Perretxiko, die Perle des Frühlings
Der Perretxiko ist im Frühling der meistgeschätzte Pilz in Euskadi und Navarra. Sowohl bei Hobby- als auch Profiköchen ist er sehr begehrt. Viele Pilz-Liebhaber*innen verbinden ihre Leidenschaft mit einem Ausflug in die Berge. Weil der Perretxiko gefragt ist, wird der Zugang zu Gebieten mit reichhaltigem Vorkommen teilweise von Förstern kontrolliert. Im deutschen Sprachraum wird er Maipilz oder Georgsritterling genannt, weil der Gedenktag des heiligen Georg am 23. April als Auftakt der Saison gilt.
Der wissenschaftliche Name des im Baskenland so beliebten Frühlingspilzes „Perretxiko“ ist Calocybe Gambosa, eine wahre Köstlichkeit der Natur, in baskischer Sprache auch als „udaberriko zizazuria“ bekannt.
Farblich liegt der Perretxiko zwischen weiß und cremeweiß, manchmal auch mit einem Hauch gelb. Im Allgemeinen ist sein Hut in einer Halbkugel geformt, mit zunehmender Reife glättet er sich unregelmäßig und geht in die Breite. Sein Durchmesser reicht von 3 bis 15 Zentimeter. Der Frühlingspilz verfügt über zahlreiche schmale dichte Lamellen. Er ist sehr fleischig, kompakt und regelmäßig, mit einer matten Oberfläche, glatt und trocken. Der Fuß ist weiß, kurz, robust und massiv, meistens gerade. Sein Fleisch ist faserig, vor allem bei ausgewachsenen Pilzen, und leicht zerbrechlich.
Beim Sammeln dieses Maipilzes muss darauf geachtet werden, dass er nicht mit giftigen Pilzen verwechselt wird: zum Beispiel mit dem Amanita verna, etwas kleiner; dem Entoloma lividum, mit deutlich lachsfarbenen Lamellen; oder mit dem Inocybe patouillardii, graue Lamellen, kleinem, nicht fleischigem Hut und schlechtem Geruch.
Pilzfeste in Gasteiz und Urduña
Das erste große Frühlingsfest findet in einem Stadtteil der baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz statt und ist dem Schutzheiligen der historischen Provinz Alava gewidmet: San Prudencio. Gedenktag ist der 28. April, aber das Fest beginnt bereits am Vorabend und setzt sich bis zum 1. Mai fort. Rund um die Basilika von Armentia mit ihren üppigen Grünflächen wird gesungen, getanzt und eben auch gekocht und gegessen. Die Gastronomie ist wie bei fast allen Festen im Baskenland auch hier eine tragende Komponente. Hobbyköche und andere Vertreter der unzähligen Kochgesellschaften der Provinz (in der Tat fast ausschließlich Männer) nehmen an Kochwettbewerben unter freiem Himmel teil. Das typische Gericht bei diesem Frühlingsfest sind Schnecken und Rührei mit Maipilzen. Auch bei dem „Otxomaio“ genannten mehrtägigen Stadtfest in Urduña (span. Orduña), Bizkaia, rund um den 8. Mai spielt die Gastronomie eine wesentliche Rolle. Der Georgsritterling wird hier als „Pilz von Orduña“ bezeichnet, weil er in der Umgebung des Ortes besonders gut gedeiht. (1)
Klimatische Bedingungen
Im Frühjahr nach der Regenzeit, zwischen Mitte April und Anfang Mai kommt er besonders reichlich vor. Manchmal zeigt er sich auch noch im Juni, in feuchteren Zonen, taucht er bisweilen sogar schon im Februar auf. Wenn es im Jahr 2017 die winterliche Trockenheit war, die diese Frühlingsdelikatesse zur Mangelware werden ließ, so ist ihr Mangel im Jahr 2018 dem Gegenteil geschuldet: dem übermäßigen Regen, der fehlenden Wärme und des geringen Sonnenscheins. Die klimatischen Bedingungen haben dazu geführt, dass Wiesen und Waldböden nur wenig von diesen begehrten Fruchtkörpern bedeckt sind.
Perretxikos brauchen Wärme und Feuchtigkeit. Nach ein paar Regentagen bei gleichzeitig milden Temperaturen, beginnen sie reichlich zu sprießen und sorgen für gut gefüllte Körbe der erfahrenen Sammler*innen. Allerdings müssen sich Feuchtigkeit und Wärme die Waage halten, weder das eine noch das andere Element darf zu stark ausgeprägt sein. Denn es handelt sich um empfindliche Wesen. Genauso wie sie bei guten Bedingungen scheinbar aus dem Nichts auftauchen, verschwinden sie, wenn die Witterung nicht stimmt.
Typische Linien und Kreisbildung
Das Verb „Auftauchen“ ist eine gute Definition für das Dasein dieses essbaren Naturprodukts, das in baskischen Breitengraden (gemeinsam mit anderen Waldprodukten wie Kräutern und Beeren) mit Hexen in Zusammenhang gebracht wird. Ihr Erscheinen wiederholt sich Jahr für Jahr an den mehr oder weniger selben Stellen, oft in kreisförmiger Anordnung. Dann ist von Hexenringen die Rede. Manchmal tauchen sie mysteriöserweise auch plötzlich einige hundert Meter entfernt auf.
Die Form, in der der Perretxiko wächst – in Linien oder mehr oder weniger weiten Kreisen – hat zu Aberglauben Anlass gegeben. Im Mittelalter sagten die Völker Mitteleuropas, diese Kreise seien Orte, an denen von Göttern geworfene Blitze niedergingen, daraus gingen Ungeheuer und schädliche Teufel hervor. Die germanische Mythologie kennzeichnete sie als Orte, an denen die Hexen in Vollmondnächten ihre magischen Tänze feierten, die wiederum schreckliches Unheil nach sich zogen.
Der Perretxiko zeigt sich vor allem auf Wiesen und Lichtungen kalkhaltiger Böden und wächst neben stachligen Sträuchern, Disteln, Brennnesseln, Gräsern, Heidekraut. Seine besondere Gruppenbildung wird hierzulande perretxikal genannt. Jede einzelne dieser Pilzansammlungen kann einen Ertrag von mehreren Kilo ergeben und mehr als einen Schnitt pro Saison.
Der Perretxiko ist ein fleischiger Pilz, von fester und kompakter, aber gleichzeitig zarter Textur. Sein Fleisch zerfällt leicht. Er hat einen sehr angenehmen Geruch, der an frisches, feuchtes, gerade zerriebenes Mehl erinnert, an einen gärenden Brotteig. Wie andere Pilze kennt er keine Fotosynthese. Er teilt Aromen mit Algen, Meeresprodukten, Ei, gerösteten Getreideflocken, frischen Kräutern.
Perretxiko-Nährwert
In der Küche bietet sich der Maipilz für viele Rezepte an. Er eignet sich für Schmorgerichte, zum Sautieren, für Saucen und Suppen. Im Baskenland wird er gern als Eier-Pilz-Omelett zubereitet, auch mit Artischocken, Speck und Wein. In Katalonien wird er für ein sehr traditionelles Rezept benutzt, das Fricandó, in dem unterschiedliche Pilzarten, Kalbfleisch, Zwiebel, Knoblauch, Tomate, Eier und Mehl zusammenkommen.
Die Perretxiko-Pilze bestehen zu 90 % aus Wasser, haben geringe Anteile an Kohlehydraten, Proteinen und Ballaststoffen. Sie enthalten wenig Natrium, sind reich an Kalium und Phosphor, zwei Minerale, die eine wichtige Rolle spielen bei der Regulierung des Stoffwechsels, bei der Muskelkontraktion, beim Gleichgewicht der Flüssigkeiten in den Zellen, usw. Sie haben Blutzucker senkende Wirkung und sind daher für Diabetiker*innen besonders empfehlenswert.
Frische Perretxikos mit besonderem Geschmack
Der erfahrene Journalist Julián Méndez, der unter anderem über Ernährung, Enologie und Gastronomie schreibt, erklärt seine erste Begegnung mit diesem Leckerbissen der Natur folgendermaßen: „Unter leichtem Sprühregen wird ein kleines Wunder sichtbar. Ein Grüppchen von kleinen aromatischen Pilzen, die zusammenkauern, mit den Füßen in der Erde stecken und an eine englische Gesellschaft mit großen Hüten und weißen Gehröcken erinnert. Wir schneiden sie vorsichtig ab. Ihr Geruch ist unverwechselbar. Betörend. Reine Erde, Wald, Leben. Ich stecke mir einen direkt in den Mund. Hmmmm!“ (1)
Der Koch des Restaurants Nerua in Bilbao, Josean Alija, äußert sich ähnlich: „Es handelt sich um eine anfällige Pilzart, die nicht lange aufbewahrt werden kann. Jedoch verkörpert sie unseren Wald wie keine andere. Sie besitzt feine süßliche Aromen, einen Geruch nach Erde, nach frisch gemahlenem Weizen“. An anderer Stelle führt er weiter aus: „Sie ist fleischig, von fester und kompakter Textur, gleichzeitig jedoch zart und ihr Fleisch zerfällt leicht. Ihr Geruch ist sehr angenehm, erinnert an frisches Mehl, leicht feucht, gerade gemahlen wie ein gärender Brotteig.“ (1)
Vielleicht ist die erste Besonderheit des Perretxiko sein Aroma, das an den Geruch früherer Backstuben erinnert. Der Geschmack, der im Mund zurückbleibt, lässt an Trockenfrüchte denken, an Walnuss. Diese Qualitäten haben ihm zu Ruhm verholfen, eine schlichte Verkostung, nur wenig geschmort, oder in Sauce serviert.
In der heutigen globalisierten Welt erfährt ein zur Jahreszeit passender Geschmack wieder zunehmend Anerkennung. Dieser schlichte Frühlingsritterling konnte nicht domestiziert werden und sein Aroma gilt daher als kulinarische Besonderheit. Sein Genuss weckt die Erinnerung an frühere Zeiten, als die Menschheit nahe der Natur und in Eintracht mit ihr lebte, als durch Menschenhand verursachte Vergiftungen und Verseuchungen noch unbekannt waren.
Allerdings ist es zunehmend schwieriger geworden, in heimischen Wäldern und Wiesen Perretxiko-Maipilze zu finden. Die beliebtesten Orte waren das ausladende Bergmassiv Gorbeia und die Gegend um Urduña, sowie die Hänge der Hochebene bei Abadiño. Dort wurden Pilzgerichte in Restaurants in den Speiseplan der Mittagstische aufgenommen. Auch von den Berghängen der angrenzenden Provinzen Kantabrien und Asturien kommend wurden frisch gesammelte Pilze in baskischen Küchen verarbeitet.
Nicht zuletzt waren die Provinzen La Rioja und Soria im Süden ebenfalls für das Aufkommen von Pilzen bekannt. Später wurde auch aus León und Zamora importiert. Die Pilze, die heutzutage auf Märkten und in Obst- und Gemüseläden angeboten werden, kommen nahezu alle aus der Ukraine, aus Rumänien und anderen der neueren Mitgliedsländer der EU.
Perretxiko-Mangel - Txanpi als Ersatz
Da die Natur-Delikatesse rar geworden ist und zum anderen preislich nicht für alle erschwinglich ist, hat sich eine verwandte, geschmacklich ähnliche Pilzgattung durchgesetzt: der kultivierte Champignon. Im Zusammenhang mit der immer ausgefeilteren Pintxo-Kultur in baskischen Bars und Restaurants, war er eine Zeitlang in den Hintergrund getreten. Neuerdings wird er wieder auf vielen Theken angeboten. In Ermangelung der echten Perretxikos stehen die schlichten aber leckeren, aus Kulturen stammenden Champignons hoch im Kurs. In einigen Bars werden nur sie als Pintxos angeboten, in anderen sind sie Bestandteil des reichhaltigen Angebots.
Besonders beliebt ist der auf einer Plancha-Grillplatte geschmorte Champignon. Plancha bedeutet auf Spanisch „Eisen“, auch „Bügeleisen“. Dabei handelt es sich um eine eiserne Platte, die traditionellerweise von unten mit Butangas-Feuer beheizt wird. In früheren Zeiten wurde sie auch direkt auf das offene Feuer gelegt. Auf diese Weise können schnell große Mengen von Lebensmitteln gegart bzw. geschmort werden. Bei Stadt- und Volksfesten im Baskenland sind sie unentbehrlich. Dabei werden die zu grillenden Lebensmittel schonend zubereitet. (2)
Zurück zum Champignon: in manchen Bars sind diese Grillplatten relativ klein und erfordern an Tagen großer Nachfrage eine gekonnte Nutzung. Die Pilze werden nicht auf Vorrat gegrillt, das heißt die Platte muss stets warm gehalten werden. Im mittleren Bereich beginnt die Prozedur, nach einigem Wenden wird der Txanpi an anderer weniger heißer Stelle weitergeschmort. Am Ende wird er in einer Ecke der Plancha abgelegt, wo er gekonnt eingeschnitten und mit ein paar Tropfen einer speziellen Flüssigkeit versehen wird. Eine Scheibe Weißbrot, die in Öl und in einem vom Pilz selbst stammenden Saft getränkt wird, dient als Unterlage.
(Baskultur.info / 2018-08-18)
ANMERKUNGEN:
(1) Information und Zitate aus: „Perretxiko, bruja de primavera“ von Javier Urroz, Monatszeitschrift Bilbao, Mai 2018 (Perretxiko, die Frühlingshexe). Es handelt sich um keine Übersetzung. Vielmehr stammt die Information aus mehreren Quellen, u.a. der Webseite des Chefkochs Josean Alija (Link)
(2) Plancha-Grillplatte (Wikipedia)
ABBILDUNGEN:
(1) Perretxiko-Maipilze (valdorba.com)
(2) Perretxiko-Maipilze (wikipedia)
(3) San Prudencio Gasteiz (wikipedia)
(4) Hexenring (wikipedia)
(5) Grillplatte (FAT)