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Ein exemplarischer Ausstand

Im Baskenland kämpften Beschäftigte eines Industriebetriebs gegen ihre Entlassung – unterstützt von einer breiten sozialen Bewegung. Zu einem der längsten Streiks in der baskischen Geschichte kam es, nachdem die Geschäftsführung einen Sozialplan verkündet hatte, mit dem wegen angeblich schlechter Auftragslage 129 Beschäftigte entlassen und die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden sollten. Erfolgreich war er, weil die Streikenden es verstanden, den Ausstand zum Thema für eine ganze Region zu machen.

Der Streik in den Industriebetrieben Tubacex in Laudio und Amurrio (Araba) geht als einer der längsten in die Geschichte der baskischen Arbeiter*innen-Bewegung ein. Entschieden wurde der Ausstand nicht nur vor den Werkstoren, sondern in der gesamten Region.

Der Großraum Bilbao gilt noch immer als eines der industriellen Zentren des spanischen Staates. Über viele Jahrzehnte führte die baskische Arbeiter*innen-Bewegung hier harte und lange Arbeitskämpfe. International bekannt wurde die Auseinandersetzung der Arbeiter*innen der Euskalduna-Werft in Bilbao gegen die Schließung ihres Werks in den 1980er Jahren. Unter teilweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen versuchten die Beschäftigten über Wochen ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. (1)

Der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungs-Gesellschaft machte indes vor einer der kämpferischsten Regionen Europas nicht halt. Die damit einhergehende Deindustrialisierung brachte den Verlust von unzähligen gut bezahlten Arbeitsplätzen mit sich. Neue Jobs entstanden – meist schlecht bezahlt und unsicher – in der Gastronomie und Tourismusbranche. Gerade bei jungen Menschen nahm prekäre Beschäftigung in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zu. Im Jahr 2019 stieg die Anzahl an befristeter Beschäftigung bei den unter dreißig Jährigen auf 62 Prozent.

tuba02Neoliberale “Arbeitsmarkt-Reform“

Mit dazu bei trugen die neoliberalen Arbeitsmarktreformen der Regierung von Mariano Rajoy ab 2012, in deren Folge die Erosion von Arbeitnehmer*innen-Rechten und prekäre Beschäftigung weiter zunahmen. Eine Jugend-Arbeitslosigkeit von 30-40 Prozent sowie Renten unter oder an der Armutsgrenze sorgten für sozialen Zündstoff. Die folgende Regierung aus PSOE (Partido Socialista Obrero Español) und Podemos unter Pedro Sanchez, die im Januar 2020 die Regierungsgeschäfte aufnahm und unter anderem eine Rücknahme der Arbeitsmarkt-Reform ihrer Vorgänger versprochen hatte, blieb diesen Schritt bis heute schuldig.

Die sozio-ökonomischen Bruchlinien zeigten sich fortan unmissverständlich: im landesweiten Protest von Rentner*innen für eine würdige Rente, der im Baskenland seinen Anfang nahm und sich schließlich über den ganzen Staat ausbreitete; in einer Vielzahl von Arbeitskämpfen in unterschiedlichen Branchen der Metall- und Elektroindustrie, wie im VW-Werk in Irunea-Pamplona; in Streiks von prekär Beschäftigen im Pflege-Bereich; im Ausstand von Landarbeiter*innen. Aber auch der hohe Organisierungsgrad in Organisationen wie den baskischen Gewerkschaften LAB (Langile Abertzalean Batzordeak, linkssozialistisch) und ELA (Eusko Langile Alkartasuna, kapitalismus-kritisch mit Ursprung im baskischen Katholizismus), wurde sichtbar.

Pandemiefolgen

Dann kam die Pandemie, begleitet von Ausgangssperren und dem Patrouillieren von Militärs in den Straßen. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben kam weitgehend zum Erliegen. Auf staatlicher Ebene versuchte die Sanchez-Administration zwar mit kleinen Reformen wie dem ERTE-Programm (Expedientes de Regulación de Empleo) den sozialen Aufprall von Arbeitnehmer*innen abzufedern. Durch das Programm konnte eine große Zahl von Entlassungen verhindert werden, indem Beschäftigte vorübergehend in die Arbeitslosigkeit geschickt wurden – unter der Bedingung, dass ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben. Allerdings kehrten ausschließlich die Festangestellten zu ihrer Arbeit zurück. Für viele befristet Beschäftigte galt die Regelung nicht. Dies betraf vornehmlich junge Menschen, die häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. So stand Euskadi, wie die Autonome Gemeinschaft Baskenland auch genannt wird, nach Angaben des Nationalen Statistik Instituts (INE) im dritten Quartal 2020 mit einer Arbeitslosenquote von 10,34% im staatlichen Vergleich relativ gut dar (im Gegensatz zu 16,26% in Gesamtspanien). Doch verdeckt dies die enorm hohe Quote bei jungen Menschen. Laut Aussagen des Baskischen Jugendinstituts liegt die Beschäftigungslosigkeit unter baskischen Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren bei 42,68%.

Tubacex

Mit dem folgenden Zyklus der wirtschaftlichen Rezession begann nicht nur eine neue Etappe des Widerstands gegen den austeritäts-politischen Kurs der Regierung, der Staat schlug auch mit immer größerer Brutalität zurück. Beim Unternehmen Tubacex, einem Produzenten von Stahlrohren für den internationalen Markt in den baskischen Städten Amurrio und Laudio (span: Llodio) begann ein Arbeitskampf, der in seiner Dauer auch im arbeitskampferprobten Baskenland eher die Seltenheit ist. Die Geschäftsführung hatte zuvor einen Sozialplan verkündet, in dem geplante Entlassungen von 129 Beschäftigten und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen mit Verlusten des Unternehmens in Millionenhöhe begründet wurden. Zugleich erhöhte sie die Vergütungen für Geschäftsführung und Verwaltungsrat um einen hohen fünfstelligen Betrag.

tuba03Bei der Begründung der Kündigungen stützte sich die Unternehmensleitung rechtlich auf staatliche Regulierungen. Zum einen auf das bereits genannte Krisenprogramm ERTE der Sanchez-Administration und zum andern auf ein Gesetz aus der Arbeitsmarkt-Reform der früheren Rajoy-Regierung: das sogenannte ERE-Verfahren zur Arbeitsregulierung (Expediente de Regulación de Trabajo, betriebsbedingte Kündigungen). Dieser Teil des spanischen Arbeitsmarkt-Gesetzes (Art. 51) ist ein Instrument für Arbeitgeber*innen zur Massenentlassung von Beschäftigten.

Die Entscheidung, Teile der Belegschaft zu entlassen, stieß bei Gewerkschaften und Beschäftigten auf massiven Widerspruch. Trotz Pandemie führten die bei Tubacex in unterschiedlichen Gewerkschaften organisierten Beschäftigten im Februar dieses Jahres eine Vollversammlung durch und beschlossen einstimmig einen unbefristeten Ausstand. Der Streik begann. Die Beschäftigten bezogen ihre Streikposten vor den Werkstoren von Tubacex.

Polizei und Streikbrecher

Wenige Tage später versuchte die Unternehmensleitung durch den Einsatz von Streikbrechern die Produktion wieder zum Laufen zu bringen. Dies konnte von der streikenden Belegschaft verhindert werden – trotz eines massiven Einsatzes der baskischen Regionalpolizei Ertzaintza. Auf Bildern in den sozialen Medien prügeln Polizist*innen unter dem Einsatz von Tränengas wild auf streikende Arbeiter*innen ein. (Anm: Die Betriebsleitung ging außerdem dazu über, Streikbrechern monatlich ein Plus von 300 Euro zu bezahlen, was von der eigentlich neutralen Arbeits-Inspektion der baskischen Regierung als legal bezeichnet wurde).

Leider sollten derartige Angriffe kein Einzelfall bleiben. In den folgenden Wochen griff die Ertzaintza mehrmals Demonstrationen und Versammlungen von Beschäftigten und der mit ihr solidarischen Bevölkerung an. In diesem Zuge wurden mehrere Beschäftigte festgenommen und vor Gericht gestellt. Alle bisher geführten Prozesse endeten bisher mit Freisprüchen.

Zeitgleich zum Ausstand und den Mobilsierungen zur Unterstützung der streikenden Beschäftigten leiteten die Gewerkschaften beim Obersten Baskischen Gerichtshof rechtliche Schritte gegen die Unternehmensleitung ein, von der sie Rücknahme der Kündigungen forderten. Schließlich erklärte der Oberste Gerichtshof des Baskenlandes den Sozialplan von Tubacex samt Kündigungen für Null und Nichtig und forderte das Unternehmen zu einer sofortigen Wiedereinstellung der zuvor entlassenen Beschäftigten auf. Diesem Urteil kam die Unternehmensleitung allerdings nicht nach. Vielmehr verweigerte sie die Rückkehr ihrer Beschäftigten an ihren Arbeitsplatz und ging in Berufung.

Zusätzlich startete sie im Verlauf des Sommers eine mediale Schmutzkampagne in der sie den Gewerkschafts-Vertreter*innen “mafiöse Praktiken“ vorwarf. Alle Versuche der Tubacex-Leitung, den Arbeitskampf zu diskreditieren oder zu stoppen, liefen letztlich ins Leere. In einer Vielzahl von Aktionen (an den Standorten, in Vitoria-Gasteiz und in Bilbao) machte sie weiterhin auf ihre Forderungen aufmerksam. Bleiben zwei Fragen: Wie kann sich ein Wirtschafts-Unternehmen so vehement einem Rechtsurteil verweigern? Und wie schaffen es die Beschäftigten eines Unternehmens in der baskischen Provinz einen derart langen und zehrenden Arbeitskampf zu führen?

tuba04Neoliberale Regierung

Die Baskische Autonome Gemeinschaft wird mit kurzen Unterbrechungen seit dem Ende des Franquismus von der christdemokratischen PNV (Partido Nacionalista Vasco) regiert. Die PNV vertritt mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik seit jeher die Interessen der baskischen Oligarchie und steht somit in starkem Kontrast zu den Interessen der baskischen Arbeiter*innen-Bewegung. Im Falle von Tubacex ist die Baskische Autonome Gemeinschaft Anteilseignerin des Unternehmens.

Mitxel Lakuntza, der Generalsekretär der am Streik beteiligten Gewerkschaft ELA, beschrieb diese Gemengelage im März dieses Jahres in einem Interview der Zeitung El Correo. Gerade in der Pandemie-Krise habe sich die Regionalregierung in ihrem Elfenbeinturm eingeschlossen und sich dort ausschließlich vom Kapital beraten lassen. Ihre Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmer*innen-Rechten seien völlig ungenügend, so der Gewerkschafts-Vertreter weiter. Von der Exekutive hatten die Beschäftigten von Tubacex also nicht viel zu erwarten.

Unterstützung

Stattdessen erfuhren sie eine immense Unterstützung aus der Bewegung der abertzalen Linken, also der linken baskischen Unabhängigkeits-Bewegung. Trotz Pandemie fand im Baskenland eine Vielzahl von unterschiedlichen Aktionen statt. Mitten in der vierten (Coronavirus)-Welle im März 2021 demonstrierten mehrere tausend Menschen unter strengen Hygiene-Regelungen für die Rechte der Tubacex-Beschäftigten. Trotz des jahrelangen kräftezehrenden permanenten Ausnahmezustandes aufgrund des bewaffneten Konflikts, hat sich die baskische Linke nach dessen Ende und ihrer Neuorganisation ihre Mobilisierungsfähigkeit erhalten. Dabei beziehen sich die unterschiedlichen Teilbereichs-Bewegungen solidarisch aufeinander.

So führte eine feministische Demonstration am 8. März zu den streikenden Arbeiter*innen vor den Werkstoren von Tubacex. Auch das Zusammenspiel von Mobilisierungen auf der Straße und institutioneller Arbeit funktionierte trotz Pandemie. Das linke Parteienbündnis Euskal Herria Bildu unterstützte die streikenden Arbeiter*innen und versuchte über ihre parlamentarische Arbeit Druck auf die PNV-Regionalregierung aufzubauen. Dass der politische Gegner zunehmend auf repressive Instrumente setzte, zeigte nicht zuletzt der feige Angriff der baskischen Regionalpolizei auf eine Demonstration der sozialistischen Jugendorganisation ERNAI im Sommer, die friedlich auf die perspektivlose Situation junger Menschen im Baskenland aufmerksam machen wollte.

Die durch die Pandemie forcierte Austeritätspolitik der neoliberalen Eliten trifft gerade im Baskenland auf massiven Widerstand einer gut organisierten Bewegung. Eine Bewegung, die auf jahrzehntelange Erfahrungen mit langen und harten Auseinandersetzungen zurückgreifen kann. Erfahrungen, die auch für die Linke im deutschsprachigen Raum von Interesse sein kann. (1)

Erfolgreiches Streikende

Die Unternehmensleitung und die Mehrheit des Tubacex-Betriebsrats unterzeichneten am 4. Oktober 2021 eine Vereinbarung, mit der dieser fast achtmonatige Streik der Tubacex-Beschäftigten in den Werken Laudio und Amurrio zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze beendet wurde. Die Versammlungen der Gewerkschaften ELA, CCOO und ATAL unterzeichneten die Vereinbarung, während die beiden anderen Gewerkschaften, LAB und STAT, dagegen stimmten. Neben der Wiedereinstellung aller entlassenen Arbeiter und der Beilegung des Streits um Kurzarbeit beinhaltet die Vereinbarung Beschäftigungs- und Investitions-Garantien für diese Betriebe mindestens bis Dezember 2024. Im Gegenzug wird die Arbeitszeit um 40 Stunden pro Jahr erhöht. (2)

tuba05Damit haben die Arbeitnehmer*innen von Tubacex ihre Hauptforderungen erreicht: den Erhalt der Arbeitsplätze in der Region. Während dieser Streik-Monate haben sie einen beispielhaften Kampf geführt. Trotz Druck und Polizeieinsätzen haben sie den Widerstand organisiert, indem sie Unterstützung außerhalb der Betriebe suchten und die gesamte Region in die Verteidigung der Produktionsstätten einbezogen, da diese Arbeitsplätze für den Landkreis unentbehrlich sind. Ähnliches kann über das Unternehmen nicht gesagt werden. Es ist völlig unerklärlich, dass die Führung zuerst die Zahl der Beschäftigten wegen mangelnder Aufträge reduzieren wollte, um am Ende die Zahl der zu Arbeitsstunden zu erhöhen.

Die Tatsache, dass Tubacex ohne stichhaltige Gründe acht Monate lang Argumente für den Streik geliefert hat, kann nur als Versuch verstanden werden, den Willen und die Einheit der Arbeitnehmer*innen zu brechen. Erst nachdem sich der Widerstandswille und der Rückhalt der Streikenden in der Bevölkerung als unüberwindbar zeigte, war die baskische Regierung bereit, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Doch auch die Unterzeichnung lässt die Regierung in keinem gutem Licht erscheinen. Wie bei praktisch allen Arbeitskonflikten beschränkte sich ihr Beitrag lange Zeit darauf, die Position des Unternehmens zu verteidigen, bis sie angesichts des Kampfwillens der Arbeiter*innen keine andere Wahl mehr hatte, als zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.

Ein langer Streik, der schließlich Früchte trug. Er liefert auch wichtige Erkenntnisse darüber, wie mit dieser Art von Arbeitskonflikten umzugehen ist: nicht nur vor den Werkstoren, sondern unter Einbeziehungen des sozial-politischen Umfelds. Lektionen, die in Zeiten der neoliberalen Offensive gegen die Arbeiterklasse besonders interessant sind. (2)

ANMERKUNGEN:

(1) Der Artikel erschien zuerst im deutschen Magazin “Analyse und Kritik“ Nr. 674 vom 23.09.2021. Autor: Jan Tillmanns, Mitbegründer des Initiative basis.bildung. Er organisiert seit mehreren Jahren politische Bildungsreisen ins Baskenland. Publikation bei baskultur.info mit freundlicher Genehmigung des Autoren. Der Streik endete mit einer Vereinbarung am 4. September 2021, einige Formulierungen wurden aus diesem Grund geringfügig verändert.

(2) Die Streikbilanz erschien in der Kategorie Tagesnachrichten des Portals Baskultur.info und geht auf Informa aus der baskischen Tageszeitung Gara zurück. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Tubacex-Streik (deia)

(2) Tubacex-Streik (diario.es)

(3) Tubacex-Streik (eitb)

(4) Tubacex-Streik (elmundo)

(5) Tubacex-Streik (naiz)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-10-11)

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