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Von ETA zu EH Bildu

Josu Urrutikoetxea (1950, Ugao, Bizkaia) war den größten Teil seines Lebens in den politischen und militanten Strukturen der baskischen Linken aktiv. Er gilt als eines der ältesten ETA-Mitglieder. Bereits 1971, noch in der Franco-Diktatur, ging er in den Untergrund. Jahre später war er in der Organisation ein Befürworter einer Konfliktlösung über Verhandlungen. 2020 führte die Zeitung Gara ein Interview mit Urrutikoetxea. In Paris, wo er seit seiner vorläufigen Freilassung auf einen Prozess wartet.

Josu Urrutikoetxea “Ternera“ verkörpert über 50 Jahre hinweg viele Facetten des antifranquistischen Kampfes. Er war ETA-Mitglied und -Führer, politischer Gefangener, Abgeordneter im baskischen Parlament, beteiligte sich an Landsport-Wettbewerben und wurde schließlich zu einem der Vorbereiter des strategischen Kurswechsels der bewaffneten Organisation: von den Waffen in die Institutionen.

1971 floh Josu Urrutikoetxea “Ternera“ nach Frankreich, wo er sich dem sogenannten militärischen Flügel von ETA anschloss und schließlich die Leitung übernahm. Seit 1980 zählte er zur Führungsspitze der Organisation. Während der achtziger Jahre nahm er an den – schließlich gescheiterten – Verhandlungen zwischen ETA und der spanischen Regierung teil. Nach dem Unfall-Tod Txomin Iturbes 1987 in Algerien übernahm Urrutikoetxea selbst die Leitung der Organisation. Zwei Jahre später wurde er in Bayonne festgenommen und 1990 in Frankreich wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Dokumentenfälschung und unerlaubten Waffenbesitzes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wurde er 1996 aus Frankreich ausgewiesen und an Spanien ausgeliefert, wo die Staatsanwaltschaft wegen Terneras Leitungsfunktion bei ETA eine Haftstrafe von 12 Jahren forderte. 1998 urteilte das Gericht jedoch, dass Ternera nach dem französischen Urteil aufgrund seiner ETA-Mitgliedschaft nicht erneut verurteilt werden könne und dass die übrigen Anklagepunkte, wegen derer er hätte verurteilt werden können, bereits verjährt waren. (1)

Ternera wurde frei gelassen und im selben Jahr auf der Liste von Euskal Herritarrok (einem von Herri Batasuna dominierten Wahlbündnis) in das baskische Regionalparlament gewählt. 2002 tauchte Ternera erneut unter, als seine mutmaßlichen Verbindungen zu einem Attentat in Saragossa untersucht und zu einer Anklage gemacht wurden. Zuvor hatte er mit der neuen Batasuna-Führung mit Arnaldo Otegi und Rafa Diez (u.a.) einen Strategiewechsel ins Auge gefasst, der sich in den folgenden Jahren materialisierte.

Nach seiner Flucht nahm Josu Ternera erneut eine wichtige Rolle in der ETA-Führung ein. Angesichts der zunehmenden Delegitimierung des bewaffneten Kampfes in der spanischen und baskischen Gesellschaft, sowie weltweit, setzte er sich für ein Ende der bewaffneten Aktionen und für einen politischen Dialog ein, den ETA der spanischen Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero am 16. Januar 2005 vorschlug. Am 22. März 2006 kündigte ETA eine bereits erwartete dauerhafte Waffenruhe an, woraufhin es zu Verhandlungen zwischen der Organisation und der Regierung kam. Ternera trat dabei als Verhandlungsführer für ETA auf. (1)

Bei erneuten Verhandlungen Jahre später in Oslo, die auf Initiative internationaler Konflikt-Vermittler nach der sogenannten Aiete-Konferenz (17.11.2011) zustande gekommen waren, spielte Urrutikoetxea wieder eine wichtige Rolle. Die Verhandlungen scheiterten an der Blockade-Haltung der spanischen Regierung unter Mariano Rajoy, ETA war gezwungen und bereit, den Weg zu einer politischen “Normalisierung” unilateral-einseitig weiterzugehen. Der Rest der Geschichte liegt noch in relativ kurzer Erinnerung. ETA gab die Waffen ab und löste sich auf. Es war der nach Oslo wieder in den Untergrund gezwungene Josu Ternera, der am 3. Mai 2018 in einem Video die endgültige Auflösung von ETA bekannt gab. 2019 wurde er in Frankreich verhaftet, später auf freien Fuß gesetzt und wartet nun auf einen Prozess. (2)

josu02INTERVIEW URRUTIKOETXEA IN GARA:

Josu Urrutikoetxea erklärt seine Ideen am Beispiel eines Segelboots. Das Segelboot befindet sich in einem politischen Prozess und auf Kurs in die baskische Republik. Alle Segel sind gesetzt, um die Impulse des Rückenwinds durch die Bevölkerung aufzunehmen, um ein Ziel zu erreichen, das noch weit entfernt zu sein scheint. (3)

Frage: Sie kamen 1968 zu ETA und haben 50 Jahre später zusammen mit Marixol Iparragirre am 3. Mai 2018 die Erklärung zum Ende von ETA verlesen. Ein ganzer Zyklus, ein ganzes Leben. Was ging Ihnen durch den Kopf?

JU: Um es ganz klar auszudrücken: Eine Phase wurde abgeschlossen. Eine große Etappe. Aber es ist nicht das Ende von Allem, möglicherweise liegt ein noch viel längerer Weg vor uns. Und wir müssen Kräfte mobilisieren, die größer sind als die, die wir bisher eingesetzt haben, auf andere Weise, um diesen neuen Weg in die Zukunft beschreiten zu können. Das ist der Eindruck, den ich habe: Hier ist nichts fertig. Das war eine Phase.

F: Es ist zweieinhalb Jahre her, seitdem die Auflösung von ETA bekannt gegeben wurde. Welche Schlussfolgerungen können aus heutiger Perspektive gezogen werden? Welche Vor- und Nachteile hatte die Auflösung?

JU: Das ist eine gute Frage. Meiner Meinung nach hängt das mit den Schritten zusammen, die im Vorfeld von der Organisation (ETA) und auch von der abertzalen Linken gemacht wurden. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, und weitere Schritte wurden unternommen. Es gibt jedoch ein großes Manko: das Engagement der Menschen. Die Menschen sind nicht überzeugt. Genauer gesagt, beziehe ich mich auf das gesamte Potenzial der abertzalen Linken. Viele sind nicht vollständig vom Kurswechsel überzeugt. Neben dem Wissen, wie weit wir gekommen sind und warum wir so weit gekommen sind, ist eine weitere Botschaft wichtig: Von nun an wird es keine äußere Orientierung mehr geben, ihr seid die Subjekte, ihr seid das Subjekt, das den Kampf führen muss.

Wenn der Kurs klar ist, steigen wir in dieses Segelboot. Und wir wissen, woher die Gegenwinde kommen werden. Aber wir wissen auch, wer rudern muss. Es werden die Menschen sein, und deshalb werden wir unser Ziel erreichen. Zentral ist, dass die Ruderer sich dessen bewusst werden müssen. Denn es gibt keine Organisation oder einen Zauberstab mehr, die diese Funktion ausüben. Ich denke, das ist eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Es wird etwas getan, daran besteht kein Zweifel. Das Segelboot muss alle Segel setzen, um vorwärts zu kommen. Es gibt Bedenken und Zweifel. Aber ich denke, das ist normal. Dinge werden sich nicht über Nacht verändern.

F: In einem Interview mit Miguel Castells über den Burgos-Prozess …

JU: Miguelito! Ich traf ihn 1971 zufällig in Busturia, in dem Haus, in dem ich wohnte. (Als er aus seiner Heimatstadt fliehen musste, fand Urrutikoetxea seine erste Zuflucht im Haus der Kaltzadas). Julen Kaltzada war einer der Angeklagten im Burgos-Prozess.

F: … ja, Castells sagte in diesem Interview, dass es nicht genug Freiheit gebe, um zu sagen, was ETA bedeutet.

JU: Stimmt.

F: Aber was kann man über die Geschichte von ETA sagen, ohne zu viel Staub aufzuwirbeln?

JU: Was gibt es da zu sagen? Vielleicht kann ich etwas mehr sagen als Miguel. Ich denke, ich werde keine extra Schwierigkeiten haben, etwas zu sagen [er lächelt ironisch]. Euskal Herria als Ganzes verdankt ETA viel. Dazu wo es heute steht, hat ETA vieles beigetragen. Ich sage, Euskal Herria steht in ETAs Schuld, aber ohne dem Wort "Schuld" eine negative Bedeutung geben zu wollen. Diejenigen von uns, die damals anfingen, und diejenigen, die bereits vor uns dabei waren, sahen, dass wir uns in einem schwarzen Loch befanden, und dachten: “Wenn wir es jetzt nicht angehen, wird es für viele Generationen schwierig, aus dem Loch herauszukommen.”

F: ETA hat auf dem Weg dorthin viel Leid verursacht. ETA selbst bestätigte dies in einem Kommuniqué kurz vor ihrer Auflösung. Obwohl viele dieser Aussage zustimmten, antworteten viele andere, dies sei nicht genug.

JU: Es ist die gleiche alte Leier. Ich denke, die Kritiker vertreten eine heuchlerische Position. Es gibt Dinge, die wir alle wissen. Viele von ihnen haben die Massaker, die in Euskal Herria und an vielen anderen Orten stattgefunden haben, nicht verurteilt.

josu03F: Auf jeden Fall sollte es nicht so schwer sein, zu sagen, dass das Töten falsch war.

JU: Der Schlüssel ist nicht, um Vergebung zu bitten oder sich zu entschuldigen. Das wurde im Übrigen bereits getan. Man kann um Vergebung bitten und sich am nächsten Tag, in der nächsten Stunde, genauso wie bisher verhalten und im Alltag Hass und Rache gegenüber anderen beibehalten.

Wichtig ist die Einstellung, die wir alle jeden Tag vertreten. Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, in der wir alle zusammenleben können, jeder mit seinen eigenen Ideen, denke ich, dass wir auf alle zählen müssen. Und in dieses "alle" schließe ich auch jene Minderheit ein, die ihre tägliche Einstellung auf Hass und Rache aufbaut. Die baskische Gesellschaft wird in der vor uns liegenden Zukunft auch diese Minderheit berücksichtigen müssen.

F: Was können Sie nach all diesen Jahren über das Verhalten der Regierungen sagen, die auf der anderen Seite des Verhandlungstisches saßen oder hätten sitzen sollen? Zum Beispiel will der französische Staat Sie für die Ereignisse der Jahre 2002 bis 2005 und 2010 bis 2013 verurteilen, als Sie Verhandlungs-Gespräche geführt haben.

JU: Wenn wir ein wenig in der Presse stöbern, sehen wir, dass sich Macron selbst vor einigen Wochen mit den Köpfen der Hisbollah getroffen hat. Die Hisbollah wird in der Europäischen Union als terroristische Vereinigung betrachtet. Sie loben ihre Arbeit als Vermittler in Konflikten auf der ganzen Welt. Es ist ein ungeheurer Widerspruch, wie wir uns mit ihrer Erlaubnis bewegt haben. In Genf gaben sie uns die Telefonnummer eines engen Freundes von Sarkozy, um sie im Falle eines Problems zu nutzen. Und nicht nur die, auch die von García Hidalgo, dem damaligen Chef der Guardia Civil und der spanischen Polizei.

Weil sie wissen, dass wir uns in einem Prozess befinden, wurde ich wegen Geschichten von 2010 und 2017 vor Gericht gestellt. Jeder war sich dessen bewusst. Die Franzosen wussten es, die Schweizer wussten es, die Norweger wussten es, und wir selbst bewegten uns auch so: mit Diplomatenpässen, in Diplomatenautos, in Flugzeugen ... Dies ist nicht nur ein heuchlerisches Verhalten, sondern auch gravierend. Denn diejenigen, die behaupten, nach den Regeln internationaler Verhandlungen zu agieren, bewerfen diese Regeln mit Dreck.

F: Hat sich der französische Staat darauf beschränkt, Dinge zu erleichtern, oder ist er weiter gegangen?

JU: Soweit ich weiß, fungierte er als Vermittler. Von 2011 bis 2013 wandte sich das Henry-Dunant-Zentrum in Genf an die französische Regierung. Sie erhielten jedoch keine Antwort. Die französische Regierung vertrat die Auffassung, dass dies ein spanisches Problem sei, obwohl sich in hochrangigen politischen Kreisen einige Leute für eine Lösung stark machten.

F: In Madrid erwarten Sie Verfahren wegen Geschichten aus den 1980er bis 2000er Jahren.

JU: Nach staatlicher Version wurde das Puzzle so geordnet, dass sie mich als Jagd-Trophäe vorzeigen konnten. Diese Trophäe in die Hände zu bekommen, wäre aus spanischer Sicht ein großer Erfolg. Überrascht bin ich ganz und gar nicht, denn so verhielt sich der spanische Staat schon immer. Auch wenn sich die politische Situation verändert hat, bleibt diese Strategie. Seit die Organisation (ETA) verschwunden ist, haben sie keinen "inneren Feind" mehr. Weder in Katalonien noch mit EH Bildu. Jetzt, da EH Bildu dem Haushalt (der PSOE-Podemos-Regierung) zugestimmt hat. Das letzte war, was mit Arnaldo Otegi und den anderen im Fall “Bateragune” passiert ist (eine Haftstrafe, die vom Europäischen Gerichtshof anulliert wurde).

F: Im Rückblick auf die letzte Verhandlungsrunde in Norwegen hat der Aufenthalt für Sie und zwei weitere ETA-Vertreter nicht das gebracht, was Sie sich erhofft hatten. Gab es dennoch ein Ergebnis?

JU: Natürlich hat es nicht das gebracht, was wir erwarteten. Ich würde sagen, der spanische Staat hat seine Eigenheiten und übernimmt von den Mächtigen das Schlimmste. Dies war der Fall, als staatliche Abkommen wie der Moncloa-Pakt (4) oder der “Anti-Terror-Pakt“ (5) beschlossen wurden. Unser Handeln wurde als “Terrorismus” definiert, um uns vom politischen Spiel auszuschließen. Was ist 2011 in Norwegen passiert? Da es sich um eine Staats-Angelegenheit handelte, wurde eine Art staatliche Vereinbarung getroffen, nicht direkt mit uns, aber doch indirekt, da mit dem Henry-Dunant-Zentrum in Genf eine Roadmap ausgehandelt wurde. Aber nach dem Regierungswechsel kurz danach (Zapatero-Rajoy) hat die neue Exekutive ihr Wort nicht gehalten. Der Staats-Vertrag wurde in den Mülleimer geworfen. (Der Pakt von Moncloa von 1977 war ein Deal zwischen franquistischen und republikanischen Kräften, der den Übergang von der Diktatur zur konstitutionellen Monarchie und zu einem kapitalistischen System regeln sollte. / Der Anti-Terror-Pakt von 2002 war eine staatlich-juristische Strategie zu Isolierung und Illegalisierung der abertzalen Linken unter dem Motto “Alles ist ETA”).

josu04F: Wie betrachteten andere Akteure dieses Verhalten?

JU: Während der Verhandlungen in Oslo verstand niemand die Haltung der Spanier. “Die einen wollen die Waffen niederlegen, und die anderen wollen nichts davon wissen ... was ist bloß los mit ihnen?” Verantwortliche des norwegischen Außenministeriums fuhren nach Madrid und trafen Jorge Moragas, den Stabschef des damaligen spanischen Ministerpräsidenten Rajoy (PP), aber der blieb stumm. Schlimmer war, als Rajoy 2012 zur Nobelpreis-Verleihung nach Oslo fuhr. Glaubt ihr, er hat etwas gesagt? Kein Wort. Niemand hat das verstanden.

F: Zurück zum Thema: Haben Sie etwas erreichen können?

JU: Was wurde also erreicht? Respekt für die Organisation (ETA), denn sie hat ihre Versprechen umgesetzt. Die Teilnehmer*innen der Friedenskonferenz in Aiete, Donostia (17-11-2011) mit internationaler Beteiligung haben das ebenfalls so gesehen (alle spanischen Parteien außer der PP nahmen teil). Es wurde ein vollständiger Friedensplan erarbeitet, doch nur ETA setzte ihn um. Der Aufenthalt in Norwegen war die logische Fortsetzung.

F: Regierungen verfolgen im Allgemeinen ihre eignen Interessen. Wie beurteilen Sie die Rolle anderer beteiligter europäischer Regierungen? Verhielten Sie sich korrekt?

JU: Ich denke schon. Die Schweizer haben alle vereinbarten Zusagen eingehalten. Anfang 2005 wussten nicht alle in der Schweizer Bundesregierung davon, später schon. Die Bundespolizei schützte uns. Ganz zu schweigen von der norwegischen Regierung. Einige Meldungen aus der Zeit von 2013 behaupten, dass wir aus Norwegen ausgewiesen wurden. Das ist eine Lüge. Sie gaben mir einen Diplomatenpass, setzten mich in ein Flugzeug und brachten mich an den Ort, um den ich gebeten hatte. Was soll das für eine Ausweisung sein? Die Haltung Norwegens ist sehr lobenswert.

F: Was ist mit internationalen Konfliktvermittlern, wie dem Henry-Dunant-Zentrum?

JU: Vor unserem erstmaligen Kontakt im Jahr 2004 wussten wir, dass eine NGO existiert, die bestimmte Interessen verfolgte. In solchen Fällen neigt man zunächst dazu, sich zu distanzieren. Aber mit der Zeit merkten wir, dass sie ihre Arbeit als Vermittler ehrlich meinten. Andererseits erfuhren wir später, dass Javier Solana (PSOE-Politiker, NATO-Generalseketär) der Ehrenpräsident des Henry-Dunant-Zentrums war. Sie sagten uns, dass sie eine direkte Beziehung zu Zapatero hätten, später erfuhren wir von Solana. Auf jeden Fall haben diejenigen, die sich für uns eingesetzt haben, ihre Arbeit nicht nur gut gemacht, sondern sind noch weiter gegangen. Einige sind zu Freunden geworden.

F: Ihr Leben ist seit fünf Jahrzehnten eng mit dem spanisch-baskischen Konflikt verbunden und wurde davon geprägt. Seit Juli leben Sie mit einer elektronischen Fußfessel in Paris, nachdem Sie aus dem Gefängnis entlassen wurden. Wie fühlen Sie sich? Ist das eine neue Etappe?

JU: Ich habe mehrfach gesagt, dass ich mich in einem Gefängnis ohne Mauern befinde. Ich versuche, den Alltag so normal wie möglich zu gestalten. Soweit es möglich ist, nutze ich die Gelegenheit, mit meinen Freunden und meiner Familie zusammen zu sein, mit meiner Partnerin, mit meiner kleinen Tochter und mit meinen Enkelkindern, die ich noch nicht kannte. Man kann den Wert dies zu tun nicht messen. Ich bekam die Gelegenheit dazu, das ist enorm viel wert. Wie lange das noch möglich sein wird? Die Karten sind verteilt und es ist klar, wo ich am Ende landen werde.

F: Als Sie 2019 in Ober-Savoyen in Frankreich verhaftet wurden, war dies eine Überraschung, ein Jahr nach der Auflösung von ETA. Wie sahen Sie zu diesem Zeitpunkt Ihre Zukunft?

JU: Ich wurde gefasst, weil ich ein gesundheitliches Problem hatte. Ohne dieses Problem wäre ich sicher noch dort. Selbst wenn die Situation fast unverändert ist, gibt es Hoffnung, weil wir die Spielkarten verändert haben; du hoffst, dass es innerhalb des französischen Staates ein Minimum an Kohärenz gibt. Du hoffst, wieder zu einem normalen Leben zurückkehren zu können. Mein Unterschlupf war ein Ort von anderer Dimension. Ich liebe die Berge seit meiner Kindheit, hatte aber nie an einem solchen Ort gelebt, ich war glücklich. Jeden Morgen den Kopf zu heben und die Berge um den Mont Blanc zu sehen, so den Tag zu beginnen ... [er lächelt].

josu05F: Ihr Gesprächspartner (von den baskischen Sozialdemokraten), Jesús Eguiguren, sagte damals, Sie seien der "Held des Rückzugs". Dafür wurde er heftig kritisiert. Er ging davon aus, dass die Geheimdienste Sie identifiziert aber in Ruhe gelassen hätten, oder dass Sie einen sicheren Rückzugsort hätten. Kommen wir zu diesem Thema: Die Wehrlosigkeit derjenigen, die in diesem Prozess eine führende Rolle gespielt haben, ist offensichtlich. Sie kann sogar als Zeichen der Schwäche interpretiert werden.

JU: Sein Fall zeigt die Schwäche der Staaten, die die Beilegung eines Konflikts auf Rache und Hass gründen. Als ich die Gespräche führte, hätte ich mir gewünscht, dass andere im spanischen Staat ähnlich denken wie Eguiguren. Seine Haltung muss honoriert werden.

F: Kommen wir zum anderen Aspekt: Sind Sie der "Held des Rückzugs"?

JU: Auf keinen Fall. Ich habe immer versucht, meine Arbeit zu machen. Die Konflikt-Lösung war eine Aufgabe, die mir seinerzeit zufiel. Dies gilt auch für das Lesen der Abschlusserklärung. Um dieses Blatt zu wenden, waren Leute mit Erfahrung nötig. Den letzten Schritt hätten auch andere machen können. Aber viele Genoss*innen sind auf der Strecke geblieben.

RÜCKBLICK AUF DIE VERHANDLUNGEN VON 2005

Josu Urrutikoetxea wurde im März 1989 zum ETA-Vertreter für eine zweite Verhandlungsrunde in Algier ernannt, die schließlich nicht stattfand. Nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen ETA und der Regierung Aznar, als er bereits im Gefängnis saß, wurde er noch einmal als zukünftiger Gesprächspartner benannt; das war eher symbolisch, da es nicht die geringste Aussicht dafür gab. Im Jahr 2005 war Urrutikoetxea Verhandlungs-Partner, um Vereinbarungen mit der Regierung Zapatero zu treffen. Und schließlich war er zwischen 2011 und 2013 in Norwegen und wartete auf die Zusammensetzung eines Verhandlungstischs.

Urrutikoetxea spricht von vier Beispielen und vier verschiedenen Modellen. Das sieht nach einem umfangreichen Curriculum aus, doch Urrutikoetxea stellt klar, dass er weder 1989 noch 1999 direkt an den Verhandlungen beteiligt war. 1989 hatte ihn ein anderer Gefangener über seine Berufung informiert, nachdem er in den Medien erschienen war; und 1999 las er im Gefängnis von Alcala-Meco in der Tageszeitung GARA, dass er zum Delegierten ernannt worden war. Er beschreibt diese Situationen mit Humor.

Der Verhandlungs-Verlauf von 2005 ist ein besonders wunder Punkt für ihn. Er verwendet wiederholt den Begriff "ich habe daran geglaubt". Auf eine Nachfrage unsererseits sagt er: "Wenn Sie mich persönlich fragen, muss ich sagen, dass ich frustriert bin, weil ich daran geglaubt habe und weil ich dachte, dass dies der Moment ist. Die Verhandlungen von 2005 waren die Chance, unsere Chance. Wenn ich die Ereignisse von Lizarra-Garazi genauer verfolgt hätte, würde ich vielleicht nicht sagen, dass 2005 die größte Chance war. Vielleicht würde ich sagen, dass Lizarra-Garazi eine größere Chance darstellte, aber ich kenne die Abläude von damals nicht gut genug". (Friedensplan von 1998 aller nationalistischen Parteien –einschließlich ETA, PNV und Izquierda Unida zur Beilegung des Konflikts über Verhandlungen). (6).

josu06Verhandlungs-Strategien

Ob absichtlich oder nicht, Urrutikoetxea macht nicht viele Anspielungen auf die Manöver der Staaten Frankreich und Spanien, auf deren Unwillen, auf die ausgeübte Repression. An all dem gibt es wenig Zweifel. Urrutikoetxea tendiert dazu, die von der eigenen Seite vertretenen Positionen zu analysieren. Wenn er über Verhandlungen aus bilateraler Sicht spricht, erklärt er eine Theorie der Iren: “Die Glockentheorie”, sagt er, während er mit seinen Fingern eine Glocke in die Luft zeichnet. “Der Beginn eines Prozesses ist schwierig. Der Feind schlägt zu, die Repression nimmt zu. Du kommst vorwärts und es kommt der Moment, in dem das Kräfteverhältnis sich zu deinen Gunsten wandelt. Die Gegenseite ist natürlich stärker, weil es sich um eine staatliche Struktur handelt. Es ist natürlich nicht einfach, aber wenn ein gewisses Gleichgewicht im Kräfteverhältnis erreicht ist, dann muss man alle verfügbare Kraft einsetzen, um mit dem Gegenüber zu verhandeln.”

Josu Urrutikoetxea geht davon aus, dass ETA im Vorfeld des Prozesses von 2005 nach mehreren Monaten der Destabilisierung nicht an diesem Punkt war. Denn Polizei-Aktionen kontrollierten die Organisation und es kam zu verschiedenen Festnahmen. Am Vorabend seiner Reise nach Genf (im Juni 2005) traf sich Urrutikoetxea mit einem Vertreter der Führung und spürte nicht mehr die Übereinstimmung von Monaten zuvor. Bei den anstehenden Verhandlungen war die vollständige Rückendeckung seitens der Organisation nicht gewährleistet.

Dennoch fuhr er nach Genf und die Verhandlungen waren erfolgreich. Es wurde eine Vereinbarung getroffen. Der ETA-Waffenstillstand wurde im März 2006 verkündet. Zapatero gab eine Erklärung ab und es gab mehrere Treffen im selben Jahr, auch wenn nicht alles vorbereitet war. Urrutikoetxea stimmte nicht mit der Linie der ETA-Führung überein, “weil sie wie ein blinder Stier in alle von der Regierung gestellten Fallen tappte.”

Am Verhandlungstisch erklärte er die Position von ETA, war jedoch mit deren Kurs nicht einverstanden. Gegen Ende des Sommers entschied er sich, den Verhandlungstisch zu verlassen. Dies teilte er nur der ETA-Führung mit. Den Mediatoren wurde gesagt, er habe "persönliche Probleme". Die Vertreter der spanischen Regierung (Javier Moscoso, José Manuel Gómez Benítez und Jesús Eguiguren) fragten ebenfalls nach und erhielten die gleiche Antwort. Nun ohne politische Verantwortung, ließ er sich unter falscher Identität im Departement Ariège in Okzitanien nieder, wo er auf Bauernhöfen mitarbeitete und ein möglichst unauffälliges Leben führte. Zu seiner Familie konnte er in jener Zeit nur minimale Beziehungen pflegen.

Warum kehrte er dann 2011 zurück? ETA meldete sich bei ihm und stellte ihren Strategiewechsel vor. Als Ergebnis der Aiete-Konferenz war von den internationalen Konflikt-Vermittlern eine Roadmap erstellt worden, der ETA zustimmte. Dazu kam ein Wechsel in der ETA-Führung, weil verschiedene Führungsgruppen festgenommen worden waren. “Sie erklärten mir den Plan, auch die Vermittler sowie die norwegischen Vertreter pochten auf meine Anwesenheit.” Von 2011 bis 2013 war er mit David Pla und Iratxe Sorzabal in der Nähe von Oslo und wartete auf den Beginn der Verhandlungen. Sie hielten verschiedene Treffen ab, von Seiten der spanischen oder französischen Regierung erschienen jedoch keine Vertreter. Sie blieben dort, bis alle Aussichten auf Gespräche ausgeschöpft waren. Danach kehrte er in die frühere ländliche Umgebung zurück, bis ETA ihn zurückrief, nachdem sie ihre Entwaffnung und die Diskussion über ihre Auflösung in die Wege geleitet hatte, um zusammen mit Marixol Iparragirre das Abschlusskommuniqué zu verlesen.

"WIR MÜSSEN ALLE MÖGLICHKEITEN NUTZEN, UM DIE BASKISCHE REPUBLIK ZU VERWIRKLICHEN"

josu07F: Sie lebten in den 1970er und 1980er Jahren in Ipar Euskal Herria (Nord-Baskenland). Woran erinnern Sie sich aus dieser Zeit?

JU: Zuerst blieben wir unter uns, weil wir die Situation nicht einschätzen konnten. Aber schon bald begannen wir uns zu bewegen. Ich hatte das Glück, mit den bereits dort lebenden Flüchtlingen aus Hegoalde (dem südlichen Baskenland), in Kontakt zu kommen. Die in Belgien lebten, kamen im Sommer zu Besuch: Txikia (Eustakio Mendizabal), Txomin Iturbe,... Von Anfang an passte ich mich der Situation in Ipar Euskal Herria gut an. Im ersten Jahr arbeitete ich in einer Bäckerei in Sara; Txapela (Mikel Goikoetxea) hatte dort zuvor gearbeitet und als er einen Hungerstreik begann, ersetzte ich ihn. Auch in Donibane Lohizune (Saint Jean de Luz) war ich mit vielen in Kontakt, vor allem mit den Abertzalen.

F: Die Zivilgesellschaft und die gewählten Vertreter von Ipar Euskal Herria spielten eine wichtige Rolle beim Ende von ETA. Würden Sie von einer entscheidenden Rolle sprechen?

JU: Nicht nur am Ende hat die Zivilgesellschaft in der ganzen Phase des Prozesses wichtige Schritte unternommen. Sie hat sich vorbildlich verhalten. Auch in Bezug auf Hego Euskal Herria (Süd-Baskenland) verhielt sie sich vorbildlich, obwohl man die Dinge im Verhältnis betrachten muss. Zum Beispiel war die Repression in Iparralde nicht so hart wie in Hegoalde. Das vorbildliche Verhalten bezog sich nicht nur auf uns, sondern auch auf andere Prozesse in der Welt. Wir haben erlebt, dass 90 % dieser Zivilgesellschaft den Prozess und auch andere populäre Forderungen unterstützten.

F: Allerdings wurde ihr Engagement zur friedlichen Beilegung des Konflikts von Paris oft ignoriert und blockiert.

JU: Es ist schon bemerkenswert, wie wenig Aufmerksamkeit die Zentralregierung dem schenkt, was in Ipar Euskal Herria (Nord-Baskenland) geschieht, bei der großen Unterstützung dort. Dies gilt auch für die Bewältigung der Konfliktfolgen. Es genügt, sich daran zu erinnern, was in Luhuso (Louhoussoa) geschehen ist, wie lächerlich sich der Innenminister mit seinen Aussagen gemacht hat (2016 wurde eine Gruppe von Friedens-Handwerkern festgenommen, als sie dabei waren Waffen von ETA zu zerstören, um den festgefahrenen Prozess voranzubringen) (7). Das zeigt uns, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Vielleicht sollten wir stärker auf die Beziehungen in Paris und auf der internationalen Bühne setzen, um auf die Verantwortung des französischen Staates hinzuweisen. Das Problem hat nicht nur der spanische Staat. Zudem hat der französische Staat seit 1945 mit Spanien kollaboriert, damals mit Franco. Der Kampf gegen den "Terrorismus" ist eine Ausrede, die Staaten verfolgen ihre eigenen Interessen.

josu08F: In dem Erinnerungsbuch "Así fue" (So war es) erzählt Xabier Arzalluz (Vorsitzender der christdemokratischen PNV von 1979-2004) von einem Treffen, das er in der ersten Hälfte der 80er Jahre mit ETA hatte. Er erklärt, dass Txomin Iturbe, Eugenio Etxebeste und Sie dort waren, um über die Alternatiba KAS zu sprechen (das politische Programm der baskischen Befreiungs-Bewegung). Nach dem Abkommen von Lizarra-Garazi (6) können wir heute eine gewisse Distanz zwischen der linken Unabhängigkeits-Bewegung und der bürgerlichen PNV feststellen. Wie sehen Sie dieses Verhältnis? Was wäre wünschenswert? Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden?

JU: Es ist richtig, dass wir über die Alternatiba-KAS sprachen. Ich weiß nicht, warum, ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber anscheinend hatten sie den Eindruck, “dass man mit Txomin sprechen könne.” Die PNV müssen wir vor ihren eigenen Spiegel stellen. Jean Paul Sartre spricht in Gisèle Halimis Buch über den Burgos-Prozess von einer hypothetischen Situation, er sagt, wenn wir Fortschritte machen, wird die PNV zum Staats-Vertreter. Mit anderen Worten: Die PNV ist eine Staatspartei. Die PNV bewegt sich, wenn wir ihr Umfeld bewegen, wenn sie besorgt sind, so wie jetzt. In der Tagespolitik ist sie heute eine Partei des spanischen Staates. Ich würde dennoch nicht sagen, dass mit der PNV nichts anzufangen ist. Ich komme zum Ausgangspunkt zurück: Unser Weg ist lang, um das Segelboot vorwärts zu bewegen, brauchen wir alle Segel, und wenn sich in gewisser Hinsicht etwas tut ... Die PNV ist keine monolithische Partei. Wenn es Befürworter der Unabhängigkeit gibt, müssen wir auch mit ihnen rechnen, denn wir brauchen alle Segel.

F: EH Bildu hat im spanischen Parlament für großes Aufsehen gesorgt (indem sie die Politik der PSOE-Podemos-Regierung unter Pedro Sanchez unterstützt). Somit hat eine Veränderung in der politischen Landschaft stattgefunden. Auch in der Tradition der abertzalen Linken hat sich etwas verändert.

JU: Wir stehen vor einer neuen Situation. Mit einer klaren Fahrtrichtung müssen wir alle notwendigen Möglichkeiten für eine baskische Republik nutzen. Dabei muss das Gleichgewicht zwischen institutioneller Arbeit und sozialen Bewegungen beibehalten werden. Ich stelle mir folgende Frage: Sollten wir, um ein Ungleichgewicht zu vermeiden, nicht stärker beschleunigen, -im positiven Sinn- um der Bewegung der abertzalen Linken und allen Menschen von EH Bildu die notwendigen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit die Beteiligung am Prozess stärker wird? Ich sage das aus der Ferne, mit der begrenzten Information, die ich habe.

F: Wie beurteilen Sie heute die Konfliktlösung und die nationale Befreiung, die Ihre Anstrengungen motiviert haben?

JU: Der politische Gegner will, dass wir uns auf die Folgen des Konflikts beschränken und unsere Kräfte dort erschöpfen. Ich will damit keineswegs sagen, dass diese Bereiche – die Arbeit der Zivilgesellschaft bei der Demilitarisierung, Initiativen mit Gefangenen und anderes – nicht gezielt unterstützt werden sollten. Aber das muss in einem gemeinsamen Prozess erfolgen. Ich wiederhole: Ich spreche aus der Ferne, aber das ist meine Sicht der Dinge.

josu09F: Bleiben mehr als 200 Gefangene, das ist ernüchternd ...

JU: Völlig klar. Aber ich denke, wir lägen falsch, wenn wir jetzt unsere ganze Kraft allein darauf verwenden würden. Das ist es, was unsere Gegner wollen. Dass wir den Weg zum Aufbau der baskischen Republik aus den Augen verlieren. Um der Dringlichkeit der Situation der Gefangenen gerecht zu werden und um Fortschritte bei der Lösung der Konfliktfolgen zu erzielen, müssen wir die Arbeit in verschiedenen Bereichen kombinieren.

F: Wie sehen Sie die Zukunft des Baskenlandes?

JU: Mit viel Hoffnung. Ich denke an die Jugend. Sie haben einige Vorteile, stehen aber auch negativen Faktoren gegenüber. Diese globalisierte Welt trägt enorme pessimistische und negative Aspekte in sich. Auf jeden Fall bin ich zuversichtlich. Deshalb lege ich großen Wert auf die Verantwortung derjenigen, die eine andere Zeit erlebt haben. Wir haben die Verantwortung, unsere Erfahrung weiterzugeben. Es geht nicht darum, unsere Zukunft, die baskische Republik, mit dem Blick in die Vergangenheit aufzubauen. Mit der Vergangenheit werden wir nichts aufbauen. Wir schaffen etwas Neues mit dem Blick nach vorne. Aber wir müssen den jungen Menschen die Lehren aus unserem Werdegang vermitteln. Auch wenn sie aus einer anderen Zeit stammen, sind sie für heute und morgen nützlich.

ANMERKUNGEN:

(1) Josu Urrutikoetxea (LINK)

(2) Video der Auflösungs-Erklärung von ETA, gelesen von Josu Urrutikoetxea “Ternera” (LINK)

(3) Tageszeitung GARA, Interview mit Josu Urrutikoetxea: “Cerramos una gran página, pero no es el final de todo” (Wir schließen ein großes Kapitel, doch es ist nicht das Ende von Allem) vom 28.12.2020, aus dem Spanischen von Jan Tillmanns (LINK)

(4) Der Pakt von Moncloa: Im Moncloa-Palast (Madrid) dem offiziellen Sitz des Ministerpräsidenten, fanden im Oktober 1977 die Verhandlungen statt. Beteiligt waren auf der Regierungsseite Ministerpräsident Adolfo Suárez und einige seiner Minister. Auf der anderen Seite standen Vertreter verschiedener Parteien aus dem Parlament: Felipe González (PSOE), Joan Reventós i Carner und Josep Maria Triginer (linke katalanische Parteien), Miquel Roca (liberale Regionalpartei Kataloniens), Manuel Fraga Iribarne (Altfranquist, Alianza Popular), Enrique Tierno Galván (Partido Socialista Popular), Juan de Ajuriaguerra (PNV, Baskenland), Leopoldo Calvo-Sotelo (Unternehmer, UCD) und Santiago Carrillo (KP). Wichtige Gegner des Vertrages waren die baskische Linke, sowie die 1976 in der Illegalität neu gegründete anarcho-syndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT). Die CNT organisierte schon seit Anfang des Jahres 1977 erste größere Demonstrationen und am 2. Juli 1977 veranstaltete sie in Barcelona eine Versammlung mit hunderttausenden Leuten. Der Vertrag umfasste kurzfristig und mittelfristig wirkende wirtschaftspolitische Regelungen, und er benannte gemeinsame politische Überzeugungen, die möglichst bald in Gesetzesform gegossen werden sollten. Die heute gültige Verfassung des Königreichs Spaniens wurde etwa ein Jahr später am 29. Dezember 1978 in Kraft gesetzt. (LINK)

(5) Ab 2002 wurde unter Führung von Richter Baltasar Garzón von der Audiencia Nacional und später mit dem Parteiengesetz unter dem Vorwand “Alles ist ETA” Zug um Zug die Mehrheit der Organisationen der abertzalen Linken kriminalisiert.

(6) Lizarra-Garazi-Pakt: Ein Parteienpakt von 1998 aller nationalistischen Organisationen, einschließlich ETA, PNV und Vereinigte Linke zur Beilegung des Konflikts über einen Friedensplan und Verhandlungen mit der spanischen Regierung. Der Name stammt vom Ort in Navarra, an dem die Gründungs-Konferenz stattfand. Der Pakt scheiterte im Jahr 2000. (LINK)

(7) Friedenshandwerker nannte sich eine Gruppe von Aktivist*innen in Iparralde, die verschiedene Initiativen entwickelten, um den stagnierenden Normalisierungs-Prozess, bzw. Auflösungsprozess von ETA zu dynamisieren (Abertzale, Grüne, Gewerkschafter*innen, Menschenrechtler*innen). Der Begriff Handwerker ist ein Hinweis, dass es der Gruppe nicht nur um Verhandlungen am grünen Tisch ging, sondern dass sie bereit waren, die Dinge auf praktische Art anzugehen. Bestes Beispiel war, als fünf aus der Gruppe sich von ETA Waffen aushändigen ließen, die sie in einer improvisierten Werkstatt unbrauchbar machte, als symbolischem Akt der Entwaffnung. Die Werkstatt flog auf, die Polizei verhaftete die Beteiligten. Das Ereignis hatte jedoch einen derart positiven Effekt in Medien und Öffentlichkeit, dass die Verhafteten schnell wieder entlassen wurden und die Justiz von einer Anklage “wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ angeklagt wurden. Zudem wurde an diesem Fall deutlich, wie unterschiedlich (flexibel und lösungsorientiert) die Staaten F und S in diesem Prozess agierten.

ABBILDUNGEN:

(1) Urrutikoetxea (efe)

(2) Urrutikoetxea (alt)

(3) Urrutikoetxea (naiz)

(4) Aiete-Konferenz (wikipedia)

(5) Urrutikoetxea (elcorreo)

(6) Entwaffnung (elconfidencial)

(7) Urrutikoetxea (naiz)

(8) Entwaffnung (elcorreo)

(9) ETA-Erklärung (elpais)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-04-11)

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