Ein heißer Fiesta-Herbst
Eigentlich ist der Sommer Fiesta-Zeit im Baskenland. Doch nach der Aufhebung der meisten Pandemie-Einschränkungen ist ein heißer Herbst auf den Straßen und in den Kneipen zu erwarten. Zumindest an den Wochenenden und mit allen verfügbaren Kräften. Es scheint, dass ein Teil der Jugend die verlorene Zeit nachholen will. “Neue Normalität“ macht als Begriff ebenso die Runde wie “unkontrollierter Vandalismus“. Dabei sind es nur zwei Seiten derselben Medaille. Versuche mit dem Coronavirus zu leben.
Nach der Aufhebung der meisten Pandemie-Einschränkungen ist im Baskenland ein heißer Fiesta-Herbst zu erwarten, bei dem Kontrollverlust und Polizeiaktion eine wichtige Rolle spielen werden. Oktober ist auch der Monat der Erinnerung an 1936.
INHALT:
* (31-10) "ETA ist nicht verschwunden" * (30-10) Die Todesschleife von Erandio * (29-10) Weg mit dem Maulkorb-Gesetz * (28-10) Faschisten verklagen Antifaschisten * (27-10) Fernando ist zurück * (26-10) Im Sumpf der Korruption * (25-10) Gevatter Mari rettet 105 * (24-10) Rechte von Gefangenen * (23-10) Strompreise und Lebensmittel-Kosten Top * (22-10) Es brennt in Gernika * (21-10) Rentnerinnen zur Vollversammlung * (20-10) ETA verzichtet auf Gewalt * (19-10) Entschuldigung für ETA-Gewalt * (18-10) Faschisten vor Gericht * (17-10) Zehn Jahre Aiete-Friedens-Konferenz * (16-10) Geschwindigkeit frisst Haushaltsmittel * (15-10) Pflegeheim wegen Chaos geschlossen * (14-10) Ein Hauch Amerika * (13-10) Inflation * (12-10) Drei tote Migranten * (11-10) Immobilienspekulation * (10-10) Senegalesische Fischer in Ondarrua * (09-10) Generalstreik in Sicht * (08-10) Bilbao stinkt zum Himmel * (07-10) Der absteigende Liebling * (06-10) Massiver Missbrauch in der Kirche * (05-10) Ein exemplarischer Streik * (04-10) Interpretationen von Picasso * (03-10) Doppeltes Opfer der spanischen Justiz * (02-10) Über 65-Jährige von Armut bedroht * (01-10) Zustände in Altersheimen *
(2021-10-31)
"ETA IST NICHT VERSCHWUNDEN"
Die spanische Justiz kann sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass ETA nicht mehr existiert. Vor 10 Jahren hatte die Untergrund-Organisationen einen definitiven Waffenstillstand erklärt, vor drei Jahren hatte sie sich entwaffnet und kurz danach aufgelöst. Im derzeitigen Verfahren (Fall 13/13) gegen Rechtsanwältinnen und Kanzleiangestellte, die gefoltert wurden, geht es um die Behauptung einer “Anwalts-Front“, die in die Struktur von ETA eingebunden gewesen sei. Für den Staatsanwalt des Sondergerichts Audiencia Nacional ist "ETA nicht verschwunden", diese Behauptung soll als Basis dienen, eine Verurteilung zu 19 Jahren Haft zu erreichen.
"ETA ist nicht verschwunden, sie hat nur aufgehört, Verbrechen zu begehen. Wenn ein Drogen-Kartell sagt, dass es den Drogenhandel eingestellt hat, hören wir auch nicht auf, es zu verfolgen", so Staatsanwalt José Perals. Die Auflösung von ETA kein "rechtlicher Grund für eine Änderung" der Würdigung der Tatsachen, auch nicht 11 Jahre nach den “Taten“. Er forderte "Reue, Kollaboration und die Identifizierung der Verantwortlichen, und da ist nichts geschehen". Ein Angeklagter wurde aus dem Verfahren genommen, weil sich herausstellte, dass er zum Zeitpunkt der “Taten“, über die verhandelt wird, im Gefängnis saß. Die Verteidigung hat den Freispruch aller Angeklagten gefordert, da deren Grundrechte in dem Verfahren mehrfach verletzt wurden (Folter, illegale Methoden). Einige der Angeklagten seien bereits wegen ähnlicher Vorwürfe verurteilt worden, eine Mehrfachverurteilung sei illegal. Das Recht auf Verteidigung wurde auch dadurch verletzt, da die Geheimdienst-Agenten, die die Ermittlungen eingeleitet hatten, nicht vor Gericht aussagen werden. Ihre Ermittlungen und die Art wie sie praktiziert wurden, bleiben somit im Dunkeln. Doch für die Staatsanwaltschaft liegt keine Verletzung von Rechten vor.
In seinen Schlussfolgerungen bezeichnet Perals die Anwältin Arantza Zulueta als “prominente Anführerin von ETA“, sie sei am Einzug von Revolutionssteuer von Geschäftsleuten beteiligt gewesen, an der Einrichtung eines Waffen-Verstecks in Frankreich und der Bereitstellung von Informationen zur Organisation von Anschlägen. Diese Vorwürfe stützen sich angeblich auf Unterlagen, die bei der Durchsuchung der Anwaltskanzlei in Bilbo sichergestellt wurden. Den Angeklagten Jon Enparantza bezeichnete er als Mitglied der ETA-Führung und beschuldigte ihn, Informationen über mögliche Anschlagsziele geliefert zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zur "harten Linie von ETA" zu gehören, die für die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes eintritt. Die Durchsuchungen in den Kanzleien seien unter Wahrung des Berufsgeheimnisses durchgeführt worden.
Über Jahrzehnte hinweg wurden Anwält*innen der baskischen politischen Gefangenen bei ihrer Tätigkeit behindert, dabei waren sie häufig deren einziger Außenkontakt. Nun soll ein Teil dieser Verteidiger*innen der Gefangenen-Rechte verurteilt werden. Die spanische Justiz hat es (wie die Politik der Postfranquisten) bis heute nicht verdaut, dass ETA sich aus dem politischen Leben zurückgezogen hat und dies unter dem Applaus der internationalen Gemeinschaft. Der aktuelle Prozess ist ein nostalgischer Rückgriff der ultrarechts ausgerichteten spanischen Justiz auf die nicht mehr existierende Konfrontation. Es geht nicht um Rechtsprechung, sondern um Rachejustiz, bei der die unter Beweis gestellte Folterpraxis außen vor bleiben soll. Die Urteilsverkündung wird für kommende Woche erwartet.
RÜCKBLICKE: * (1978) Kongress und Senat des spanischen Parlaments ratifizieren die neue Verfassung, mit den Gegenstimmen der baskischen Abgeordneten. * (1982) Die neue sozialdemokratische Regierung in Spanien unter Felipe Gonzalez veröffentlicht ihren “Plan zum Ende von ETA“, der später zum ZEN-Plan wird. * (1982) Zum ersten Mal benutzt ETA bei einem Anschlag eine Autobombe, gegen einen Konvoy der spanischen Polizei in Vitoria-Gasteiz. * (2005) Der baskische Gefangene Jose Angel Altzuguren wird im Gefängnis Soria tot aufgefunden.
(2021-10-30)
DIE ENDLOSSCHLEIFE VON ERANDIO
Im Herbst 1969 wurden zwei Personen aus Erandio, damals ein Stadtteil von Bilbo, von der spanischen Polizei erschossen. Seit 1968 protestierten die Einwohner*innen gegen die unerträgliche Luftverschmutzung, unter der sie litten. Monate zuvor hatte der Stadtrat von Bilbo die Faschistin Pilar Careaga zur neuen Bürgermeisterin gewählt und mehrfach Versprechungen zur Beseitigung der Verschmutzung gemacht. Doch die Worte waren nur Lippenbekenntnisse. Die giftige Wolke vom 28. Oktober 1969 war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Wie bei anderen Gelegenheiten gingen die Nachbarn auf die Straße. Die Polizei reagierte mit scharfer Munition. Drei Personen wurden schwer verwundet, einer davon starb vierzehn Tage später. In der offiziellen Version heißt es, dass die Polizei “in die Luft schoss, um die Demonstration aufzulösen". Nicht erwähnt wurden die anderen Verwundeten, die auf der Flucht von hinten angeschossen wurden.
Am nächsten Tag ging Erandio erneut auf die Straße, um gegen die Luftverschmutzung zu protestieren. Erneut schoss die Polizei auf die Versammelten. Früh morgens kehrte Jesús Murueta nach Hause zurück. Als er am Bahnübergang auf eine bewaffnete Polizeipatrouille traf, durchbohrten zwei Kugeln seinen Körper. Laut Autopsie-Bericht wurden die Schüsse aus einem Abstand von weniger als zwei Metern abgegeben. Murueta starb kurz darauf im Krankenhaus. Im Stadtrat Bilbao wurde auf einer Dringlichkeitssitzung nicht über die Polizei-Übergriffe gesprochen, man führte Inspektion durch, um zu ermitteln, welche Unternehmen, die für die giftigen Gase verantwortlich seien. Zwei sollten geschlossen werden: Indumetal und Remetal. "Verdächtig" waren auch DowUniquinesa, Olarra SA und Metalquímica. Indumetal weigerte sich, die Anlage zu schließen, mit Argumenten, die bis heute Gültigkeit haben: es handele sich "nicht um schädliche Gase, sondern nur Rauch". Die Geschäftsleitung behauptete allen Ernstes, dass der Rauch keine chemischen Elemente enthalte.
Gegründet worden war das Unternehmen in den 1950er Jahren, von Familien aus Neguri: Churruca, Guzmán und Lipperheide (deutscher Ursprung), den Stützen des Franco-Regimes. Später hat sich Indumetal im saftigen Geschäft des Recyclings neu etabliert. Im Jahr 2018 wurden zehn seiner Mitarbeiter verhaftet wegen illegaler Aktivitäten, sie wurden beschuldigt, bei der Produktion in Erandio (wie im Jahr 1969) Schadstoffe wie Blei, Cadmium, Kupfer und Zink zu verbreiten. Europol hatte nicht angemeldete Importe aus Deutschland, Frankreich, Portugal und Italien verfolgt. Heute wird das Unternehmen von Ignacio Echeberria geleitet, ein ehemaliger Abgeordneter der PNV, der auch mit Banken in Verbindung steht. Indumetal steht immer noch in der Kritik von Nachbarschafts-Vereinigungen. Remetal wurde ebenfalls zu Schrott-Verarbeitung und Recycling umgewandelt und von einem deutschen Unternehmen, Befesa, übernommen. Nach eigenen Angaben werden dort jährlich mehr als 1.300 Tausend Tonnen Abfälle, hauptsächlich Stahl und Aluminium, entsorgt. Der Hauptsitz befindet sich nach wie vor in Erandio. Seine Emissionen wurden wiederholt angeprangert. Im Jahr 2015 wurden fünf Beschäftigte ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie bei einem schweren Arbeitsunfall Verbrennungen erlitten hatten.
Die Erinnerung an die blutigen Ereignisse 1969, die Erinnerung an Anton Fernández und Josu Murueta, die Kontinuität der Umwelt Schweinereien im 21. Jahrhundert – eine giftige Endlosschleife, die bis heute weder aufgeklärt noch beendet wurde. Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass Erandio die am stärksten verschmutzte Stadt unter jenen ist, die für eine europäische Studie über Spanien ausgewählt wurden, 24 standen zur Debatte. Madrid ist für Umweltverschmutzung berüchtigt: ein Viertel der damaligen Vergiftung in Erandio. Laut Studie ist der Ort doppelt so stark verschmutzt wie Barcelona auf dem zweiten Platz: Kadmium, Nickel und Blei. Das Doppel-Verbrechen von Erandio rettete jungen Manns aus Ondarroa das Leben. Er saß in der Todeszelle, doch das Regime wagte nicht, die Atmosphäre weiter aufzuheizen: einen Tag nach den Ereignissen in Erandio wurde er begnadigt.
RÜCKBLICKE: * (1956) Tod des baskischen Schriftstellers Pio Baroja, einer der sogenannten 98er-Generation. * (1975) Weil der Diktator Franco krank ist, übernimmt der “Prinz“ Juan Carlos de Borbon vorübergehend die Regierungsgeschäfte des spanischen Staates. * (1995) Zweite Volksabstimmung in Quebec über die Abspaltung von Kanada: Ergebnis: 50,58% dagegen, 49,42% dafür. Die Referendumsfrage: “Stimmen Sie zu, dass Québec souverän werden soll, nach einem formellen Angebot einer neuen wirtschaftlichen und politischen Partnerschaft an Kanada, gemäß der Gesetzesvorlage über die Zukunft Québecs und der am 12. Juni 1995 unterzeichneten Übereinkunft?“
(2021-10-29)
WEG MIT DEM MAULKORB-GESETZ
Offiziell wurde es euphemistisch “Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ genannt. In der linken Opposition – auf die das Gesetz der Rajoy-Regierung zugeschnitten war – hieß es von Beginn an Ley Mordaza, das Maulkorb- oder Knebel-Gesetz, weil damit jegliche Art von noch so friedlichem Protest abgewürgt werden sollte. Es reichte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, auf dem Tshirt ein Motiv zu tragen, das “bedrohlich erschien“ oder bei einem Polizisten im Einsatz den Eindruck zu verursachen, dass er sich „subjektiv bedroht“ fühlte. Ohne Verfahren und Prozess führte das zu minimalen Bußgeldern von 600 Euro, eine Art Totschlagsjustiz, die von Richtern auf Polizisten vorverlagert wurde. Für Fotografen und Reporter bedeutete das, bei der Arbeit Gefahr zu laufen, “amtliche Einsätze zu stören“ und so “staatsfeindliche Aktivitäten“ zu ermöglichen, mehr als einer endete mit zerschlagenem Schädel oder kaputter Kamera. Eine Willkür sondergleichen, die von den Einsatzkräften gerne und massenhaft genutzt wurde, um jeglichen Protest finanziell in die Knie zu zwingen.
Politische Meinungsfreiheit wurde auf den Planeten Mars verbannt. Außer den Postfranquisten (PP – 5%) war im Baskenland niemand zufrieden mit dem Gesetz. Schon gar nicht die baskische Linke und die kämpferischen und streikfreudigen Gewerkschaften, auch nicht Podemos und selbst die Sozialdemokraten hatten Bedenken, insbesondere nach dem Ende von ETA und des Straßenkampfs (kale borroka). Das Thema wurde zu einem Wahlkampfschlager ersten Ranges, verschiedene Kräfte beeilten sich auf der Suche nach Wahlstimmen, das Gesetz sofort zurückzunehmen, falls sie an die Regierung kämen. Sogar die Christdemokraten von der baskischen PNV äußerten sich gegen das Gesetz, perverserweise kam diese Ablehnung bei der baskischen Polizei nie an, fleißig wurden Bußgelder verteilt, mehr und willkürlicher denn je.
Mit der sozialliberalen Koalition von Sozialdemokraten und Unidas Podemos sowie der Zustimmung von Seiten der Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, hätte die Abschaffung einen schnellen Weg gehen können. Aber die Mühlen mahlen langsam. Zudem gibt es in der PSOE ausreichend Stimmen, die das Gesetz gerne beibehalten würden. Erst jetzt, wo es um die Verhandlungen zum Staats-Haushalt geht und dringend Stimmen gebraucht werden, kommt Bewegung in die Abschaffung des Gesetzes.
Nach ersten Angaben haben sich die Koalitionspartner bereits auf zwei wesentliche Punkte geeinigt: die Änderung der Artikel über Sanktionen für nicht angemeldete Versammlungen, die ohne Zwischenfälle ablaufen, und über die Aufnahme von Bildern bei Demonstrationen und Polizeieinsätzen. So wird auf Vorschlag von Unidas Podemos der Schutz des Rechts auf friedliche Versammlung "garantiert", indem festgelegt wird, dass "das Fehlen einer vorherigen Anmeldung die Ausübung des Rechts in keinem Fall verhindern darf, sofern sie friedlich ist". Andererseits soll wegen der massiven Beschwerden von Medienschaffenden die Aufnahme und Verbreitung von Bildern straffrei bleiben, wenn diese nicht das Recht auf Privatsphäre oder die Sicherheit von Polizeibeamten beeinträchtigen. Bisher werden Fotografen bestraft (oder verprügelt), wenn sie unverhältnismäßig brutale Polizeigewalt dokumentierten.
Eine vollständige Einigung wurde jedoch noch nicht erzielt, um das "Knebelgesetz" der PP abzuschaffen. Podemos will zum Beispiel die so genannte "heiße" Rückführung von Migranten (Deportation ohne juristische Basis) beenden, eine Praxis, die "Menschenrechte verletzt", wie soziale Organisationen mehrfach angeprangert haben. Der Kongress hatte beschlossen, dieses Gesetz im September 2020 zu reformieren. Seitdem ist mehr als ein Jahr vergangen, aber die Reform ist nicht vorangekommen, weil das Präsidium des Kongresses, in dem PSOE und Unidas Podemos die Mehrheit haben, die Frist für die Vorlage von Teiländerungen ständig verlängert hat.
RÜCKBLICKE: * (1936) Republikanische Kräfte holen Anhänger des Franco-Aufstands aus dem Gefängnis von Las Ventas von Madrid und erschießen sie. Darunter den Schriftsteller und Diplomaten Ramiro de Maeztu und den Hitler-Verehrer Ramiro de Ledezma Ramos. * (1993) Nach 117 Tagen Entführung lässt ETA den Industriellen Julio Iglesias Zamora frei.
(2021-10-28)
FASCHISTEN VERKLAGEN ANTIFASCHISTEN
Die spanische faschistische Partei VOX hat ein Mitglied von Sare Antifaxista (Antifaschistisches Netzwerk) verklagt wegen Ausschreitungen während einer Kundgebung in Sestao im Jahr 2020. Unter starker Polizeipräsenz fand nun vor dem Amtsgericht in Barakaldo eine Unterstützungs-Kundgebung statt, anlässlich der Erklärung eines Sprechers des verklagten antifaschistischen Kollektivs. In Ermangelung anderer greifbarer politischer Gegner soll das Antifaschistische Kollektiv für die Ereignisse in Sestao verantwortlich gemacht werden.
Von Sare Antifaxista. “Kundgebung am Montag, den 25. Oktober, vor dem Gerichtsgebäude in Barakaldo, gegen die Zulassung einer Klage der faschistischen Partei Vox durch die Justiz im Zusammenhang mit den Ausschreitungen während einer Kundgebung in Sestao (Bizkaia) im Juni 2020. Die Klage wurde vor 1 Jahr und 4 Monaten eingereicht. Heute haben wir erfahren, dass aus demselben Grund auch die ehemalige baskische Innensenatorin Estefanía Beltrán de Heredia und eine weitere Mitarbeiterin von Sare als Zeuginnen geladen wurden.
Der Sprecher von Sare Antifaxista, der zur Zeugenaussage geladen ist, ist seit 16 Jahren für das Thema der historischen Aufarbeitung des Franquismus (Memoria Historica) tätig, sowie für Informations-Veranstaltungen, runde Tische, Debatten, Buchvorstellungen. Er ist seit 40 Jahren ein politischer und sozialer Aktivist.
RÜCKBLICKE: * (1920) In Eibar wird auf Initiative der sozialistischen Gewerkschaft die Kooperative Alfa gegründet, die mit der Produktion von Waffen und später Nähmaschinen weltberühmt wird und sich später in ein Industrie-Konsortium verwandelt. * (1937) Im Gefängnis El Dueso (Santander) werden 42 baskische Soldaten erschossen, die sich Wochen vorher den italienischen Truppen ergeben hatte nach Verhandlungen mit der PNV. * (1978) Die erste von der abertzalen Koalition Herri Batasuna organisierte Demonstration endet mit fünf schwer verletzten Demonstranten. * (1990) Bei den vierten Wahlen zum baskischen Autonomie-Parlament erhielten folgende Parteien Stimmanteile: Ergebnis: PNV 28%, PSE 20%, HB 18%, EA (nationalistisch-sozialdemokratisch) 11%, EE (sozialdemokratisch) 8%, PP (postfranquistisch) 6%, UA (konservativ) 1,5%. Ministerpräsident erneut der PNV-Kandidat Jose Antonio Ardanza.
(2021-10-27)
FERNANDO IST ZURÜCK
Nach einer Odyssee durch Italien, Andalusien, Wales und England ist der Hüne von Rincon de Soto ins Baskenland zurückgekehrt. Obwohl in der Region La Rioja geboren, durfte er für Athletic Bilbao auflaufen, weil er dort das Kicken gelernt hatte. Das war 2003 mit zarten 18 Jahren. Mit Athletic erreichte er in der Sturmmitte (fast) alles und wurde praktisch unverzichtbar. Ein Euro-Finale und mehrere Pokalfinale stehen in seinem Curriculum, auch wenn sie verloren gingen. Gewonnen hat Fernando Llorente Welt- und Europameisterschaft, selbst wenn er dabei wenig zum Einsatz kam. Dann versuchte er den großen Sprung, machte sich in Bilbao unbeliebt und ging zu einer italienischen Autofirma (Fiat, Juventus). Dort gab es endlich richtige Titel, wenn auch nur eine Weile lang.
Sevilla, Swansea, Tottenham, Napoli und Udinese waren die nächsten Stationen, die ihn zwischendurch auch in die Championsleague führten (ein Finale). Fast wäre ihm eine Rückkehr an die Stätte der Anfänge gelungen, die ehemaligen Spieler-Kollegen von Athletic hatten ihn auf der Wunschliste. Doch bei den Fans stand er auf der schwarzen Liste, wurde mit Veto belegt und galt als unvertragbar, über das sich auch der Präsident nicht hinwegzusetzen traute. Sein unrühmlicher Abschied bei den Weiß-Roten war in zu deutlicher Erinnerung. Zuletzt zehrte das Alter, plötzlich stand der blonde Engel mit dem Modehaarschnitt ohne Vertrag auf dem fußballerischen Abstellgleis. Ohne Club, ohne Vertrag. Doch trotz seiner stattlichen 36 Jahre suchte er nicht den Nagel, um seine Stollenstiefel endgültig abzuhängen.
Auf den Spuren von Aritz Aduriz, der es erstklassig bis 40 schaffte, fand Fernando aus Rincon noch einmal einen baskischen Arbeitgeber, der ihn vorläufig nicht in die Verlegenheit bringt, sich mit Athletic zu messen. Als Überraschung des Tages wurde Llorente im kleinen Eibar als Neuverpflichtung präsentiert. Neubeginn in der zweiten Liga also, denn die Waffenstädter aus Gipuzkoa mussten im Sommer aus der Ersten zurücktreten. Ehrgeiz ist ihm sicher nicht abzusprechen, egal auf welcher Ebene, wer bei Juve gespielt hat könnte ehrenkäsig eine Zweitligastation wie Eibar als Beleidigung empfinden. Nichts dergleichen: “Der beste Ort für einen Neubeginn“ sprach er artig in die Mikrophone. Eibar führt die Tabelle an und hat unter dem Urgestein Garitano beste Chancen, den Abstieg rückgängig zu machen. Das würde Fernando dem Großen nochmal die Tür in die Liga der Stars öffnen. Womöglich doch nochmal zu Athletic. Wer weiß …
RÜCKBLICKE: * (1903) Nach einem Streik der Minenarbeiter in Bizkaia kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und der Polizei und dem Einsatz von Militär. In Bilbao wird der Kriegszustand ausgerufen. * (1976) Elf baskische Flüchtlinge werden von der französischen Regierung auf die Insel Yeu verbannt. * (2017) Nachdem die spanische Regierung jegliche Art von Dialog ablehnt, wird im katalanischen Parlament von Ministerpräsident Puigdemont einseitig eine katalanische Republik ausgerufen.
(2021-10-26)
IM SUMPF DER KORRUPTION
Korruption sei ein spanisches Fremdwort, dergleichen gäbe es im Baskenland nicht – heißt es bei der baskischen Rechte gerne. Doch die Realität hat längst das PNV-Geplapper von der Sauberkeit eingeholt. Wo das Parteibuch die halbe Miete für eine ordentliche Karriere bedeutet und zudem alle möglichen Türen und Drehtüren öffnet, sind Amtsmissbrauch und der Griff in die Kasse zur Normalität geworden. Die Baskisch Nationalistische Partei PNV (das N stünde besser für neoliberal) ist auf dem besten Weg, den spanischen Postfranquisten von der PP den Rang als korrupteste Partei abzulaufen.
Eine vorläufige Bilanz: Zehn ehemalige PNV-Bürgermeister, die verurteilt wurden, drei ehemalige Bürgermeister, gegen die derzeit Anklage erhoben wird, ein Bürgermeister, gegen den ermittelt wird, und acht Gemeinderäte, die verurteilt wurden. Noch weit von der PP entfernt, aber die Aufholjagd beginnt. Zum Beispiel in Alonsotegi: Drei ehemalige Bürgermeister wurden 2021 wegen Korruption angeklagt: José Luis Erezuma, Gabino Martínez de Arenaza und Aitor Santiesteban. Oder in Iurreta: Gegen Bürgermeister Iñaki Totorikaguena wurde 2021 ein Verfahren eröffnet wegen Amtsmissbrauch.
Provinzwechsel Richtung Araba, in die baskische Hauptstadt Vitoria-Gasteiz: Der Fall De Miguel, benannt nach dem Rädelsführer, ehemalige Nummer 2 der Partei in der Provinz, Verurteilung wegen Abkassieren von Kommissionen nach öffentlich vergebenen Aufträgen. Iñigo Antía, ehemaliger Stadtrat, im Jahr 2017 für den Skandal um einen neuen Auto-Prototyp verurteilt, der zu Millionenverlusten führte. Zambrana, María Justina Angulo, ehemalige Bürgermeisterin, im Jahr 2019 im Mehrfach-Prozess De Miguel verurteilt. Haltestelle Gipuzkoa. Getaria: Mariano Camio, ehemaliger Bürgermeister wurde im Jahr 2019 wegen Veruntreuung und Fälschung von Geschäftsunterlagen verurteilt. Ormaiztegi: Ignacio Maiora, ehemaliger Bürgermeister, verurteilt im Jahr 2010 wegen Amtsmissbrauch und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Erstaunlich wenige Fälle in Araba (3) und Gipuzkoa (3). Sollte dort die politische Moral etwa eine größere Rolle spielen?
Kurze Atempause, zurück nach Bizkaia und nur noch Bizkaia. Leioa: Iñaki San Juan, ehemaliges Ratsmitglied, wurde im Jahr 2019 wegen Korruption verurteilt, ebenfalls im Fall De Miguel. Bakio: Txomin Rentería, ehemaliger Bürgermeister, im Jahr 2018 wegen Amtsmissbrauch verurteilt. Richtung Süden nach Karrantza: José Luis Portillo, ehemaliger Bürgermeister, im Jahr 2018 zusammen mit dem ehemaligen Stadtrat José Ignacio Muro für den Skandal um das millionenschwere Fiasko der Abwasser-Entsorgungs-Anlage verurteilt. Muskiz: Gonzalo Riancho, ehemaliger Stadtrat, im Jahr 2017 wegen Amtsmissbrauch verurteilt. Erandio: Itziar Koba, ehemalige Stadträtin, verurteilt im Jahr 2017 wegen Amtsmissbrauch. Errigoiti: Iñaki Madariaga, ehemaliger Bürgermeister, verurteilt im Jahr 2012, weil er einen Nachbarn überfuhr, nachdem er in einen Streit mit einer Gruppe von Menschen geraten war, die gegen den Bau einer Biomasse-Anlage protestierten. Elantxobe: Amaia Eiguren, ehemalige Bürgermeisterin, im Jahr 2010 wegen Amtsmissbrauch verurteilt, zusammen mit drei Stadträten: José Gabriel Astelarra, Concepción Eiguren und José Antonio Landa. Zamudio: Sorkunde Aiarza, ehemalige Bürgermeisterin, verurteilt im Jahr 2010 wegen Amtsmissbrauch. Mallabia: Juan Luis Pagalday Barruetabeña, ehemaliger Bürgermeister, verurteilt 2008 wegen Veruntreuung. Galdakao: Patxi Sierra-Sesumaga, ehemaliger Bürgermeister, verurteilt wegen Amtsmissbrauch im Jahr 2001.
Verschiedene andere Klagen wurden abgewiesen gegen: die ehemaligen Bürgermeister von Abadiño und Sestao, die ehemalige Bürgermeisterin von Lezama und vier ehemalige Gemeinderats-Mitglieder, die ehemaligen Bürgermeister von Bermeo und Gueñes, die ehemaligen Bürgermeister von Zierbena und Balmaseda, den ehemaligen Bürgermeister von Leioa und einen Ex-Stadtrat, die ehemaligen Bürgermeister von Bakio, Legorreta, Lezo, Mendaro, Beasain, die ehemalige Bürgermeisterin von Aia, einen weiteren ehemaligen Bürgermeister von Aia und den ehemaligen Bürgermeister von Azkoitia. Darüber hinaus wurden der Provinzpräsident Markel Olano sowie der Bürgermeister von Donostia, Eneko Goia, ein ehemaliger Bürgermeister von Lazkao und ein ehemaliger Stadtrat von Usurbil als Zeugen geladen im Fall Bidegi (Autobahn-Bauarbeiten im Wert von 30 Millionen Euro).
Dem gegenüber steht ein Fall mit Beteiligung einer sozialdemokratischen Bürgermeisterin in Orio und der Verurteilung der Bürgermeisterin von Pasaia, weil sie sich manipulativ in eine Polizeiangelegenheit einmischte. Derweil wird in der PNV weiterhin von “Ausnahmefällen“ gesprochen, deren Zahl allerdings schon lange nicht mehr an einer Hand abzulesen ist. Ausnahmefälle einer Korruption mit System. Aktuell stellt diese Korruptions-Partei (mit Schwerpunkt auf kleineren und mittelgroßen Orten) die Bürgermeister in allen drei Hauptstädten Euskadis, die drei Provinz-Präsidenten und den Ministerpräsidenten der Region. Alles Männer. Macht macht korrupt.
RÜCKBLICKE: * (1977) Schmutziger Krieg: Anschlag der ultrarechten Triple A gegen eine von einer abertzalen Familie geführte Lampenfabrik. * (1982) Die ersten Beamten der neugegründeten baskischen Polizei Ertzaintza gehen in Dienst. * (1992) Referendum in Quebec über Unabhängigkeit von Kanada, die Mehrheit lehnt ab.
(2021-10-25)
GEVATTER MARI RETTET 105
Aita Mari – Gevatter Mari – ist der Name eines baskischen Schiffs, das im Mittelmeer kreuzt, um in Seenot geratene Flüchtlinge aufzunehmen und in sichere Häfen zu bringen. Das ist angesichts der Festungspolitik der Europäischen Union und flüchtlings-verachtender Haltung vieler Politiker gar nicht so einfach. So auch im vorliegende Fall. Erst nach sechs Tagen des Wartens auf einem völlig übervölkerten Schiff (mit Coronavirus Fällen an Bord) hat die Aita Mari von der Koordinierungsstelle in Rom die Mitteilung erhalten, dass sie den Hafen von Trapani (Sizilien) anlaufen kann, um die 105 in der SAR-Zone von Malta geretteten Personen an Land zu bringen.
"Unsere Ankunft in Trapani ist heute um Mitternacht", verkündeten die Verantwortlichen der Aita Mari. Am vergangenen Samstag hatte die Regierung von Malta das Schiff aufgefordert, seine Gewässer zu verlassen, obwohl die Rettung der 105 Migranten in seinen Gewässern stattgefunden hatte. "Während der Tage an Bord haben uns diese Menschen von der Folter, Erpressung und Misshandlung erzählt, die sie in Libyen erlitten haben", so die Aita-Mari-NGO in einer Erklärung.
Die Verantwortlichen von Aita Mari kritisieren, dass "die EU-Migrationspolitik der Eindämmung und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Libyen für die Rückführung von Menschen unter diese Bedingungen grausam, unmenschlich und illegal ist". Die Mitteilung des Rettungsschiffes endet mit einem Dank an "alle Einzelpersonen, Institutionen, Verbände und politischen Parteien für ihre Sorge um den Zustand der Menschen an Bord und für ihre Unterstützungs-Bekundungen". Kurz darauf lud die Schiffsbesatzung Bilder ins Internet, auf denen die Menschen an Bord die Nachricht feiern, dass sie in Sizilien von Bord gehen können und nicht in libysche Folterzentren zurückkehren müssen.
RÜCKBLICKE: * (188) Im andalusischen Malaga wird Pablo Picasso geboren, weltberühmter Maler und Autor des weltbekannten Gemäldes “Guernica“, die künstlerische Antwort auf die Zerstörung der baskischen Stadt Gernika durch nazideutsche Flieger. * (1979) Bei einem Referendum in den drei baskischen Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa wird das in Madrid ausgehandelte postfranquistische Autonomie-Statut für die neu zu gründende Autonome Region Baskenland (CAV) mit knapper Mehrheit bestätigt. Die baskische Linke stimmt gegen das Statut. * (1983) Beginn der Verlegung der baskischen politischen Gefangenen in das spanische Hochsicherheits-Gefängnis Herrera de la Mancha. * (1991) Der ETA-Militante Jabi Goitia stirbt in Bilbao, als eine Bombe in seinen Händen explodiert. * (1998) Die sechsten baskischen Parlamentswahlen stehen unter dem Zeichen des Waffenstillstands von ETA und der Unterzeichnung des Lizarra-Abkommens zur Überwindung des spanisch-baskischen Konflikts. Juan Jose Ibarretxe wird zum Ministerpräsidenten gewählt. Stimmverteilung: PNV 28%, PP (postfranquistisch) 20%, PSE (PSOE) 17,5%, HB 18%, EA (nationalistisch-sozialdemokratisch) 9%, EBB (links-grün) 5,5%, UA (konservativ) 1,2%.
(2021-10-24)
DIE RECHTE VON GEFANGENEN
Eine von Sare (Organisation zur Verteidigung der Rechte politischer Gefangener) initiierte Demonstration zog gestern durch Donostia, um die Rückkehr baskischer politischer Gefangener ins Baskenland zu fordern sowie Möglichkeiten für deren vorzeitige Entlassung nach geltendem Recht. Angeprangert wurden die Hindernisse, wie z.B. die Einsprüche des Obersten Gerichtshofs gegen Entscheidungen von Gefängnis-Verwaltungen zugunsten von Gefangenen.
An der Demonstration nahmen auch fünf Politiker*innen der katalanischen Unabhängigkeit-Bewegung teil, die nach der Begnadigung durch die spanische Regierung aus dem Gefängnis entlassen worden waren. Sie waren in die Hauptstadt von Gipuzkoa gereist, um ihre Solidarität mit den Bask*innen zu bekunden: Oriol Junqueras, Carme Forcadell, Dolors Bassa, Josep Rull und Raül Romeva. Während des Marsches wurden sie von vielen Teilnehmer*innen freudig begrüßt. In Medien-Erklärungen lobte der ERC-Führer Oriol Junqueras die "mutige Erklärung" von EH Bildu und Sortu vom vergangenen Montag in Aiete. Rull wies darauf hin, dass sie gekommen seien, "um sich für die Tonnen von Solidarität zu bedanken, die wir erhalten haben, und um von der Regierung einen anderen Umgang gegenüber den baskischen Gefangenen zu fordern".
Bemerkenswert war auch die Beteiligung baskischer Politiker*innen und Gewerkschaften, die eine lange nicht erlebte Bandbreite darstellte. Anwesend waren Delegationen von Podemos, der PNV sowie ein großes Spektrum von Gewerkschaften, alle außer den CCOO. Nach Angaben der Organisator*innen wurde die Zahl der Teilnehmer*innen auf 25 000 geschätzt. Eine PNV-Abgeordnete hob die kürzlich erfolgte Kompetenz-Übertragung für die Gefängnisse von Madrid an die baskische Regierung hervor. Sie vertrat die Meinung, dass dies zur Resozialisierung der politischen Gefangenen beitragen könne. Eine Vertreterin der Angehörigen-Organisation Etxerat forderte, dass die Gefangenen "einem normalen Strafvollzug" unterworfen werden sollten, abseits der repressiven Sonderregelungen.
Die Organisation Sare (Netz) hatte bereits in den vergangenen Jahren im Herbst für ähnliche Mobilisierungen gesorgt. Der Jahrestag der Internationalen Friedenkonferenz von Aiete (2011), das Ende des bewaffneten Kampfes von ETA (2018) sowie die Erklärung der linken Unabhängigkeits-Befürworter von vergangener Woche gaben der Veranstaltung zusätzlichen Auftrieb. Bei verschiedenen Zusammenkünften und Presse-Interviews anlässlich des Jahrestages hatten internationale Beobachter*innen betont, dass das Problem der Gefangenen weiterhin unerledigt auf der Tagesordnung stehe.
OPFERVERBAND INTERVENIERT
Auch der Opferverband Covite war zu Beginn der Demonstration auf seine Art präsent. Mehrere Personen entrollten am Antiguo-Tunnel (durch den der Marsch zog) zwei Transparente, auf denen Slogans wie "Mörder ins Gefängnis" und "Hiltzaileak" zu lesen waren. Die Demonstrant*innen antworteten mit Sprechchören wie "Euskal Presoak Etxera". Zum Abschluss des Marsches verteidigte Sare-Sprecher Joseba Azkarraga, dass die Menschenrechte nicht teilbar seien, es gehe nicht an, dass einige verteidigt und andere ignoriert werden". Er rief dazu auf, am 8. Januar 2022 in Bilbao "erneut die Straßen zu füllen", um "laut zu sagen, dass wir der Verletzung der Rechte der baskischen Gefangenen ein Ende setzen müssen". Gefordert wurde die Anwendung der "normalen Gesetzgebung, die verschleierte lebenslange Haftstrafen verhindert, und den baskischen Häftlingen zustehende Strafvollzugs-Genehmigungen ermöglicht". Es wurde daran erinnert, dass bei Anwendung einer normalen Strafvollzugs-Politik mehr als ein Drittel der Gefangenen bereits zu Hause wäre" (Zwei-Drittel-Regelung).
Betont wurde, dass die baskische Regierung mit der Verwaltung der Gefängnisse nun "die Möglichkeit hat, eine humanistische, nicht repressive Strafvollzugspolitik zu entwickeln, die uns nach so vielen Jahren der Konfrontation und des Leids dem Zusammenleben näher bringt". Sie warnten jedoch auch, dass "dies nur möglich ist, wenn wir alle in der Lage sind, sterile Konfrontationen beiseite zu lassen und eine faire Lösung für das Problem der Gefängnisse zu finden". Die Sprecher von Sare bekräftigten ihren "Respekt vor allen Opfern jeglicher Form von Gewalt" und verteidigten "die Notwendigkeit, dass Schmerz von niemandem als politische Waffe gegen die andere Seite eingesetzt werden darf".
RÜCKBLICKE: * (2002) Tod der afro-amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks. * (2019) Der spanische Diktator Franco wird auf Veranlassung der PSOE-Regierung unter Pedro Sanchez aus seinem Mausoleum geholt, dem Tal der Gefallenen (Valle de los Caidos) und neben seiner Frau Carmen Polo in Mingorrubio beerdigt.
(2021-10-23)
STROMPREISE UND LEBENSMITTEL-KOSTEN TOP
Der sog. “Warenkorb“ in Bizkaia ist aufgrund horrenden Strompreise und der Logistikkrise um 12% gestiegen. Einige Grunderzeugnisse sind im letzten Quartal um 5% teurer geworden, es wird erwartet, dass die Preise in einigen Wochen noch stärker steigen werden. Nicht nur das Einschalten des Geschirrspülers oder das Anschließen des Haartrockners wird für Haushalte in Bizkaia teurer. Alle müssen tiefer in die Tasche zu greifen, um ihre Speisekammern zu füllen. Infolge des Rekord-Anstiegs für Energie stiegen die allgemeinen Produktionskosten, die Unternehmen geben diesen Anstieg nun weiter an die Endverbraucher*innen. Daneben hat auch die Logistikkrise in Asien den Warenkorb verteuert. Verbraucherverbände warnen, dass die Preise für einige Grundprodukte wie Fleisch, Milch oder Eier "in den letzten drei Monaten um 5% gestiegen sind". Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende.
"Die Produktionskosten sind auf allen Ebenen aufgrund der hohen Strom- und Dieselpreise gestiegen. Dies betrifft die gesamte Vertriebskette. Für die Supermärkte ist es teurer, ihre Kühlschränke laufen zu lassen, und die Verbraucher tragen die Konsequenzen", so die Organisation der Verbraucher*innen (OCU) im Baskenland. Die Kosten pro Megawattstunde schießen weiter in die Höhe, die Containermieten für den Seetransport sind in die Höhe geschossen. Koldo Navascues vom baskischen Verbraucher-Verband beobachtet den Einfluss auf die Lebensgrundlagen. "Der Preisanstieg könnte bereits bei 12% liegen. Es ist unmöglich, sich mit den Preisen abzufinden“. Die Lebensmittelketten leugnen den Anstieg und verstecken sich hinter der Tatsache, dass sie den Anstieg mit Werbestrategien und Vereinbarungen mit Strom-Unternehmen zur Verbesserung der Effizienz ihrer Anlagen auffangen. "Es werden Anstrengungen unternommen, um den Anstieg nicht an die Verbraucher weiterzugeben", behauptet Felipe Medina, Generalsekretär des spanischen Verbands der Selbstbedienungs- und Supermarkthändler (ASEDAS).
Alarmglocken
Mit Blick auf Weihnachten hoffen die Supermärkte, den Preisanstieg durch den höheren Konsum auszugleichen. Die Hypermärkte hingegen erkennen an, dass "der Anstieg der Rohstoffkosten Druck auf die Wertschöpfungskette ausübt". "Mehr als 50% der Ausgaben für den Energieverbrauch in einem Geschäft entfallen auf die Kühlanlagen", betont die Vertriebsleiterin von Eroski. Bei der Lebensmittel-Versorgung gibt es keine Bedenken. Bei kleinen Geschäften lässt der Kostenanstieg die Alarmglocken läuten. Das klassische Brot ist von 1,20 auf 1,30 Euro gestiegen, der Preisanstieg für Spezialbrot hat sich gar um 25% erhöht. Auch der Milchkaffee blieb nicht stabil: 10 Cent mehr. "Alles ist teurer geworden: Transport, Abholung, Verpackung? Wenn wir die Preise beibehalten, verlieren wir Geld", klagen die Geschäftsführer.
In einer anderen Bäckerei sind allein die Eier um 10 Cent teurer geworden. "Wenn das so weitergeht, wird der Lieferant mehr verlangen, und wir werden die Preises heißt, der Strompreis werde bis Ostern nicht sinken. Die Gehälter der Leute steigen ebenfalls nicht", so der OCU-Sprecher im Baskenland. Die Organisation prangert die Tatsache an, dass einige Marken den Inhalt der Ware reduzieren, bei gleichbleibendem Preis, eine verschleierte Preiserhöhung".
RÜCKBLICKE: * (1940) Franco und Hitler treffen sich auf dem Bahnhof von Hendaia (Frankreich, frz: Hendaye) zur Verhandlung über den Kriegseintritt Spaniens auf Seiten der faschistischen Mächte. * (1980) Gasexplosion in einer Schule in Ortuella/Bizkaia, einem Arbeiterort im bizkainischen Bergbaugebiet. 53 Personen sterben, 50 Kinder und drei Erwachsene, ganz Bizkaia ist traumatisiert. * (1980) Der Tage zuvor entführte Telefonica-Mitarbeiter Garcia Cordero wird erschossen aufgefunden, die Aktion wird den baskischen Comandos Autónomos Anticapitalistas zugeschrieben. * (1984) Tod des historischen Sozialisten Benigno Baskaran aus Eibar, der zusammen mit seinem Vater am 14. April 1931 die Zweite Spanische Republik ausrief. * (1994) Ergebnis der fünften Wahlen zum baskischen Autonomie-Parlament: PNV 30%, PSE 17%, HB 16%, EA 10%, PP (postfranquistisch) 14%, EBB (links-grün) 9%, UA (konservativ) 2,7%. Ministerpräsidenten wird erneut Jose Antonio Ardanza von der PNV. * (2001) Die nordirische IRA kündigt ihre Entwaffnung an.
(2021-10-22)
ES BRENNT IN GERNIKA
In der alten Haushaltswaren-Fabrik Dalia von Gernika kam es gestern zu einem beachtlichen Brand. Der Brand in dem seit Jahrzehnten leer stehenden Gebäude verursachte eine starke Rauchentwicklung und wurde von mehreren Einsatzgruppen der Feuerwehr gelöscht. Im Sommer 2021 war bekannt geworden, dass dieses Gebäude in der Zukunft als neuer Sitz des Guggenheim-Museums genutzt werden soll. Verursacht wurde der Brand durch ein Lagerfeuer eins Obdachlosen, der in den leeren Hallen sein Lager aufgeschlagen hatte. Die Rettungsdienste wurden gegen 18.15 Uhr zu dem Großbrand in das Industriegebiet von Txaporta alarmiert.
Die ehemalige Haushaltswaren-Fabrik Dalia von Gernika steht seit Langem leer, das Gebäude bleibt jedoch für Gernika ein "Symbol" für die Jahre der industriellen Blüte. Tatsächlich wurde das Unternehmen, das ursprünglich Joyería y Platería de Gernika S.A. hieß, "bis 1977 zum größten Hersteller von Haushaltswaren in Europa und beschäftigte in seinem Werk fast tausend Arbeitnehmer*innen", so die Historiker der Geschichts-Gruppe Gernikazarra. Der Untergrund der Fabrik verbirgt zudem die Reste der Trümmer, die nach der Bombardierung und Vernichtung der Stadt am 26. April 1937 durch die nazideutsche Legion Condor beseitigt wurden.
RÜCKBLICKE: * (1913) Der Kriegsfotograf Robert Capa, späterer Begleiter von Gerda Taro, wird in Budapest geboren. Von beiden stammen die eindrucksvollsten Bilder aus dem Spanienkrieg. * (1978) In Getxo (Bizkaia) werden drei Zivilgardisten von einem ETA-Kommando erschossen. * (2000) Einer der Direktoren des Langraiz-Gefängnisses (Araba) wird mit einer Autobombe getötet.
(2021-10-21)
RENTNERINNEN – VOLLVERSAMMLUNG
Seit fast vier Jahren demonstrieren die baskischen Rentnerinnen und Rentner in fast allen baskischen Städten jeden Montag für bessere und gerechtere Einkünfte. Vor allem pensionierte Frauen leben häufig unter dem Existenz-Minimum. Sie sind in der Bewegung mit besonderen Forderungen vertreten. Nun halten sie am 5. November in Bilbao ihre Nationalversammlung ab.
Nach 3 Jahren und 9 Monaten Kampf auf den öffentlichen Plätzen zusammen mit ihren Mitrentnern wollen sie ihre konkreten Forderungen vertiefen. Ein Kommuniqué: “Movimiento Pensionistas Bizkaia (MPB): Am Samstag, den 16. Oktober, nahm eine Vertretung der Rentnerinnen-Bewegung des Baskenlandes (EHMP) an der von COESPE organisierten Mobilisierung in Madrid teil. Wir haben uns zur Teilnahme entschlossen, weil die Verteidigung des öffentlichen Rentensystems und gerechte, ausreichende und angemessene öffentliche Renten grundlegende Forderungen sind, die wir teilen, ebenso wie die Gewährleistung der Finanzierung des öffentlichen Rentensystems (SPP).
Diese Garantie wurde durch die Arbeitsreformen voller Prekarität, die niedrigen Löhne und durch die Verwendung der Rentenfonds für die Ausgaben anderer Politikbereiche beschnitten; Ausgaben, die geprüft werden müssen, wie in der Mobilisierung gefordert, und Mittel, die zurückgegeben werden müssen, um das öffentliche Rentensystem für unsere Generation und die kommenden Generationen zu garantieren. Wir können mitteilen, dass diese Mobilisierung mit mehr als 30.000 Menschen aus allen Städten des Staates ein großer Erfolg war. Dies ist (nach der gemeinsamen Reise nach Brüssel) ein zusätzlicher Ansporn für die Mobilisierung am 13. November, überall im ganzen Staat: ein respektvoller gemeinsamer Kampf zur Verteidigung des öffentlichen Rentensystems.
Im Rahmen unserer Mobilisierungen, die wir "heißer Herbst" genannt haben, werden wir am 28. Oktober vor dem Parlament in Gasteiz und am 25. Oktober vor dem Parlament in Iruñea vorstellig werden, damit unsere Forderungen und Ansprüche als Rentner vor den Haushaltsdebatten, die in wenigen Tagen beginnen, berücksichtigt werden. Und um zu fordern, dass die Mindestrenten auf 1.080 Euro aufgestockt werden. In Iruñea wird am Montag, den 25. eine Demonstration vom Rathausplatz zum Regional-Parlament stattfinden, in Gasteiz wird es eine gemeinsame Demonstration geben, danach geht es zum Parlament.
Gleichzeitig werden die Frauen der Rentnerinnen-Bewegung des Baskenlandes eine Nationalversammlung in Bilbao abhalten. Wir sind seit 3 Jahren und 9 Monaten auf den Plätzen und kämpfen gemeinsam, unsere spezifischen Forderungen sind folgende: (*) 100 % Witwenrente (*) Beseitigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Gehältern und Renten (*) Mindestrente von 1.080 Euro. Die Versammlung findet am 5. November statt. Nach der Versammlung werden wir ein Manifest veröffentlichen, um Unterstützung für die Forderungen zu erreichen und mehr Frauen für unsere Rechte auf den Straßen zu mobilisieren. Emakumeak Aurrera!“
RÜCKBLICKE: * (1908) Jorge Oteiza, einer der berühmtesten Bildhauer des 20.Jh, wird in Orio/Gipuzkoa geboren. Er interpretiert die baskische Seele aufgrund der baskischen Sprache. Ein Teil seines späteren Werkes ziert die Basilika von Arantzazu in Gipuzkoa. * (1982) In Bilbao wird ein spanischer Militär von ETA erschossen. * (1992) In Barakaldo stirbt der Aktivist Josu Olabarria bei der Handhabung von Explosivstoffen. * (2012) Bei den Wahlen zum zehnten baskischen Parlament erreicht die PNV den Wahlsieg, die baskische Linke ist nach 10 Jahren Illegalisierung zum ersten Mal wieder wählbar. Iñigo Urkullu von der PNV wird zum Lehendakari gewählt.
(2021-10-20)
ETA VERZICHTET AUF GEWALT
Genau 10 Jahre ist es her, dass ETA per Video-Botschaft das endgültige Ende ihrer bewaffneten Aktion verkündete. Es folgten Entwaffnung und Auflösung der Organisation. All das geschah in Form einseitiger Schritte, ohne Verhandlungen mit der rechten Regierung in Madrid, ohne Gegenleistungen. Anders als bei den Verhandlungen in Nordirland, bei denen vorzeitige Entlassungen für die IRA-Gefangenen mitgedacht wurden, blieben die baskischen Gefangenen völlig außen vor. Erst die sozialliberale Regierung Sanchez hat die extralegale Gefängnispolitik (Dispersion) beendet und die Gefangenen an das Baskenland angenähert.
Zum Jahrestag der ETA-Erklärung sprachen Arnaldo Otegi für EH Bildu und Arkaitz Rodriguez für Sortu den ETA-Opfern erneut ihr Mitgefühl aus. Es folgten unterschiedliche Reaktionen, von ausgesprochen positiv bis zu kompletter Ablehnung. Eine Botschaft von Otegi bei einer Basis-Versammlung seiner Partei sorgt nun erneut für Aufregung. "Wir haben 200 Gefangene im Gefängnis, und wenn wir, um sie zu befreien, für den Staatshaushalt stimmen müssen, dann tun wir das“. Außerdem verteidigte er die Kontinuität der Regierung von PSOE und Unidas Podemos, um dieses Ziel zu erreichen. In diesem Sinne warnt er vor der Alternative: Postfranquisten von der PP und Neofaschisten von Vox. Deshalb müsse die aktuelle Regierung unterstützt werden, “damit sie weitere vier Jahre an der Macht zu bleibt“. - "Wir werden guten Gewissens für den Haushalt stimmen", erklärte Arnaldo Otegi mit Blick auf die verbliebenen ETA-Verurteilten.
"Wir brauchen Zeit, um die Menschen vorzubereiten, wir müssen das Problem der Gefangenen lösen. Wir müssen unsere Position stärken, und das braucht Zeit", betonte er. "Wenn PP und Vox eine Regierung bilden, werden wir bezahlen", fügte er hinzu. In diesem Sinne räumte er ein, dass "Bildu die Exekutive drängen muss, Gesetze zu ändern", um die ETA-Gefangenen freizulassen, was er als "die Mutter aller Schlachten" bezeichnete. Etwas, das nach Ansicht des Führers der abertzalen Linken "in sechs Jahren passieren könnte". Später sagte Otegi seinem Publikum, dass er all dies nicht öffentlich sagen könne (dennoch liegt ein Video mit seinen Worten vor). (Quelle)
RÜCKBLICKE: * (1936) In Hernani werden 22 baskische Nationalisten von Franquisten ermordet. * (1978) In Getxo werden drei Guardia Civiles von einem ETA-Kommando erschossen. * (1997) Tod des navarrischen Komponisten Manuel Turrilas, Autor von vielen Sanfermin-Hymnen und der des Fußballclubs Osasuna.
(2021-10-19)
ENTSCHULDIGUNG FÜR ETA-GEWALT
Die baskische Linke geht 10 Jahre nach der Aiete-Friedenskonferenz und der endgültigen Einstellung des bewaffneten Kampfs durch ETA einen "riesigen Schritt" auf die Opfer zu. Am kommenden Mittwoch vor genau 10 Jahren hat die baskische Untergrund-Organisation ETA ihren bewaffneten Kampf für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland nach fünf Jahrzehnten endgültig eingestellt. Es war ein einseitiger Schritt (ohne Gegenpartie), den auch die baskische Linke auf der Friedenskonferenz im baskischen Donostia (span. San Sebastian) von ETA ohne Vorbedingungen gefordert hatte. Anwesend waren damals der der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, sowie Politiker*innen, Konfliktvermittler*innen und Persönlichkeiten aus aller Welt.
Zehn Jahre sind seit jenen einseitigen Schritten vergangen, die Untergrundorganisation hat sich vor drei Jahren aufgelöst, nachdem sie schließlich von der Zivilgesellschaft entwaffnet wurde. ETA hatte zuvor die Verantwortung für "maßloses Leid" übernommen und die Opfer um Entschuldigung gebeten. Für die baskische Linke sind am vergangenen Montag, angesichts des Jahrestags von Aiete der Chef der Linkskoalition "EH Bildu" (Baskenland Vereinen), Arnaldo Otegi, und der Chef der Linkspartei "Sortu" (Aufbauen), Arkaitz Rodriguez, einen weiteren Schritt auf die Opfer zugegangen, es wurde Selbstkritik geübt. "Heute möchten wir uns besonders an die Opfer der ETA-Gewalt wenden, wir möchten ihnen unseren Schmerz und unsere Trauer über das Leid übermitteln, das sie ertragen mussten", erklärten Otegi auf Spanisch und Rodriguez auf Baskisch. "Wir fühlen ihren Schmerz, und aus diesem aufrichtigen Gefühl heraus bekräftigen wir, dass dieses Leid niemals hätte geschehen dürfen", fügten sie in einer Erklärung an. Niemand dürfe damit zufrieden sein, was geschehen ist. Bedauert wird auch, dass das Leid noch "so lange angedauert hat". Man hätte viel früher zu einem Friedenskongress wie in Aiete kommen müssen, wird selbstkritisch angeführt. Den Opfern wurde "von ganzem Herzen" versichert, dass man ihr Leid bedauert, die baskische Linke verpflichtete sich, dieses Leid zu verringern, wo es in ihrer Macht steht.
Die Opfer-Organisationen und die Mehrzahl der Parteien, mit Ausnahme der rechten Parteien, begrüßen den Schritt. Selbst die Covite-Präsidentin Consuelo Ordóñez spricht von einem "qualitativen Sprung", der sich aber in "Handlungen" bestätigen müsse. Maixabel Lasa, die Frau des von ETA ermordeten Juan Mari Jauregi, deren Versöhnungsarbeit im Film "Maixabel" gerade gewürdigt wurde, spricht von einem "riesigen Schritt hin zum friedlichen Zusammenleben". Ihre Tochter Maria Jauregi twitterte auch: "Tausend Dank, ehrlich." Ihre Mutter wandte sich direkt an die regierenden Sozialdemokraten (PSOE), deren Partei ihr vor 21 Jahren ermordeter Mann angehörte, endlich "Ordnung im eigenen Haus zu schaffen und eine Erklärung zu den GAL-Todesschwadronen abzugeben". Denn die PSOE weigert sich weiter, sich zum “schmutzigen Krieg” des Staates zu äußern, der unter Felipe González gegen die Basken geführt worden war. Nach Ansicht der CIA stand Gonzalez als "Mister X" hinter dem gesamten Vorgang.
Erstaunlich an dem Friedensprozess war für internationale Beobachter, dass die spanische Regierung unter José Luis Rodríguez Zapatero keinen Vertreter auf die Friedenskonferenz geschickt hatte. Jonathan Powell, Chefunterhändler der Blair-Regierung im Nordirland-Konflikt, war als Vermittler beteiligt und erklärte zum Jahrestag, es sei "bewundernswert", dass nach den gescheiterten Verhandlungen mit der ETA in Norwegen am Friedensweg festgehalten worden sei.
Zapatero strich die Bedeutung heraus, dass "indirekte Kontakte" nach dem Scheitern der Verhandlungen weiterbestanden hätten. Für die Vermittler war erstaunlich, dass sich der rechte Nachfolger Rajoy komplett aus den Vorgängen heraushielt, sogar aus der Entwaffnung. Das hatten Vermittler wie Powell oder der südafrikanische Anwalt Brian Currin zuvor nie erlebt, wie sie gerade erneut bekräftigten. Negativer Höhepunkt war, dass unter der Regierung des ultrakonservativen Mariano Rajoy sogar der Prozess zur Entwaffnung und Auflösung von ETA torpediert wurde. Internationale Vermittler, die an einer Entwaffnungsaktion beteiligt waren, wurden vor Gericht zitiert. Das war für die Konfliktvermittler ebenfalls ein Novum. (Quelle)
RÜCKBLICKE: * (1944) Baskische und spanische Guerrilleros, die als Kriegsflüchtlinge in Südfrankreich Unterschlupf gefunden haben, organisieren sich zur “Wiedereroberung Spaniens“. Einer der Anführer ist der aus Bilbao stammende Luis Fernandez. Unter der Führung der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und unter dem Namen Unión Nacional Española (UNE) greifen verschiedene Guerrilla-Brigaden Orte im Aran-Tal an, um dort einen Volksaufstand auszulösen. Doch die franquistische Armee, die einen Angriff der Alliierten erwartet, ist vorbereitet und hat viele Militärkräfte an der Grenze zusammengezogen, die Bevölkerung bleibt passiv. Die Invasion scheitert nach wenigen Tagen und führt zum Rückzug. * (1982) In Lasarte wird bei einer Kontrolle der Guardia Civil Marcelo Garciandia erschossen. * (1983) Vier spanische Polizisten versuchen, den Flüchtling José María Larretxea in Hendaia (Frankreich) zu entführen, er wird schwer verletzt. * (1993) In Madrid wird ein Armee-General von ETA erschossen.
(2021-10-18)
FRANQUISTEN VOR GERICHT
Obwohl die europäische Presse im Spanien nach Franco einen “vorbildlichen Demokratisierungs-Prozess“ ausgemacht haben will, blieb nach 1975 alles beim Alten. Formal wurde eine Verfassung eingeführt, aber Politiker, Polizei, Militärs und Richter blieben im Amt. Während die antifranquistische Opposition eine Amnestie für alle politischen Gefangenen forderte, gewährte sich die alte Garde Francos selbst eine Amnestie, die zur Amnesie führen sollte. Auf ihrer Basis konnte nie ein Prozess geführt werden gegen auch nur einen Verbrecher aus der Franco-Zeit, weder wegen Kriegsverbrechen noch wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das widerspricht frontal den Bestimmungen, die in der Internationalen Menschenrechts-Konvention niedergelegt sind. Die hat der spanische Staat zwar unterschrieben, deren Befolgung steht aber auf einem anderen Blatt. Nach allen lateinamerikanischen Diktaturen versuchten sich die Massenmörder, sich durch ein “Ley der Punto Final“ (eine Amnestie) alle Verantwortung vom Hals zu schaffen. Bekanntlich wurden diese unsäglichen Gesetze alle gekippt: in Argentinien, Chile, Uruguay. Nur nicht in Spanien.
Weil die Menschenrechte universell sind und Verstöße dagegen nicht verjähren, sind diese auch universell einklagbar. Das heißt, nicht unbedingt in dem Land, in dem die Verbrechen begangen wurden. Dies zu wissen ist die Voraussetzung dafür, zu verstehen, weshalb ausgerechnet in Argentinien alte Franquisten vor Gericht gestellt werden sollen. Eine solche Klage ist seit zehn Jahren im Gespräch, nur hat das erste Verfahren tatsächlich begonnen.
Die argentinische Richterin María Servini klagt den Alt- und Neo-Faschisten Rodolfo Martín Villa wegen der Menschenrechts-Verbrechen an – so wie es im Baskenland seit 40 Jahren gefordert wird. Martín Villa hatte unter Franco verschiedene Ämter in den franquistischen Gewerkschaften ausgeübt und war nach dem Tod des Massenmörders in der Übergangsregierung Suarez erst Regierungs-Minister und dann Innen-Minister. In jener Zeit wurden hunderte von streikenden Arbeiter*innen und Demonstrant*innen von der Polizei erschossen, nach alter franquistischer Tradition – von wegen demokratischer Übergang.
Besonders flagrant waren zwei Ereignisse in Gasteiz und Pamplona. Am 3. März 1976 erschoss die Polizei in der heutigen baskischen Hauptstadt Vitoria-Gasteiz fünf Arbeiter, die an einer Massen-Versammlung aufgrund eines großen Streik teilgenommen hatten, Dutzende wurden verletzt, Tote bewusst in Kauf genommen, was der überlieferte Polizeifunk beweist. Die Nationalpolizei schoss direkt in die versammelte Menge, die sich in einer Kirche getroffen hatte, Hunderte wurden verletzt. Zwei Jahre später wurde bei den Sanfermines in Iruñea ein Demonstrant in der Stierkampf-Arena erschossen. Dazu kommt ein weniger bekannter Polizeimord aus dem Jahr 1977, sowie fünf Tote während der Pro-Amnestie-Woche im Mai 1977.
Am 31. Oktober 2014 hatte die argentinische Richterin María Servini aufgrund einer Klage eines argentinischen Staatsbürgers die ein Verfahren eröffnet und später Präventivhaft für die ehemaligen Minister Rodolfo Martín Villa und José Utrera Molina gefordert, sowie für 18 weitere Angeklagte aus der Franco-Zeit. Die spanische Justiz verhinderte (boykottierte) diese Maßnahmen, auch die Forderung nach Auslieferung von vier Ex-Franquisten. Sechs Jahre nach der Anklageerhebung durch die argentinische Justiz sagte Martín Villa am 3. Oktober 2020 vor Servini als Angeklagter wegen schweren Mordes im Zusammenhang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus. In seiner Erklärung verteidigte Villa seine Rolle in der so genannten spanischen "Transition" gegen den Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ihm für zwölf Todesfälle zwischen 1976 und 1978 zur Last gelegt werden. IN der Zwischenzeit war Servini genehmigt worden, im Baskenland Zeugenaussagen persönlich aufzunehmen, im spanischen Staat wurde dies untersagt.
REAKTIONEN
Die baskischen Reaktionen auf die Prozess-Eröffnung in Argentinien waren überwiegend positiv. Ein Sprecher der Vereinigung Martxoak 3 aus Gasteiz nannte die Nachricht ausgezeichnet und bestätigte, dass sie Zugang hätten zu dem tausend Seiten umfassenden Beschluss der Richterin. Nach Ansicht von Sabino Cuadra, Mitglied der Plattform Sanfermines 78 Gogoan, ist die Nachricht von der Strafverfolgung Villas "enorm positiv", nachdem "die Gerichte und offiziellen Stellen uns 40 Jahre lang die Tür vor der Nase zugeschlagen haben“. Arnaldo Otegi von EH Bildu begrüßte die Entscheidung ausdrücklich, auch aus der Sozialdemokratie kamen positive Stimmen. Die spanische Ministerin für soziale Rechte und die Agenda 2030, Ione Belarra von Podemos sagte, dass es "schmerzt", dass es andere Länder sein müssen, die den Opfern des Franco-Regimes helfen, "auf dem Weg der Gerechtigkeit voranzukommen".
Die Anwält*innen der klagenden Plattformen CeAQUA (Coordinadora Estatal de Apoyo a la Querella Argentina – Staatliche Koordination zur Unterstützung der argentinischen Klage) studieren den Gerichtstext, um seine Tragweite und die nächsten Schritte festzulegen. Der Bürgermeister von Gasteiz, Gorka Urtaran von der christdemokratischen PNV, äußerte die Hoffnung, dass die strafrechtliche Verfolgung von Martin Villa "dazu dient, dass die Opfer des 3. März in gleicher Weise entschädigt und anerkannt werden wie die Opfer des Terrorismus". - "Martin Villa hat nie das geringste Einfühlungsvermögen für die Menschen vom 3. März gezeigt. Jetzt hat er eine neue Gelegenheit, dies zu tun", fügte er hinzu. (Gara)
RÜCKBLICKE: * (1971) Bei einem Streik bei SEAT in Barcelona wird der Arbeiter Antonio Ruiz von der Polizei erschossen. * (1975) In Zarautz wird ein Guardia Civil von ETA erschossen. * (1983) Nach 14 Tagen Entführung und Nichterfüllung der gestellten Forderungen wird ein spanischer Polizist von ETA in Bilbao erschossen. * (1997) Offizielle Einweihung des Guggenheim-Museums in Bilbo (Bilbao), die Stadt setzt auf Tourismus, der 20 Jahre später zum Massentourismus wird.
(2021-10-17)
10 JAHRE FRIEDENSKONFERENZ
Schon zehn Jahre? Richtig, zehn Jahre ist es her, dass im Aiete-Palast von Donostia eine internationale Friedenskonferenz abgehalten wurde, um eine Befriedung des spanisch-baskischen Konflikts auf den Weg zu bringen. Die baskische Vermittlungs-Initiative Lokarri hatte eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten und Politiker*innen eingeladen, die dem Akt die entsprechenden internationale Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit vermitteln sollten. In der Abschlusserklärung der Konferenz wurden die hauptsächlichen Konfliktparteien (ETA, spanischer Staat) aufgefordert, deeskalierende Maßnahmen zu ergreifen.
An der Veranstaltung nahmen (neben einer langen Reihe von baskischen Organisationen) internationale Persönlichkeiten aus Politik und Friedensbewegung teil, darunter Kofi Annan, Bertie Ahern, Gro Harlem Brundtland, Pierre Joxe, Gerry Adams und Jonathan Powell, daneben der südafrikanische Konfliktvermittler Brian Currin. Die Internationale Friedenskonferenz endete mit einer Fünf-Punkte-Erklärung, in der Euskadi Ta Askatasuna (ETA) aufgefordert wurde, ihre gewaltförmigen Aktionen definitiv einzustellen. Tatsächlich kündigte ETA vier Tage später das endgültige Ende ihres bewaffneten Kampfes an. Vertreter der spanischen Regierung nahmen nicht an der Konferenz teil, machten sich über deren Bedeutung lustig und folgten nicht den Empfehlungen der Vermittler. Am 4. Mai 2018 erklärte ETA in einem Video, alle operativen Strukturen und die Organisation selbst aufgelöst zu haben. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch ca. 300 politische Gefangene in spanischen Gefängnissen, zum Großteil weit entfernt von ihren Heimatorten.
Einen Monat zuvor (April 2018) hatte ETA über eine zivile Organisation im nordbaskischen Iparralde die Standorte ihrer Waffenarsenale bekannt gegeben und sich somit entwaffnet. Seither haben sich ETA und die baskische Linke mehrfach wegen des durch die Aktivitäten entstandenen Schadens entschuldigt. Auf der Gegenseite geschah nichts Vergleichbares. Staatliche Behörden haben keine Schritte unternommen, Akte des Staatsterrorismus, des schmutzigen Krieges oder von Folter aufzuklären und Licht zu bringen in die Aktivitäten von ultrarechten Gruppen mit polizeilicher Beteiligung. Die Situation der verbliebenen politischen Gefangenen hat sich erst mit der Regierungsübernahme der sozialliberalen Regierung Sanchez verändert. Mittlerweile wurden alle ans Baskenland angenähert, bzw. in baskische Gefängnisse gebracht, dazu werden zum ersten Mal in Jahrzehnten Freigänge zugelassen.
Bei mehr als einer Gelegenheit haben die an der Konferenz beteiligten Personen festgestellt, dass nie zuvor ein Prozess der Konfliktlösung derart einseitig, aber erfolgreich von statten gegangen sei: unilaterale Schritte ohne jegliche Gegenleistung der Gegenseite.
RÜCKBLICKE: * (1934) Zehn Tage nach ihrem Beginn wird die Asturische Revolution, getragen von Minenarbeitern der sozialistischen UGT und der anarcho-syndikalistischen CNT, von spanischen Militärs niedergeschlagen, 1.196 Tote. Der spätere Putschist General Franco ist Protagonist. * (1936) Der Priester und Euskara-Förderer Jose Ariztimuño wird auf dem Friedhof von Hernani von franquistischen Truppen erschossen. * (1979) In Izaskun wird der Aktivist der Comandos Autonomos Fran Aldanondo von der Guardia Civil erschossen. * (1982) Das Parteilokal der christdemokratischen Baskenpartei PNV wird von Ultrarechten des Batallon Vasco Español angegriffen.
(2021-10-16)
GESCHWINDIGKEIT FRISST HAUSHALTSMITTEL
Im Baskenland und Navarra wird seit 15 Jahren ein fragwürdiger Schnellzug gebaut, der nicht fertig werden will. Fragwürdig deshalb, weil er an der Lösung der baskischen Transport-Probleme vorbeifährt und einzig der Verbindung zwischen Paris und Madrid dient. Ökologisch ist der Hochgeschwindigkeitszug AHT eine Katastrophe, weil er im bergigen Euskadi praktisch nur aus Brücken und Tunnels besteht, die Landschaft zerstört und natürliche Wasserflüsse verändert. Finanziell gesehen ist der Zug ein Wahnsinn. Das zeigt der staatliche Haushaltsplan für 2022.
Der AHT (Abiadura Handiko Trena) absorbiert mehr als die Hälfte der von Madrid für das Süd-Baskenland (Euskadi und Navarra) vorgesehenen Mittel. Im Haushaltsentwurf für 2022 sind 662 Millionen Euro für die vier Provinzen vorgesehen. Mehr als die Hälfte davon, 388 Millionen, sind für die Finanzierung der umstrittenen AHT-Arbeiten bestimmt. Im Falle der Baskischen Autonomen Gemeinschaft sieht der Entwurf des 2022-Haushaltsplans 568 Millionen Euro vor, was praktisch dem Betrag des Haushalts von 2021 entspricht, wovon 336 Millionen für den AHT vorgesehen sind. Hinzu kommen 46 Millionen für Häfen, 14 Millionen für Flughäfen und 18 Millionen für das neue Gefängnis von Zubieta.
Obwohl der Großteil der Investitionen in die Infrastruktur fließt, erklärte der Vertreter der spanischen Regierung in Euskadi (Denis Itxaso) kryptisch, das Projekt ziele darauf ab, "den Wohlfahrtsstaat in der Region zu stärken und einen gerechten Aufschwung zu erreichen, der garantiert, dass die wirtschaftliche Verbesserung alle Familien erreicht". Ein schlechter Witz. Der HH-Entwurf sieht 94 Mio. Euro für Investitionen in Navarra vor, von denen 52 Mio. für den AHT bestimmt sind. Darüber hinaus gehen 17 Millionen an die Regional-Regierung. Angesichts der geplanten Riesen-Investitionen in den Hochgeschwindigkeits-Zug ist es nicht verwunderlich, dass der Delegierte der spanischen Regierung in Nafarroa konstatiert, dass diese Budgets "die Lokomotive des spanischen Wachstums sein sollen". Völlig vorbei an den Interessen der bedürftigen Familien und an den Löchern des Sozialsystems.
RÜCKBLICKE: * (1944) Während sich republikanische Maquis-Guerilleros um eine republikanische Wiedereroberung Nordspaniens bemühen, erkennt das “Freie Frankreich“ (der Nazi-freie Teil) mit General Charles de Gaule an der Spitze den franquistischen Staat offiziell an. * (1973) Der 36-jährige Jokin Diestre stirbt durch Schüsse der Guardia Civil in Fruiz (Mungia, Bizkaia) bei einer Routine-Polizeikontrolle. * (1980) In einer Bar in Barakaldo wird der junge Jose Luis Sancha von der Polizei erschossen. * (2009) Arnaldo Otegi, bedeutende Figur in der baskischen Linken und maßgeblicher Initiator des Friedensprozesses im Baskenland, wird mit fünf weiteren Personen verhaftet und wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft zu Haft verurteilt.
(2021-10-15)
PFLEGEHEIM WEGEN CHAOS GESCHLOSSEN
"Wir schließen das Barakaldo Pflegeheim wegen Unregelmäßigkeiten" – kurz und bündig war der Kommentar des verantwortlichen Sozialsenators der Provinzregierung Bizkaia. Die Inspektion hatte Verstöße bei der Qualifikation des medizinischen Personals und den ärztlichen Verschreibungen ausgemacht, zudem gab es für die Insassen kein Kulturprogramm. Unter anderem. Die Nichtbehebung dieser Unregelmäßigkeiten hatte die Schließung des Zentrums zur Folge, sie ist vorläufig. Die Beschäftigten des Zentrums hatten mit Protesten im vergangenen Monat mehrfach auf die Unregelmäßigkeiten des Pflegeheims hingewiesen. Im Juli ging der Betrieb an ein neues Unternehmen über, das sich vergeblich um Korrektur bemühte.
Der Abgeordnete für Soziales bemerkte ausdrücklich, dass die in Barakaldo erlassene Maßnahme zeige, dass die Behörde "nicht davor zurückschreckt, Zentren zu schließen", in Zukunft werde es mehr Inspektionen als je zuvor geben. Ihre Zahl soll in diesem Jahr um 20% steigen, bis 2022 soll ein weiterer Inspektor hinzukommen. Im Falle des Zentrums von Barakaldo fand die erste Inspektion am 14. September statt. Grund dafür war die fehlende Reaktion der Betriebsleitung auf die förmlichen Nachfragen der Provinz-Regierung. Seit dem 8. Oktober finden die Kontrollen täglich statt. Die linke Opposition wollte nicht nur wissen, was passiert ist, sondern fragte auch nach anderen Einrichtungen, in denen Arbeitskonflikte stattgefunden hatten.
Das Pflegeheim hatte einst 19 Nutzer*innen, zuletzt waren es weniger als zehn, sie wurden in andere Zentren verlegt. Die Gewerkschaft ELA forderte die Provinzverwaltung auf, den Bericht, der zur Schließung führte, mit allen festgestellten Unregelmäßigkeiten zu veröffentlichen. "Hinter dem, was passiert ist, steht die Tatsache, dass dieses System offensichtlich nicht funktioniert. Es handelt sich um ein kleines Pflegeheim mit Vertragsbetten, das ist das gängige Modell. Es mangelt an öffentlicher Kontrolle und Finanzierung. Erst kürzlich waren in Gipuzkoa in einem Pflegeheim noch dramatischere Unregelmäßigkeiten ans Tagesicht gekommen, die an Körperverletzung grenzen. In jenem Fall hatte die Provinzverwaltung von Ausnahmen gesprochen, das private Modell verteidigt und keine Schließung angeordnet. Generell gilt die Situation in den Pflege-Einrichtungen, insbesondere in den privaten, die auf Profitbasis arbeiten, als katastrophal.
RÜCKBLICKE: * (1512) Der besiegte König von Navarra beginnt den Versuch einer Rückeroberung gegen den kastilischen König Fernando el Catolico. Er scheitert nach 6 Tagen. * (1937) Obwohl sich die baskischen Truppen in Santoña (Kantabrien) den franquistischen Militärs ergeben, werden 57 Personen hingerichtet, darunter 15 baskische Soldaten wegen ihrer politischen Zugehörigkeit: Nationalisten, Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten. * (1940) Der ehemalige Präsidenten Kataloniens, Lluis Companys, wird von den Nazis aus Frankreich an das franquistische Spanien ausgeliefert, dort gefoltert und nach einem Schnellverfahren hingerichtet. * (1983) In Iparralde verschwinden die beiden südbaskischen Flüchtlinge Joxean Lasa und Joxi Zabala, 10 Jahre später werden ihre Leichen identifiziert, es kommt zum Prozess gegen Polizeioffiziere wegen Folter und Mord.
(2021-10-14)
EIN HAUCH AMERIKA
Dass US-amerikanische Verhältnisse gar nicht so weit entfernt sind vom Baskenland machte gestern ein 21-jähriger Student an der baskischen Universität Bilbao deutlich. Mit einem Schrotgewehr schoss er mehrere Dutzend Mal durch die Gänge seiner Physik-Abteilung. Das anwesende Personal aus Studierenden und Arbeitenden versteckte sich in Toiletten und unter Schreibtischen, oder wurde von der alarmierten Ertzaintza-Polizei evakuiert, in einem echten Notstandseinsatz, der jedem Polizeifanatiker das Adrenalin in den Körper schießt. Viele der überraschten Betroffenen wurde bewusst, dass das Norwegen von Breivik oder die ständig wiederkehrenden Massaker-Nachrichten aus dem Land der grenzenlosen (Waffen)-Freiheit gar nicht so weit entfernt liegen.
Dabei lag dem studentischen Angreifer in diesem Fall gar nicht so viel daran, eine Blutspur durch die Bildungseinrichtung zu verursachen. Vielmehr wollte er “der Universität Schaden zufügen“. Das betonte er mehrfach gegenüber dem Personal, dem er auf seinem wie auch immer motivierten Rachefeldzug begegnete: “Keine Angst, ich tu euch nichts“. Schwer zu glauben aber wahr: Niemand wurde in irgendeiner Weise Schaden zugefügt. Außer den Gebäuden, den Vitrinen und Schaukästen. Der junge Mann war bislang als vorbildlicher Student in Erscheinung getreten, was aus der Veröffentlichung seiner Personalakte deutlich wurde. Über das aktuelle Pandemie-Jahr hinweg hatte er sich bei der Guardia Civil völlig legal einen Waffenschein besorgt, mit psychologischem Gutachten und allem Popanz. Sicher nicht ohne Hintergedanken. Die Knarre kam dann weniger legal aus einem illegalen Internet-Markt zu den Plänen.
Ohne die genauen Motive für das Amokläufchen ohne Blutspuren zu kennen, sind alle Beteiligten zufrieden, dass es nicht schlimmer kam. Niemand wurde eine Schramme zugefügt. Die Polizei hatte ihr perfektes Szenarium zur Notstands-Übung, die Uni-Verantwortlichen können schon 24 Stunden danach wieder zur Tagesordnung übergehen. Wie es ganz leicht anders hätte kommen können, zeigte ein Vorfall in Norwegen, ausgerechnet am selben Tag. Ein Islamismus-Verdächtiger Konvertierter durchlöcherte fünf Personen mit Pfeil und Bogen tödlich. Dafür war noch nicht einmal ein Waffenschien notwendig. Aller baskischen Erleichterung zum Trotz stellt der scheibenklirrende “Sabotageakt“ an der Leioa-Universität ein Fanal dar. Er macht deutlich, wie einfach es ist, an politisch unverdächtigen Orten, die von Massen von Personen besucht werden, scheußliche Spuren zu hinterlassen. Sicher gibt es eine nicht geringe Masse an Trittbrettfahrern, die über die Medienberichte genau beobachten, was wie wann wo warum und weshalb nicht. Unschwer vorstellbar, dass das nächste Fanal eine andere Qualität haben kann. Nächstes Jahr, oder in fünf oder zehn. Die Scham ist vorbei. Wahrscheinlich war dem unblutigen Leioa-Schützen dieser Aspekt seiner Tat nicht bewusst. Er wird es erleben.
RÜCKBLICKE: * (1933) Geburt des baskischen Schriftstellers Gabriel Aresti, der sich bereits in Zeiten der Franco-Diktatur und des Euskara-Verbots um die Vereinheitlichung der baskischen Sprache verdient machte. * (1977) Bei einer Kontrolle der Guardia Civil in Barakaldo wird der junge Gonzalo Pequeño erschossen, sein Bruder wird verletzt. * (1977) Kongress und Senat in Spanien verabschieden das Amnestie-Gesetz, das zur Freilassung vieler politischer Gefangener führt und gleichzeitig den Verantwortlichen der Franco-Diktatur für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Straffreiheit garantiert. * (1984) Im Namen der rechten Terrorgruppe GAL wird in Donostia der ehemalige politische Gefangene Antxon Bastarrika entführt und gefoltert.
(2021-10-13)
DER STROMPREIS STEIGT
Wenn die Inflationsrate hoch ist, sind vorher die Preise gestiegen. Während die Pandemie in den letzten Zügen liegt, scheinen viele Gewerbe mit Preiserhöhungen ihre Verluste wettmachen zu wollen. Die Zeit der Sonderangebote auf der Suche nach den wenigen übrig gebliebenen Konsument*innen ist definitiv vorbei. Es geht an die Geldbörse. Die Inflation steigt. Weil die Einkommen nicht im selben Maß in die Höhe gehen, verliert die Bevölkerung an Kaufkraft, das Überleben wird schwieriger. Vor allem für jene Armen, die ohnehin grenzwertig kalkulieren müssen.
Als Halsabschneider par excellence waren bislang die Telefonanbieter bekannt, nun werden sie von den Energiemultis in den Schatten gestellt. Seit Wochen werden Rekordpreise für den Strom gemeldet. Erhöhungen ohne zwingende Gründe. Alle Multis ziehen – wie abgesprochen – an einem Strick, der sich über den Hälsen der zahlenden Bevölkerung zusammenzieht. Weil die Energie komplett in privaten Unternehmer-Händen ist, fordern viele einen staatlichen Eingriff, um die Inflation zu bremsen. Ohnehin müsste ein derart zentraler Faktor der Gesellschaft in staatlicher Obhut sein. Erste Maßnahme war eine Senkung der Steuer für Strom. Damit wurden für die Verbraucherinnen die Preise kurzzeitig stabilisiert, ebenso die Profite der Multis. Auf Kosten von Steuereinnahmen, anders ausgedrückt, staatliche Mittel wurden direkt an private Kapitalisten überführt.
Obwohl sich an der Tatsachen nichts veränderte, waren die Unternehmen beleidigt genug, um anzukündigen, dass alle Investitionen – in Milliardenhöhe – in alternative Energien – sofort eingefroren würden. Damit stand das Prunkstück der sozialliberalen Regierung (Energiewechsel) plötzlich auf sandigem Boden. Manche sprechen zurecht von Erpressung und einem Überfall mit vorgehaltener Waffe.
Doch nicht nur die privaten Verbraucherinnen zahlen die Rechnung im Stromkrieg, die Kapitalisten selbst sind ebenso wenig begeistert. Nämlich jene, deren Produktion immense Mengen an Stromkonsum erfordern. Die Stahlproduzenten zum Beispiel. Einer der größten im Baskenland hat nach der Vervielfachung seiner Stromrechnungen nun die Produktion für einen Monat eingestellt – die Gewerkschaften läuten Alarm. Denn niemand kann genau sagen, ob es tatsächlich wegen der Strompreise geschieht, oder ob nicht andere Strategien der Produktions-Reduzierung dahinter stehen, die letztendlich in einer Reduktion der Belegschaft enden können. Der baskischen Rechten fällt in diesem Moment nichts Besseres ein, als von der Zentralregierung eine Reduzierung der Kosten der betroffenen Unternehmen zu fordern, Steuer-Befreiung oder -Aufschub – eine erneute staatliche Subvention für die Stromerzeuger. Ein kapitalistischer Konflikt, der nur über einen verantwortlichen staatlichen Eingriff gelöst werden könnte. Aber von Verstaatlichung will hier niemand etwas wissen. Zur Kasse Schwesterchen!
RÜCKBLICKE: * (1943) Die klerikal-faschistische italienische Regierung nach Mussolini erklärt Nazi-Deutschland den Krieg. * (1978) In Bilbao tötet ein ETA-Kommando drei Nationalpolizisten. * (1983) Ein Guardia Civil wird in Renteria von einem ETA-Kommando getötet.
(2021-10-12)
DREI TOTE MIGRANTEN
Auf der Zugstrecke zwischen Hendaye und Bayonne hat sich ein schwerer Unfall ereignet. Mehrere auf den Geleisen liegende Migranten wurden überfahren, drei wurden getötet, ein vierter ins Krankenhaus gebracht. Gegen mindestens eines der Opfer war in Spanien ein Abschiebeverfahren eingeleitet worden. Der Unfall ereignete sich nach 5 Uhr morgens, etwa 500 Meter vom Bahnhof Donibane Lohizune entfernt. Der Verkehr wurde für etwa drei Stunden unterbrochen, die Kriminalpolizei übernahm die Ermittlungen. "Es ist möglich, dass diese Personen am selben Tag die Grenze überquert haben und über die Bahngleise in den französischen Staat gekommen sind", sagte der Staatsanwalt. Es wird vermutet, dass die Opfer Algerier waren. Gemäß dem Sicherheits-Protokoll warnt ein Zugführer mit der Hupe, wenn er ein fremdes Element auf der Strecke sieht. "Da sie am Boden lagen, hat er sie nicht gesehen und konnte keinen Alarm auslösen“. Nach dem Aufprall hielt der Regionalzug etwa 200 Meter entfernt. Erst dann konnten der Kontrolleur und der Fahrer den Zug verlassen und der überlebenden Person erste Hilfe leisten.
Menschenrechts-Organisationen erinnerten daran, dass im vergangenen August ein Migrant bei dem Versuch, den Bidasoa zu durchschwimmen, ums Leben kam. Drei Monate zuvor hatten die Rettungskräfte den Körper eines anderen Afrikaners aus dem Fluss geholt, der versucht hatte, das Ufer von Hendaye zu erreichen. Zu diesen Todesfällen im Bidasoa kommt der Tod eines jungen Eritreers, der in Irun erhängt gefunden wurde. Mehrfach haben die Solidaritätsgruppen vor der Situation an den Grenzübergängen gewarnt und sichere Übergänge für Migranten gefordert. Angeprangert wurden die Schikanen, denen Migranten in der Grenze ausgesetzt sind und die während der Pandemie zugenommen haben. Die Migranten werden so gezwungen, nach immer gefährlicheren Wegen zu suchen, um ihren Reise fortzusetzen. Sie forderten, dass die Behörden Maßnahmen ergreifen, damit sich menschliche Dramen wie das auf den Bahngleisen von Donibane Lohizune nicht wiederholen.
RÜCKBLICKE: * (1918) In Spanien wird zum ersten Mal der “Tag der Rasse“ gefeiert, in Gedenken an den Start der Kolumbus-Expedition, die in einem Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnerinnen endete. * (1975) In Legutiano wird ein Taxifahrer von der Faschistengruppe Triple A erschossen, spanische Quellen behaupten eine Täterschaft von ETA. * (1984) Offizielle Bestätigung der Schließung der Euskalduna-Werften in Bizkaia, Tausende werden arbeitslos. * (1985) Der erste komplett in der baskischen Sprache Euskara gedrehte Film wird vorgestellt: “Hamaseigarrenean aidanez“ nach einem Buch von Anjel Lertxundi.
(2021-10-11)
IMMOBILIENSPEKULATION IN BILBO
15% der Wohnungen in Bilbao, die seit mehr als zwei Jahren leer stehen, gehören Banken und Investitions-Fonds. Fünf große Eigentümer-Gruppen besitzen 250 der 2.122 Immobilien, für die die Stadtverwaltung die neue “Strafabgabe“ nach dem baskischen Wohnungsbau-Gesetz kassieren kann. Die Dunkelziffer der leerstehenden Wohnungen dürfte deutlich höher liegen, vor Jahren wurde sie mit mehr als 10.000 kalkuliert. Der Markt für Mietwohnungen in Bilbao leidet unter einem gravierenden Angebotsmangel, der die Stadt auf den vierten Platz der teuersten Städte des spanischen Staats katapultiert hat: 13,83 Euro pro Quadratmeter, so das Immobilien-Portal pisos.com. Aus diesem Grund hat die Stadtverwaltung ihren Blick auf die Wohnungen gerichtet, die seit zwei Jahren unbewohnt sind, um sie auf den Markt zu bringen. Nach Angaben des Senators für Wohnungswesen gibt es 2.122 leerstehende Immobilien, darunter 320 (15% der Gesamtzahl), die großen Eigentümern von 10 oder mehr Häusern gehören. Tatsächlich besitzen nur fünf von ihnen, ein Investmentfonds und mehrere mit Finanzinstituten verbundene Unternehmen, rund 250 Objekte.
Um diese Situation zu ändern, hat die Verwaltung mit einer Informations-Kampagne begonnen, um die Eigentümer zu überzeugen, ihre Wohnungen auf den Markt zu bringen. "Mieten oder kaufen, das spielt keine Rolle, wichtig ist, dass sie auf den Markt gebracht werden", betont der Senator. Alle Möglichkeiten sollen ausgeschöpft werden, bevor die jährliche Strafgebühr von 10 Euro pro Quadratmeter erhoben wird, die seit Juni letzten Jahres nach dem baskischen Wohnungsbaugesetz vorgesehen ist. Wer sich weiterhin resistent zeigt, könnte auch mit 30 Euro pro QM belangt werden.
Der Senator erinnert daran, dass diese Eigentümer bisher die 25-prozentigen Aufschläge ignoriert haben, die sie seit 2018 der Grundsteuer (IBI) für leerstehende Immobilien addiert werden. "Wahrscheinlich haben viele das nicht einmal bemerkt, weil der Anstieg relativ gering ist", räumt er ein. Beim bevorstehenden Zuschlag erwartet er sehr wohl eine Reaktion, nicht nur wegen des höheren Betrages, "sondern weil wir es jedem Einzelnen persönlich mitteilen werden". Die baskische Regierung war Vorreiterin bei der Einführung dieser Sondersteuer, die Teil eines regionalen Wohnungsbau-Gesetzes ist, das dem Projekt der Zentralregierung "voraus ist".
Ziel von Gesetz und Strafgebühren ist die "Mietkontrolle". - "Sie wird uns Rechtssicherheit geben". Alternative wäre gewesen, eine Obergrenze für Mietpreise im Baskenland festzulegen. Das war politisch nicht gewollt. Stattdessen wurde eine Mietmarktstatistik erstellt, die Referenzpreise nach Gemeinden, Stadtteilen und sogar Straßen festlegt. Auf dieser Grundlage erhalten Vermieter, die weniger verlangen, Steuervorteile; die mehr verlangen, sollen mit einer Steuer belegt werden.
ZAHLEN
1.106 Euro kostet eine 80-Meter-Wohnung in Bilbao laut pisos.com im Durchschnitt. In Bizkaia schwankt der Preis zwischen 674 und 793 Euro. Die Miete in Bilbao zwingt die Mieter*innen, zwischen 50 und 60% ihres Einkommens aufzuwenden, während die Empfehlung lautet, nicht mehr als 30% der Haushalte-Finanzen auszugeben. In Bizkaia werden jedes Jahr 3.000 Immobilien auf dem Mietmarkt angeboten, im Baskenland insgesamt sind es rund 5.400. 6.640 Interessierte wurden im vergangenen Jahr in Etxebide neu registriert, einem Projekt der Regierung zur Vermittlung einer Sozialwohnung. Acht von zehn bewerben sich um eine Mietwohnung, ein neuer Rekord. In Bizkaia sind 40.344 Personen registriert (31.752 entschieden sich nur für die Vermietung). In der Region Baskenland gibt es 120.000 Mietwohnungen, die Hälfte davon in Bizkaia, jede zweite wird in irgendeiner Form öffentlich gefördert, um einen Teil der monatlichen Miete zu zahlen. Entweder, weil die Mieter*innen in einer der 26.000 von Alokabide verwalteten öffentlichen Mietwohnungen leben, oder weil sie, obwohl Privatwohnungen, von der baskischen Regierung eine Beihilfe erhalten, die im Durchschnitt 250 Euro pro Monat beträgt.
RÜCKBLICKE: * (1979) In Algorta, Bizkaia, wird ein Kommissar der Policia Nacional von einem ETA-Kommando erschossen.
(2021-10-10)
SENEGALESISCHE FISCHER IN ONDARRU
"Ohne uns Senegalesen könnte die Ondarroa-Flotte nicht zum Fischen auf See fahren". Moussa Thior lebt seit 32 Jahren im Baskenland und ist mit einer Baskin verheiratet. Er ist der Meinung, dass sich “die Beziehungen zum Wohle aller ändern müssen". Moussa Thior nimmt kein Blatt vor den Mund. Er weiß sehr gut, was das Abenteuer der Migration bedeutet. Er ist 65 Jahre alt und lebt seit 32 Jahren im Baskenland. Er war einer der Pioniere, die von Ondarroa aus in See stachen, wo er nach einer langen Reise über verschiedene Stationen ankam. "Im Hafen von Dakar habe ich einige Reeder aus Huelva getroffen, die mich ermutigt haben, den Schritt zu wagen. Ein Jahr lang habe ich in Las Palmas, Frankreich, wieder auf den Kanarischen Inseln, in Barcelona und Bilbao gelebt und gearbeitet", erzählt er.
Hier lernte er seine Frau (aus Santurtzi) kennen, die ihn auf seiner Reise begleitet hat. Wenn sie wütend wird, schimpft sie auf Baskisch. "Ich verstehe alles perfekt, auch wenn ich nicht versuche, es zu sprechen", gesteht er. Gemeinsam haben sie eine Familie gegründet. Sie haben zwei Kinder, die sie nicht so oft sehen. Omar, der Älteste, ist 36 Jahre alt, vier Jahre älter als Olaia, die derzeit in London lebt. "Sie sind weit weg, aber noch weiter weg ist der Senegal", sagt er und erinnert daran, dass sie die schwierigsten Monate der Pandemie gemeinsam in dem afrikanischen Land verbracht haben, in das er morgen zurückkehrt, um seine Geschwister zu sehen.
Vorher will Moussa Aus die Formalitäten erledigen, die für die Rückführung des Landsmanns erforderlich sind, der kürzlich bei der Arbeit an Bord eines Trawlers aus dem Hafen von Ondarrua auf See ums Leben kam. Moussa kennt den Schmerz und die aufgestaute Wut des senegalesischen Volkes, das er sowohl auf See als auch an Land stets verteidigt hat. Um die Aufgabe zu erfüllen, steht er in engem Kontakt mit den Gewerkschaften, insbesondere mit LAB und ELA. Er war einer der ersten afrikanischen Migranten, die nach Ondarroa kamen. "Es gab nur einen anderen", erinnert er sich. Seitdem hat er nicht aufgehört, Neuankömmlingen zu helfen und sie in Fragen von Unterkunft, Papierkrieg und Arbeit zu beraten. Aufgrund seiner Erfahrungen ist er heute eine der anerkanntesten Stimmen unter den 500 Migranten aus diesem Land, die der Fischfang auch in die Nachbarorte Berriatua, Markina und Mutriku gezogen hat, wo die Mietwohnungen erschwinglicher sind.
"SIE ZAHLEN UNS WENIGER"
Ganz nüchtern stellt er fest, dass sie als Migranten bei zahlreichen Gelegenheiten diskriminiert werden. "Es gibt Jobs im Hafen, bei denen wir schlechter bezahlt werden, weil wir Senegalesen sind". Noch komplizierter wird die Situation, wenn sie auf See fahren. "Zunächst das Problem der Kommunikation, der Sprache und der Missverständnisse", sagt er. "Dazu kommt der Umgang. Und schließlich, nach einem anstrengenden Tag, stellt sich heraus, dass es Schweinefleisch zum Abendessen gibt, für Muslime". Seiner Meinung nach "waren die Arbeitsbedingungen früher besser, weil es mehr Arbeit gab".
Jetzt bedauert er, dass das Kollektiv, mit dem sie sich für ihre Rechte eingesetzt haben, praktisch verschwunden ist. "Wir müssen alle zusammen kämpfen, uns Respekt verschaffen, ohne unsere Würde zu verlieren. Denn ohne uns hätten die Schiffe heute keine Besatzung, um hinauszufahren", betont er in Anwesenheit seines Neffen, der während Moussas Abwesenheit weiter Unterschriften sammeln wird, mit der ein Treffen mit den Schiffseigentümern gefordert wird. Die sollen der baskischen Regierung vorgelegt werden, um sich mehr Gehör zu verschaffen. "Die Beziehungen müssen sich ändern, zum Wohle aller", sagt er.
EINEN ATHLETIC-FANCLUB GRÜNDEN
Seine Verwandten im Senegal erwarten ihn sehnsüchtig. Dort wird vor allem die positive Seite des Migrationsprozesses zur Kenntnis genommen: die Rückkehr nach Hause, die Umarmungen, der Erfolg, eine Familie versorgen zu können ... Moussa erzählt aber auch vom Schicksal anderer, die auf der Suche nach diesem Traum in Albträumen gefangen sind, weil sie keine Papiere haben. Auf dieser Reise in die alte Heimat wird er auch ein angenehmeres Projekt mitnehmen, um seine Bewunderung für Athletic Bilbao und seine Besuche im Stadion San Mamés nicht zu verpassen. "Ich habe vor, im Senegal einen Fanclub für die Rot-Weißen zu gründen", erzählt er. "Wenn ich zurückkomme, erzähle ich davon". (El Correo, Übersetzung: Baskultur)
RÜCKBLICKE: * (1944) Im KZ Auschwitz werden 800 Roma-Kinder von den Nazis ermordet. * (1976) In Burlata, Nafarroa, wird der Aktivist Francisco Alonso von der Guardia Civil erschossen. * (1982) In Amaiur (Navarra, Vorpyrenäen) wird das 1922 aufgestellte und 1931 wieder gesprengte Monument zum Gedenken an die kastilische Eroberung Navarras wieder aufgestellt und eingeweiht, Amaiur war der Ort des letzten Widerstands in Navarra gegen den kastilischen Feldzug.
(2021-10-09)
GENRALSTREIK IN AUSSICHT
Die Pandemie hat die Unzulänglichkeiten im Gesundheits- und Pflegebereich offengelegt und gezeigt, dass viele der für die Gesellschaft wesentlichen Arbeiten unter prekären Bedingungen von Frauen ausgeführt werden. Auf das Leben vieler Arbeiterinnen hatte das negative Auswirkungen. Nach dem Produktionsbremsen während der Pandemie ist nun zu befürchten, dass Institutionen und Industrie alle Anstrengungen unternehmen werden, um die Unternehmensgewinne wieder zu steigern, indem die akute ökologische Krise ignoriert und eine neue Verteilung von Arbeitsplätzen, Pflege und Wohlstand verweigert wird. Die Rohstoffpreise steigen, die Löhne nicht in gleichem Maße. Die Benachteiligung von Frauen in Lohnarbeit wird fortgesetzt. Der Pflegenotstand bleibt ungelöst. Kurz gesagt, die Gesellschaft steht vor einem neuen Interessenkonflikt des Kapitals und der arbeitenden Menschen. Der Generalstreik ist ein Instrument, um die Arbeiterklasse zu stärken und einen neuen Kampf-Zyklus um soziale Rechte voranzubringen.
Die Bedeutung eines möglichen Generalstreiks wird durch einen zweiten Faktor verstärkt: In den nächsten drei Monaten werden wichtige Entscheidungen über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten im südlichen Baskenland getroffen: Arbeitsmarktreform, Rentenreform, Staatshaushalt, Strompreise … dieser Entscheidungen werden auf Staatsebene getroffen, was die Grenzen der derzeitigen autonomen Selbstverwaltung bei der Behandlung grundlegender Fragen aufzeigt. In Anbetracht der Macht der spanischen Arbeitgeber und der Tatsache, dass die staatliche Gewerkschafts-Bewegung ohne wirkliche Kampfstrategie auf diesen entscheidenden Moment zugeht, wäre es ein Fehler, auf Mobilisierungen auf staatlicher Ebene zu vertrauen.
Auf Verbesserungen, die auf staatlicher Ebene erreicht werden können, so begrenzt sie sein mögen, wird nicht verzichtet. Doch muss die baskische Gewerkschafts-Bewegung ihr Potenzial aktivieren, um in dreierlei Hinsicht Wirkung zu erzielen. Erstens Druck auf die Politik, um sicherzustellen, dass die Kürzungen des letzten Jahrzehnts so weit wie möglich rückgängig gemacht werden und jedem Versuch weiterer Kürzungen entgegentreten. Zweitens die Forderung, dass Entscheidungen über die Arbeits- und Lebensbedingungen im Baskenland selbst getroffen werden, das fragwürdige Modell des sozialen Dialogs geht an 71% der Arbeitnehmer*innen in Euskadi und 52% in Navarra vorbei. Drittens, im Baskenland muss durchgesetzt werden, was auf staatlicher Ebene nicht möglich ist.
Das bedeutet, die Rücknahme der Arbeitsreform zu fordern und gleichzeitig ein eigenes Arbeitsrecht sowie die Einführung eines Mindestlohns von 1.400 Euro durch einen übergreifenden Tarifvertrag. Es bedeutet, für die Beendigung der Prekarität und für mehr Rechte zu kämpfen, die Kürzungen im staatlichen Rentensystem rückgängig zu machen und die Regierungen von Euskadi und Navarra zu verpflichten, die niedrigsten Renten bis zu 1.080 Euro aufzustocken. Die Regierungen sollen aufgefordert werden, eine Steuerreform in Angriff zu nehmen und mehr in den öffentlichen Dienst zu investieren, die Beschäftigung zu stabilisieren und die Quoten zu verbessern. Sie sollen ein öffentliches Pflegesystem schaffen und zur Verbesserung eines Sozialsystems beitragen, das verhindert, dass immer mehr Menschen in die Armut geraten. Aus diesen Gründen ist ein Generalstreik in doppelter Hinsicht angesagt.
RÜCKBLICKE: * (1976) Der Aktivist Vicente Velasco stirbt an den Folgen von Prügeln durch Unbekannte in Laudio. * (1978) An unterschiedlichen Orten in Elgoibar werden zwei Guardia Civiles von ETA-Kommandos erschossen. * (1992) In Sestao beginnt der “Eiserne Marsch“ der Arbeiterinnen der Fabrik Altos Hornos Bizkaia (Hochöfen Bizkaia) zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze gegen eine drohende Schließung.
(2021-10-08)
BILBAO STINKT ZUM HIMMEL
Bilbo, die Hauptstadt der Kunstfreunde sammelt seit Jahren Titel und Rekorde: die beste, die schönste, die architektonische, die touristische … nun kommt ein neuer Titel hinzu: die Stadt mit den höchsten Schadstoffemissionen im spanischen Staat. Zwar nur auf Platz sieben, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Eine Studie warnt vor Stickstoffdioxid und dem Mangel an Grünfläche und rechnet vor, dass 368 Todesfälle pro Jahr vermieden werden könnten, wenn die Richtlinien der Welt-Gesundheits-Organisation WHO befolgt würden.
Bilbo und sein Stadtgebiet haben ein ernsthaftes Problem mit NO2, so der in der renommierten Wissenschafts-Zeitschrift "The Lancet" veröffentlichte Bericht. Es handelt sich um die Rückverfolgung von Schadstoff-Emissionen, die vor allem vom Straßenverkehr und bestimmten Industriezweigen stammen und die sich direkt auf die Gesundheit auswirken. Die Autor*innen der Studie (vom Institut IES Global) haben eine Rangliste erstellt, die die Sterblichkeit misst, die vermieden werden könnte, wenn diese Verschmutzung gemäß den jüngsten Empfehlungen der WHO reduziert würde: 368 Tote pro Jahr. Schlechtere Werte wurden nur in Madrid, Barcelona, Mollet del Vallés, Valencia, La Línea de la Concepción und Algeciras verzeichnet. Städte mit der saubersten Luft hingegen: Lorca, Ponferrada und Chiclana de la Frontera. Insgesamt lagen Daten für 858 europäische Städte vor.
"Die jährliche NO2-Konzentration in Bilbao beträgt 29,6 Mikrogramm pro Kubikmeter. Die WHO-Empfehlung war früher ziemlich hoch und legte einen Höchstwert von 40 Mikrogramm fest, der aber gerade auf 10 Mikrogramm gesenkt wurde", erklärt die verantwortliche IES-Global-Forscherin Evelise Pereira. Patienten mit chronischen Atemwegs-Erkrankungen, Kinder und Asthmatiker sind die Gruppen, die am stärksten von der hohen NO2-Konzentration betroffen sind. Selbst eine geringe Aufnahme von NO2, aber über lange Zeit hinweg, ist mit einer Zunahme von Lungen- und Bronchial-Krankheiten verbunden. Ein zweiter Verschmutzungs-Parameter sind die in der Luft schwebenden Feinpartikel, die kleiner als zweieinhalb Mikrometer sind. Bilbo rangiert auf Platz 27 unter den spanischen und auf Platz 327 unter den europäischen Städten, in beiden Fällen im Mittelfeld der Tabelle.
GANZE STADTTEILE OHNE PARKS
Eine weitere (neue) Schlussfolgerung bezieht sich auf den Prozentsatz der Bevölkerung, der Grünflächen in der Nähe hat. In Bilbao haben 70% keine Grünfläche in der Nähe ihrer Wohnung. Das mag in einem "Botxo" (Loch, wie Bilbo genannt wird) überraschen, das von Bergen wie Artxanda oder Pagasarri umgeben ist, das Problem ist, dass diese "grünen Lungen" weit von den bewohnten Gebieten entfernt sind. Die WHO empfiehlt, dass solche Gebiete weniger als 300 Meter von der Wohnung entfernt sein sollten. In dieser Hinsicht ist die in "The Lancet" veröffentlichte Studie entmutigend. 67% der Bilbainas haben keine Vegetation zur Hand. Am schlechtesten schnitt die asturische Stadt Gijón ab, wo 70,5% der Bevölkerung nichts Grünes in der Nähe hat.
"In Bilbao sind die öffentlichen Parks schlecht aufgeteilt. Manche Viertel verfügen über große Grünflächen, in anderen gibt es gar nichts. Mögliche Lösungen? "Es gibt Beispiele aus anderen europäischen Städten: die Dichte von Bäumen auf Gehwegen könnte erhöht werden, die Umwandlung von stillgelegten Industriegebieten in öffentliche Parks, die Entscheidung für grüne Wände und Dächer auf Gebäuden. Auch die Einbeziehung von Grünflächen in Schulen oder Grundversorgungs-Einrichtungen wäre ein Schritt nach vorn. Die Auswirkungen solcher Maßnahmen sind schnell zu spüren. "Grünflächen wirken sich auf die körperliche und geistige Gesundheit aus. Auf der körperlichen Seite wirken sie sich auf die Gesundheit der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems aus. Was die psychische Seite betrifft, so bringen zahlreiche Studien den Aufenthalt in Grünanlagen mit einer besseren psychischen Gesundheit in Verbindung. Sie erhöhen die Lebenserwartung und verbessern die Gesundheit von Säuglingen". Außerdem wirken sie wie ein natürlicher Filter gegen Umweltverschmutzung.
RÜCKBLICKE: * (2002) Das spanische Sondergericht Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) bestätigt das Verbot der links-baskischen Koalition Batasuna. * (2018) Mit der Öffnung des Deustu-Kanals wird aus dem Bilbo-Stadtteil Zorrotzaurre eine Insel. Gleichzeitig wird auf der ehemaligen, in den 1950er Jahren künstlich geschaffenen Industrie-Halbinsel nach Abriss im großen Stil mit Neubebauung begonnen. Das vorletzte große Spekulations-Objekt in Bilbo geht in seine entscheidende Phase.
(2021-10-07)
DER ABSTEIGENDE LIEBLING
Fussball ist – abgesehen von den Millionen, die bewegt werden – ein emotionales, nationalistisches und subjektives Geschäft. Heute der Star, morgen der Depp. Hier gefeiert, dort verflucht. Der Liebling des Teams wird zum Staatsfeind, wenn er zur Konkurrenz geht. Die Erfahrung eines deftigen Absturzes macht gerade der Argentinier in Diensten des CF Osasuna aus Pamplona. Erst hatte der kleinwüchsige Stürmer mit dem Spitznamen Chimy mit Toren und Dynamik das Publikum fasziniert, dann kam ein zweifacher Kreuzbandriss, der ihm eine längere Zwangspause verpasste. Gerade war er auf dem Weg zurück ins Stammteam, da kam das Eigentor.
Ein Eigentor außerhalb des Spielfelds. Genauer gesagt, an einer Tankstelle, an der Chimy seine Limousine auftankte. Weil Fußballer keine wirkliche Privatsphäre haben und in der Öffentlichkeit immer von irgendjemand erkannt werden, kam es zu einem verhängnisvollen Handy-Foto. Denn auf seinem Sommerhemd trug er einen Slogan der neuen Faschisten-Partei Vox inclusive Foto des Führers Santiago Abascal. Dummerweise stellte Chimy das Foto auch noch ins Netz. Versteht sich, dass das Bild die Runde machte, wozu sollten die sozialen Medien auch sonst da sein. Die mediale Antwort ließ nicht auf sich warten.
Das war im Juni, alle fuhren in Urlaub, die fünfte Corona-Well überdeckte alles, und Chimy entschuldigte sich damit, dass er nicht wusste, wer dieser Abascal denn nun sei, es tue ihm leid, wenn er irgendjemand beleidigt hätte, der abgedruckte Satz habe ihm einfach gefallen. Aber so leicht lassen sich Faschisten-Verbindungen im Baskenland nicht abtun. Mit dem Start der neuen Liga kamen die Fans und Kritiker*innen zurück. Und bevor der Argentinier seinen Stammplatz wieder erobern konnte, wurde er grundsätzlich in Frage gestellt. Vor allem die bekannten Ultras von Indar Gorria (Rote Kraft) sehen keinen Weg zurück und wollen die Scheidung. Damit hat nun die Vereinsführung ein Problem. Null zu Eins liegt der Kicker bei Halbzeit hinten, was bringt die zweite Hälfte?
RÜCKBLICKE: * (1936) Drei Monate nach Beginn des sog. Bürgerkriegs wird Jose Antonio Aguirre zum baskischen Ministerpräsidenten gewählt, nachdem die republikanische Regierung in Madrid dem Baskenland eine Autonomie eingeräumt hat, die erste in der baskischen Geschichte. * (2001) US-Truppen besetzen und bombardieren Afghanistan auf der Suche nach den Verantwortlichen für die Attentate gegen Twin Tower, New York. * (1977) Bei einem Attentat der Faschistengruppe Triple A wird in Andoain der Taxifahrer David Salvador aus Hernani getötet. * (1984) Im Sitz der linken Partei Herri Batasuna explodiert eine Bombe. * (2014) Tod des in Bilbao geborenen baskischen Anarchisten Felix Padin (geb.1916), der im Krieg von 1936 auf Seiten der Republik kämpfte. Während der Diktatur war er im KZ und musste Zwangsarbeit leisten.
(2021-10-06)
MASSIVER MISSBRAUCH IN DER KIRCHE
Der Bischof von Bayonne (Baiona) geht davon aus, dass 13 Priester in der Diözese der baskischen Stadt sexuelle Übergriffe begangen haben. Am Vortag war ein Bericht bekannt geworden, nach dem in der Zeit von 1950 bis 2020 insgesamt 330.000 (!) Kinder sexuellen / sexistischen Missbrauch erlitten haben. In Bayonne haben sich bislang 25 Opfer gemeldet und Anzeige erstattet. Die meisten Priester sind verstorben oder sind im Ruhestand, aufgrund der Verjährungsfristen wäre eine Klage ihrer Opfer ohnehin unwirksam. Dabei gibt eine einzige Ausnahme, nämlich die eines Priesters, der "sein Amt noch ausübt" und der aufgrund der Anzeige eines Opfers angeklagt wurde.
Bischof Aillet sagte, dass der Bericht habe ihn "beschämt und entsetzt", gleichzeitig aber auch das Engagement der französischen Prälaten bekräftigt, die sich in ihrem am 25. März veröffentlichten Brief an die Kirchenmitglieder verpflichtet haben, "die Kirche zu einem sicheren Haus zu machen". Journalisten stellten Aillet bei der Pressekonferenz Fragen, die angesichts des Ausmaßes der Päderastie, die im Bericht der Unabhängigen Kommission für sexuellen Missbrauch in der Kirche (CIASE) unter der Leitung von Jean-Marc Sauvé dokumentiert ist, unbeantwortet blieben. Warum hat die Kirche nichts unternommen, bis die Opfer alt genug waren und die Mittel hatten, sich zu äußern? "Ich weiß nicht, vielleicht wusste ich nichts von den Aussagen der Opfer, ich musste einige der Opfer selbst anhören, um mir bewusst zu werden", gestand Aillet.
Der Bericht unterstreicht, dass die französische katholische Kirche von den Geschehnissen hätte wissen und handeln müssen, was nicht der Fall war. Päderastie gehöre nicht der Vergangenheit an, es läge noch ein “langer Weg“ vor der religiösen Institution, um sich der "Vergebung der Opfer" würdig zu erweisen. Im Vorfeld hat die Diözese Baiona auf ihrer Website an erster Stelle einen Brief an die Gläubigen abgedruckt, den die französischen Bischöfe im Anschluss an ihre Versammlung im März dieses Jahres zum Thema "Kampf gegen die Pädophilie" verfasst haben. Die Konklave diente dazu, die französische Kirche intern auf den zu erwartenden Sturm vorzubereiten, der nach dem CIASE-Bericht erwartet wurde. In den Schlussfolgerungen wird die Zahl der Opfer von sexuellem Missbrauch in der französischen katholischen Kirche zwischen 1950 und 2020 auf sage und schreibe 330.000 beziffert (die reale Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen).
"UNBESTREITBARE FAKTEN"
Die französischen Bischöfe betonten in dem Schreiben, sexuelle Übergriffe von Ordensleuten auf Minderjährige seien "bewiesene und unbestreitbare Tatsachen" und forderten, mit Hilfe des Berichts "die Dimension des Skandals genauer einzuschätzen und sie in die Gesamtsituation sexistischer Gewalt gegen Minderjährige in unserem Land einzuordnen". "Die Ermittlungen sind im Gange und sollten ausgedehnt werden, um zu verstehen, wie es zu diesen Ereignissen kommen konnte und warum sie nicht aufgedeckt wurden". Die Bischöfe sprachen sich dafür aus, dass "staatliche wie auch kirchliche Justiz angesichts dieser inakzeptablen Ereignisse handeln sollten".
Die Prälaten betonten, die Opfer hätten mit ihrer Anzeige "der Kirche einen großen Dienst erwiesen, indem sie dazu beitrugen, Licht in das Dunkel zu bringen, das in ihr wohnt, ohne es zu wissen oder erkennen zu wollen". Gleichzeitig beriefen sie sich erneut auf den "globalen Charakter" des Missbrauchs, "die in der gesamten Gesellschaft vorkommt, einschließlich in Familien aller sozialen Schichten und insbesondere im Bereich der Erziehung, wo die erzieherische Beziehung in eine Machtbeziehung umgewandelt werden kann".
MASSNAHMEN
Die Vollversammlung der Bischöfe hat Maßnahmen vorgeschlagen, die teilweise nicht unumstritten waren. Sie verpflichteten sich, weitern mit den Missbrauchsopfern, das Bewusstsein für die "menschliche und spirituelle Begleitung" der Opfer sexueller Übergriffe innerhalb der Kirche zu schärfen, die "Ausbildung der Priester und insbesondere der Jugendpastoren" zu verbessern, und einen Ort zu schaffen, an dem "eine lebendige Erinnerung an die begangenen Taten und an die persönliche Überwindung dokumentiert wird". Dazu schlugen sie eine finanzielle Unterstützung für eine unabhängige Hilfseinrichtung vor, die die Missbrauchsopfer unterstützen soll".
RÜCKBLICKE: * (1934) Der katalanische Präsident Lluis Companys proklamiert einen katalanischen Staat innerhalb der spanischen Republik. Die spanische Regierung verhängt den Kriegszustand. * (1970) Der Arbeiter Anacleto Rebole stirbt in der Fabrik durch Schüsse der Guardia Civil. * (1991) Im Baskenland wird von Angehörigen politischer Gefangenen die Organisation Senideak gegründet. * (1997) In Madrid beginnt der Prozess gegen den Vorstand von Herri Batasuna, wegen angeblicher Werbung für ETA. Er endet mit sieben Jahren Haftstrafe für alle 23 Angeklagten. * (2002) Das Frauen-Team von Athletic Bilbao tritt zu seinem ersten offiziellen Liga-Spiel an. Bis 2020 folgen fünf Meistertitel in der spanischen Liga.
(2021-10-05)
EIN EXEMPLARISCHER ARBEITSKAMPF
Die Unternehmensleitung und die Mehrheit des Tubacex-Betriebsrats unterzeichneten eine Vereinbarung, mit der ein fast achtmonatiger Streik der Beschäftigten in den Werken Laudio und Amurrio zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze beendet wurde. Die Versammlungen der Gewerkschaften ELA, CCOO und ATAL unterzeichneten die Vereinbarung, während die beiden anderen Gewerkschaften, LAB und STAT, dagegen stimmten. Neben der Wiedereinstellung aller entlassenen Arbeiter und der der Beilegung des Streits um Kurzarbeit beinhaltet die Vereinbarung Beschäftigungs- und Investitions-Garantien für diese Betriebe mindestens bis Dezember 2024. Im Gegenzug wird die Arbeitszeit um 40 Stunden pro Jahr erhöht.
Die Arbeitnehmer*innen haben ihre Hauptforderungen (Erhalt der Arbeitsplätze in der Region) erreicht. Während dieser Monate haben sie einen beispielhaften Kampf geführt. Trotz des Drucks und der Polizeieinsätze haben sie dem Druck widerstanden, indem sie Unterstützung außerhalb der Betriebe suchten und die gesamte Region in die Verteidigung der Produktionsstätten einbezogen, da diese Arbeitsplätze für den Landkreis unentbehrlich sind. Ähnliches kann über das Unternehmen nicht gesagt werden. Es ist völlig unerklärlich, dass die Führung zuerst die Zahl der Beschäftigten wegen mangelnder Aufträge reduzieren wollte, um am Ende die Zahl der zu Arbeitsstunden zu erhöhen.
Die Tatsache, dass Tubacex ohne stichhaltige Gründe acht Monate lang den Streik Argumente für den Streik geliefert hat, kann nur als Versuch verstanden werden, den Willen und die Einheit der Arbeitnehmer*innen zu brechen. Die Unterzeichnung lässt auch die baskische Regierung in keinem gutem Licht erscheinen. Wie bei praktisch allen Arbeitskonflikten beschränkte sich ihr Beitrag darauf, die Position des Unternehmens zu verteidigen, bis sie angesichts des Kampfwillens der Arbeitnehmer keine andere Wahl mehr hatte, als zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.
Ein langer Streik, der schließlich Früchte trug. Er liefert auch wichtige Erkenntnisse darüber, wie mit dieser Art von Arbeitskonflikten umzugehen ist: nicht nur vor den Werkstoren, sondern unter Einbeziehungen des sozialpolitischen Umfelds. Lektionen, die in diesen Zeiten der neoliberalen Offensive gegen die Arbeiterklasse besonders interessant sind. (Quelle)
RÜCKBLICKE: * (1936) Zweieinhalb Monate nach dem Militärputsch faschistischer Generäle beginnt die baskische Regierung mit dem Bau einer Verteidigungslinie im Großraum Bilbao, dem Eisernen Gürtel (Cinturón de Hierro). * (1975) Eine Para-Gruppe erschießt bei Kanpanzar den Aktivisten Iñaki Etxabe aus Arrasate. * (1977) Die ultrarechte Gruppe Triple A bekennt sich zu einem versuchten Bombenanschlag auf die linke Wochenzeitung Punto y Hora. * (2000) Bei einer Razzia gegen die Stiftung Josemi Zumalabe u.a. werden neun Personen verhaftet. Vorwurf: sie hätten im Auftrag ETAs den zivilen Ungehorsam organisiert.
(2021-10-04)
INTERPRETATIONEN VON PICASSO
Die Vernichtung der baskischen Stadt Gernika durch die nazi-deutsche Legion Condor wurde zum Fanal des Spanienkrieges und der Kriegsverbrechen gegen Zivilbevölkerung. Pablo Picasso ist es zu verdanken, dass diese Grausamkeit einen bleibenden künstlerischen Ausdruck erhielt. Doch war Picasso keineswegs nur irgendein Maler, in seinen Pinselstrichen steckte politische Absicht, politisches Bewusstsein. Doch nicht alle Nachgeborenen wollen das wahrhaben, die Rezeptionen sind vielfältig, insbesondere im geteilten Deutschland. Eine Ausstellung erklärt, warum Picasso in DDR und BRD unterschiedlich bewertet wurde.
“Der geteilte Picasso“ betrachtet die Wirkung des Künstlers vor dem Hintergrund der deutschen Teilung. Im Westen ist bis heute wenig bekannt, dass Picasso seit 1944 Mitglied in der kommunistischen Partei war und sich dort stark engagiert hat: für die sozialistische Bewegung, für die Friedensbewegung, für antikoloniale Befreiungskämpfe. In der DDR stand der Friedenskämpfer und Mensch Picasso im Vordergrund, während in der Bundesrepublik der Künstler, Schöpfer und Erneuerer der Malerei im Vordergrund stand. Sein politisches Engagement wurde im Westen süffisant belächelt. Man hielt ihm vor, dass er als Millionär in Frankreich lebte, und fragte, wie das mit einem “angeblichen“ kommunistischen Engagement zusammenginge.
Ost- und Westdeutschland haben den politischen Menschen Picasso vom künstlerischen getrennt. Ein Kunsthistoriker sagte einst, es sei das Paradox Picassos, dass er in den USA als Künstler geschätzt würde, als KP-Mitglied aber nicht einreisen dürfe; in der UdSSR sei er als Mensch willkommen, aber seine Kunst nicht. Picasso selbst war der Ansicht, Kunst und Person ließen sich nicht trennen. In der DDR war nicht das Geld vorhanden, teure Leihgaben ins Land zu holen. Daher hat man Reproduktionen gezeigt. Picassos Gemälde “Das Leichenhaus“ von 1945 thematisierte früh die Verbrechen von SS und Wehrmacht, 1948 besuchte Picasso Auschwitz. Ein prägnantes Beispiel. Das Gemälde war bis zum Mauerfall in Deutschland nie zu sehen, weder im Westen noch im Osten. Es ist unbekannt geblieben. Eine westdeutsche Monografie über Picasso von 1955 führte das Bild in einer Liste im Anhang auf, ohne zu benennen, was darauf zu sehen ist. Eine Publikation aus der DDR aus den 1960ern über Kunst und Widerstand bildete das Bild groß ab und erläuterte, dass es NS-Verbrechen zeige.
Ähnliches gilt für das Bild “Massaker in Korea“, das Picasso 1953 gemalt hat. Das Bild thematisiert den Koreakrieg und die US-amerikanischen Verbrechen. 1955 war es in einer Retrospektive in München zu sehen, “ohne jede politische Tendenz“. Im Osten gab es dagegen eine Debatte, wie die Opfer im Bild dargestellt werden: Picasso wird vorgehalten, das koreanische Volk wehrlos und nicht als Helden des Widerstands zu porträtieren. Gute oder schlechte Kunst – wie ist etwas darzustellen, was ist Gegenständlichkeit, wo fängt die Abstraktion an und kann sie politisch wirken? Das ist eine Diskussion, die im Westen nicht stattfindet.
Für Picasso selbst gehörten Kunst und Politik immer zusammen, weil der Künstler nicht in der Kunst, sondern in der Welt lebt. In der DDR spielte die Frage der Form eine große Rolle. Der Vorwurf, ungegenständlich und eben formalistisch zu malen, bedeutet, dass man in der Logik der Funktionäre die Form über die Wirklichkeit stellt. Auch deshalb war es zeitweise problematisch, Picasso in der DDR und der gesamten sozialistischen Welt auszustellen. Die BRD stellte das Individuum in den Vordergrund, den Macher, das Genie und seine Produktivität: Picasso sei (1955) die “letzte, ragende Verkörperung des Individualismus“. In der DDR stand das Kollektiv im Vordergrund. Kunst hat eine Funktion wie alle anderen Dinge auch, wie der Straßenbau oder die Wissenschaft. Im Westen hat sie ganz im Gegenteil den Zweck, keinen Zwecken unterworfen zu sein. 30 Jahre nach Mauerfall gibt es nur noch diesen westlichen Blick, es sei denn, jemand ist in der DDR sozialisiert worden. (Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR Museum Ludwig, Köln, bis 30. Januar 2022) (Quelle)
RÜCKBLICKE: * (1976) Mit Ketten und Pistolen bewaffnete Ultrarechte provozieren Terror in Intxaurrondo-Donostia und führen zur Räumung von Bars und Läden. * (1991) Das Industrie-Konsortium Sidenor präsentiert einen Plan zur Schließung der Werke in Hernani (Gipuzkoa) und Laudio (Bizkaia), 1690 Arbeiterinnen werden arbeitslos. * (2007) In Segura/Gipuzkoa wird der Großteil des ehemaligen Vorstands der linken Partei Batasuna festgenommen, die schon seit 5 Jahren illegal ist.
(2021-10-03)
DOPPELTES OPFER DER SPANISCHEN JUSTIZ
Ruben Garate starb am 13. Februar 2000, einen Tag nach dem Autounfall, den er in der Nähe von Burgos erlitt. Er befand sich auf dem Rückweg von einem Besuch bei einem befreundeten politischen Gefangenen nahe Madrid. Denn bis vor Kurzem bestand die Strafpolitik der spanischen Politik und Justiz darin, die baskischen politischen Gefangenen nicht heimatnah einzusperren (wie es sich für ein demokratisches System gehört), sondern im Gegenteil: so weit wie möglich entfernt. Zum Beispiel im andalusischen Cadiz, 1.050 Kilometer vom Baskenland entfernt. Dispersion wurde diese fragwürdige Praxis genannt, Zerstreuung, mehr als 30 Jahre wurde sie aufrecht erhalten. Sechzehn Personen zahlten deswegen einen tödlichen Preis, als sie auf den langen Wegen bei Unfällen ihr Leben ließen. Nie gab es den geringsten Zweifel daran, dass nicht die Gefangenen selbst den Preis bezahlen, sondern Angehörige und Freundinnen, die nie verurteilt wurden. Zum Beispiel Ruben Garate.
In seinem Heimatort Otxandio (Bizkaia) geriet Ruben nicht in Vergessenheit. Am Ortseingang ziert ein riesiges Wandbild mit seinem Gesicht eine große Hauswand. Bisher jedenfalls. Denn nun urteilte der oberste baskische Gerichtshof, dass dieses Gemälde entfernt werden müsse, weil es die Empfindlichkeiten der Opfer verletzte. Von welchen Opfern ist die Rede? Von den Opfern der verurteilten Gefangenen. Um die geht es jedoch bei der Darstellung gar nicht. Es geht um ein anderes Opfer, ein Opfer der politischen Justiz und einer Politik, die keine Grundrechte mehr kennt, wenn es um den aus dem Franquismus stammenden baskischen Widerstand ging.
Mit dem Urteil verboten wird die Kritik an der Gefängnispolitik, die unschuldige Tote billigend in Kauf nahm, um den sozialen Druck (gegen wen auch immer) zu erhöhen. In Otxandio stößt die Entscheidung auf Widerstand. "Wir wollen die inakzeptable polizeiliche und gerichtliche Verfolgung anprangern, die die Gemeinde Otxandio erleidet, weil mit dem Gemälde festgestellt wurde, dass der Tod von Ruben Garate das Ergebnis der Zerstreuungspolitik war", sagte der Bürgermeister. Er betonte, dass die Gemeinde "all das Leid anerkennen will, das in Otxandio im Zusammenhang mit dem politischen Konflikt erlitten wurde, wir wollen dazu beitragen, eine auf Koexistenz basierende Zukunft aufzubauen". Dagegen beklagte er, dass "die Guardia Civil und die Regierungsdelegation uns immer wieder Steine in den Weg legen. Warum lassen sie uns nicht friedlich den Weg der Koexistenz gehen, warum diese ganze Verfolgung", fragte er.
Die Gefühle der Familie des Toten wurden von Garates Bruder Ibon zusammengefasst: "Verletzt, angegriffen, herabgesetzt, ignoriert", sagte er. "Es geht nicht nur darum, dass uns die Anerkennung als Opfer der Zerstreuungspolitik verweigert wird, sondern auch darum, dass wir mit dieser Art von Strafe gedemütigt werden", beklagte er und bekräftigte die Forderung nach "offizieller Anerkennung, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung". In diese Richtung argumentierte auch die Vertreterin von Etxerat (Nach Hause), dem Zusammenschluss der Angehörigen von politischen Gefangenen. "Es ist an der Zeit, sich der Herausforderung zu stellen, die durch die direkt und indirekt verursachten Todesfälle während der Jahre der Aufrechterhaltung der Ausnahmepolitik im Strafvollzug entstanden ist. All diese Opfer müssen offiziell anerkannt und entschädigt werden".
RÜCKBLICKE: * (1975) Tod von Kepa Josu Etxeandi Iturri, zehn Tage nachdem er an der Grenze von Orreaga von der franquistischen Guardia Civil angeschossen wurde. * (1978) Ein ETA-Kommando erschießt in Bilbao einen Offizier der spanischen Marine. * (1980) Ein ETA-Kommando erschießt in Durango drei Nationalpolizisten. * (1987) Großangelegte Razzia und Festnahmeaktion der Polizei im französischen Baskenland gegen südbaskische Flüchtlinge, mit 61 Verhafteten und 121 Hausdurchsuchungen.
(2021-10-02)
ÜBER 65-JÄHRIGE VON ARMUT BEDROHT
Mehr als 65 Jahre alt zu sein ist nicht ungefährlich, 22.710 Bask*innen in dieser Lebenssituation sind von Armut bedroht. Das sind doppelt so viele wie vor fünf Jahren. Die Zahl der betroffenen Frauen steigt von 5.872 auf 15.276. Von den 112.531 allein lebenden Menschen sind 75% weiblich und überwiegend Witwen. Die von Armut bedrohten über 65-Jährigen verfügen über ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 817 Euro pro Person. Diese Ziffer gilt als Armutsschwelle. Die Zahl hat sich seit 2016 verdoppelt, als sich 11.100 Menschen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befanden. Frauen sind dabei besonders benachteiligt, denn 15.276 baskische Frauen befinden sich heute in dieser "Unterhaltsarmut". Sie verfügen nicht über ausreichende wirtschaftliche Mittel, um ihre Grundbedürfnisse kurzfristig zu decken. Vor vier Jahren waren es noch zehntausend weniger: 5.872. Bei den Männern ist die Steigerung geringer, sie ging von 5.228 auf 7.434.
Das Einkommen der über 65-Jährigen stammt hauptsächlich aus Altersrenten und anderen Sozialleistungen sowie in geringerem Maße aus Kapitaleinkünften, während das Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder Arbeit praktisch gleich Null ist. Der vom Baskischen Institut für Statistik (Eustat) veröffentlichte Bericht über das Panorama der älteren Menschen im Baskenland spiegelt ein Geschlechtergefälle wider, das sich nach Erreichen des Rentenalters verstärkt. In der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen verfügen Männer über ein Durchschnitts-Einkommen von über 30.000 Euro, während das von Frauen wenig über 15.000 Euro liegt.
Ab dem 65. Lebensjahr sinkt das Einkommen der Bask*innen, während das der Frauen ab dem Alter von 80 Jahren aufgrund der Witwenrenten leicht ansteigt. In diesem Sinne stellen Witwen die Hauptgruppe der allein lebenden Frauen über 65 Jahre dar (82.765). Diese Zahl entspricht 73% der Ein-Personen-Haushalte im Baskenland, insgesamt 112.531. "Einsamkeit ist eine Tatsache, die älteren Menschen betrifft und einen Risikofaktor darstellt, weil sie Situationen der Isolation, der Verletzlichkeit und des körperlichen und emotionalen Verfalls hervorruft. Wir müssen dagegen ankämpfen, sowohl als Gesellschaft als auch von Seiten der zuständigen Institutionen", sagt Pilar Sorando, Präsidentin von Zahartzaroa, dem baskischen Verband für Geriatrie und Gerontologie.
FORTSCHREITENDE ALTERUNG
Im Baskenland leben fast eine halbe Million Menschen über 65 Jahre (284.126 Frauen und 210.238 Männer), das sind 22,5% der Bevölkerung, wobei Bizkaia das “älteste“ und Alava das “jüngste“ Gebiet ist. Auf zehn Personen über 65 Jahren kommen acht Personen unter 20, was die fortschreitende Alterung der Bevölkerung widerspiegelt. Dieses Ungleichgewicht ist laut Eustat bei den Frauen ausgeprägter, da die Lebenserwartung mit 86,6 Jahren höher ist als bei den Männern mit 80,8 Jahren. Der Durchschnitt in der Europäischen Union ist mit 83,6 bzw. 78,3 Jahren niedriger. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden im Baskenland ca. 730.000 Menschen über 65 Jahre alt sein, 50% mehr als heute, während die Lebenserwartung im Jahr 2061 für baskische Frauen bei 92,2 Jahren und 88,8 für baskische Männer liegen wird. Gute Gesundheit ist ein entscheidender Faktor für diese Entwicklung, "auf die wir als Gesellschaft stolz sein sollten, weil sie den Lebenshorizont erweitert", so Sorando.
Natürlich hat uns die Pandemie "gezeigt, dass wir unsere älteren Menschen im Auge behalten müssen", fügt sie hinzu. Von den 3.096 Todesfällen durch Coronavirus, die im vergangenen Jahr im Baskenland registriert wurden, waren 2.805 Personen von über 70 Jahren betroffen. Das baskische Pflegenetz verfügt über 20.949 Wohnplätze in 448 Zentren, sieben von zehn Nutzer*innen sind Frauen: 18.885 nach den letzten offiziellen Daten für 2019.
RÜCKBLICKE: * (1928) Der spanische Priester Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás gründet die “Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei”, eine ultra-katholische (ultrarechte) Einrichtung, die 1950 vom Vatikan anerkannt wird. In Pamplona/Navarra betreibt sie heute eine einflussreiche eigene Universität.
(2021-10-01)
ZUSTÄNDE IN ALTERSHEIMEN
Die behördliche Kontrolle in baskischen Altersheimen hat untragbare und völlig unmenschliche Situationen entdeckt. Für die einen die große Ausnahme, für die anderen tägliche Realität. Die einen sind die politisch Verantwortlichen, die den Pflegebereich privatisieren, wo und wie es nur geht. Die anderen sind die in diesem Bereich Arbeitenden, die schon lange im Streik sind für bessere Arbeitsbedingungen und die feststellen, dass die entdeckten Missstände die Regel sind und nicht die Ausnahme.
Was wurde entdeckt? Manche Bewohnerinnen der “residencias“ liegen 14 Stunden oder mehr in ihren Betten, ohne dass ihnen beim Aufstehen geholfen wird. In dieser Zeit erhalten sie auch kein Essen. Die Bewohner*innen der Altersheime werden einmal die Woche zur Dusche gebracht, obwohl die Vorschrift von zwei Duschen spricht. Die unmenschliche Entdeckung wurde in einem Altersheim in Donostia gemacht. Die Verantwortliche für Sozialpolitik beeilte sich mit der Behauptung, es handele sich um eine bedauerliche Ausnahme. “Entweder sie weiß es nicht besser oder sie lügt“, war sie Reaktion von Gewerkschaften und Angestellten aus Altersheimen. Die es aus erster Hand wissen müssen stellen fest, dass der Skandal in Donostia die gängige Praxis in vielen, wenn nicht der großen Mehrheit der Anstalten darstellt.
Grund dafür ist der eklatante und systematische Personalmangel in Altersheimen. Dagegen wird mit Hilfe der Gewerkschaft ELA seit Langem gestreikt. Gefordert wird unter anderem eine Erhöhung der Zeitspanne, die den Betreuerinnen täglich zur Betreuung der alten Leute zur Verfügung steht, um den Umgang menschlicher zu gestalten und den Stress der Bediensteten zu lindern. Gefordert wird – von vielen aus dem Sozialbereich, Verbänden von Renter*innen, Gewerkschaften und Betriebsgruppen – dass Altersheime ausschließlich von der öffentlichen Hand betrieben werden sollten. Denn private Altersheime arbeiten nach dem Profit-Prinzip, der Mangel an Arbeitskräften entspricht völlig diesem Prinzip, menschenwürdige Betreuung ist ein reiner Kostenfaktor, der möglichst gering gehalten wird. Bereits während der Pandemie gab es verschiedene Skandale in Altersheimen. In Madrid und Katalonien wurden in verschiedenen verlassenen Einrichtungen Verstorbene gefunden, die entweder zurückgelassen worden waren oder unbetreut starben.
RÜCKBLICKE: * (1919) Nach vielen Streiks, unter anderem in Bilbao, wird im spanischen Staat der 8-Stunden-Tag eingeführt. * (1931) Die republikanische Regierung Spaniens gewährt Frauen das Wahlrecht. * (1936) Wenige Wochen nach dem Putsch rechter Generäle unter Franco, der einen Krieg ausgelöst hat, gesteht die republikanische Regierung dem Baskenland einen Autonomie-Status zu. * (2017) Trotz brutalem Vorgehen der spanischen Polizei wird in Katalonien ein Referendum über die Frage der Unabhängigkeit durchgeführt. Eine große Mehrheit spricht sich für die Gründung einer katalanischen Republik aus.
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(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2021-10-01)