Pandemie wird auf Dauer gestellt
Einmal Corona immer Corona. Solange es keinen Impfstoff gibt oder nicht 70% der Bevölkerung immun ist, wird der Coronavirus eine Bedrohung bleiben. Wir müssen damit leben wie mit einer Wohnungskündigung, einem Schnupfen oder der Arbeitslosigkeit. Das ist es, was uns in der “neuen Normalität“ bevorsteht. Dass das Ende der akuten Covid-Phase im Baskenland zusammenfällt mit einem ersten Wiederaufflammen der Pandemie ist ärgerlich, aber nicht überraschend. Wieder stehen die Krankenhäuser im Zwielicht.
Das Baskenland steht eine Woche vor dem Ende des Coronavirus-Alarmzustands. Neue Ansteckungsfälle warnen davor, allzu schnell von einer “neuen Normalität“ auszugehen. Coronavirus droht weiterhin überall, wo die Vorsicht zu oberflächlich, die Entspannung zu schnell wird. Die “neue Normalität“ ist kein Geschenk irgendeiner Regierung, sondern muss erarbeitet und erkämpft werden.
(2020-06-14)
92. Tag Alarm – 16. Woche C19
VOM ENDE UND VOM ANFANG
Das Baskenland steht eine Woche vor dem Ende des Alarmzustands, eine Woche vor der Wiederöffnung der regionalen Grenzen, eine Woche vor der Wiedererlangung der Freizügigkeit, eine Woche sogar vor der Wiedereröffnung der Staatsgrenzen, was im aktuellen Jargon “Neue Normalität“ genannt wird. Wenn “Normalität“ je nach Sicht der Dinge schon bedrohlich wirken kann, dann umso mehr mit dem Attribut “neu“. Neu bedeutet: wir wissen noch nicht wie es sein wird, aber es führt kein Weg zurück zum Alten.
Nicht, dass wir das Alte heiß und innig geliebt hätten! Im Gegenteil, wir haben es bekämpft, wo es im Gewand von Ungleichheit, Diskriminierung und Würdelosigkeit daherkam. Die neue Version könnte besser werden, wenn aus Fehlern gelernt wird und die öffentliche Gesundheits-Versorgung gegenüber der privaten wieder in den Vordergrund rückt. Um ein Beispiel zu nennen. Die “neue Normalität“ könnte aber auch schlechter ausfallen, schlechter als vorher, schlechter denn je. Wenn bereits die Krise von 2008 eine Verschlechterung der Existenzbedingungen auf allen Ebenen gebracht hat, kann nun mit Schlimmerem gerechnet werden.
An (fast) allen Ecken und Enden haben die Staaten durch Lockdowns bedingte soziale Folgen finanziell auszugleichen versucht. Das bedeutet ein riesiges Haushaltsloch: weniger produktive Aktivität führte zu weniger Steuereinnahmen, mehr Ausgleichszahlungen gegen soziale Notlagen waren notwendig. Dieses Defizit muss ausgeglichen werden. Wie – das ist die Gretchen-Frage. Die Strategien sind unterschiedlich. Deutschland scheint stabil genug, den Kraftakt zu meistern und sogar andere Länder zu unterstützen. Portugal versucht es mit einem soften Solidaritäts-Zuschlag für Banken, die vor zehn Jahren mit Staatsgeldern “gerettet“ wurden und seither gute Geschäfte gemacht haben. Im spanischen Staat haben die “geretteten“ Banken von den investierten Milliarden bisher keinen Cent zurückgezahlt. Es ist zu befürchten, dass es dabei bleiben und die Zahlung der Pandemie-Krise nach unten weitergereicht werden soll. Gefragt sind die Gewerkschaften, die Straße und der Widerstand von allen.
RÜCKSCHLÄGE
Es hätte alles so schön sein können! Euskadi steigt in der Phasen-Leiter der Covid-Lockerungs-Maßnahmen unaufhaltsam. Nur noch eine Woche bis zum Ende des Alarms und die mündigen Bürgerinnen hätten (fast) alle Freiheiten wieder. Ein plötzliches Rückfall-Gewitter hat viele erschreckt und den Expertinnen Recht gegeben, die vor Leichtsinn bei der Lockerung gewarnt hatten. Die Pandemie flammt wieder auf. An mehreren Orten gleichzeitig. Vor allem in Krankenhäusern. Patientinnen und Pflegekräfte gleich betroffen. Basurto, Txagorritxu, Cruces, Arrasate, eine Geburtenstation musste geschlossen werden, Dutzende neue Fälle von Covid-Ansteckungen, wieder Todesfälle. Ausgerechnet in den Bunkern der Covid-Sicherheit! Die Gesundheits-Senatorin musste “eine Umkehr der Tendenz“ eingestehen. Was ein Pech! So kurz vor der neuen Normalität, es hätte so schön sein können!
War es aber nicht. Die Nachbar-Regionen haben angesichts der beunruhigenden Nachrichten aus dem Baskenland sofort reagiert und halten ihre Grenzen weiter geschlossen. Dieses Recht ist an die Regional-Regierungen zurückgegangen, weil ausgerechnet die baskische PNV es erstritten hat. Nun scheinen alle die Hausaufgaben gemacht zu haben – außer den Basken! Also weiter keine Reisen nach Kantabrien, La Rioja und Navarra (wo so viele aus Bilbao eine Zweitwohnung haben). Nicht nur in die Krankenhäuser ist der Coronavirus zurückgekehrt. In Güeñes (Bizkaia) wurde einer positiv getestet, nachdem er in einem Partylokal mit dreißig anderen gefeiert hatte; in Eibar wurde ein junger Mann, der gleich in zwei Kneipen arbeitet, ebenfalls positiv getestet; an einer Jesuitenschule wurden Symptome festgestellt, falscher Alarm. Überall gehen die Warnlichter wieder an, die Kontaktpersonen sind beunruhigt. Was bisher noch niemand gefragt hat: Müssen die für den 12. Juli vorgesehenen und von der baskischen Rechten so ersehnten baskischen Regionalwahlen womöglich erneut verlegt werden?!
NEUER TOURISMUS
In einem Land, bei dem 12% des Brutto-Inlands-Produkts auf Tourismus zurückgehen, sitzen die Reiseveranstalter überall in den Startlöchern. Gestern hieß es aus der Zentralregierung, die Grenzen blieben geschlossen bis zum 1. Juli. Heute wurde der Termin um 10 Tage vorverlegt. Der Druck der Unternehmen ist enorm und überwiegt die Gesundheitsrisiken. Ausgerechnet für deutsche Touristen Richtung Balearen wurden die Grenzen vorzeitig geöffnet, ab sofort wurde ein “Einreise-Korridor“ mit 47 Flügen freigeschaltet. Ballermann machts möglich. Tourismus und Fußball, Fußball und Tourismus. Spiel mit dem Feuer. MFG – Olatz.
(2020-06-15)
93. Tag Alarm – 16. Woche C19
FUSSBALL WIE BEERDIGUNG
Der Ball rollt wieder und keiner geht hin. Dass die beste, erfolgreichste und geldstrotzendste Liga der Welt einen neuen Anfang genommen hat, ist nur wenigen aufgefallen. Wo keine lärmenden, fluchenden und beleidigenden Fans anwesend sind (sein dürfen), ist Fußball wie Sex ohne Höhepunkt (sagen die Männer). Bei der Fernsehübertragung musst du ganz genau hinschauen, um sicher zu sein, dass es sich nicht um eine Beerdigung handelt. Erst eine Kranzniederlegung auf der Tribüne, dann die Schweigeminute im Mittelkreis, Spieler, die sich beim Betreten des Grünen bekreuzigen – ein Pfaffe könnte den melancholischen Akt kaum besser inszenieren. Auf die Zuschauertribünen wird zur optischen Täuschung und zur Vermeidung der Peinlichkeit ein fiktives Publikum projiziert, ich meine sogar, ein über Lautsprecher eingespieltes künstliches Raunen von den Sitzen gehört zu haben. Fußball aus der Konserve. Aus der Tiefkühltruhe.
Wer es bisher noch nicht hinter sich brachte, hat jetzt die ideale Möglichkeit, sich den ganzen Kram ein für alle Mal abzugewöhnen. Denn mehr als je zuvor wird klar, dass diese Rennerei nicht für die Zuschauerinnen praktiziert wird, wie immer behauptet, sondern allein für den Mammon, die Kohle, die Millionen-Gehälter, die Fernsehgelder, den Weltruhm. Und zudem, weil es eine Droge ist, die körperlich wenig Spuren hinterlässt, mental aber zur Gehirnwäsche führt. Gestern waren drei baskische Teams dran, keines hat gewonnen, warum auch: “Ohne Zuschauer hat uns der letzte Kick gefehlt“. Aha, so ist das also. Hört, hört. Dann lasst es doch bitte und überlasst die Bühne echten Schauspielerinnen, denen es derzeit weit schlechter geht, weil ihre Tribünen noch geschlossen sind und sie auch sonst nur Bruchteile dessen verdienen, was den Kickern nachgeworfen wird. Wenn irgendwer oder irgendwas den Fußball klein kriegen kann, dann das Coronavirus. Olatz
(2020-06-16)
94. Tag Alarm – 16. Woche C19
BÖSE ÜBERRASCHUNG
Anti-spanische Strategie kann es nicht gewesen sein, dass der US-amerikanische Geheimdienst ausgerechnet in Covid-Zeiten und pünktlich zur baskischen Regionalwahl sensible Dokumente für die Öffentlichkeit freigegeben hat. Überraschende Informationen zum spanisch-baskischen Konflikt. Und doch nicht überraschend. Der CIA berichtet, dass hinter den Todesschwadronen der 1990er Jahre der sozialdemokratische Regierungschef Felipe Gonzalez stand. Ein sich “sozialistisch“ nennender “Demokrat“ gab seine Zustimmung zur mörderischen Jagd auf baskische Aktivisten, von ETA oder nicht, die sich im französischen Baskenland im Exil befanden. Ultrarechte Polizisten, Guardia Civiles, Militärs und bezahlte Legionäre wurden auf die Exilanten angesetzt, bezahlt aus der Staatskasse, Dutzende von Basken wurden umgebracht.
Politisch betrachtet ist die Nachricht ein Hammer. Eine demokratische Regierung kann sich derartiges nicht leisten. Eigentlich. Und wenn, dann fällt es schwer, sie noch demokratisch zu nennen. Zustände wie in der Türkei, in Kolumbien oder in irgendeiner anderen halb-faschistischen Bananenrepublik. Nur in diesem Fall mitten in Europa. Obwohl von den Todesschwadronen – GAL, BVE und andere – ausschließlich Basken betroffen waren, ist die Nachricht ausgerechnet in Euskal Herria keine große Überraschung. Denn alle wussten, wer bei den Schwadronen der entscheidende Mister X war. Anfangs durfte es ohne die Gefahr einer Anzeige nicht ausgesprochen werden. Zuletzt pfiffen es die Spatzen von den Dächern. Und Terrorchef Gonzalez selbst kokettierte gerne damit.
Interessant ist, wer und wie berichtet. Die baskische Presse nahm das Thema auf, die spanische nicht (Ausnahme: die linke Online-Zeitung Publico). Bei Themen wie Korruption, Republik, Folter und Staatsterror halten es Medien und Gesellschaft im Staate S. wie die legendären drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts kommentieren. Da sind sich Sozialdemokraten, Postfranquisten und Neofaschisten plötzlich einig. Und Regierungs-Podemos steht hilflos daneben. Für einen Tag hat der urspanische Charakter das Coronavirus von Schlagzeile Nummer eins verdrängt. Zumindest im Baskenland.
Schließlich sah sich die Gonzalez-Partei mit dem irreführenden Namen “Sozialistische Arbeiter-Partei“ in Madrid doch noch zu einer Stellungnahme veranlasst: Was vorbei ist, ist vorbei. Die Sache wurde vor Gericht aufgearbeitet. Und außerdem hat Felipe den Staat modernisiert und das Land in die Europäische Gemeinschaft gebracht. Und Hitler hat die Autobahnen bauen lassen und den Volkswagen auf den Weg gebracht. Wieder mal am Tiefpunkt angelangt, und Franco lacht aus dem Himmel von Wolke 88 herunter. Einfach eklig – Olatz
(2020-06-17)
95. Tag Alarm – 16. Woche C19
SCHLECHTE ZEITEN
In der Presse ist zu lesen, dass wir uns mitten in der schlimmsten Rezession des Jahrhunderts befinden. Und dass die Milliarden und Billionen, über die unter den europäischen Regierungschefs verdealt werden, auch nicht viel helfen. Die Wirtschaftsleistungen der Industrie-Staaten sind deutlich eingebrochen und werden dies weiter tun. Es fehlt an allem: an Gesundheits-Systemen, an Produktion, an Arbeit, an Verkauf, an Tourismus und vor allem an gemeinsamen Strategien der Staaten.
Die OECD spricht vom "größten Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise" und rechnet vor, wie das Brutto-Inlands-Produkt weltweit und in einzelnen Staaten leiden werde. Umso mehr, sollte es zu einer zweiten Pandemie-Welle kommen, einen Rückfall bis März. Die Rede ist von der "schwersten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg" oder auch von der "schlimmsten Rezession in den letzten 100 Jahren außerhalb von Kriegszeiten". - “Wenn es zu einer zweiten Infektionswelle kommt, wird das BIP im Euroraum in diesem Jahr voraussichtlich um mehr als 11,5 Prozent schrumpfen. Kann eine zweite Welle vermieden werden, wird es voraussichtlich um mehr als neun Prozent schrumpfen.“
8,5 Millionen gezählte Fälle hat die Coronavirus-Pandemie bisher provoziert, gemäß den Angaben der jeweiligen Regierungen, die jedoch viele Fälle nicht testen oder diagnostizieren (können oder wollen). Dieselben Quellen sprechen von 450.000 gezählten Toten, die in Wirklichkeit doppelt oder drei Mal so viele sein dürften, da sind sich alle Expertinnen einig. Allein in den USA mit seinem katastrophalen Gesundheits-System sind es offiziell schon 115.000 Tote, bis September sollen es 200.000 sein. “Die Pandemie wird im September aber nicht vorbei sein", wird der Leiter des Harvard Global Health Instituts zitiert.
(2020-06-18)
96. Tag Alarm – 16. Woche C19
BEGEGNUNGEN
An den letzten Tag vor dem Einschluss erinnere ich mich sehr gut. Der letzte gemeinsame Kneipengang, wohl wissend, dass es der letzte sein würde. Die Änderung des Charakters von Begegnungen war imminent: für die einen wie immer, andere nahmen die sich abzeichnende neue Wirklichkeit distanziert bereits vorweg. Danach das große Loch mit Alibi-Ausgängen und Ausnahme-Zustand. Bei so wenig Menschen auf der Straße war die Betrachtung der Einzelnen einfacher. Die Mehrheit hatte die Augen auf die Straße gerichtet, als könnten schon Blicke ansteckend sein. Andere schauten – wie ich – geradeaus auf alle und alles, was entgegenkam. Nie wurde ich von so vielen unbekannten Personen auf der Straße gegrüßt! Und zurück. Als sollte es eine kleine Aufmunterung in schlechten Zeiten sein. Anonymous. Je mehr Alibis zugelassen wurden, desto bitterer und grimmiger die Blicke. Ein Gang ohne Mundschutz – verwerflich. Die geschundenen Alten taten sich hervor. Misstrauische Wegwerfblicke, vielleicht mit Neid gepaart. Es gab keine Masken zu kaufen, woher sollte ich eine nehmen.
Die “neue Normalität“ hat tausend Gesichter: auf der Arbeit, im kulturellen Leben, in der Kneipe und bei der persönlichen Begegnung. Über Jahre hin hatte sich zu jeder bekannten Person eine bestimmte Art der Begegnung eingespielt, ein individueller Konsens der Formen – Handreichung, Schulterklopfen, Umarmung, Küsse – ein Begegnungs-Protokoll. Natürlich, angemessen, selbstverständlich. Der Covid hat diese ungeschriebenen Protokolle zerstört. Bei Null fangen wir wieder an.
Zudem haben sich die Behörden in unsere Zwischenmenschlichkeit eingemischt. Sie verordnen – vielleicht nicht unvernünftig – Distanz. Zwei Meter, ein Meter fünfzig … und zwingen zum Tragen von Mundschutz, Masken, Vermummung, Entstellung. Noch nie war der arabische Hidschab derart mehrheitlich. Vermummungsverbot, zeig dein Gesicht – bedecke dich, ich will dich nicht sehen. Eine Distanz, die Kollateralschäden mit sich bringt: wer küsst schon gerne mit Mundschutz! Auf unbestimmte Zeit – vielleicht, bis wir es gar nicht mehr merken, weil wir es zu sehr verinnerlicht haben.
Neue Normalität! Es soll Institutionen geben, die beim Sex Mundschutz empfehlen. Neben dem gummierten Zeugungsschutz also noch den oralen Ansteckungsschutz. Die nächste Stufe wäre Neopren, Ganzkörper wie die Surferinnen, mit entsprechenden Öffnungen an den angemessenen Stellen. Der Staat liegt mit im Bett. Zur Kontrolle von Zuwiderhandlungen müssten in Schlafzimmern und über Sofas Orwell‘sche Kameras installiert werden. Irgendein findiger und der Regierung nahestehender Unternehmer wird dabei zum Millionär.
Begegnungen Post-Corona. Aus dem Protokoll ist schiere Unsicherheit geworden. Man sieht sich, man nähert sich, ich weiß nicht, wie du es nun hältst, du weißt nicht, wie meine neuen Gewohnheiten sind – bei den Begegnungsformen. Ich halte Abstand, weil ich nicht weiß, ob ich dir zu schnell zu nahe treten könnte. Du hältst Abstand, weil du nicht weißt, wie ich mich in den vergangenen drei Monaten verändert habe. Was ist dein geforderter Sicherheits-Abstand – was ist mein Berührungs-Maximum? Vorsichtig treten wir in Verhandlungen über ein neues Protokoll. Selbstverständlich zwei Meter Distanz einhaltend und mit Masken vor dem Mund. Fürs erste. Und auf unbestimmte Zeit. Das Coronavirus steht überall zwischen uns. Oder ist es vielleicht der Staat?
(2020-06-19)
97. Tag Alarm – 16. Woche C19
FUSSBALL UND TOURISMUS
Oder beides. Weil beides so wichtig ist, für die Kasse und für die Seele. In Germany, Spain und Italy dürfen die Profis trotz Coronavirus wieder kicken, bezeichnenderweise nur die Männer, die Frauen-Ligen wurden für beendet erklärt. Da hört die Wichtigkeit schnell wieder auf. Für die Europa-Ligen haben sich die Götter der Fußballwelt neue Konzepte einfallen lassen, die weniger Reisen erfordern – Zuschauerinnen wird es sowieso nicht mehr geben. Vorläufig. Die Endrunden von Champions- und Europa-League werden in Turnierform ausgespielt und zwar an einem Ort. Und siehe da: Bilbao und San Sebastián dürfen sich ein Stück vom Kuchen abschneiden. Denn hier soll die Champions League der Frauen stattfinden. Ende August kämpfen die Serien-Meisterinnen vom VfL Wolfsburg und des FC Bayern um den Titel. Die Königsklasse der Frauen findet somit nach der Corona-Pause eine Fortsetzung für die noch acht verbliebenen Teams. Ursprünglich hätte das Finale am 24. Mai in Wien stattfinden sollen. Im Baskenland stehen nun für die Fußballerinnen zunächst die Viertelfinalspiele an. Wolfsburg misst sich mit Glasgow City, der FC Bayern hat es mit Seriensieger und Titelverteidiger Lyon zu tun. Ab 21. August geht in den Stadien San Mames (Bilbo) und Anoeta (Donostia) über die Bühne. Die beiden Halbfinale steigen am 25. und 26. August, vier Tage später das Finale in San Sebastian. Stell dir vor es ist Fußball und niemand geht hin.
(2020-06-20)
98. Tag Alarm – 16. Woche C19
NORMALITÄT MIT NAMEN
Die Ministerpräsidenten der Regionen Kantabrien (Santander) und Baskenland inszenierten heute auf besonders originelle Art die Neuöffnung ihrer Grenzen, man könnte sagen nach koreanischem Modell: Wir treffen uns an der Grenze, sagen ein paar schlaue Worte und geben uns maskiert den pandemischen Ellbogen-Gruß. Nun können die baskischen Zweitwohnungs-Besitzerinnen endlich wieder in ihre beliebte Ferienkolonie fahren. Umgekehrt kommen keine Kantabrierinnen auf die Idee, ihre Frei- oder Urlaubszeit im teuren Baskenland zu verbringen. Kantabrien war schon immer die Costa Brava der Baskinnen – der dortigen Gastronomie ist es zu gönnen nach so viel Auszeit. Währenddessen schaut man in Madrid neidisch in den Norden. Denn an solch “normale Zustände“ kann dort noch nicht gedacht werden. Erstens dauert der Alarmzustand noch bis Sonntag, die Grenzöffnung gilt nur für wenige. Von Donosti nach Pamplona führt zum Beispiel noch kein Weg. Erst am Montag, nach Aufhebung des Alarms. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass einige innerspanische Regional-Grenzen noch geschlossen sind und gleichzeitig deutsche Touristinnen schon seit Tagen wieder nach Mallorca reisen dürfen. Was allein Tourismus und Kapital-Interessen erreichen können bleibt weiterhin Thema Nummer eins im Staate.
NORMALITÄT MIT NAMEN VOX
Je “normaler“ die Post-Corona-Verhältnisse auf uns zukommen, desto normaler werden auch die Auftritte von Faschisten. Wieder. Nirgendwo haben sie mehr Mühe, in die Parlamente zu kommen, als hier im Baskenland. Obwohl ihr Führer ausgerechnet ein Baske aus Amurrio ist. Zu tief steckt im Baskenland die Erfahrung mit dem Franquismus-Faschismus in den Seelen und Biografien. Bis weit in christdemokratische Kreise. Was den Neo-Faschisten von Vox auf ihrem schwersten Terrain am Besten gelingt ist Provokation. Weil jede ultrarechte Kriegserklärung auf heftige Reaktionen in der Bevölkerung stößt.
Warum kommt die neue Faschisten-Partei Vox nach Bilbao, warum ausgerechnet nach San Francisco, in den Stadtteil mit den mit Abstand meisten Migrantinnen der Stadt? Darauf gibt es verschiedene Antworten. Die einfachste: weil es sich um Ausländerfeinde handelt, die gerne dahin gehen, wo es am meisten schmerzt. Zweitens: weil die Polizei – die baskische – in Coronavirus-Zeiten nirgendwo besser demonstriert hat, wie xenophobe Polizeipraxis aussehen kann. Rassismus wie in den USA. Drittens: eine Kundgebung in der Höhle des Löwen ist auch ein Dankeschön für die treuesten Wähler. Denn es ist kein Geheimnis, dass der Anteil der Fascho-Wähler in Polizeikreisen um ein Vielfaches höher liegt als in der Normal-Bevölkerung. Das müssen eines Tages auch die Verantwortlichen in der rechtsliberalen baskischen Regierung zur Kenntnis nehmen.
Heute gab es noch einen vierten Grund zur Empörung. Der 19. Juni ist für geschichtsbewusste Bürgerinnen Bilbaos ein trauriger Erinnerungstag. Am 19. Juni 1937 – vor 83 Jahren – marschierten die Faschisten-Franquisten in der Stadt ein und errichteten ein Terror-Regime, das zumindest bis 1975 dauerte. Sehr wahrscheinlich sogar länger – manche sagen: bis heute. Denn die Diktatoren wurden nie aus ihren Sesseln, Kasernen, Gerichtsstuben und Posten verjagt. Eine provokante Kundgebung ohne jegliches Publikum mit einem riesigen Polizeiaufgebot ausgerechnet auf diesen geschichts- und für viele schicksalsträchtigen Tag zu legen, ist kein Zufall. Es ist eben das: eine Mischung aus Kriegserklärung und Putsch-Ankündigung, das Versprechen, die erstbeste Gelegenheit wahrzunehmen, die alten Verhältnisse vor 1975 wieder herzustellen. Soll jemand sagen, der Franquismus sei vorbei. Der spanische Neo-Faschismus hat einen Namen.
Zum Abschied eine Erinnerung an Erich Fried: “Ein Faschist / der nichts ist / als ein Faschist / ist ein Faschist. Aber ein Antifaschist / der nichts ist / als ein Antifaschist / ist kein Antifaschist.“ Also: nicht nur antifaschistische Grüße aus dem Baskenland – Olatz.
(2020-06-21)
99. Tag Alarm – 16. Woche C19
NOCH EINE PANDEMIE
Das Baskenland hat sich bereits vor zwei Tagen vom Alarmzustand verabschiedet. Ab morgen Montag ist der Rest des Staates dran. Jetzt können alle wieder fahren wie die Weltmeister, Strände übervölkern, in Diskotheken illegale Partys feiern und so tun, als hätte es die Pandemie nie gegeben. Schlaglichtartig werden wir dennoch an die lauernde Gefahr erinnert. Die katastrophale Situation in deutschen Schlachthöfen mit Massenansteckung, eine illegale Party in der portugiesischen Algarve mit 90 Virus-Fällen, der nicht enden wollende Ansteckungsherd in einem Krankenhaus in Bilbao …
Vor zwei Tagen war an dieser Stelle von der Xenophobia-Pandemie die Rede, die auch im bilbainischen Stadtteil San Francisco schmutzige Spuren hinterlassen hat. Dazu passt die folgende Nachricht aus einem spanischen Gefängnis-Krankenhaus. Beatriz Etxeberria ist eine baskische politische Gefangene, die 500 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt eingesperrt ist. Im selben Gefängnis, im Männertrakt, ist Iñigo Zapirain eingeschlossen, Beatriz‘ Lebenspartner und ebenfalls politischer Gefangener. Die beiden haben eine Tochter, die im Gefängnis geboren wurde. Das spanische Gefängnis-System sieht vor, dass Kinder bis zu drei Jahren bei ihren eingesperrten Müttern bleiben können.
Vergangene Woche wurden Beatriz und ihre Tochter für Routine-Untersuchungen in ein Kinder-Krankenhaus nach Madrid gebracht. Die erste Untersuchung war erledigt, Mutter und Tochter warteten auf die zweite. Schwer bewacht versteht sich. Irgendwann näherte sich einer der Bewacher, ein Guardia-Civil-Polizist, legte drohend die Hand auf seine Pistole und sagte: “Ich habe enorme Lust, dir und deiner Tochter eine Kugel zu verpassen“. Beatriz brach daraufhin die Untersuchungsvisite ab, über Angehörige und eine Gefangenen-Organisation wurde der Vorfall in der baskischen Öffentlichkeit bekannt.
Unnötig, die Episode weiter zu kommentieren, sie spricht für sich. Anzufügen ist, dass Beatriz nach ihrer Verhaftung im März 2011 von der Guardia Civil gefoltert und vergewaltigt wurde. Ihre diesbezügliche Anzeige ging in den Papierkorb, der Fall kam vor das Europäische Gericht für Menschenrechte. Dort wurde entschieden, dass die spanische Justiz Menschenrechte verletzt habe, indem der Anzeige nicht ernsthaft nachgegangen wurde. Beatriz Etxeberria wurde eine “Entschädigung“ von 30.000 Euro aus der Staatskasse zugestanden. Die Folgen der Folter verheilen dadurch nicht. Systematische Folter und institutioneller Rassismus sind Markenzeichen dieses spanischen Staates, die Polizeieinheiten agieren völlig unkontrolliert. Zur Erinnerung: in der Polizei werden die Neo-Faschisten von Vox gewählt, aus reinem Selbstverständnis. Nicht alle Pandemien tragen den Namen Coronavirus. – Olatz
(2020-06-22)
1. Tag Post-Alarm – 16. Woche C19
WAS KOMMT NACH DEM ALARM?
Es kam wie es kommen musste. Kaum waren die Grenzen wieder offen, bildeten sich Staus auf Autobahnen Richtung Kantabrien und französische Warteschlangen vor baskischen Tabakläden an der Grenze bei Irun. Weiter werden Nachrichten über das Chaos bei der Pandemie-Verwaltung verbreitet. Zum Beispiel, dass die Zentralregierung bis zum bitteren Ende zuschaute, wie die Rechts-Regierung in der Hauptstadt-Region Madrid tausende alte Menschen in Altersheimen sterben ließ. Ein schwerwiegender Vorwurf, der jedoch durch vorliegende Protokolle belegt ist: den Alten, die zu krank erschienen, wurde die Einlieferung in Krankenhäuser verweigert. Nur wer eine Privatversicherung hatte, bekam noch medizinische Behandlung im Hospital. Fast ein Fünftel aller Bewohner von Altersheimen starb in der Region, genau 7.690 von 42.523 Bewohnerinnen. Zustände wie in Vernichtungslagern, wir haben es wiederholt festgestellt. Euthanasie wie im Faschismus.
GRENZGÄNGERINNEN
Menschen, die normalerweise täglich über die Staatsgrenze zwischen Iparralde und Gipuzkoa und Navarra pendeln waren besonders hart betroffen. Denn die Grenzen waren zu, obwohl die Infektionszahlen beidseits der Grenzen in Gipuzkoa und Lapurdi stets sehr niedrig waren. Hier wurden Stadtteile voneinander abgeschnitten, manche konnten ihre Familie monatelang nicht sehen. Wo bisher der Grenzübertritt verboten war ist nun die unbegrenzte Freizügigkeit zurückgekehrt. Die Eile bei der Öffnung macht den bislang Eingesperrten dennoch Kopfzerbrechen. Denn niemand weiß, ob der Spuk nun wirklich vorbei ist. Viele befürchten, dass mit dem Touristen-Ansturm das Virus nun erst recht aus anderen Regionen eingeschleppt wird, dass es zu einem Aufflammen von Infektionen kommt und dass es spätestens im Herbst zu einem neuen Lockdown und zu wiederholten Grenz-Schließungen kommen könnte.
WIRTSCHAFTSINTERESSEN
Dass hinter der Öffnungseile wirtschaftliche Interessen stehen ist glasklar. Die Regierung in Madrid will die Tourismus-Saison halbwegs retten, im Sommer steht bekanntlich besonders viel auf dem Spiel. Alle bringen sich in Stellung, um ihre Geschäfte – oder Profite – sicherzustellen. Allen voran die Arbeitgeber. Sie empfehlen der Regierung, die neoliberale Arbeits-Reform besser nicht abzuschaffen, die Wirtschaft müsse flexibel bleiben. Flexibel heißt, Prekarität für alle, hire and fire, Sicherung der Milliardenprofite. Die gefährdeten Kleinunternehmer sind dabei nicht vertreten. Demgegenüber kommt das in Madrid beschlossene “garantierte Mindesteinkommen auf Lebenszeit“ wegen bürokratischer Hürden nicht in Gang. Es kann über Internet beantragt werden, die Formalitäten sind jedoch so kompliziert, dass nun ein Bruchteil der dringend Hilfsbedürftigen den Antrag auf den Weg bringen konnte. Manche haben seit drei Monaten keine Einnahmen mehr, müssen aber weiter Strom und Miete bezahlen. Chaos. Auf dem Rücken der Verdammten dieser Erde.
COVID-ÜBERWACHUNG
Sage und schreibe 1,1 Millionen Bußgelder wurden in der Alarmzeit verteilt wegen Übertretens der Sicherheits-Vorschriften. 10.000 Personen wurden bei schwereren Verstößen festgenommen. In den 99 Tagen Lockdown wurden allein im Baskenland 142.000 Personen kontrolliert, 196.000 Fahrzeuge angehalten und 464 Übeltäter dingfest gemacht. Stadtpolizei und Ertzaintza verteilten zusammen über 20.000 Bußgelder. Mit dem Ende des Alarm-Zustands fallen viele Einschränkungen weg, also weniger Gründe für Bußgelder. Außerdem ist Vorwahlzeit, da schickt keine Regierung gerne die Polizei. Folge dieses Laissez-Faire sind Massen-Versammlungen, Massen-Partys, Massen-Strände, die meisten Beteiligten ohne Mundschutz, Mindestabstand ist schon zum Fremdwort geworden. Keine ordnende Hand, die pädagogisch argumentiert und letztendlich alle vor einem Rückfall schützt. Wie schnell es gehen kann ohne Vorsichts-Maßnahmen, zeigen die unhygienisch-unmenschlichen Bedingungen in einem deutschen Schlachthof, wo es zu fast 1.000 Ansteckungen kam. In Paris wurde ein Musikfestival veranstaltet mit Szenen wie aus Woodstock. Ein letztes Agur, passt gut auf euch auf – Olatz
DÉJÀ VU CAMUS (10)
Gegen Ende der Pestepidemie herrscht für Doktor Rieux eine “endgültige Niederlage, die noch aus dem Frieden ein unheilbares Leiden macht. Er glaubte zu wissen, dass für ihn selbst ein Friede niemals mehr möglich sein werde, so wie es für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, oder für den Mann, der seinen Freund begräbt, keinen Waffenstillstand gibt.“ Um spätere Generationen vor dem Schlaf des Vergessens zu bewahren, hat Rieux Aufzeichnungen gemacht. Er weiß, “dass der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet und dass vielleicht der Tag kommen wird, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und erneut aussenden wird, damit sie in einer glücklichen Stadt sterben“.
AGUR UND NICHT AUF WIEDERSEHEN
Diese Zeilen stellen den letzten Beitrag in der Berichterstattung von Baskultur.info über die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie im Baskenland dar. Zu hoffen ist, dass es zu keinem Wiedersehen kommt, dass kein Rückfall die Wideraufnahme dieser Art der Berichterstattung notwendig macht. Besonderer Dank an Olatz, die uns mit ihrer spitzen “Feder-Tastatur“ so lange Wochen begleitet, informiert, provoziert und unterhalten hat!
Ab sofort gehen wir von täglichen Beiträgen in der Kategorie Nachrichten zu weniger regelmäßigen Texten in unserer Kolumne über, die (mit einer Covid-Unterbrechung) seit vier Monaten brach liegt. Dabei war Anfang März eine neue Kolumne thematisch bereits geplant, als die Pandemie über uns hereinbrach. Es sollte um Fußball gehen, besser gesagt: um die verheerenden Auswirkungen der Europameisterschaft mit Bilbao als Spielort. Dieses Übel hat uns das Covid erspart. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Wenn nicht der Himmel den Galliern auf den Kopf fällt, bricht im kommenden Sommer die Fußball-Epidemie über Bilbao zusammen. AGUR und nicht AUF WIEDERSEHEN!
(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-06-14)