abasca1Wo liegt dieses verfluchte Amurrio?

Santiago Abascal ist der Gründer und starke Mann der neo-franquistischen faschistischen Partei Vox. Abascal stammt aus der baskischen Kleinstadt Amurrio in der Provinz Araba. Seine Vorfahren kamen aus Kantabrien, Großvater Abascal Pardo war von 1963 bis 1979 franquistischer Bürgermeister des Ortes, die ultrarechte Gesinnung wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Vater Abascal war treuer Anhänger der von Franquisten gegründeten Alianza Popular, in der Folge Todfeind der baskischen Linken.

Wie wenige andere ist der heutige Vox-Chef Santiago Abascal (*1976) ein Ausdruck des politischen Konflikts zwischen dem alten Franquismus mitsamt den in der “Demokratie“ deponierten Altlasten, und der postfranquistischen Opposition der baskischen Linken und dem Umfeld der bewaffneten Organisation ETA.

Vox, die Partei, die aus der ultrarechten Ecke die spanische Politik aufgemischt hat (wie Podemos von der linken Seite), ist am Vorabend der Parlamentswahlen vom 23. Juli 2023 zum Schlüssel der erneuten Regierungsübernahme der postfranquistischen Partido Popular (PP) geworden. In verschiedenen spanischen Regionen werden derzeit entsprechende Pakte verhandelt und geschlossen. Mit Santiago Abascal hat die Vox-Partei ihre Wurzeln im Ort Amurrio in Araba (span: Alava).

Der heutige Vox-Chef wurde 1976 geboren und wuchs in dieser Industriestadt mit 10.000 Einwohnern und großen Unternehmen wie Tubacex und Tubos Reunidos auf. Diese Stahlwerke veränderten die Geschichte von Amurrio, denn sie zogen eine Einwanderung an, die in den 1960er und 1970er Jahren fast 43% der Bevölkerung ausmachte, eine Zahl, die ständig zunahm. Die Integration dieser Einwanderung aus Burgos, Kantabrien, La Rioja, Galicien oder Andalusien war nie ein Problem. Wie in vielen anderen baskischen Städten war die Eingliederung in den baskischen Nationalismus linker und rechter Prägung eine Form der Integration. In diesem Sinne ist es bezeichnend, dass es in Amurrio nach der Phase des sogenannten “demokratischen Übergangs“ und der Wiederzulassung von bürgerlichen Parteien immer eine nationalistische Mehrheit gab und seit 1979 alle Bürgermeister Mitglieder der rechten baskischen PNV oder ihrer Abspaltung EA waren. (1)

Die Abascal-Familie stammt aus Arredondo in Kantabrien, wo Santiago Abascals Großvater im Textilhandel tätig war und Textilien auf einem Maultier transportierte. Als er sich in Amurrio niederließ, heiratete er eine junge Frau aus dem baskischen Okendo. Großvater Manuel war während des Franco-Regimes und in den ersten Jahren der Transition Bürgermeister von Amurrio, zwischen 1963 und 1979.

abasca2Sein Sohn, Santiago Abascal Escuza (im Folgenden Senior genannt), schloss sich schon als junger Mann Manuel Fraga Iribarnes Alianza Popular an, bevor er Mitglied der Partido Popular wurde. Fraga Iribarne bekleidete unter Franco verschiedene Ministerposten und war als dessen Nachfolger im Gespräch; nach dem Tod des Massenmörders blieb er Minister und gründete die postfranquistische Partei, mit deren Hilfe der scheinbar demokratisch gewendete Franquismus weiter die Zügel in der Hand halten sollte. Fraga war 16 Jahre lang Ministerpräsident der Region Galicien und war der hauptverantwortliche Politiker für das Polizeimassaker von 1976 in einer Kirche in Vitoria-Gasteiz, bei dem fünf streikende Arbeiter bei einer Vollversammlung erschossen wurden.

Abascal Senior, der Vater des Vox Gründers Santiago Abascal Junior, war eine bekannte Persönlichkeit in der Region und wurde zur "Alma Mater" der PP im Aiala-Tal. Als Stadtrat und Abgeordneter, kurzzeitig auch als Abgeordneter im spanischen Parlament, vertrat er die spanische Rechte in einer weitgehend nationalistisch geprägten Gegend. Auch in den Jahren der bleiernen Zeit – ETA hatte angesichts des unzureichenden politischen Wandels der neuen Demokratie die Waffen nicht niedergelegt, die frühen 1980er Jahre waren geprägt von hunderten von Toten auf beiden Seiten – zögerte er keinen Moment, sich mit der abertzalen (patriotischen) Linken anzulegen, sich auf die Seite der rechten Opfer zu stellen und die Guardia Civil zu verteidigen, die in jener Zeit Hunderte von Baskinnen und Basken folterte, ob sie nun bei ETA waren oder nicht.

Abascal Junior selbst erwähnte gelegentlich, dass der Grund für sein politisches Engagement die Ermordung des örtlichen Postboten Estanislao Galíndez im Juni 1985 war, ein enger Freund seines Vaters. In einer Erklärung bekannte sich ETA zu diesem Anschlag, weil er angeblich mit der Guardia Civil kollaboriert hatte. Vier Jahre zuvor hatte ETA den Bruder des Postboten mit demselben Vorwurf getötet. Die Familie Abascal prangerte die Gewalt der Gegenseite aktiv an, nahmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, und wurden zu Feindbildern der linken Unabhängigkeits-Bewegung. Die Stadt geriet ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Abascals nahmen beispielsweise regelmäßig an den Feierlichkeiten der Guardia-Civil-Kaserne der Stadt teil, in deren Katakomben (wie in allen anderen Kasernen) Folter praktiziert wurde.

Es kostet keine große Mühe, sich vorzustellen, wie die Sozialisation des jungen Abascal aussah. Berichten der rechten Presse zufolge, erhielt der Großvater 1981 einen Brief von ETA, in dem er aufgefordert wurde, nach Frankreich zu reisen, um der Organisation zehn Millionen Peseten zu übergeben.

Die Familie betrieb (betreibt bis heute) im Ortszentrum ein Geschäft für Herrenmode. Santiago Abascal Junior wuchs damit auf, dass dieses Familienunternehmen immer wieder angegriffen oder mit Parolen besprüht wurde. Der Gründer von Vox verbrachte seine Kindheit und frühe Jugend in einer Stadt, in der ein großer Teil der Gesellschaft den Umgang mit der Familie vermied. Santiago Abascal Junior war immer an der Seite seines Vaters zu sehen, wenn dieser vor den Medien Erklärungen abgab.

Die Abascals hatten kein Problem damit, politisch brisante Positionen zu verteidigen und wenn nötig allein zu vertreten. Zum Beispiel im Fall des Atomkraftwerks Garoña, hinter der Südgrenze von Araba am Ebro gelegen (in der Provinz Burgos) und eines der ältesten und unsichersten AKWs. Als Ende der 1990er Jahre die Debatte über die Stilllegung des Kernkraftwerks begann, war es Abascal Senior, der die Position vertrat, dass Garoña in Betrieb bleiben müsse. Er legte sich mit allen baskischen Institutionen, allen Gemeinderäten in der Nähe des Kraftwerks und mit der wachsenden sozialen Sensibilität zum Thema Atomenergie an. Die Familie war darin geübt, allein Krieg zu führen für ihre anti-baskischen und anti-ökologischen Positionen.

Santi Abascal Junior begann eine politische Karriere in der Partido Popular seines Vaters. Im Dorf wurde er bald als junger Mann mit Bodyguard bekannt. Als er im Alter von 23 Jahren seinen Sitz im Stadtrat von Laudio (span: Llodio) einnahm, sein erstes öffentliches Amt, wurde er schikaniert. Sein Vater bezeichnete dies als einen "versuchten Lynchmord", was die Gemüter alles andere als beruhigte. Später zog Abascal Junior nach Vitoria-Gasteiz, wo er weniger bekannt war.

abasca3Der zweite Schritt seiner politischen Karriere führte Abascal Jr. ins baskische Regional-Parlament, wo er zum Wadenbeißer des damaligen Lehendakari (Ministerpräsidenten) Juan José Ibarretxe wurde, einer der wenigen PNV-Politiker, die für das baskische Selbstbestimmungsrecht eintraten. Ibarretxe stammte aus dem Nachbarort Laudio, wo er einst Bürgermeister war. Abascals Mentor war der PP-Rechtsaußen Jaime Mayor Oreja, bei den Regional-Wahlen von 2001 Spitzenkandidat der PP, mit exzellenten Verbindungen zu ultrakonservativen Organisationen wie der katholischen Sekte Opus Dei (Werk Gottes), Legionarios de Cristo Rey und radikalen Abtreibungs-Gegnern. Ibarretxe gewann die Wahl ohne Probleme.

Von ultrarechts nach rechtsextrem

Allmählich distanzierte sich Gründer der faschistischen Vox-Partei von der Partei, die ihn mit Posten und Funktionen gefüttert hatte, weil er der Meinung war, dass die Postfranquisten der PP den Nationalisten zu viele Zugeständnisse machten. Während einer politischen Krise mit der damaligen Präsidentin der baskischen PP, María San Gil (Vertraute von Mayor Oreja), die sich mit der PP-Führung von Mariano Rajoy überworfen hatte, unterstützte er dieselbe und verließ das Baskenland. In Madrid wurde er von Esperanza Aguirre empfangen, Aristokratin, eine weitere Rechtsaußen der PP, Ex-Bürgermeisterin von Madrid, in Korruptions-Skandale verfangen. In der Hauptstadt wurde Abascal mit frei erfundenen Funktionen vier Jahre lang durchgefüttert. Dort begann Abascal Jr. das aufzubauen, was später zu Vox werden sollte.

Im November 2013 gab er seinen Austritt aus der Partido Popular bekannt und begründete dies mit unüberbrückbaren Differenzen mit deren Führung. Er kritisierte das Vorgehen der Partei in Korruptionsfällen wie dem Fall Gürtel, ebenso die “Anti-Terror-Politik gegen die Terrorgruppe ETA“ der Regierung von Mariano Rajoy und des baskischen Partei-Ablegers, unter anderem die Freilassung des todkranken politischen Gefangenen Josu Uribetxeberria Bolinaga aus dem Gefängnis (er starb einige Monate nach seiner Freilassung). Auch die Politik gegenüber dem baskischen und katalanischen Nationalismus, bei der die "Einheit Spaniens" auf der Strecke bliebe. Parteichef Rajoy warf er vor, "die Grundideen" der PP zu verraten. So verabschiedete er sich von seiner Paten-Partei und gründete im Januar 2014 das neue neo-franquistische Projekt, unter anderem mit dem ehemaligen Gefängnisbeamten José Antonio Ortega Lara, den ETA 1996 während mehr als 500 Tagen entführt hatte.

2014 besuchte Santiago Abascal seine Heimatstadt Amurrio, nachdem sein Vater angekündigt hatte, sich aus der Politik zurückzuziehen. "Ich habe vier Attentate und 103 Angriffe auf meine Familie, mein Geschäft und meine Pferde erlitten", beklagte der Senior in seiner politischen Abschiedsrede.

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2017 übernahmen seine Mutter und seine Schwestern die Leitung des familiären Mode-Ladens. Trotz beachtlicher Erfolge von Vox in Andalusien, Madrid und anderen Regionen fielen die Vox-Ergebnisse in Amurrio sehr bescheiden aus. Bei den letzten Kommunal-Wahlen im Mai 2023 haben die Faschisten 104 Stimmen erhalten, gerade einmal 2%, vier Jahre zuvor waren es 60. Eine äußerst schwache Unterstützung am Ort, an dem Abascal immer gegen den Strom geschwommen ist, aber nie beliebt wurde.

Und übrigens …abasca4

Wie der baskische Sozialdemokrat Patxi Lopez (der es immerhin zum baskischen Ministerpräsidenten schaffte) ging Santiago Abascal nie einer geregelten Arbeit nach. Er wanderte von einer Institution zu nächsten, von einem Parlament zum anderen. Denn wer im Baskenland den rechten Frontmann spielt, kann sicher sein, im Reststaat durchgefüttert zu werden. Dabei hatte der Neo-Franquist ein Studium der Soziologie abgeschlossen. An der privaten und elitären Jesuiten-Universität Deusto in Bilbao. Seine Abschlussarbeit wurde veröffentlicht unter dem Titel “La farsa de la autodeterminación“ (Die Farce der Selbstbestimmung), mit einem Vorwort von José María Aznar.

Mit Selbstbestimmung gemeint ist das Recht der baskischen Gesellschaft, ihre Zukunft selbst zu entscheiden, im spanischen Staat oder außerhalb. Ein von den Vereinten Nation abgedecktes Grundrecht. Aber Grundrechte, Demokratie und Verfassungen kümmern Faschisten bekanntlich wenig. Weder der in der Verfassung festgelegte Offizial-Status der baskischen Sprache, und schon gar nicht das baskische Autonomie-Statut (Katalonien inbegriffen).

All das wird von seiner Vox-Partei in Frage gestellt. Denn der spanische Staat muss eine faltenlose Einheit darstellen und von Madrid aus regiert werden, mit allen Mitteln, wenn es sein muss, ohne Parteien und formale Demokratie. Dazu will Vox alle baskischen und katalanischen Parteien verbieten lassen, die auch nur das Geringste mit Unabhängigkeit oder Autonomie zu tun haben. Die konservativen Parteien PNV und Junts per Cat gleich mit. Dass Abascal zwischen 2003 und 2004 Mitglied der Generalversammlung von Araba war, der Verwaltung der baskischen Süd-Provinz, einer aus seiner Sicht völlig unnötigen Verwaltungsstruktur, die ein Ablaufdatum haben sollte, wird womöglich sein Geheimnis bleiben.

Abascals Vox-Partei lehnt ab, dass es patriarchale Geschlechtergewalt gäbe, das sei Ideologie und Manipulation, stattdessen wird von “intrafamiliärer Gewalt“ gesprochen. Das Abtreibungsrecht steht genauso auf der Streichliste wie der Staat der Autonomien. Die Aufarbeitung der franquistischen Diktatur, ihrer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit macht aus Sicht von Vox keinen Sinn, sie reiße nur alte Wunden auf, die schon längst verheilt seien. Auf die UNO und ihren Hinweis, dass auch 45 Jahre nach dem formalen Ende der Diktatur noch Hunderttausend Republikaner in anonymen Massengräbern liegen, wird dabei keine Rücksicht genommen. In einem sind sich Vox und PP weiterhin einig: eine Verurteilung des faschistischen Franco-Regimes kommt nie und nimmer in Frage. Spanische Demokratie.

ANMERKUNGEN:

(1) Santiago Abascal, Teil-Information aus Wikipedia (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Abascal (wikipedia)

(2) Abascal (wikipedia)

(3) Exhumierung (eldiario)

(4) Abascal (wikipedia)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-11)

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