, gehen die Zahlen zurück und alle verzweifeln. Dies geschah ansatzweise bereits während der sogenannten Wirtschaftskrise in den Jahren 2007 bis 2015. Der innerstaatliche Tourismus brach ein, die Lage wurde alleine durch zahlungskräftigen ausländischen Tourismus stabilisiert. Brüssel oder Paris haben nach den fatalen Anschlägen massive Einbußen hingenommen, die sich woanders in Besuchsrekorden niederschlagen. Zum Beispiel in Bilbao.

In Anbetracht dieser Ungewissheiten läuft das Tourismus-Geschäft nach dem Motto: „in kürzester Zeit verkaufen, was das Zeug hält“. Nach diesem Kriterium verfährt die Stadt Bilbao seit 20 Jahren. Verkauft werden Lebens- und Arbeitsqualität der Bewohner*innen. Verkauft werden soziale Orte, wo gestern noch Kinder gespielt haben und morgen Restaurants ihre Tischdecken ausbreiten. Verkauft werden Plätze, wo früher alternative Märkte stattfanden, die wegen der ausschweifenden Gastronomie keinen Platz mehr haben. Verkauft werden Zimmer und Wohnungen, die Einheimischen nicht mehr zur Verfügung stehen und zur Verteuerung der übrigen Immobilien-Landschaft führen.

The Academy of Urbanism hat der armen Hälfte der Bevölkerung Bilbaos mit der Preisverleihung einen Bärendienst erwiesen. Im besten Fall führt dies dazu, dass sich immer mehr Betroffene der Situation bewusst werden und sich zu wehren beginnen.

ANMERKUNGEN:

(1) Zitate aus „The Urbanism Awards“, Tageszeitung Deia, 9.11.2017 (Link)

(2) Academy of Urbanism, London, GB (Link)

ABBILDUNGEN:

(*) Fotos aus sozialen Medien

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2017-11-10)

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