Eine Wahrheits-Kommission fürs Baskenland?
Carlos Martín Beristain ist Arzt und Doktor in Sozialpsychologie. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet er in Lateinamerika und im Baskenland mit Opfern von Gewalt und mit Menschenrechts-Organisationen. Bilbao, Mexiko-City und Kolumbien, alles Orte, mit denen Beristain stark verbunden ist, sind quasi sein zweites Zuhause. Im Baskenland hingegen ist dieser angesehene Experte wenig bekannt. Beristain arbeitete zudem in Guatemala, in El Salvador, Peru, Paraguay, Ecuador und auch in der Westsahara.
(2015-08-07) Carlos Martín Beristain ist zur Zeit beratendes Mitglied im kolumbianischen Friedensprozess zwischen Regierung und FARC (1), sowie einer der unabhängigen Gruppenexperten der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte zur Aufklärung des Falls der in Iguala verschwundenen 43 mexikanischen Jugendlichen. Er war Koordinator des Berichts “Guatemala Nunca Más“ (Guatemala, nie wieder) und arbeitete als Berater in Wahrheits-Kommissionen und Prozessen der Konfliktaufarbeitung in El Salvador, Peru, Paraguay, Ecuador und auch in der Westsahara. Beristain hat mehrfach Gutachten für den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erstellt, war Berater des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag bezüglich mehrerer afrikanischer Staaten. Im Baskenland, wo er seit Jahrzehnten aktiv für die Verteidigung der Menschenrechte eintritt, war er einer der Begründer der Initiative Glencree (2) zwischen Opfern verschiedener Gewaltformen. Beristain ist Mitglied der Kommission zur Anerkennung der Opfer von Polizeigewalt und auch der Kommission, die die Fälle von Folter erforscht, zusammen mit dem Gerichtsmediziner Francisco Etxeberria. Im April 2015 erhielt er den Friedenspreis Gernika (3).
“Möglicherweise gibt es auch andere Instrumente, aber der Aufgabe einer Wahrheits-Kommission kommt auch im Baskenland zentrale Bedeutung zu”
Als Experte für Konfliktvermittlung hat Carlos Martín Beristain viele erschütternde und brutale Zeugenaussagen gehört und es liegt nahe, ihn zu fragen, wie er damit umgeht. “Wenn es dich nicht betroffen macht, dann ist das der Anfang vom Ende. Sich von der Erfahrung des anderen berühren zu lassen ist unerlässlich. Wenn nicht, ist das unmenschlich”, sagt er. “Aber du darfst nicht den Schmerz der Personen, mit denen du arbeitest, übernehmen. Dann wärst du nicht mehr dienlich und die Arbeit würde nicht mehr zum persönlichen Wachstum beitragen”. Er räumt ein, dass ein Teil seiner Arbeit bedeutet, das Leid anderer zu teilen, aber auch, dass er von vielen Opfern “Wesentliches über die Menschlichkeit” gelernt hat.
Interview mit Carlos Martín Beristain, Arzt und Experte im Umgang mit Opfern und Wahrheits-Kommissionen (4)
Sie arbeiten im Friedensprozess von Kolumbien mit, in dem kürzlich die Gründung einer Wahrheits-Kommission vereinbart wurde.
Ja, es wurde ein Dokument unterzeichnet bezüglich der künftigen Wahrheits-Kommission. Das ist eine gute Nachricht für Kolumbien, die Opfer haben schon sehr lange darauf gewartet. Im kolumbianischen Friedensprozess wurden wichtige Schritte gemacht, die in keinem anderen Prozess bisher gemacht wurden. So zum Beispiel die Anwesenheit von Opfern am Verhandlungstisch, es gab übers ganze Land verteilte Foren, ein Besuch von 60 Opfern und fünf Delegationen in Havanna bei Gesprächen zwischen Regierung und FARC. Das hatte eine sehr positive Wirkung. Die Übereinkunft bezüglich einer Wahrheits-Kommission bringt die Angelegenheit vom Verhandlungstisch zurück zu einer seit Langem bestehenden sozialen Forderung.
Was war Ihre Aufgabe in diesem Prozess?
Ich bin eine der Personen, die ein Dokument entwickelt und geschrieben haben über die Wichtigkeit der Wahrheit in diesem Friedensprozess. Es ist Teil meiner Arbeit mit den Opfern, deren Wahrheit verleugnet wird. Es bedarf eines unabhängigen Mechanismus, der das Geschehene erforscht, der die Opfer anerkennt und somit zum Frieden beiträgt.
Die Frage ist naheliegend: Braucht das Baskenland eine Wahrheits-Kommission?
Eine Wahrheits-Kommission wurde bereits bei sehr unterschiedlichen Gelegenheiten und in verschiedenen historischen Phasen in Betracht gezogen. Einiges wurde während der Übergangszeit nach Francos Tod 1975 von der Diktatur zur Demokratie (Transición) versäumt, doch gibt es nach wie vor die Gelegenheit dazu. Die Schaffung einer Wahrheits-Kommission, die sich mit den Menschenrechts-Verletzungen während des Franquismus beschäftigt, wäre in jener Zeit sehr hilfreich gewesen. Auch die Wahrheit im Kontext einer politischen Lösung des bewaffneten Konflikts im Baskenland ist ein wichtiges Element. Und es gab Teilinitiativen, die versuchten, dieser Problematik nachzukommen, mittels eines Gesetzes zur Anerkennung der Opfer, die Kommission zur Aufklärung von Menschenrechts-Verletzungen seitens der Polizei von 1960 bis 1978, wir warten zur Zeit auf den neuen juristischen Rahmen, der eine ähnliche Forschungsarbeit und die Anerkennung der Opfer praktisch bis heute ermöglichen soll. Man müsste die Arbeitsbereiche Erinnerung und Wahrheit zusammenbringen. Aber ich denke, dass eine Instanz, die den Opfern Raum bietet, sie anhört, die diese schmerzliche Geschichte in Geschichte verwandelt, in der die Personen im Mittelpunkt stehen und die für den Rest der Bevölkerung zur moralischen Lektion wird, im Baskenland nach wie vor eine noch ausstehende Aufgabe ist. Instrumente wie die Wahrheits-Kommission können sehr wichtig sein, und sie waren es auch in anderen Ländern. Mag sein, dass es auch andere Instrumente gibt, aber die Aufgabe an sich ist ein zentrales Element.
Könnten die bisher laufenden Initiativen zusammengefasst werden zu einer Art Wahrheits-Kommission?
Die Wahrheits-Kommission ist eine außergerichtliche Instanz mit moralischer Legitimation und dient als Instrument zur Aufarbeitung von Menschenrechts-Verletzungen in einem bestimmten historischen Kontext. Parallel dazu die Anerkennung der Opfer, das Anhören von Zeugenaussagen, eine Geschichts-Konstruktion, die die Perspektive der Opfer beinhaltet. All das findet auch im Baskenland statt, allerdings in bruchstückhafter Form. Es handelt sich hierbei um Elemente eines Gesamtprozesses, die in anderen Fällen von einer Wahrheits-Kommission erfüllt wurden. Hier in Euskal Herria besteht der Prozess aus separaten und fragmentierten Initiativen und es muss ein Weg gefunden werden, dass alle dieselben Kriterien zugrunde legen was Respektierung der Menschenrechte und Anerkennung der Opfer betrifft, und im besten Fall mit einer gewissen Koordination der einzelnen Instanzen, juristische Rahmenbedingungen, etc. Ja, ich denke schon, dass die Bedingungen gegeben sind, eine umfassendere Planung diesbezüglich anzugehen.
Warum ist es so wichtig, die ganze Wahrheit zu kennen?
Für die Opfer stellt die Wahrheit einen Rahmen sozialer Anerkennung dar, Anerkennung einer sozialen und politischen Realität, die keine Ausdrucksmöglichkeit hatte und deren Qual in vielen Fällen individuell bewältigt werden musste. Dieser soziale Rahmen ist sehr wichtig für die Opfer und sehr gesund für die ganze Gesellschaft. Die Aufdeckung und Benennung der Wahrheit hat eine soziale Funktion und ihre Konstruktion hilft auch dabei, die Vergangenheit kritisch zu betrachten und offene Wunden zu schließen.
Kann die Anerkennung des verursachten Leids der beteiligten Seiten dazu beitragen?
Im besten Fall ja, obwohl andere Wahrheits-Kommissionen wenig Erfolg hatten. Aber die Anerkennung derer, die an der Ausübung von Gewalt direkt beteiligt waren, die Selbstkritik, ist gut für alle. Nelson Mandela gestand öffentlich die vom ANC begangenen Gewalttaten ein. Auch hier sollten diejenigen, die an Gewaltakten beteiligt waren, das produzierte Leid als Unrecht anerkennen. Es gab hier eine Diskussion über die Gleichsetzung von Opfern. Alle Opfer haben dieselben Rechte. Es bedarf einer moralischen Gleichstellung des Leidens. Das bedeutet jedoch nicht, die Mechanismen der Viktimisierung gleichzusetzen. Diese beiden Konzepte müssen getrennt werden, weil ihre Gleichsetzung einer politischen Manipulation Tür und Tor öffnen. Eine Sache sind die Rechte der Opfer und die Anerkennung ihres Leids. Darauf haben alle Opfer ein Recht. Das andere ist die politische Diskussion über die Mechanismen, die zur Ausübung der Gewalt geführt haben. In diesem zweiten Bereich werden viele nicht derselben Meinung sein. Aber der erste Schritt ist wie der Boden, der uns das Gehen ermöglicht, die Basis. Von dort aus kann dann weitergegangen werden.
Muss die Wahrheit zu juristischen Konsequenzen führen? Welche Rolle spielt dabei die Straffreiheit?
Das steht auch in Kolumbien zur Diskussion. Die Vereinbarung zur Wahrheits-Kommission macht deutlich, dass die Arbeit der Kommission keine juristischen Konsequenzen haben wird, sozusagen als Verfahren zur Trennung der beiden beschriebenen Ebenen. Das bedeutet, dass diskutiert werden muss, wo die Justiz zum Einsatz kommt, das ist noch offen. Eine Gefahr in Kolumbien ist, wenn alles über Gerichtsverfahren liefe, würde das Recht auf Wahrheit vom Prozess ausgeschlossen werden und die Versionen der Verbrecher würden die Oberhand behalten. Im Allgemeinen gilt, die Wahrheit ist Teil des Kampfs um Gerechtigkeit und die beiden Konzepte können nicht voneinander getrennt werden. Die Aufdeckung der Wahrheit bedeutet nicht nur, dass öffentlich anerkannt wird was geschehen ist und dass dies ungerecht war, sondern sollte auch eine Sanktion nach sich ziehen. Ohne Sanktion geschieht es oft, dass die Bedingungen der Straffreiheit (5) aufrecht erhalten bleiben. Mit Hilfe der Straffreiheit wird nicht nur eine Geschichtsversion durchgesetzt, sondern auch die Aufrechterhaltung der Machtverhältnisse in der Gegenwart. Die Straffreiheit muss gekippt werden, ohne diesen Bruch kann es keine Neukonstruktion des sozialen Zusammenlebens geben.
Kennen Sie irgend einen anderen Fall in der Welt, bei dem das Ende des bewaffneten Kampfs nicht mit einem minimalen Friedensprozess einhergeht?
Der Fall Euskal Herria ist der erste mir bekannte, bei dem gegen den Willen einer Regierung gearbeitet werden muss, in Bezug auf die Anerkennung des Prozesses. In allen bisherigen Fällen gab es eine Art von Dialog, von Verhandlung, zur Festlegung gewisser Bedingungen für einen Prozess. In diesem Fall wurde keinerlei Bedingung gesetzt und oft sogar wurde von der spanischen Regierung versucht, bestimmte Maßnahmen, die der Entspannung dienen sollten, zu behindern. Ja, es ist das erste mir bekannte Land, in dem ein Prozess unter diesen Bedingungen läuft.
Eckpfeiler sind die Waffenabgabe von Seiten von ETA und die Frage der Zukunft der Gefangenen. Welche Schritte müssen gemacht werden?
Wichtig ist, dass es eine reale und effektive Waffenabgabe ist. Das sollte Teil der Bedingungen eines Dialogs sein, einer politischen Gesamtlösung, in der die zu vollziehenden Schritte vereinbart werden. Auf einer politischen Bühne, auf der diese Vereinbarung nicht gegeben ist, wäre das Beste, ETA würde den Schritt einseitig machen. Klar, bestimmte Bedingungen müssen dafür gegeben sein, und das steckt, wie mir scheint, hinter den aktuellen Diskussionen. Aber der politische Wille muss deutlich sein. Das ist etwas, was man nicht halb machen kann und nicht zeitlich in die Länge ziehen sollte, es kann kein Prozess vorgegeben werden, den es nicht wirklich gibt.
Die Diagnose scheint klar. Wie kann der Knoten gelöst werden?
Ich denke, dass Veränderungen in der baskischen und spanischen Politik sichtbar sind, die dazu beitragen können. Wir brauchen eine Neubestimmung des Prozesses, unter neuen Bedingungen in der spanischen Regierung und unter den neuen Bedingungen innerhalb der baskischen Gesellschaft, die zeitliche Evolution, die Verbesserung des sozialen Klimas. All das sollte dazu beitragen, eine Politik zu entwickeln, die bisher gemachte Schritte einbezieht, die positiv sind, die aber von der Politik koordiniert werden müssen und zu einer gemeinsamen Vision beitragen.
Heute nennen wir das “die alte Politik ins Exil schicken” …
Wir brauchen neuen Wind, der nicht den politischen Diskurs der Vergangenheit wiedergibt. Wir brauchen Personen, die in der Lage sind, die Grenzlinie zu überschreiten, die die andere Seite anerkennen, ohne deshalb deren politische Haltung teilen zu müssen. Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die nationalistische Linke, Izquierda Abertzale (6), muss sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, den einen oder anderen Schritt hat sie schon gemacht. ETA muss ihre Verantwortung anerkennen. Einige Parteien leugnen, dass im spanischen Staat gefoltert wird, sie müssen das einräumen, zumindest die wissenschaftlich nachgewiesenen Fälle. Alle, die weggeschaut haben, egal ob es sich um Gewalt von ETA oder von den GAL (7) handelt. Es ist wichtig, dass sie das eingestehen. Das sind wichtige Beiträge. Der Schlüssel in diesen Fällen ist, wer den ersten Schritt macht.
Es bleibt die soziale Herausforderung des Zusammenlebens.
Die baskische Gesellschaft hat im Laufe der Jahre eine große politische Reife und auch Zusammenhalt gezeigt, selbst in den schwierigsten Momenten von Gewaltausübung. Von Seiten der Medien wurde eine zu starke soziale Polarisierung heraufbeschworen. Aktuell zeigt sich eine gewisse Müdigkeit und die Gefahr einer Demobilisierung der positiven sozialen Energie. Der Aufbau eines stabilen Friedens bedarf sozialer Energie. Wahrer Friede wird nicht einfach mit dem Lauf der Zeit erreicht oder durch die Abwesenheit offener Gewalt. Es gibt viel zu tun, was uns wiederum Energie geben kann auf gesellschaftlicher Ebene. Jetzt haben wir die Bedingungen und brauchen die Energie, die in anderen Zeiten vorhanden war.
Ist ein Zusammenleben möglich unter dem Schema von Siegern und Besiegten?
Es ist ein sehr schlechtes Schema für den Aufbau eines Miteinanders. Stellt sich die Frage, wer Sieger und wer Besiegte sind, wenn wir von einer sehr komplexen Gewaltsituation sprechen. Dieses Schema führt zur Wiederholung des ewig Gleichen. Nehmen wir ein anderes Schema: Stellen wir uns vor, Sieger wäre die Kultur und die Achtung der Menschenrechte und Besiegte die Gewalt, der Ausschluss, die Ausgrenzung und das Fehlen von Anerkennung. Von dieser Haltung aus können wir weitere Schritte tun.
In letzter Zeit haben wir gesehen, dass es einen Dialog gibt zwischen Opfern verschiedener Gewaltformen. Wir sahen, wie sich Opfer und Täter umarmten und andere Gesten. Ist das rein anekdotisch oder sind das Vorbilder?
Erstens, wir sollten den Opfern nicht vorschreiben, dass sie genau das tun müssten, um ihren Schmerz zu lindern. Es ist etwas, was einige Opfer auf sehr beeindruckende Art gemacht haben, sehr bewegend und von einer enormen Kapazität, die Seite zu wechseln und sich mit der anderen Person zu identifizieren. Das passierte in Glencree, wo Opfer unterschiedlicher Gewaltformen am Ende sagten: “Wir stehen alle auf derselben Seite“. Diese Fähigkeit, das Gegenüber anzuerkennen, diese Empathie, die viele Opfer aufbrachten, ist eine moralische Lektion für alle. Es ist keine Anekdote, es ist eine moralische Lektion, die uns alle nachdenklich machen sollte. (Ende des Interviews).
Der baskische “Friedensstifter“, der den Schmerz mit Opfern aus aller Welt teilt.
“Angesichts des Schmerzes sollte man keinen Schutzschirm aufspannen. Das wäre ein Alarmsignal, weil es bedeuten würde, sich zu entmenschlichen,” fasst Beristain die Erfahrungen seiner Arbeit zusammen. “Als ich den Bericht über Guatemala schrieb, schloss ich mich drei Wochen im Büro für Menschenrechte des Bischofssitzes ein und beschrieb, wie Frauen aufgespießt, ganze Gemeinden massakriert und Kinder getötet wurden, indem sie gegen Baumstämme geschlagen wurden ... und bei der Beschreibung eines Schicksals brach ich plötzlich in Tränen aus. Alle Büroangestellten liefen zusammen und der später ermordete Bischof Gerardi sagte zu mir: Du bist sehr berührt. Und ich antwortete: Lasst mich, es ist meine erste menschliche Reaktion in drei Wochen, ich muss fühlen was ich schreibe“. (4)
Beristain sagt, seine Aufgabe bestehe oft darin, “Erfahrungen zwischen verschiedenen Welten zu vermitteln … Ich bewege mich viel zwischen vielen Welten, Konfliktsituationen, Gewalt ... Mich in den Erfahrungen mit anderen auf gleicher Ebene zu sehen, ist sehr wichtig für mich“. Und was ist ihm das Wichtigste bei seiner Arbeit? “Das Teilen des Schmerzes unter Verschiedenen. Dabei geht es nicht um Besänftigung oder Trost, sondern darum, Erfahrungen zu teilen und Seite an Seite zu arbeiten. Das ist Teil eines Widerstandsmechanismus”, sagt er. Und genau aus diesem Grund wehrt er sich gegen diese “Haltung der Ohnmacht, des Nichtstunkönnens”. “Das ist eine der zentralen Erkenntnisse, die ich an so vielen Orten erlangte: die Hoffnungslosigkeit ist ein viel zu hoher Preis für Menschen mit enorm großer Lust zu leben. Was wir tun müssen ist, wir müssen die Umstände ändern”, schließt er.
ANMERKUNGEN:
(1) FARC, eigentlich F.A.R.C.-E.P. (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo – Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee), ist eine marxistische Guerillabewegung, die seit 1964 einen bewaffneten Kampf gegen den kolumbianischen Staat, seine Repräsentanten, die kolumbianische Armee sowie gegen rechtsgerichtete paramilitärische Gruppen und Drogenkartelle führt. 2012 begannen die Friedensverhandlungen zwischen FARC und einer Regierungsdelegation unter der Schirmherrschaft Kubas und Norwegens.
(2) Glencree nennt sich die Initiative einer Gruppe von 25 Einzelpersonen unterschiedlicher politischer Couleur, die im Zusammenhang mit dem spanisch-baskischen Konflikt Opfer unterschiedlicher Gewaltformen wurden. Die erste Begegnung fand Mitte 2007 statt, seitdem gab es mehrere Treffen, begleitet von einer internationalen Expertenkommission. Am 16. Juni 2012 richtete sich die Gruppe erstmals mit einer Erklärung an die baskische und spanische Öffentlichkeit.
(3) Friedenspreis Gernika: Premio de la Paz y de la Reconciliación. Zum Gedenken an die Bombardierung und Zerstörung der baskischen Kleinstadt Gernika am 26. April 1937 durch die nationalsozialistische Fliegerstaffel Legion Condor wird von einem mehrere Institutionen umfassenden Gremium in Gernika jährlich ein Friedenspreis verliehen. Link zu Artikel bei Baskinfo.
(4) Das Interview ist die Übersetzung eines Artikels aus der Tageszeitung Deia, erschienen am 27. Juli 2015 unter dem Originaltitel: “Carlos Martín Beristain: Puede haber otros instrumentos, pero la tarea de una comisión de la verdad es central también en Euskadi” von Enrique Santarén.
(5) Straffreiheit (span: impunidad): Gesetze oder Regelungen zur Straffreiheit sind vorwiegend aus den Ländern Argentinien, Chile und Uruguay bekannt. Dort wurde nach Ende der jeweiligen Militärdiktatur ein sogenanntes “Ley de Punto Final“ (Schlussstrich-Gesetz) erlassen, das den Angehörigen der Militärjunta und den ausführenden Organen und Personen (Polizei, Richter, Militär, etc.) Straffreiheit zusicherte. Im spanischen Staat wurde eine solche Straffreiheit nach Francos Tod im sogenannten Amnestiegesetz von 1977 verpackt, bei dem es in erster Linie um die Freilassung der politischen Gefangenen ging. Dieses Amnestiegesetz erklärte alle politischen Straftaten vor 1977 als nicht verfolgbar und damit unantastbar. Es verhindert bis heute die Aufklärung der Verbrechen der Diktatur und schützt die Verantwortlichen für mehr als 120.000 Morde an Regimegegnern vor Strafverfolgung, begangen wurden diese Morde alle im Anschluss an den spanischen Krieg von 1936-1939, sie sind also kein Resultat von Kampfhandlungen. Im Gegensatz zu den Ländern der ehemaligen Diktaturen in Lateinamerika hat der spanische Staat die Amnestie von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (von 1977) nie zurückgenommen. Die Menschenrechts-Kommission der UNO hat die spanische Regierung deshalb mehrfach darauf hingewiesen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit weder verjähren, noch dass ihre Aufklärung durch ein Amnestiegesetz verhindert werden kann. “Eine Amnestie ist eine Regel zur Befriedung. Diese Regel kann 30 Jahre später nicht zum Hindernis für die Justiz werden und die Justiz ist notwendigerweise gebunden an die Wahrheit, und die Wahrheit ist ein Kind der Zeit“, sagte der Experte des Komittees Álvaro Garcé García y Santos bei einer Pressekonferenz in Genf im November 2013.
(6) Izquierda Abertzale: Der Begriff abertzale ist baskisch und heißt wörtlich “das Vaterland liebend“. Das Wort “aberri“ bedeutet Vaterland oder Nation und das Suffix -(t)zale steht für Anhänger, Liebhaber, Freund von. Die “abertzale Linke“ ist die Eigenbezeichnung der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung, die sich ideologisch an sozialistischen und sozialdemokratischen Modellen orientiert.
(7) GAL: Die Abkürzung GAL steht für “Grupos Antiterroristas de Liberación“, (dt: antiterroristische Befreiungsgruppen). Sie waren als verdeckt agierende paramilitärische Gruppen aktiv und hatten die Bekämpfung der baskischen Untergrundorganisation ETA und der baskischen Unabhängigkeits-Bewegung zum Ziel. Die GAL-Gruppen wurden insgeheim von hohen Funktionären der spanischen Regierung während der Amtszeit des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González ins Leben gerufen. Ihre Anschläge verübten sie fast alle auf französischem Gebiet, konkret im Nord-Baskenland (Iparralde), wo sich viele politische Flüchtlinge aufhielten. In ihrer aktiven Zeit von 1983 bis 1986 begingen die GAL-Kommandos insgesamt 28 Morde. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass mehr als ein Drittel der GAL-Opfer keinerlei Beziehung zu ETA hatte. Diese Periode des Anti-Terror-Kampfes des spanischen Staates wird in Spanien als “schmutziger Krieg“ (la guerra sucia) bezeichnet.
ABBILDUNGEN:
(1) Foto Archiv Txeng (FAT)
(2) Deia vom 27. Juli 2015: “Carlos Martín Beristain: Puede haber otros instrumentos, pero la tarea de una comisión de la verdad es central también en Euskadi”.
(3) bis (7) Foto Archiv Txeng (FAT)