voxbrand1Aufstieg der Falangistenpartei Vox

In kaum zehn Jahren hat die neofaschistische Partei Vox die politische Szene des spanischen Staates mit einem aufrührerischen Diskurs aufgemischt. Dabei werden die Einheit Spaniens, die Ablehnung des Autonomie-Modells und die Kritik an der Vielfalt zu ideologischen Totems macht. Xavier Rius Sant, Experte für Menschenrechte und extreme Rechte untersucht die Hintergründe einer Formation, die in der PP entstanden ist, die alle Machtbereiche nutzt, das derzeitige demokratische System zu untergraben.

Der katalanische Journalist und Schriftsteller Xavier Rius Sant (*1959) analysiert in seinem Buch "Vox, die Rückkehr der Ultras, die nie weg waren" (Vox, el retorno de los ultras que nunca se fueron). Verlag Ediciones AKAL, Barcelona 2023.

INTERVIEW (1)

Wie ist es zu erklären, dass Vox in nur einem Jahrzehnt von der Gründung bis zur Vorlage eines Misstrauensantrags mit dem Ex-Kommunisten Tamames gekommen ist?

Die Ursprünge von Vox liegen in einer Zeit, in der die extreme Rechte in Spanien in Richtungs-Kämpfe verwickelt und die fremdenfeindliche Stimmung noch nicht so stark ausgeprägt war wie in anderen Ländern. Angesichts des Kurses der postfranquistischen Volkspartei PP von Mariano Rajoy schlug der von Aleix Vidal-Quadras kontrollierte Hardliner-Sektor vor, eine Art authentische PP zu schaffen. Und zu diesem Zweck brachte er Leute aus der Stiftung zur Verteidigung der spanischen Nation (Fundación para la defensa de la Nación Española, DENAES) zusammen, die unter dem Vorsitz von Santiago Abascal zwischen 2006 und 2014 ETA und die illegale Zerstreuung der politischen Gefangenen zu ihrem Mantra gemacht hatte. (Aleix Vidal-Quadras, ehemals PP-Vorsitzender in Katalonien, 2014 Überläufer zu Vox. Die Stiftung DENAES ist ein Satellit von Vox).

voxbrand2In ihrem Buch verweisen Sie auf die Veranstaltung, die DENAES am 29. Januar 2009 am Sitz der Region von Madrid abhielt. Dort vermittelte die PP-Vorsitzende María San Gil (PP-Gipuzkoa) Santiago Abascal den Kontakt zu Javier Ortega Smith, den er kennengelernt hatte, nachdem er bei den Kommunalwahlen 2007 in der Region Baskenlanbd Wahl-Bevollmächtigter war. Ist dieses Ereignis der Schlüssel zur Gründung von Vox? (2) (Ortega Smith: ex Falange, Generalsekretär von Vox und Parlaments-Abgeordneter)

Genau, er stellte sie einander vor und ermöglichte den Zusammenschluss zwischen dem von Abascal vertretenen Sektor, in dem Hazte Oír (gegen Geschlechtergeleichheit), Aborto Cero (gegen Abtreibung) und andere ultra-katholische Organisationen zusammengeschlossen sind, und dem von Ortega Smith, einem ehemaligen Mitglied der Falange Española de las JONS (franquistische Organisation) und Anführer von COE 13, der Nummer seiner Kompanie innerhalb der Gruppe für Sondereinsätze (GOE), den Green Berets der spanischen Armee. Die Tätigkeit der COE 13 bestand in der Finanzierung von DENAES über Unternehmen und Immobilien.

Wäre Vox ohne die politische Deckung durch die PP möglich gewesen?

Die PP fungiert als Schirm. Vergessen wir nicht, dass die ehemalige Madrider PP-Chefin Esperanza Aguirre die DENAES-Stiftung mit 100.000 Euro pro Jahr subventionierte. Vor allem aber wurde Vox durch die Inhaftierung des Präsidenten der “Gewerkschaft“ Manos Limpias (Saubere Hände), des Ultrarechten Miguel Bernad, im Jahr 2015 nach oben katapultiert (3), der bis dahin exklusiv alle Klagen gegen die katalanische Unabhängigkeits-Bewegung unterstützt hatte. Dies ebnet Ortega Smith den Weg, um sich mit Hilfe des Staatsanwalts Jorge Buxadé (Vox-Europa-Abgeordneter) in zahlreiche Verfahren einzumischen und so die Vox-Partei in seinen Fernseh-Auftritten bekannt zu machen.

Ist die Beteiligung von Vox als Klägerkläger am Procés-Prozess (gegen die Organisatorinnen des Unabhängigkeits-Referendums) das endgültige Sprungbrett?

Für Ortega Smith ist es der perfekte Anlass, um die Partei zu stärken und gleichzeitig das schlechte Abschneiden der Partei bei den Europawahlen 2013 zu übertünchen. Dabei hat er die Staatsanwaltschaft auf seiner Seite und brüstet sich damit, dass er der erste war, der die Ereignisse um die Unabhängigkeit von 2017 in Katalonien als Rebellion und Aufruhr eingestuft hat. Mit dem Makroprozess gelingt es ihm, TV3 und das baskische Programm "ETB 360 Grad" dazu zu bringen, ihn zu interviewen, was Vox in eine gute Position für die folgenden Wahlkämpfe bringt.

Der fruchtbare Boden für parlamentarische Vertretung?

Er profitiert von der Offensive der rechten Partei Ciudadanos gegen die angebliche Diskriminierung der spanischen Sprache in Katalonien. Erinnern wir uns, dass Arrimadas Partei Ciudadanos so weit gegangen war zu behaupten, dass "katalanische Schulen die Kinder dazu bringen, sich in der Pause zu bepissen, wenn sie nicht Katalanisch sprechen". Diese Lügen, von denen sich die PP distanziert, haben den Wahlkampf in Andalusien polarisiert. Nur so wurde möglich, dass die Faschisten-Partei Vox, die sich damals eines großen Medieninteresses erfreute, 13 Sitze erringen konnte, weit mehr als die drei, die ihr in Umfragen vorausgesagt worden waren.

voxbrand3Wo würden Sie den ideologischen Raum der Partei verorten?

In Vox treffen sich die Falangisten von Javier Ortega Smith, der die Partei im militärischen Stil geführt hat. Daneben verschiedene ultra-katholische Sektoren, die zum Teil mit dem Orden Opus Dei (4) oder dem von Santiago Abascal vertretenen Sektor verbunden sind, für die endet der Kampf gegen ETA erst, wenn die baskischen, katalanischen und galicischen nationalistischen Parteien verboten werden. Dazu die ultraliberalen Thatcheristen von Iván Espinosa de los Monteros (Unternehmer, Vox). Kiko Méndez Monasterio, zehn Jahre lang Vorsitzender der inzwischen aufgelösten Alianza por la Unidad Nacional (Allianz für die Nationale Einheit, AUN), der Formation des Faschisten Ricardo Sáenz de Ynestrillas (Falangist, anti-baskischer Aktivist). Und Jorge Buxadé (Staatsanwalt, Vox Europa), der für die Abschaffung des derzeitigen Parteien-Systems eintritt. Kurz gesagt: Vox ist der neue Falangismus, angeführt von Santiago Abascal (der sich durch die PP-Instanzen geschleust hat).

In Ihrer Analyse schreiben Sie dem Katalanen Jorge Buxadé eine Schlüsselrolle in der Argumentations-Kette der Partei zu.

Er ist der Ideologe dieses Falangismus, der keine Einwände gegen die Koexistenz mit dem Ultra-Katholizismus hat. Die hundert von Vox vorgestellten Maßnahmen tauchen bereits in seinem Buch "Souveränität" auf, wo er in Anlehnung an die Falange davon spricht, dass "der Parteienstaat dem Menschen die Institutionen genommen hat, in denen er verwurzelt war: die Familie, die Gemeinde, das Unternehmen, die Gewerkschaft und die Berufsvereinigung".

Ist er damit in die Wählerschaft eingedrungen?

Seine Strategie besteht darin, das politische Schachbrett durcheinander zu bringen, indem er die Einheit (Spaniens) mit der (regionalen) Vielfalt konfrontiert, die Idee, dass der katalanische Nationalismus eine in Samt gekleidete ETA ist. Dazu gehört auch der Vorschlag, dass die Autonomien abgeschafft werden müssen, um Schluss zu machen mit den angeblichen Privilegien der historischen Gemeinschaften (Baskenland, Galicien, Katalonien) und um einen einheitlichen Staat zu schaffen. Aber das ist noch nicht alles: Die Strategie macht sich die Unklarheiten zunutze, die PSOE und Podemos in Bezug auf das Trans-Gesetz, das "Nur Ja ist Ja"-Gesetz (Gewalt gegen Frauen) oder das von einem Teil der Polizei geäußerte Unbehagen über die angebliche logistische und wirtschaftliche Missachtung von Polizeibeamten seit Rajoys Amtszeit. Eine Kontroverse, die von der ultrarechten Polizei-Gewerkschaft Jusapol angeführt (6) und nur von Vox unterstützt wird. Aber das sind nur Nebenthemen. Der Diskurs konzentriert sich auf die Idee, dass "Spanien eine Einheit ist und nicht aus einundfünfzig Teilen besteht" und dass "Franco gute Dinge getan hat".

voxbrand4Die Ablehnung der Einwanderung ist ebenfalls eine Waffe für Vox, nicht wahr?

Hier ist Vox geschickter als Josep Anglada (katalanischer Falangist) oder Xavier García Albiol (PP Katalonien), Migranten werden kriminalisiert, indem unterwürfige Migranten benutzt werden. Ignacio Garriga, aus Guinea stammender Vox-Generalsekretär verkündete: "Ihr Fortschrittlichen habt die Arbeiterviertel in multikulturelle Misthaufen verwandelt". Die Strategie von Vox besteht darin, mit Polemiken das politische Leben in Brand zu setzen, was in den Medien seinen Widerhall findet. Sei es in Katalonien mit der katalanischen Sprache oder in Melilla, wenn es zu einem Zwischenfall am Grenzzaun kommt. Der Schwachsinn, den Vox kürzlich gegen die muslimische Bevölkerung vom Stapel ließ, waren so drastisch, dass zwei ihrer lokalen Abgeordneten die Partei verließen. Doch hatte sich die Polemik bereits gelohnt: Bei Vox wusste man genau, dass die Brandstiftung in diesen Orten keine Stimmen bringen wird, dafür aber im übrigen spanischen Staat.

Hat dies Vox auch geholfen, sich den Ultras anzunähern, die derzeit ihre Länder regieren, wie Ungarns Viktor Orban oder Italiens Giorgia Meloni?

Zweifellos. Abascal hat es bereits geholfen, dass Marine Le Pen in Frankreich sein gutes Ergebnis bei den letzten Parlaments-Wahlen beklatscht hat. Meloni hat jetzt dasselbe getan, so kann sich Vox als respektable und als Regierungs-Partei präsentieren.

Kann die Vox-Partei ihre Präsenz im Baskenland ausbauen?

Das halte ich für sehr schwierig. Derzeit hat sie hat nur eine Abgeordnete im Regionalparlament. Sie leidet immer darunter, dass Vox-Chef Abascal nach Madrid gegangen ist und dass er Borja Semper und andere PP-Führer beschuldigt, Satelliten des baskischen Nationalismus zu sein. Vox behauptet sich nur in Katalonien, Valencia und auf den Balearen, wo sie den heftigsten Anti-Katalanismus an sich zieht. Nicht so in Galicien, Murcia, La Rioja, den Kanarischen Inseln und anderen Regionen. Und was die Region Madrid betrifft, so ist die Lage ziemlich kompliziert, da sich dort die PP-Ministerpräsidentin Isabel Díaz Ayuso den Vox-Diskurs zu eigen gemacht hat.

Wovon also hängt die Zukunft von Vox ab?

Was das Partei-Innere anbelangt, muss sie sich um die eigenen Leute kümmern. Der Austritt von Macarena Olona, die die Abzweigung von Parteigeldern an die von Abascal geleitete Stiftung kritisierte, und der Rücktritt mehrerer Provinz-Abgeordneter aufgrund des autoritären Stils der Führung schwächen die Partei. Es wird auch davon abhängen, ob die Diskrepanzen zwischen den Sozialdemokraten der PSOE und der Protestpartei Podemos (derzeit in einer Regierungs-Koalition) ihr weiterhin politische Munition liefern. Oder ob der neue PP-Führer Núñez Feijóo die Faschisten nach den nächsten Parlamentswahlen (im Herbst 2023) als Mehrheits-Beschaffer zum Regieren braucht. Wir werden sehen, was passiert, momentan ist alles offen.

ANMERKUNGEN:

(1) "Lo que hace Vox es incendiar la vida política, le funciona” (Was Vox praktiziert, ist Brand zu legen im politischen Leben, das funktioniert", Tageszeitung Gara, Interview mit Xavier Rius Sant, 2023-04-17 (LINK)

(2) Francisco Javier Ortega Smith-Molina (*1968 Madrid): Rechtsanwalt und Politiker der Partei Vox, besitzt auch die argentinische Staatsbürgerschaft. Während seines Militärdienstes war er Mitglied einer Eliteeinheit. Ortega Smith arbeitete unter anderem für "DENAES", einer ultrarechten Stiftung zur Verteidigung der spanischen Nation (Fundación para la Defensa de la Nación Española), wo er Santiago Abascal kennenlernte, den Leiter der Stiftung und Gründer der Partei Vox, deren Generalsekretär er seit 2016 ist. In der Vergangenheit äußerte sich Ortega Smith mehrfach lobend über José Antonio Primo de Rivera, dem Gründer der faschistischen Partei Falange. Seit 2019 ist Ortega Smith Abgeordneter im spanischen Parlament und zugleich Mitglied im Stadtrat von Madrid. (LINK)

(3) Der “Verband Öffentlich Angestellter Saubere Hände“ (Colectivo de Funcionarios Públicos Manos Limpias), allgemein bekannt als Sindicato Manos Limpias, ist eine spanische Gewerkschaft, die 1995 als Interessenvertretung für Beamte gegründet wurde. Ihre Bedeutung in Spanien ist nicht auf ihre gewerkschaftlichen Aktionen zurückzuführen, sondern auf die zahlreichen Beschwerden, die zu einer Vielzahl von Themen eingereicht wurden und die die kommunale und nationale Politik betrafen. Ihr Generalsekretär und bekanntester Vertreter, der ultrarechte Miguel Bernad, wurde 2016 wegen Erpressung, krimineller Vereinigung und Betrug verhaftet. (LINK)

(4) Opus Dei (latein: Werk Gottes), Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei, römisch-katholische Einrichtung, 1928 vom spanischen Priester Josemaría Escrivá de Balaguer y Albás gegründet, seit 1982 kirchenrechtlich eine Personalprälatur, ein klerikaler Zweckverband, dem Laien und Kleriker gleichermaßen angehören. Opus Dei gilt als ultra-katholisch und hat viele Verbindungen zu ultra-rechten, franquistischen und neofaschistischen Elementen. Insbesondere in Navarra, wo Opus Dei in Pamplona eine Universität unterhält. Dort zu studieren und sich dem Orden anzuschließen, beinhaltet die Garantie, einen Arbeitsplatz vermittelt zu bekommen, was die Verbindung zum Orden auf Lebenszeit erhält. Papst Franziskus entschied im Rahmen der Anfang Juni 2022 in Kraft getretene Kurienreform Praedicate Evangelium 2022, dass das Werk nicht mehr der Bischofsbehörde, sondern dem Dikasterium für den Klerus unterstellt ist. Damit verliert der Prälat des Opus Dei den Status eines Bischofs. Dem zuständigen Dikasterium muss er nun jedes Jahr einen Bericht „über den Zustand der Prälatur und die Durchführung ihrer apostolischen Arbeit“ vorlegen, nicht mehr nur alle fünf Jahre. 2022 hatte Opus Dei 95.625 Mitglieder, darunter 2.115 Priester und höhere kirchliche Würdenträger, in 70 Ländern. (LINK)

(5) Jusapol ist eine spanische Vereinigung, die sich aus Beamten der National-Polizei und der Guardia Civil aller Dienstgrade und Kategorien zusammensetzt. Ihr Name ist eine Zusammensetzung aus den Worten Justicia Salarial Policial (Lohngerechtigkeit bei der Polizei). Aus Jusapol ging die Polizeigewerkschaft Jupol hervor, die nach den Wahlen 2019 die Mehrheit bei der National-Polizei stellt, sowie Jucil, der entsprechende Berufsverband, der die entsprechende Mehrheit bei der Guardia Civil hat. Obwohl sich Jusapol und seine Ableger als überparteilich definieren, standen diese Organisationen zunächst mit der rechten Ciudadanos-Partei und mittlerweile mit der neofranquistischen Vox-Partei in direkter Verbindung.

(6) Ignacio Garriga Vaz de Concicao (1987) ist Universitäts-Professor und Mitglied des nationalen Vorstands von Vox. Er ist äquator-guineischer Abstammung, besuchte eine Opus Dei Ordensschule und ist numerisches Mitglied des ultrarechten Ordens Opus Dei. Ab 2005 PP-Mitglied. Er war in der 13. und 14. Legislaturperiode Mitglied des katalanischen Parlaments. Garriga trat 2014 in die Partei Vox ein. Seit Oktober 2022 ist er Generalsekretär von Vox und löste Javier Ortega Smith ab. Da er der einzige bekannte schwarze Politiker in der Partei ist, wird er manchmal als der "schwarze Mann von Vox" oder der "schwarze Mann von Vox" bezeichnet. Trotz der ablehnenden Haltung seiner Partei gegenüber illegaler Einwanderung hat sich Garriga zugunsten von Einwanderern geäußert, da er selbst von solchen abstammt, obwohl er die obligatorische Abschiebung illegaler Einwanderer unterstützt. Garriga hat erklärt, dass "Vox eine christlich-humanistische Partei" sei. Obwohl er sich "stolz" als Katalane bezeichnet, ist Garriga entschieden gegen die Unabhängigkeits-Bewegung in Katalonien. (LINK)

ABBILDUNGEN:

(1) Gegen Vox (corriente roja)

(2) Xavier Rius Sant (naiz)

(3) Ortega Smith (el espanol)

(4) Ignacio Garriga (20minutos)

(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-04-29)

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