Die Rivalität der Blöcke
Ein bitterer Wahlsieg für die spanische Rechte. Der spanische Sozialdemokrat Sánchez hat dagegen eine süße Niederlage erlitten. Denn er hat anders als der Wahlsieger eine theoretische Chance, Regierungschef zu bleiben. Sein Weg führt aber über Waterloo in Belgien und den katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont, der dort nun wie erhofft den Schlüssel zur Regierungsbildung in den Händen hält. Ralf Streck analysiert im Overton-Magazin die Ergebnisse der spanischen Parlaments-Wahlen vom 23. Juli.
Eine Wahl zu gewinnen, aber nicht hoch genug, ist bitter. Eine Wahl zu verlieren, aber mehr Stimmen und Sitzen als erwartet, ist eine Genugtuung. Die spanische Politik ist in zwei Blöcke gespalten. Oder in mehr als zwei.
Es kam, wie es kommen musste. Der versuchte Befreiungsschlag des spanischen Sozialdemokraten Pedro Sánchez über eilig vorgezogene Neuwahlen ging am Sonntag (23-07-2023) in die Hose. Der Versuch einer Kopie der Vorgänge im Nachbarland Portugal konnte wie erwartet in Spanien nicht gelingen. Die Voraussetzungen in Spanien, in dem es, anders als in Portugal, nie einen Bruch mit der Diktatur gab, sind anders. Eine Mehrheit in Spanien, wenn man die abtrünnigen Regionen Katalonien und das Baskenland herausrechnet, hat nämlich keine Angst vor einer Regierung der postfaschistischen Volkspartei (PP), auch nicht angesichts der Tatsache, dass die zudem mit ihrer Rechtsabspaltung VOX eine Regierung bilden will.
Deshalb hat spanische Rechte die Parlaments-Wahlen gewonnen. Sie könnte ohne Probleme regieren, wenn die Katalanen und Basken nicht erneut deutlich anders gewählt hätten. Die PP unter Alberto Nuñez Feijóo wurde im gesamten Land mit gut 33 Prozent und 136 Parlaments-Sitzen stärkste Partei. In Katalonien kommen die Postfaschisten aber nur auf bescheidene 13 Prozent und im Baskenland sogar nur auf gut elf Prozent.
Die Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez konnten in einem stark polarisierten Wahlkampf sogar zwei Sitze hinzugewinnen, aber sie erreichen mit knapp 32 Prozent nur 122 Sitze. Aus seinem Wahlsieg leitet Feijóo nun den Anspruch zur Regierungsbildung ab: “Wir haben die Wahlen gewonnen, also fällt es uns zu, eine Regierung zu bilden“, erklärte er vor feiernden Anhängern in der Wahlnacht in Madrid am PP‑Sitz. Mit “Bescheidenheit“ und “aller Entschlossenheit“ will er den Dialog zur Regierungsbildung aufnehmen, um den Willen der “Mehrheit der Spanier an den Urnen dieses Sonntags“ umzusetzen. Das ist wenig bescheiden. Ein Drittel der abgegebenen Stimmen stellt alles andere eine Mehrheit der Bevölkerung dar. Niemand dürfe in “Versuchung” kommen, “Spanien erneut zu blockieren“, sagte er vor allem mit Blick auf die Sozialdemokraten.
Sein Problem ist aber, dass er keine Chance auf eine Mehrheit hat. Seine Zugewinne gingen vor allem auf Kosten der rechtsextremen VOX-Partei. Die PP-Abspaltung mit offenen Anhängern der Franco-Diktatur unter dem ehemaligen PP-Parlamentarier Santiago Abascal wurde zwar erneut mit 33 Sitzen drittstärkste Kraft, doch statt 19 bekam sie nur noch 12,4 Prozent und verlor 19 Sitze (von vorher 52). Einer möglichen PP-VOX-Koalition, die es schon in (einzelnen spanischen) Regionen gibt, fehlen sieben Sitze zur Mehrheit von 176. Doch niemand ist bereit, diese Koalition aus Ewiggestrigen zu unterstützen. Deshalb ist es ein bitterer Sieg für Feijóo, der sogar eine absolute PP-Sitzmehrheit wie in den großen Regionen Andalusien und Madrid erhofft hatte.
Sozialdemokraten profitieren von höherer Wahlbeteiligung
Für die Sozialdemokraten war es dagegen eine süße Niederlage, mit der wohl auch viele in der Partei nicht gerechnet hatten. Der PSOE-Chef Sánchez hatte nach fatalen Ergebnissen für seine PSOE bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai die Neuwahlen eilig vorgezogen. Er konnte aber tatsächlich die linkere Wählerschaft angesichts der Gefahr einer VOX-Regierungsbeteiligung auf nationaler Ebene mobilisieren. Deshalb lag die Wahlbeteiligung, trotz Sommerferien und zum Teil erneut extremer Hitze, mit gut 70 Prozent deutlich über den 65 Prozent vor knapp vier Jahren. Dass die PP mit VOX in verschiedenen Regionen seit vielen Jahren paktiert, dass sich Feijóo arrogant einer Debatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verweigerte und er Bildern nichts entgegensetzen konnte, die ihn im gemeinsamen Urlaub mit einem Drogenboss zeigen, hat ihm letztlich die Regierungsmacht gekostet.
Üblicherweise sorgt eine hohe Beteiligung für einen PSOE-Sieg. Der blieb aber aus, da die Sánchez-Regierung zentrale Wahlversprechen gebrochen hat. Die neoliberale Arbeitsmarkt-Reform der PP und ihr Maulkorbgesetz wurden nicht gestrichen. Die Arbeitsmarkt-Reform der PP wurde in Abstimmung mit der Unternehmerschaft zu 95 Prozent konsolidiert und das Maulkorbgesetz sogar verschärft. Insgesamt blieb die selbsternannte “progressivste Regierung“ auf sozialer Ebene blass, die Armut wächst durch explodierende Mieten und die Inflation. Spanien hält den traurigen Europarekord bei von Armut bedrohten Mietern.
Üblicherweise strafen eher linkere Wähler ihre Parteien für Misserfolge ab. So gingen die Zugewinne der PSOE auf Kosten der Unterstützer. 2019 kamen die Parteien, die nun die neue Linkskoalition “Sumar“ (Summieren) bilden, auf getrennten Wegen noch auf 38 Sitze. Nun sind es nur 31. PSOE und Sumar kommen nur auf 153 Sitze und stehen noch schlechter da als die mögliche PP-VOX-Koalition. Trotz allem ist das eilig zusammengeschusterte Zwangsbündnis, mit dem die einstige Protestpartei “Podemos“ (Wir können es) nun sozialdemokratisch feindlich übernommen wurde, über das eher enttäuschende Abschneiden erfreut. Die Sumar-Chefin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz feierte das Ergebnis. Dabei blieb sie weit hinter dem Ziel zurück, die Wahlen gewinnen und erste Präsidentin des Landes werden zu wollen.
Sánchez auf Basken und Puigdemont-Partei JxCat angewiesen
Besonders der katalanische Sánchez-Mehrheitsbeschaffer musste aber Federn lassen. Die Republikanische Linke (ERC) wurde, wie schon bei den Wahlen im Mai, erneut hart abgestraft. Denn die ERC hat in vier Jahren als Sánchez-Unterstützerin praktisch nichts erreicht. Der Dialog zur Konfliktlösung, mit dem Sánchez sie seit Jahren ködert, hat in Wirklichkeit nie begonnen. Die Repression dauert aber an und das haben viele Wähler bestraft. Ihr Stimmanteil hat sich auf 13 Prozent fast halbiert. Sie verlor sechs von 13 Sitzen.
Mehr als auffällig war, dass in Katalonien die Wahlbeteiligung gegenüber 2019 sogar um gut drei Prozentpunkte gesunken ist, statt wie im Rest des Landes deutlich zuzulegen. Anhänger der Unabhängigkeits-Bewegung hatten aus Enttäuschung gegenüber ihren Parteien eine Enthaltungs-Kampagne gestartet. Auch die Zahl der ungültigen Stimmen hat sich dort fast verdoppelt. Die verlorenen ERC-Sitze sind nun genau die, die Sánchez zu einer neuen möglichen Regierungsbildung fehlen. Dafür wäre er neben den Stimmen von Sumar aber erneut auch auf die der baskischen Christdemokraten (PNV) und der links-nationalistischen EH Bildu (Baskenland Vereinen) angewiesen. Die PNV wurde leicht geschwächt, Bildu leicht gestärkt.
Puigdemont als Zünglein an der Waage
Um erneut Regierungschef zu werden, ist Sánchez für seine neue Patchwork-Regierung nun auf die Unterstützung der Partei des katalanischen Exil-Präsidenten Carles Puigdemont angewiesen. Dessen Partei “Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) konnte sich mit eher leichten Verlusten und sieben Sitzen behaupten.
So müsste Sánchez nun aber mit genau jenem Puigdemont verhandeln, den die spanische Justiz weiter für die Durchführung des Unabhängigkeits-Referendums von 2017 verfolgt. Gerade heute (am 24.7.2023) hat die Staatsanwaltschaft (in Spanien ein Ministerium) gefordert, erneut einen internationalen Haftbefehl gegen Carles Puigdemont und Toni Comín auszustellen. Das Bündnis PSOE-Sumar schickt nun einen Sumar-Vertreter nach Belgien, um mit Puigdemont zu verhandeln.
Anders als die ERC ist JxCat allerdings nicht bereit, Sánchez die Stimmen ohne klare Zugeständnisse zu geben. Puigdemont twitterte noch in der Wahlnacht: “JxCat ist nur seinen Wählern gegenüber verpflichtet.“ Deshalb habe man Sánchez 2019 nicht zum Regierungschef gemacht, seinen Haushalten nicht zugestimmt oder sich an der “Dialog-Farce“ beteiligt. Ohne es auszusprechen, ist klar, was er nun fordert. Ein verbindliches Referendum über die Unabhängigkeit nach Vorbild Schottlands und ein Ende der Repression. Dass Sánchez Puigdemont entsprechend weit entgegenkommt, ist derzeit mehr als unwahrscheinlich.
Auf dem Weg zu Neuwahlen
“Wie Sánchez über die Unabhängigkeits-Bewegung spricht, sehe ich derzeit keine Regierungsbildung“, erklärte der JxCat-Chef Jordi Turull. Der macht auch klar, dass ein Nein zu Sánchez natürlich kein Ja zur PP und Feijóo ist. So zeichnet sich der weitere Weg schon ab. Auch wenn Sánchez erklärt, es werde wie 2019 keine Wahlwiederholung geben, ist genau das vorgezeichnet. 2019 hatte er sich nach dem ersten Wahlgang noch einer Koalition mit Podemos verweigert, die er dann nach noch schlechteren Ergebnissen im zweiten Wahlgang einging. Dass es zu einer großen Koalition kommt, kann ausgeschlossen werden, denn dafür müsste der Narzisst seinen Präsidentensessel räumen. Comín, einst selbst PSOE-Mitglied, erklärte: “Eine große Koalition mit der PSOE wäre für die ein Selbstmord.“
Dass Medien in Deutschland davon sprachen, dass “Franco-Erben zurück auf dem Weg zur Macht“ seien, war allerdings hanebüchen. Schließlich hatte vorher schon die PP viele Jahre regiert. Sie wurde von Franco-Ministern wie Manuel Fraga Iribarne gegründet und hat sich nie vom Putsch 1936 und der Diktatur distanziert. Der ehemalige PP-Innenminister Jaime Mayor Oreja in der Aznar-Regierung sprach sogar von der “außerordentlichen Annehmlichkeit“ der Diktatur. “Warum sollte ich den Franquismus verurteilen, wenn es viele Familien gab, die ihn natürlich und normal erlebt haben.“ José María Aznar, von 1996 bis März 2004 Ministerpräsident Spaniens, bezeichnete sich selbst als “unabhängigen Falangisten“, wetterte gegen den Übergang zur Demokratie und die Verfassung in Zeitungsartikeln und bezeichnete sogar Fraga als “Verräter“.
ANMERKUNGEN:
(1) “Ein bitterer Wahlsieg für die spanische Rechte“, Overton-Magazin, 24. Juli 2023, Ralf Streck (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Bitterer Sieg (collage)
(2) Vox-Vertreter (elpais)
(3) PP-Führung (lasexta)
(4) PP-Wahlnacht (overton)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-07-26)