Völlige Entwaffnung steht unmittelbar bevor
Ein halbes Jahrhundert nach der Anschaffung des ersten Arsenals und fünf Jahre nach dem definitiven Gewaltverzicht von Aiete ist die baskische Untergrund-Organisation ETA im Begriff, ihren Entwaffnungs-Prozess zu vollenden. Ein Prozess, der von den beiden beteiligten Staaten behindert wurde, wie nur möglich. Dass die Entwaffnung dennoch auf ihr Ende zugeht, ist der nord-baskischen Zivil-Gesellschaft zu verdanken, die neue Wege beschritten hat. Bis zum 8. April oder vorher wird alles vorbei sein.
ETA wird am 8.April keine Waffen mehr haben – das haben die sogenannten nord-baskischen „Friedens-Handwerker“ angekündigt. In staatlicher Abwesenheit wird die Entwaffnung auf bisher völlig unüblichen Wegen erfolgen.
Seit den 60er Jahren verfügte ETA über große Waffen-Arsenale. Die erste Waffenlieferung kam 1967 aus der Tschechoslowakei. Genau ein halbes Jahrhundert später wird sie sich in eine entwaffnete Organisationen verwandeln. Für diesen historischen Vorgang gibt es sogar noch ein Datum: bis Samstag, 8. April 2017 wird alles über die Bühne gegangen sein. (1) Unklar ist nur noch die Form, wie die Entwaffnung von Statten gehen soll, dazu äußern sich die Friedens-Aktivisten vorsichtshalber nicht – um nicht staatlichen Instanzen zum Eingreifen zu verleiten.
Von einer völlig neuen Form der Entwaffnung nach einem bewaffneten Konflikt berichtete am Freitag Mittag (17.3.) die Pariser Tageszeitung „Le Monde“. Sie berief sich dabei auf eine Presseerklärung der „Handwerker des Friedens“, eine Gruppe von Aktivisten, die im Dezember in Luhuso festgenommen worden waren beim Versuch, in einer improvisierten Werkstatt ETA-Waffen unbrauchbar zu machen (2).
In einem Interview mit der baskischen Tageszeitung Gara (vom Vortag) hatte einer dieser Aktivisten, Txtetx Etcheverry, bereits Andeutungen in Richtung Entwaffnung gemacht, was schnell zu einer Top-Nachricht wurde. Denn Etcheverry hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass die Gruppe das Thema nicht aus den Augen lassen werde und dass der Entwaffnungs-Prozess am Besten noch vor den französischen Präsidentschafts-Wahlen abgeschlossen sein soll.
Dass sogar ein Datum genannt wurde, überraschte umso mehr und verstärkte die Ahnung, dass etwas ganz Besonderes bevor steht. Der Charakter der Nachricht führte zu einem unmittelbaren Doppel-Effekt: mit dem Inhalt der Erklärung wurde deutlich, dass die beiden Staaten außen vor blieben, Frankreich und Spanien spielten im Prozess keine Rolle, außer ihn zu behindern. Zweitens wurden baskische Institutionen einbezogen, das machten die eilig einberufenen Pressekonferenzen der beiden baskischen Ministerpräsident/innen deutlich, Iñigo Urkullu in der Autonomen Gemeinschaft und Uxue Barkos in Navarra.
Nicht weniger überraschend war die Mitteilung, dass in der Endphase des Entwaffnungs-Prozesses, der im Dezember in Luhuso begonnen wurde, Hunderte von Aktivistinnen teilnehmen werden, darunter auch institutionelle Vertreterinnen. Dazu gehört der Bürgermeister von Baiona (frz: Bayonne), der gleichzeitig Präsident des erst vor Wochen neu gegründeten baskischen Gemeindeverbunds ist: Jean-René Etchegaray erklärte in Le Monde persönlich sein Mitwirken.
„Wenn die Staatsregierung dieser Forderung gegenüber weiter stumm und blind bleiben will, bleibt der Zivil-Gesellschaft nichts anderes übrig, als selbst die Initiative zu ergreifen. Dieser Prozess prägt unsere Zukunft, seit Jahrzehnten leben wir mit diesem Konflikt, es ist unerträglich“, so Etchegaray von der rechten Zentrumspartei.
„Wir können nicht länger warten“
Der Bericht von Le Monde rief sofortige Reaktionen hervor. Zitiert wird darin auch der ehemalige Vorsitzende der Menschenrechts-Liga, Michel Tubiana, auch er gehört zu den „Friedens-Handwerkern“, die sich mit ETA in Verbindung setzten. Er wies darauf hin, dass es „vielfältige Kontakte mit französischen Behörden“ gegeben habe, dass die aber offenbar nicht bereit seien, sich irgendwelche Lösungs-Vorschläge anzuhören.
Auch Tubiana nimmt am Wochenende an einem Forum teil, das sich speziell mit der Entwaffnung beschäftigen wird und das durch die neuesten Entwicklungen ein ganz besonderes Interesse hervorgerufen hat. „Wenn die Regierung zuhören will, wunderbar, wenn nicht, steht sie der gesamten zivilen und politischen Gesellschaft des Baskenlandes gegenüber“, sagte der Aktivist.
Tatsächlich bestätigte Etcheverry während der Interviews, die er während des Tages gab, dass der 8. April lediglich der letztmögliche Termin sei. Wenn es von Seiten des Staates Bereitschaft gäbe, könnte sich ETA auch schon vorher entwaffnen. „Wir können nicht länger warten, wir haben beschlossen, selbst die Verantwortung zu übernehmen“, ergänzte Etcheverry am Freitag gegenüber Radio Euskadi. Dabei bezeichnete er den Samstag des 8.April als „Entwaffnungs-Tag“. Die Pariser Tageszeitung überschrieb die Reportage mit der Behauptung, diese Frage bereite „den französischen Behörden einiges Kopfzerbrechen“.
Dass die Frage der Entwaffnung von ETA einen derart negativen Unterton annehmen konnte, zeigt die Kurzsichtigkeit der Staaten. Demgegenüber hat die Zivil-Gesellschaft eine Fähigkeit zur Entblockierung gezeigt, die alle Erwartungen übertrifft. Diese Erwartungen kamen auf, als am 16.Dezember in Luhuso Béatrice Molle-Haran, Michel Berhokoirigoin, Michel Bergouignan, Txetx Etcheverry y Stéphane Etchegaray dabei erwischt wurden, als sie das taten, was die beiden Staaten schon längst hätten tun können: ETAs Waffen entgegen nehmen und vernichten. Alle Beteiligten – bekannte Persönlichkeiten aus dem zivilen und gewerkschaftlichen Leben – wurden festgenommen. (2)
Aus der Korrespondenz zwischen den gesellschaftlichen Aktivisten und Vertreterinnen von ETA geht hervor, dass in jenem Haus in Luhuso (in Nieder-Navarra) 15% des gesamten Arsenals von ETA unbrauchbar gemacht werden sollte. Das heißt, ETA nur dreieinhalb Monate später mit ziviler Hilfe die übrigen 85% des Arsenals unbrauchbar machen wird.
Die Entwaffnungs-Aktion von Luhuso samt Verhaftung und breitem öffentlichen Protest wurde zu einem Wendepunkt. Das Ganze hatte den Nebeneffekt, dass hinsichtlich der Entwaffnung plötzlich eine politische Aktionseinheit entstand, in die sich sogar die französische Rechte einreihte: 700 gewählte Vertreter/innen aller politischen Organisationen (außer der Front National) wandten sich in einem Protest an Paris; und im baskischen Süden brachten u.a. PNV, EH Bildu, Podemos Navarra, Geroa Bai, sowie die Gewerkschaften ELA und LAB eine gemeinsame Erklärung auf den Weg. Dieser Anstoß hat dazu geführt, dass sich die Regierungen in Gasteiz und Pamplona ebenfalls eingemischt haben, was insbesondere dem Permanenten Sozial-Forum zu verdanken ist.
Der Abschluss der Entwaffnung wird dazu dienen, im langen und hindernisreichen Prozess der Konfliktlösung zu einem neuen Panorama zu gelangen: Brennpunkt auf andere Folgen des Konflikts, wie die Frage der Situation der gefangenen unud der Exilierten, die Desmilitarisierung. Obwohl der spanische Innen-Minister , José ignacio Zoido bereits schnell erklärt hat, dass die Regierung nicht daran denke, irgendwelche Änderungen vorzunehmen.
Lehendakaris versprechen Mitarbeit
Sowohl Uxue Barkos (Navarra) wie auch Iñigo Urkullu (CAV) brachten in schnell anberaumten Presseauftritten ihre volle Unterstützung mit dem angekündigten Prozess zum Ausdruck. Beide forderten – an die Regierungen in Paris und Madrid gerichtet – umgehende Einmischung. Als „dritter im Bunde“ trat der Präsident des kürzlich gegründeten nordbaskischen Gemeindeverbunds in Erscheinung, Jean-René Etchegaray hatte die „Friedens-Handwerker“ bereits kurz nach ihrer Freilassung im Dezember am Bahnhof empfangen.
Der erste Auftritt des Lehendakari (Ministerpräsidenten) der Autonomen Gemeinschaft Baskenland verlieh der Publikation von Le Monde zusätzliche Glaubwürdigkeit, in einem Moment, in dem die Nachrichtenflut noch von einer gewissen Unsicherheit geprägt war, ob die Meldung von der Entwaffnung auch echt sei. Der PNV-Politiker machte deutlich, dass er voll im Bilde sei über die Pläne zur Entwaffnung. Iñigo Urkullu trat in Donostia vor die Presse und ergänzte, die Bedingungen seien geeignet, den Prozess zum Ende zu bringen. Er versicherte, dass seine Regierung alles Denkbare unternehmen werde, auch wenn nicht alles in ihrer Hand liege. Die baskische Regierung sei über die Möglichkeiten des Entwaffnungs-Prozesses „direkt informiert“ gewesen, der Prozess müsse „einseitig, endgültig, komplett und legal“ sein.
Die spanische und französische Regierung forderte er gleichzeitig auf, von ihrer negativen Haltung abzugehen und Wege der Kommunikation zu öffnen, sie sollen die historische Gelegenheit erkennen und wahrnehmen, um den Prozess zu einem positiven Ende zu führen. Angesichts des ernsthaften Themas forderte er absolute Diskretion bei allen Schritten. Eine Stunde später erschien die navarrische Lehendakari Uxue Barkos vor den Medien. Auch sie forderte alle Institutionen auf, am Prozess der endgültigen Entwaffnung von ETA teilzunehmen. Im Übrigen schloss sie sich ihrem CAV-Kollegen an.
ANMERKUNGEN:
(1) Information aus der baskischen Tageszeitung GARA 18. und 19.März 2017
(2) Artikel Baskultur.info (Link)
ABBILDUNGEN:
(1) Friedensaktivist Txetx Etcheverry
(2) Konfliktvermittler im Baskenland
(3) Konfliktvermittler im Baskenland