Eine Karriere – ein Club
Eine Auszeichnung der ganz besonderen Art hat sich der baskische Fußball-Club Athletic Bilbao 2015 einfallen lassen: die Ehrung für Spieler, die ihre gesamte Karriere in einem einzigen Club zugebracht haben. Der „One Club Player Award” ist insofern die Anerkennung für eine Art von Treue, die im heutigen Fußballgeschäft kaum mehr zu finden ist. Denn überall lockt das Geld. Vereinswechsel werden in der Regel mit besserer Bezahlung belohnt. Die Auszeichnung 2018 ist für den Katalanen Carles Puyol.
Fußballspieler, die ihre komplette sportliche Karriere in einem einizigen Verein praktizierten, haben beste Aussichten, von Athletic Bilbao die Auszeichnung ONE CLUB PLAYER AWARD zu erhalten.
Dass ausgerechnet der Club aus Bilbao eine solche Treue-Ehrung auslobt, überrascht sicher nur jene, die die Philosophie des bizkainischen Clubs nicht kennen. Denn bei Athletic – Männer und Frauen – spielen ausschließlich Eigengewächse. Das heißt, Kicker*innen, die im Baskenland geboren wurden, oder die hier das Fußballspielen gelernt haben. In Europa ist das einmalig, vielleicht sogar in der Welt. Für diese Personalpolitik wird Athletic auf allen Kontinenten gelobt und geschätzt. Legenden wie Iker Casillas oder Xabi Hernandez sprechen mit Hochachtung vom Club, der seine Spiele im Stadion San Mames austrägt – der sogenannten „Kathedrale des Fußballs“.
Bei den bisherigen Ehrungen waren 2015 Matt Le Tissier von Southampton und im Jahr darauf der Italiener Paolo Maldini vom AC Milan geehrt worden. Im vergangenen Jahr kam dem langjährigen deutschen Auswahltorwart Sepp Maier von Bayern München der Preis zu. Nun ist ein Katalane an der Reihe. Carles Puyol spielte von 1999 bis 2014 in der Innenverteidigung des FC Barcelona und gewann so ziemlich alles, was es als Fußballer zu gewinnen gibt.
1978 wurde Puyol in Pobla de Segur, Lleida geboren. Früh kam er ins Fußball-Internat „La Masia” von Barca und blieb der Mittelmeer-Metropole bis zu seinem Karriereende treu. Auf dem Platz war Puyol während seiner gesamten Laufbahn ein Vorbild an Beständigkeit und Einsatz, und nicht nur das. Er war ein Arbeiter, der durch seinen ehrlichen Charakter und seine Sportlichkeit überzeugte. Ronaldo-Arroganz oder Mourinho-Hasstiraden waren ihm völlig fremd.
Deshalb steht in der Halbzeitpause des Spiels gegen Betis Sevilla am 5. Mai 2018 seine Ehrung an. Kein Geringerer als die Athletic-Torwartlegende Jose Angel „Txopo“ Iribar wird den Award übergeben. Iribar selbst wäre ein perfekter Kandidat für den Preis, wäre er nicht von Athletic selbst. Hier hat er – obwohl aus dem gipuzkoanischen Zarautz stammend – all seine Fußballzeit zugebracht. Aus verständlichen Gründen schließt Athletic eigene Spieler als Preisträger aus.
Carles Puyol
Als Profi spielte Carles Puyol 593 Matches für seinen Verein, den FC Barcelona. Dabei erzielte er 18 Tore. Die letzten zehn Jahre war er Kapitän des Teams, in dem gleichzeitig das argentinische Talent Lionel Messi weltberühmt wurde. Im ersten Kapitänsjahr 2004-2005 gewann er seine erste spanische Meisterschaft, zwanzig weitere Titel sollten folgen. Neben seinen sechs Meistertiteln (2005, 2006, 2009, 2010, 2011, 2013) kamen die Siege in der europäischen Championsleague hinzu (2006, 2009, 2011), sowie zwei europäische Supercups (2009, 2011). In denselben beiden Jahren war Barca bei der sogenannten Club-Weltmeisterschaft erfolgreich. Den spanischen Pokal gewann Puyol zwei Mal (2009 und 2012), übrigens jeweils gegen Athletic Bilbao, den spanischen Supercup hingegen durfte er sechs Mal hochhalten (2005, 2006, 2009, 2010, 2011, 2013).
Selbst wenn Puyol mit seinem Barca viele Spiele gegen Athletic gewann, wäre in Bilbao nie jemand auf die Idee gekommen, gegen ihn und sein Team zu pfeifen. Wenige erfuhren in San Mames so viel Respekt wie Puyol. Was in Bilbao besonders gerne in Erinnerung gerufen wird ist das Pokalfinale von 2012 im Stadion Vicente Calderon von Madrid. Nicht weil Athletic etwa gewonnen hätte, die Basken mussten sich – wie fast üblich – geschlagen geben. Der Höhepunkt kam nach dem Spiel. Denn bei der Ehrenrunde durchs Stadion hatte Puyol die Größe, sich nicht nur eine katalanische Flagge um den Hals zu hängen, sondern dazu noch eine baskische! In Bilbao wird das sicherlich 100 Jahre unvergessen bleiben. Zusammen mit Xavi Hernandez machte Puyol damals seinen Respekt vor einem Team deutlich, in dem ausschließlich Einheimische spielen und das dennoch in der Lage war, eins ums andere Mal ein Pokalfinale zu erreichen.
Die Zeit mit dem genialen Mittelfeldspieler Hernandez war von Beginn an erfolgreich. Bei den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000 gewannen die beiden mit dem spanischen Team die Silbermedaille. Die vielleicht größten Erfolge waren drei Siege bei ebenfalls internationalen Turnieren. Im Jahr 2008 gewann Puyol mit der spanischen Mannschaft die Europameisterschaft, zwei Jahre später in Südafrika die Weltmeisterschaft. Die Euro wieder zwei Jahre später verpasste er wegen der Verletzung, die auch sein Karriereende einleitete.
Bei einem Spieler von seiner Qualität wäre es ein Wunder, wenn es nicht Angebote von außerhalb gegeben hätte. Bekannt wurde zum Beispiel die Offerte des AC Milan zu Beginn von Puyols Karriere, als der FCB eine Reihe von Jahren keine Titel gewinnen konnte. Der Reiz war vorhanden, denn Milan gefiel dem Katalanen, in dem damals mit Paolo Maldini ein weiterer späterer One-Club-Man spielte. Doch Carles Puyol blieb den Farben treu und startete beim Club seines Lebens eine Gewinnserie, die wenige Vergleiche findet.
Eine weitere menschliche Geste Puyols ist von der Siegerehrung nach dem Gewinn der Championsleague 2011 überliefert. Als Kapitän sollte er den Pokal abholen, überließ das jedoch seinem Teamkollegen Éric Abidal, der gar nicht mitgespielt hatte, weil er gerade eine Krebstherapie hinter sich hatte.
Gestoppt wurde die Karriere des Energiebündels Puyol von seinen beiden Knien. Vom vielen Kicken waren sie abgenutzt. Bereits 2012 konnte er aus diesem Grund nicht mit zur Europameisterschaft. Die beiden letzten Jahre spielte Puyol häufig mit Schmerzen. Als er sich zurückzog, hatte er bereits das stattliche Alter von 36 Jahren erreicht, was insbesondere für einen Verteidiger eine große Ausnahme darstellt. Als er von seiner Auszeichnung durch Athletic Bilbao erfuhr, schickte er eine Botschaft an den Verein und seine Fans: “Vielen Dank an den Athletic Club für diesen One Club Player Award 2018. Wir sehen uns in San Mamés. Eskerrik asko!”.
Weitere Kandidaten
Der aus Portugalete stammende Julen Guerrero (1974) wäre ebenfalls ein Kandidat für den One-Club-Player-Award. Zwischen 1992 und 2006 spielte er 430 Profi-Partien für seinen Club. Trotz lockender Millionenangebote blieb er diesem treu. Die Auszeichnung wird er dennoch nie erhalten, weil dieser einzige Club eben Athletic Bilbao war und die eigenen Spieler von der Preisvergabe ausgeschlossen sind.
In der baskischen Presse wurde in den vergangenen Wochen, vor der Bekanntgabe von Carles Puyol als Kandidat, ein weiterer Name für den Award gehandelt: Xabi Prieto (1983). Zwischen 2001 und 2018 kam er auf sage und schreibe 569 Spiele für seinen Club, dem er nun seinen Abschied angekündigt hat. Der Baske Xabi Prieto wäre sicher ein ganz besonderer Kandidat. Denn der Verein seiner ewigen Treue ist Real Sociedad San Sebastian – der große Konkurrent von Athletic Bilbao.
„La Real“, wie der Club in Unterscheidung zum großen „Real“ aus Madrid genannt wird, praktizierte vor vielen Jahren dieselbe Personalpolitik wie Athletic. Mit der zusätzlichen Einschränkung, dass nur Spieler aus der Provinz Gipuzkoa in Frage kamen. Doch das ist einige Zeit her. Anders als Bilbao hat La Real erst ausländische Spieler und dann auch spanische zugelassen. Dennoch stieg der Club für drei Jahre ab in die Zweite. Die Derbys zwischen Real und Athletic sind immer besonders bissig umkämpft.
Mehrfach verpflichtete der Club aus Bilbao wichtige Spieler aus San Sebastian. Joseba Etxebarria und zuletzt Iñigo Martinez – das kam an der Concha ziemlich schlecht an. Nicht einmal die Präsidenten sprechen miteinander. Insofern könnte der Award für Xabi Prieto sogar als Friedensangebot verstanden werden. Dafür muss zumindest noch ein Jahr in baskische Land gehen, denn noch gehört Prieto zum La-Real-Team.
Bleibt anzumerken, dass jene Spieler, die bei Athletic groß werden, nicht unbedingt alle zu One-Club-Spielern werden. Denn die Kaderschmiede im Örtchen Lezama am Flughafen Bilbao bildet so viele Spieler aus, dass nie und nimmer alle in der ersten oder zweiten Mannschaft Platz haben. Insofern ist Athletic ein Abgabeverein. Dazu kommt, dass wichtige Stars gelegentlich weggekauft werden, was dem Club Millionen einbringt, ihn aber auch schwächt. Die Rede ist von Rafa Alkorta, Andoni Zubizarreta, Aitor Karanka, Javi Martinez, Ander Herrera oder Aymeric Laporte. Nicht einfach ein One-Club-Player zu werden.
ABBILDUNGEN:
(1) Carles Puyol (El Correo)
(2) Carles Puyol (entretantomagazine)
(3) Carles Puyol (Mundo Deportivo)
(4) Carles Puyol (give-me-sport)