Der Polizeimord an Lasa und Zabala
35 Jahre nach dem Verschwinden der mutmaßlichen ETA-Mitglieder Joxean Lasa und Joxi Zabala aus ihrem nordbaskischen Exil organisierte die Stiftung Euskal Memoria (Baskische Erinnerung) eine Veranstaltung mit Angehörigen der beiden Toten. Durch Zufall wurden Jahre später die Leichen gefunden. Fünf Verantwortliche wurden zu Haftstrafen verurteilt. Doch werden die Opferfamilien von staatlicher Seite nach wie vor nicht als Terrorismus-Opfer anerkannt. Die Veranstaltung endete mit Enthüllungen.
Der Fall der jungen Basken Joxean Lasa und Joxi Zabala, von spanischen Polizisten gefoltert und ermordet, gehört zu den bekanntesten Episoden im Konflikt zwischen der baskischen Befreiungsbewegung und dem spanischen Staat. Dass nicht nur ETA Gewalt anwandte, sondern auch der Staat, ist für viele unbekannt. Staatliche Stellen finanzierten und organisierten Todesschwadrone, die Entführungen und Morde begingen.
Vor sieben Jahren hat die Untergrund-Organisation ETA das Ende des bewaffneten Kampfes erklärt, vor 18 Monaten hat sie ihre Waffenarsenale übergeben, vor sechs Monaten hat sie sich aufgelöst. Damit wäre es eigentlich an der Zeit, dass die andere Konfliktpartei – der Staat mit seinen Polizei-Körperschaften – ebenfalls die Karten auf den Tisch legt und sich zu seinen (nicht immer legalen) Aktivitäten bekennt. In Madrid könnte man sich ein Beispiel nehmen an der baskischen Regierung, die als Voraussetzung einer künftigen Koexistenz die Aufklärung von drei historischen Gewaltformen fordert: erstens der Gewalt der franquistischen Diktatur, zweitens der Gewalt von ETA und drittens der staatlichen Gewalt nach dem Franquismus. Dabei ist die baskische Exekutive auch nicht davor zurückgeschreckt, in einem unabhängigen Bericht untersuchen zu lassen, dass auch ihre eigene Polizei in Fälle von Folter verwickelt ist.
Doch von solcher Selbstkritik ist der spanische Staat nicht nur meilenweit sondern Lichtjahre entfernt. Deshalb hat es sich die 2010 gegründete baskische Stiftung Euskal Memoria (1) zur Aufgabe gemacht, Licht in all jene Fälle zu bringen, die von staatlicher Seite negiert oder im Dunkeln gelassen werden. Dazu gehören staatlich geplante Morde, systematische Folter an Tausenden von Baskinnen und Basken, die im Franquismus begann und erst mit dem Ende von ETA endete.
Zu diesem Zweck organisierte Euskal Memoria Anfang Oktober 2018 in Tolosa (Gipuzkoa) eine Podiums-Diskussion, an der zwei Schwestern der Ermordeten teilnahmen: Axun Lasa und Pili Zabala. Letzteres ist Ärztin und sitzt seit drei Jahren für die Protestpartei Unidos Podemos im baskischen Regional-Parlament. Die Diskussion war der Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen aus Anlass des 35. Jahrestages des Verschwindens der beiden jungen Basken. Bei weiteren Aktivitäten wird es um die Situation der baskischen politischen Gefangenen gehen, sowie um das Schicksal der nach wie vor mehr als 2.000 politischen Flüchtlinge, die im Lauf der Jahrzehnte aus Angst vor Verfolgung das Baskenland verlassen mussten, obwohl gegen sie mitunter nichts Konkretes vorlag.
Die Einführung zum Runden Tisch machte der Historiker und Stiftungs-Vorsitzende Iñaki Egaña, er referierte über die Zeit des „schmutzigen Krieges“ von 1983 bis 1987. Was in zwei Stunden Diskussion zur Sprache kam machte deutlich, dass die betroffenen Familien auch Jahrzehnte später mit der Schizofrenie leben müssen, dass sie auf privater Ebene als Opfer anerkannt werden, aber öffentlich und offiziellerweise nicht. (2)
Pili Zabala war gerade 15 Jahre alt, als ihr Bruder Joxi am 15. Oktober 1983 auf einem Parkplatz der nordbakischen Stadt Baiona (frz: Bayonne) zum letzten Mal gesehen wurde. Sie beschrieb, wie von einem Tag auf den anderen das Leben in Tolosa zur Hölle wurde, wie bei ihrer Familie „die Traurigkeit durch die Tür hereinkam und die Hoffnung durch das Fenster verschwand“. – „Lange Zeit habe ich gar nichts gemacht, ich konnte nicht“, klagte sie und bedankte sich in dieser Hinsicht bei der baskischen Linken, die nicht locker gelassen habe auf dem Weg zur Aufklärung dieser dramatischen Episode der baskisch-spanischen Geschichte. „Ihr wart immer da, diese Anerkennung schulde ich euch“, sagte die Schwester und Parlamentarierin, die mit der baskischen Linken bislang immer kritisch umgegangen war.
Auch Axun, die Schwester von Joxean Lasa, bedankte sich „bei allen, die heute hier sind und die vorher hier waren“. Pili Zabala rief die Erinnerung an ihren Bruder ins Gedächtnis. Als sie begann, über ihre Behandlung durch die Behörden zu sprechen, veränderte sich der Ton ihrer Stimme. Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr die Veränderungen im „Gesetz über die Opfer von polizeilicher Gewalt“ absolut nicht gefallen. Die baskische Regierung hatte dieses Gesetz im Jahr 2017 auf den Weg gebracht – unter Protest der spanischen Kräfte, sowohl Sozialdemokraten wie Postfranquisten. Mittels dieses Gesetzes wollte die baskische Regierung Opfer polizeilicher Exzesse als solche anerkennen und entschädigen. Die Rajoy-Regierung hatte gegen dieses Gesetz juristische Schritte eingeleitet. Nach der Regierungsübernahme durch die Sozialdemokraten mit Pedro Sanchez war die baskische Regierung neu in Verhandlungen eingetreten über die Formulierungen des Gesetzes. Man kam überein, die kritisierten Stellen zu entschärfen, sodass viele Beobachter*innen nun von einem Light-Gesetz sprechen. Im Gegenzug versprach die Zentralregierung, die Einsprüche zurückzunehmen. Pili Zabala geht davon aus, dass dieses Gesetz in der neuen Form verabschiedet wird und brachte ihr Missfallen darüber zum Ausdruck, dass „insbesondere versucht wird, die Ehre der Täter innerhalb der Polizei nicht anzutasten“. Das habe sie auch gegenüber dem Verantwortlichen der baskischen Regierung für Frieden und Koexistenz, Jonan Fernandez, zum Ausdruck gebracht.
Schmutziger Krieg im Baskenland
Als „Schmutziger Krieg” werden staatliche Aktivitäten bezeichnet, die extralegal, oder ilegal praktiziert werden, außerhalb der gesetzlichen Vorschriften. Der spanische Staat während und nach dem Franquismus hat hierbei eine lange Geschichte aufzuweisen. Immer wieder gab es bewaffnete Gruppen, Mordkommandos, Todesschwadrone, die gezielt baskische Aktivist*innen angriffen, oder solche, die dessen verdächtig waren. Es kam zu einer Reihe von Entführungen und Morden. Bekannte Namen sind das „Batallon Vasco-Español“ (BVE) oder die „Grupos Antiterroristas de Liberación“ (GAL). In diesen Gruppen wirkten jeweils spanische Militärs, Polizisten, Söldner und Neonazis mit. Höhepunkt des schmutzigen Krieges waren die von 1983 bis 1987 aktiven GAL-Gruppen. Mit ihren Aktionen vorwiegend auf französischem Boden sollte die dortige Regierung gezwungen werden, den baskischen politischen Flüchtlingen kein Asyl mehr zu gewähren, was letztlich auch gelang.
Die Geschichte von Lasa und Zabala
Die Entführung und Ermordung von Joxean Lasa und Joxi Zabala 1983 in Baiona (Bayonne) gilt als die erste Aktion der Todesschwadron-Gruppe GAL (ausführlich siehe unten). Im späteren Urteil gegen die GAL-Organisatoren wird ausgeführt, Lasa und Zabala seien nach einem ETA-Banküberfall über die Grenze nach Iparralde geflohen, ins französische Baskenland, wo damals noch die Möglichkeit bestand, politisches Asyl zu beantragen. Sie lebten mit offizieller Aufenthalts-Genehmigung in Baiona, standen in Kontakt mit einem Flüchtlings-Komitee und hatten einen Asylantrag gestellt. (3)
Am 15. Oktober wurden die beiden von einem GAL-Kommando entführt. Sie wurden über die Grenze verschleppt und in Donostia (San Sebastian) in der Intxaurrondo-Kaserne der Guardia Civil festgehalten. Auf Befehl des Kommandoleiters und Guardia-Civil-Obersten Enrique Galindo wurden sie in den Cumbre-Palast der Stadt gebracht und gefoltert. Da sie sich nach den schweren Misshandlungen in einem jämmerlichen Zustand befanden befahl Galindo – mit Wissen des spanischen Zivilgouverneurs Julen Elorriaga und des Guardia-Civil-Obersten Ángel Vaquero – sie zu ermorden und ihre Leichen verschwinden zu lassen. Die Guardia-Civil-Polizisten Enrique Dorado und Felipe Bayo brachten die beiden nach Busot im südspanischen Alicante. Dorado tötete die beiden Basken mit Kopfschüssen, die Leichen wurden in eine Grube geworfen und mit gelöschtem Kalk bedeckt, einem Material, das mit Wasser gemischt hohe Temperaturen entwickelt und mit dem die Leichen unkenntlich gemacht werden sollten. (3)
Im Januar 1985, 15 Monate nach der Entführung, wurden die Leichen zufällig gefunden, konnten aber nicht identifiziert oder zugeordnet werden. Obwohl bereits bei einer ersten Untersuchung festgestellt worden, war, dass ein Fall von Folter vorliegen musste, so die Analyse des bekannten Gerichtsmediziners Paco Etxeberria, Professor am kriminologischen Institut der baskischen Universität. In der Folgezeit lagen die Leichen 10 Jahre in einem Keller des Friedhofs. Der Aufmerksamkeit des Justizpolizisten Jesus Garcia war es zu verdanken, dass die Leichen identifiziert werden konnten: Garcia brachte die Skelette mit der GAL-Praxis von gelöschtem Kalk in Zusammenhang.
Im März 1995, elfeinhalb Jahre nach der Entführung, kam somit Licht in den Fall. Aussagen aus dem Umfeld der Guardia Civil deuten auf deren Täterschaft hin. Obwohl bereits Hinweise in Richtung Intxaurrondo gingen wurde der später überführte und verurteilte Galindo von der spanischen Regierung zum General befördert. Die Regierung stellten damals die Sozialdemokraten unter Felipe Gonzalez, der seither als der „Macher“ der GAL-Gruppen gilt (Mister X). Gonzalez brüstete sich mehr als einmal für seinen Anti-ETA-Kampf, wurde aber nie vor Gericht gestellt.
Pili Zabala – Schwester und Politikerin
In ihrer Doppelrolle als Opfer des schmutzigen Krieges und als Parlamentarierin hatte Pili Zabala direkten Zugang zu politischen Vertreter*innen von früher und heute. Von diesen inoffiziellen Gesprächen berichtete sie in der Folge. Zum Beispiel von einem Gespräch mit dem baskischen Sozialdemokraten und heutigen Europa-Parlamentarier Ramon Jauregi, der zum Entführungszeitpunkt 1983 offizieller Vertreter der Zentralregierung im Baskenland war, als der schmutzige Krieg auf einen seiner Höhepunkte zuging. „Als er sich in Frage gestellt fühlte wurde er nervös, er bat er mich um Verzeihung, weil er wusste, dass er als Staatsvertreter Verantwortung getragen hatte. Aber er sagte mir, dass er mit jenen Geschichten nichts zu tun gehabt hätte. Ich fragte ihn, ob es nicht Zeit wäre, dass der Staat gegenüber dem Baskenland um Verzeihung bitten sollte. Darauf sagte er, es sei nicht die richtige Zeit dafür, die Regierung sei zu schwach“.
Auch von dem seit dem Regierungswechsel in Madrid amtierenden aktuellen Regierungsvertreter Jesús Lasa hatte Pili Zabala eine Geschichte zu erzählen. „Er sagte mir, dass der schmutzige Krieg keine Sache der Guardia Civil gewesen sei, sondern eine Entscheidung der Regierung“, enthüllte Pili Zabala. Ans anwesende Publikum gewandt sagte sie: „Damit erzähle ich euch nichts Neues“. Tatsächlich ist es im Baskenland ein offenes Geheimnis, dass der damalige schmutzige Krieg in der obersten Etage der soazialdemokratischen Regierung unter Felipe Gonzalez organisiert worden war, ohne dass dies jemals in dieser konkreten Form vor Gericht zur Sprache gekommen wäre. Pili Zabala, traf sich sogar mit einem ehemaligen Polizisten, der zu den GAL-Todesschwadronen gehört hatte, der für seine Aktionen vor Gericht gestanden hatte, verurteilt wurde und ein paar Jahre eingesperrt war – José Amedo. Dieser Mann spricht heute zum Beispiel offen darüber, dass er am Mordanschlag gegen den baskischen Abgeordneten Santi Brouard beteiligt war. „Er ist ein Söldner, aber ich bin nicht blöd“, erzählte Pili Zabala. „Ich weiß, dass er mich belogen hat. Aber ich nutze immer jede Informationsquelle, die mir über den Weg läuft“.
Als sehr vielsagend beschrieb sie auch die kürzliche Begegnung mit Sonia Ramos, die seit 2012 der Abteilung für Opfer des Terrorismus vorsteht. Auch dieses Gespräch ergab keine Überraschung, eher eine Unverschämtheit. „Sie sagte ganz direkt zu mir: du bist kein Opfer“. Das hatte bereits Alonso, der ehemalige PP-Bürgermeister der baskischen Hauptstadt Gasteiz-Vitoria, bei einer Wahldiskussion gesagt, die im Fernsehen übertragen worden war.
Urteil von 375 Jahren – 20 davon im Gefängnis
Das Zahlenspiel der Überschrift deutet auf den Knackpunkt der Aufarbeitung dieses Hauptkapitels des schmutzigen Krieges hin. Von den vergangenen 35 Jahren seit dem Verschwinden von Joxean und Joxi verbrachten die Familien Lasa und Zabala ganze 12 Jahre ohne zu wissen, ob die beiden noch leben oder tot sind. Weitere 5 Jahre dauerte die Wartezeit bis zum Prozess. Und in den verbleibenden 18 Jahren wurden sie nicht als Opfer von Terrorismus betrachtet. Gleichzeitig mussten sie zusehen, wie die verurteilten Täter allesamt nach kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen wurden.
Als Opfer von Terrorismus betrachtet und behandelt zu werden ist bis heute ein Monopol von ETA-Opfern und ihren Angehörigen, politisch zum großen Teil rechts oder ultrarechts stehend. Der Historiker Iñaki Egaña belegte diese Tatsache mit Zahlen. Die Urteile für den Guardia-Civil-General Galindo, den Zivilgouverneur Elorriaga und die Guardia-Civil-Polizisten Vaquero, Dorado und Bayo – die Entführer, Folterer und Mörder von Lasa und Zabala – beliefen sich auf 71 und 75 Jahre. Tatsächlich im Gefängnis waren sie zwischen einem (!) und sechs Jahren.
Auch nach dem Prozess im Jahr 2000 kamen interessante Details ans Licht, tröpfchenweise und in Abständen. Iñaki Egaña berichtet von einer kürzlichen Entdeckung, die zu denken gibt. In einem amtlichen Mitteilungsblatt von 1984 erscheint eine lange Liste von Auszeichnungen für Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte. Viele davon mit einer Rente auf Lebenszeit. In dieser Liste enthalten sind die Polizisten der Intxaurrondo-Kaserne der Guardia Civil von Donostia (San Sebastian), die Verantwortlichen für das Verbrechen also. Zum Zeitpunkt der Herausgabe des besagten Amts-Bulletins wurden sie noch nicht mit der Geschichte in Verbindung gebracht. Könnte es sich um eine makabre Belohung für die kriminellen Dienste gehandelt haben? In jenem Moment gingen im GAL-Kommando alle davon aus, dass die Leichen der beiden Ermordeten sich für immer und ewig in gelöschtem Kalk aufgelöst hatten. Doch ein Zufall wollte es, dass sie im Jahr 1985 gefunden wurden – weit weg vom Baskenland. Dem nächsten Zufall war es zu verdanken, dass diese Reste zehn Jahre später – 1995 – identifiziert und zugeordnet werden konnten. Spätestens dann dürfte die Genugtuung der Täter über die gelungene Aktion eine Wendung genommen haben.
Die Arbeit des Historikers
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung im vollbesetzten Kultursaal von Tolosa zeichnete der Historiker Egaña die Geschichte des schmutzigen Krieges im Baskenland nach. Er tat dies von einem neuen Blickwinkel aus, der jenen verschwiegenen und einzigartigen Ereignissen im Baskenland eine internationale Perspektive verleiht. Dabei erinnerte er an die insgeamt 83 Toten, an die 20 Entführungen und an die vielen Vergewaltigungen, von denen zwei tödlich endeten.
In seinen Ausführungen hob Egaña hervor, dass es im Baskenland geheime Gefängnisse gab, wie in den Dikaturen von Chile oder Argentinien – zum Beispiel den sogenannten Cumbre-Palast, in den Lasa und Zabala auf ihrem Leidensweg gebracht wurden. Dabei handelte es sich um den damaligen Sommersitz des Dikators Franco, der später Sitz des spanischen Militärgouverneurs in Gipuzkoa war und heute als Unterkunft für Diplomaten genutzt wird. Egaña wies darauf hin, dass die Folter systematisch praktiziert wurde: die von der baskischen Regierung in Auftrag gegebene Studie spricht von annähernd 5.000 Fällen, die Stiftung Euskal Memoria zählt bereits 8.000, inoffiziell geschätzt werden mehr als 10.000 Fälle. Sogenannte Fake News – so der Historiker – wurden im Zusammenhang mit dem Baskenland bereits benutzt lange bevor der Begriff im großen Stil die Runde machte wie das heute der Fall ist. Das betrifft nicht nur die Franquisten-Lüge, Gernika sei von den Basken selbst bzw. von den „Roten“ angezündet worden; beim Islamisten-Attentat 2004 in Madrid-Atocha (200 Tote) wurde von der spanischen Ultrarechten behauptet, es sei von ETA begangen worden; das Ermua-Forum (von ETA-Opfern) behauptete, die Aktivität von ETA habe zur Auswanderung von 383.000 Personen aus dem Baskenland geführt.
Diese Erkenntnisse werden bis heute negiert oder nicht zur Kenntnis genommen, beklagten die Podiums-Teilnehmer*innen. Joxean Lasa und Joxi Zabala sind vielleicht nur die bekanntesten Fälle, die sichtbare Spitze des Eisbergs. Zwischen derart viele harte Wahrheiten fügte Pili Zabala eine kleine Geste von Menschlichkeit. „Wir sind hier, weil wir sie mögen. Die beiden mochten Tolosa. Mein Bruder Joxi sagte zu meiner Mutter: du wirst sehen, wie sich alles zum Besseren kehrt, das dauert nur noch ein paar Jahre“. Das war vor mehr als 35 Jahren. Doch nach wie vor schmerzt es, wie alle offenen Wunden.
GAL – Grupos Antiterroristas de Liberación
Die Grupos Antiterroristas de Liberación, kurz GAL, (deutsch: antiterroristische Befreiungsgruppen) waren verdeckt agierende paramilitärische Gruppen, die in der Zeit von 1983 bis 1987 als Todesschwadrone in Spanien und Frankreich aktiv waren und die Bekämpfung der baskischen Untergrundorganisation ETA und baskischer Aktivist*innen zum Ziel hatten. Die Kommandos trugen die Bezeichnung einer Antiterroreinheit, agierten jedoch selbst mit terroristischen Mitteln. Sie waren für die Morde an 28 mutmaßlichen ETA-Mitgliedern oder Sympathisanten verantwortlich, von denen jedoch nachweislich etwa ein Drittel keinerlei Beziehung zur ETA gehabt hatte. Die GAL-Gruppen wurden während der Amtszeit des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González illegal von hohen Funktionären der spanischen Regierung ins Leben gerufen. Sie wurden vom Innenministerium (Ministerio del Interior de España) für den Kampf gegen die ETA geführt, finanziert und protegiert. Nach Aufdeckung der Aktivitäten der GAL wurden der verantwortliche Innenminister und mehrere hohe Staatsbeamte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. (4)
Die GAL-Kommandos verübten sowohl Anschläge auf (tatsächliche und vermeintliche) ETA-Mitglieder als auch auf ETA-Sympathisanten. Den Auftakt der Aktivitäten der GAL-Kommandos bildete die Entführung und Ermordung der Aktivisten Lasa und Zabala im Oktober 1983 sowie die Entführung von Segundo Marey im Jahr 1984. Die Guardia Civiles Galindo, Dorado und Bayo und andere wurden 2000 in einem langwierigen und umstrittenen Prozess der Entführung und des Mordes für schuldig befunden und zu langen Haftstrafen verurteilt. (4)
Die Anschläge der GAL wurden schwerpunktmäßig auf französischem Gebiet verübt. In ihrer aktiven Zeit von 1983 bis 1986 begingen die GAL-Kommandos insgesamt 28 Morde, darunter am 20. November 1984 an Santi Brouard in Bilbao, Führer der baskischen linksnationalistischen Partei Herri Batasuna. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass mehr als ein Drittel der GAL-Opfer keinerlei Beziehung zum Terrorismus hatte. Diese Periode des Anti-Terror-Kampfes des spanischen Staates wird in Spanien als „guerra sucia“ (schmutziger Krieg) bezeichnet. Das Bekanntwerden der Hintergründe der GAL-Aktivitäten in den 1980er Jahren und insbesondere die Verwicklung hochrangiger Mitglieder der spanischen Regierung bis hin zum damaligen Ministerpräsidenten González hat wesentlich zu der Niederlage der spanischen Sozialisten (PSOE) bei den Parlamentswahlen im Jahr 1996 beigetragen. Die PSOE hat sich jedoch auch nach dieser Niederlage nicht zur Verantwortung in Bezug auf die Aktivitäten der GAL bekannt. (4)
Während der Gerichtsprozesse zu den Geschehnissen rund um die GAL wurde festgestellt, dass die Attentate und Entführungen der GAL in der Hauptsache von französischen Söldnern durchgeführt wurden, die von spanischen Polizisten angeheuert worden waren. Die Finanzierung der Gruppen, so die Erkenntnisse der Ermittler, erfolgte aus speziell bereitgestellten Fonds des spanischen Innenministeriums. Unter anderem wurde der POSE-Innenminister José Barrionuevo 1998 wegen der Aktivitäten der GAL zu 10 Jahren Haft verurteilt. Im Zusammenhang mit den Prozessen um die GAL-Kommandos wurden u. a. folgende bekannte Personen verurteilt: José Barrionuevo, Innenminister. Rafael Vera, zuständiger Direktor für die Staatssicherheit. Ricardo García Damborenea, Generalsekretär der PSOE in Bizkaia. Francisco Álvarez-Cascos, Leiter des Antiterrorkampfes des spanischen Staates. Miguel Planchuelo, Leiter der „Informationsbrigade“ (Brigada de Información) in Bilbao. José Amedo, Polizist. (4)
Bereits vor den GAL waren in Spanien – insbesondere während der Franco-Diktatur – bewaffnete Gruppen tätig, die sich schwerpunktmäßig im Kampf gegen ETA betätigten. Hierzu gehören Triple A, Batallón Vasco Español (BVE), Comandos Antimarxistas, Grupos Armados Españoles sowie Antiterrorismo ETA (ATE). Manche politische Beobachter gehen davon aus, dass die Aktionen der GAL indirekt dazu beigetragen haben, das Überleben von ETA bis in die 1990er Jahre und darüber hinaus zu sichern. Ausgangsüberlegung dieser Ansicht ist, dass die Verwicklung des spanischen Staates in die Aktivitäten der GAL dazu beitrug, die unter baskischen Nationalisten verbreitete These zu festigen, nach der es auch nach dem Ende von Francos Diktatur einen Krieg zwischen dem spanischen Staat und dem Baskenland gibt. (4)
ANMERKUNGEN:
(1) Die Stiftung Euskal Memoria wurde 2009 gegründet mit dem Ziel, baskische Geschichte, bzw. die Geschichte der Repression gegen Baskinnen und Basken zu dokumentieren und zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck gibt die Stiftung jährlich einen dicken Buchband heraus, in dem die Nachforschungen des vergangenen Jahres dokumentiert sind. Die bisherigen Bände drehten sich um die Themen Franquismus, Gernika, Flüchtlinge, Folter, Staatsterror, Unterdrückung der baskischen Sprache.
(2) Artikel „35 años de la desaparición de Lasa y Zabala” (35 Jahre seit dem Verschwinden von Lasa und Zabala” Tageszeitung Gara 4.10.2018 (Link)
(3) Der Fall Lasa-Zabala (auszugsweise Übersetzung) (Wikipedia)
(4) GAL – Die „Antiterroristischen Gefreiungs-Gruppen“ (leicht gekürzt) (Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(1) Pili und Axun (noticias navarra)
(2) Veranstaltung Tolosa (naiz)
(3) Galindo GAL (nonserviam)
(4) EGIN (egin)
(5) Filmplakat
(6) Exhumierung Alicante (elcorreo)
(7) Paco Etxeberria (youtube)
(8) Lasa Zabala (loquesomos)
(9) Pili Zabala (wikipedia)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2018-10-17)