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Zwischen Pandemie und Franquismus

Auch wenn die Tagesnachrichten derzeit nach wie vor stark von der Coronavirus-Pandemie dominiert sind, werden auch andere Themen in der baskisch-spanischen Medienwelt heiß gehandelt: die Flucht des korrupten Königs, ein toter ETA-Gefangener, argentinische Klage wegen Menschenrechts-Verletzungen in der Diktatur, Schulstreik wegen Covid-Unterversorgung, Krise im Gesundheitswesen, Rückkehr der Fußball-Ligen, neues Gesetz zur Aufarbeitung des Franquismus und bevorstehende allgemeine Wirtschaftskrise.

Baskultur.Info-Nachrichten aus dem September 2020: zwischen Pandemie und Franquismus, zwischen Wirtschaftskrise und Fußball, zwischen Gefängnis-Toten und Schulstreiks.

(2020-09-30)

x64b2UNGLÄUBIGES PACK

Katalonien und Navarra sind jene autonomen Regionen im spanischen Staat mit dem höchsten Anteil an nichtgläubigen Personen, Atheistinnen und Agnostikerinnen. 41% der Bevölkerung halten nichts von religiösem Popanz, weiß eine katalanische Stiftung zu berichten, die sich der Nachbarschafts-Bewegung verbunden fühlt. An dritter Stelle dieser Säkularisierungs-Skala liegt die autonome Region Baskenland mit 37,8%.

Die Studie bekräftigt die Tendenz in der Gesellschaft, sich von Religionen zu lösen, sie zeigt, dass Gewissen auch ohne sie funktionieren kann. Die Zahlen sind von Anfang 2020. Am wenigsten Zugang haben die Götter und ihre Hostien unter Jugendlichen. Die genannten Zahlen liegen deutlich über dem staatlichen Durchschnitt, der bei 29,3% angesiedelt wird. Zum Vergleich die Zahl von Nichtgläubigen in anderen Regionen des Staates: Balearen (33,7%), Aragón (16,6%), Melilla (15%), Ceuta (3,4%).

Die Stiftung Ferrer i Guàrdia erinnert daran, dass sich im Jahr 2000 lediglich 13,2% der Bevölkerung als nichtgläubig geoutet hat. Vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Wegfall von Religion als Pflichtfach in der Schule – gegen den entschiedenen Willen von Kirche und Rechtsparteien. Das Fach wurde ersetzt durch Ethik, diesem Konzept haben sich 35,9% der Schülerinnen und Schüler angeschlossen.

ULTRARECHTE ZENSUR IN MADRID

Die Rechte und Ultrarechte im spanischen Staat hat sich nie einen Dreck für die Aufarbeitung des Franquismus interessiert. Zu nahe waren die eigenen historischen und persönlichen Verbindungen zur Diktatur, einen politischen Bruch gab es ja nie. Immer wurde argumentiert, man dürfe alte Wunden nicht wieder aufreißen, außerdem sei 90% der Geschichte ohnehin schon verarbeitet.

x64b1Das 2007 von der Zapatero-Regierung verabschiedete “Memoria Historica“-Gesetz zur Aufarbeitung von Krieg und Diktatur und zur Säuberung des Straßenbildes von franquistischen Relikten wurde als absurd und unnötig bezeichnet. Von der Rajoy-Nachfolge-Regierung wurde es praktisch auf Eis gelegt. 140.000 Leichen aus dem Krieg blieben dort, wo sie nach Meinung der Postfranquisten hingehören: in Massengräbern. Diese Herrschaften wetterten gegen die Umbettung des Massenmörders Franco aus seinem Ehren-Mausoleum im Valle de los Caidos, viele plädieren ganz offen für die Restaurierung franquistischer Verhältnisse.

Völlig überraschend hat die Ultrarechte nun das Memoria-Gesetz für sich entdeckt. Die Faschisten von Vox stellten im Stadtparlament von Madrid den Antrag, die Namen zweier bekannter Sozialisten aus der Kriegszeit aus der Liste der Straßennamen zu tilgen. Begründung: sie seien verantwortlich für die standrechtliche Erschießung von politischen Gegnern (Faschisten). Es handelt sich um Indalecio Prieto (1883-1962), in Asturien geboren, in Bilbao zum Arbeiterführer geworden, nach ihm ist hier der Hauptbahnhof benannt; sowie um Largo Caballero (1869-1946), historische Figur in der PSOE-Geschichte. Beide waren in der Kriegszeit ab 1936 Minister der demokratisch gewählten republikanischen Regierung. Entsprechende Denkmäler sollen ebenfalls gleich mit verschwinden.

Die Maßnahme verdeutlicht nicht nur die politischen Verhältnisse im Staat (der Franquismus wurde nie beseitigt). Sie zeigt vielmehr die Schwäche des bisherigen Memoria-Gesetzes, das von der Ultrarechten dazu benutzt wird, jene zu kriminalisieren, die eigentlich als Opfer geschützt und honoriert werden sollten. Das Gesetz soll dazu benutzt werden, aus der damaligen republikanischen Regierung per Definition “ein totalitäres Regime“ zu machen.

Selbstverständlich reichten die Stimmen von Vox im Stadtrat nicht aus zum Beschluss dieser Maßnahme, doch PP und Ciudadanos zeigten ihr Verständnis von Demokratie und stellten sich hinter ihre Faschistenfreunde. So viel zum politischen Panorama in Madrid, 84 Jahre nach dem Militäraufstand der Generäle um Franco. Die Statuen von Prieto und Caballero haben seit ihrer Aufstellung viele Schändungen erlebt, vor allem nach der Entfernung eines unweit platzierten Franco-Reiter-Denkmals im Jahr 2015. Nun wird im Parlament vollendet, was auf der Straße begann. Restauration franquistischer Verhältnisse.

(2020-09-09)

TEUER ERKAUFTE “DEMOKRATIE“

Spaniens Amnestiegesetz verhindert Aufarbeitung von Franco-Diktatur. Argentinien ermittelt. – Bei den Taten handelt es sich nicht um Bagatelldelikte: “Verbrechen gegen die Menschheit“ wirft die argentinische Richterin María Servini dem Franquisten und ehemaligen Minister Rodolfo Martín Villa vor. Am vergangenen Donnerstag bezog der Beschuldigte in der Botschaft des südamerikanischen Landes in Madrid zu den Vorwürfen Stellung. Freiwillig, denn nach spanischem Recht ist er dazu nicht gezwungen. (2)

x64a4Martín Villa war nach dem Tod des Diktators Francisco Franco im Jahr 1975 zuständig für das “Ministerium für Gewerkschafts-Beziehungen“ und später für das Innenministerium. Während dieser Zeit ermordete die Polizei Dutzende Demonstranten sowie Streikende. Während in Argentinien 2014 ein Verfahren gegen Martín Villa sowie 21 weitere teils hohe Funktionäre des Franquismus angestrengt wurde, ist er in Spanien nie angeklagt worden – dank dem Amnestie-Gesetz von 1977. Eine Verurteilung in Argentinien würde nach sogenanntem Weltrechts-Prinzip eine Änderung des Amnestie-Gesetzes in Spanien erfordern, da es sich bei den dort verhandelten Taten um Verbrechen gegen die Menschheit handelt.

Der in Spanien als “Transición“ bezeichnete Übergang von der Diktatur zur parlamentarischen Demokratie ist schon lange Streitthema im Land. Die Sozialdemokraten von der PSOE verteidigen den eingeschlagenen Weg des Amnestie-Gesetzes bis heute. Dieses verhindert, dass noch lebende Verbrecher für ihre Taten belangt werden. Als besonders prominenter Fall gilt der von “Billy el Niño“, Antonio González Pacheco, der als Polizei-Inspektor unter Franco nachweislich an der Folter politischer Gegner beteiligt war. Er starb im Mai, ohne dass ihm seine zahlreichen Medaillen aberkannt worden wären – und nachdem er eine Sonderrente für seine “Verdienste“ während der Diktatur bezogen hatte.

Ähnlich aussagekräftig sind die Briefe, die Martín Villa der argentinischen Richterin am Donnerstag vorgelegt hatte. Vier ehemalige Premierminister, darunter zwei von der PSOE, machen sich darin für seine Person stark. Sogar ehemalige Gewerkschafts-Vorsitzende sendeten Post an Servini, in der sie ihre Unterstützung für den Franquisten beteuern: Antonio Gutiérrez von der »Confederación Sindical Comisiones Obreras« (CCOO), sowie Cándido Méndez von der »Unión General de Trabajadores« (UGT), der zwei größten Gewerkschaften Spaniens.

Auch Premier Pedro Sánchez (PSOE) mauerte im Vorfeld der Aussage von Martín Villa. Sein Justizministerium versuchte die Vernehmung des Exministers in der argentinischen Botschaft zu verhindern. Das war nicht das erste Mal, dass spanische Behörden die Arbeit der Richterin Servini boykottierten. So wurde beispielsweise der frühere Untersuchungsrichter am Nationalen Gerichtshof, Baltasar Garzón, 2010 von seiner Position suspendiert und 2012 mit einem elfjährigen Berufsverbot belegt, nachdem er versucht hatte, gegen Verbrecher der Franco-Diktatur zu ermitteln.

Bereits 2017 hatte sich die “Vereinigte Linke“ (IU) mit der Forderung an das EU-Parlament gewandt, das Amnestie-Gesetz zu verurteilen, so dass die Verantwortlichen für Verbrechen während der Diktatur in Spanien vor Gericht gebracht werden können. Die Linkspartei “Podemos“ hingegen fordert lediglich eine “Reform“ des Gesetzes, die es der Justiz erlauben würde, zumindest bei Verbrechen gegen die Menschheit zu ermitteln.

Am vergangenen Mittwoch demonstrierten in mehreren spanischen Städten Hunderte für “Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“ für die zahlreichen Opfer der faschistischen Diktatur sowie deren Nachkommen. Dabei erinnerten sie auch daran, dass das argentinische Gericht mehr als 1.000 Anzeigen gesammelt hat, darunter wegen Mordes, Folter und Kindesraubs. Unterdessen bekräftigte die “Arbeitsgruppe für historische Erinnerung“ des EU-Parlaments ebenfalls am Mittwoch ihre Unterstützung für die argentinischen Ermittlungen. (2)

DIE MIETEN? DIE MIETEN!

x64a3Zur Miete zu wohnen ist im Baskenland nicht sehr üblich und gefragt, Eigentum war schon immer vorherrschend und bevorzugt. Doch mit der Schere zwischen gestiegenen Lebenshaltungs-Kosten und gesunkenen Lohneinnahmen wurde das Mietthema für immer mehr Personen zum Ausweg aus dem Eigentums-Notstand. Mehr und mehr jedoch wird der Markt der Mietwohnungen vom Tourismus und von Spekulation geprägt, sowie vom staatlichen Rückzug aus der Mietwohnungs-Politik. Die Folge sind Mietsteigerungen, die über jegliche Bezahlbarkeit hinaus gehen.

Das Online-Portal Statista liefert genauere Daten über die Preis-Entwicklung der letzten fünf Jahre, konkret zwischen Juni 2015 und Juni 2020. Die Erhebung umfasst alle Regionen des spanischen Staates im Vergleich. Die Erhöhung der Mietpreise in diesem Zeitraum beträgt im Durchschnitt 52%, das macht ca. 10% pro Jahr, eine Zahl, die weit über der allgemeinen und offiziellen Preissteigerungsrate liegt. Die süd-baskischen Regionen Baskenland und Navarra liegen mit 31% und 44% unter diesem Schnitt, dennoch eine beachtliche Zahl, hinter der sich die Not vieler in die Armut versinkender Personen verbirgt.

Generell ist bei den Steigerungszahlen eine Tendenz von West nach Ost – Atlantik-Mittelmeer – zu erkennen. Beginnen wir deshalb mit der westlichsten Region Galicien. Dort beträgt die Steigerung 29%, es folgen Asturien mit 21%, Kantabrien 33%, Rioja 26%, Aragon 32%, das südliche Extremadura 17%, Kastilien-Leon und Kastilien La Mancha mit jeweils 26%. Dann geht es hoch mit 43% in Andalusien und Murcia, 57% in der Region Madrid. Den Hit landen die östlichen Mittelmeer-Provinzen Katalonien mit 60% und Valencia mit sage und schreibe 68%. Die Balearen mit 49% und die Kanaren mit 56% liegen ebenfalls im oberen Teil der Statistik. Die Steigerungen folgen somit eindeutig der touristischen Entwicklung. Die Sorge der Bevölkerung bezieht sich also lange nicht allein auf die Pandemie.

Statista ist übrigens ein deutsches Online-Portal für Statistik, das Daten von Markt- und Meinungsforschungs-Institutionen sowie aus Wirtschaft und amtlicher Statistik auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch zugänglich macht. Es zählt zu den erfolgreichsten Statistik-Datenbanken der Welt. Nach Angaben des Unternehmens befinden sich auf der Plattform über 1.000.000 Statistiken zu über 80.000 Themen aus mehr als 22.500 Quellen. Das Unternehmen gibt an, rund 170 verschiedene Branchen mit seinen Inhalten abzudecken. 2019 hatte Statista mehr als 1,5 Mio. registrierte Nutzer, mit denen das Unternehmen rund 60 Millionen Euro Erlöse erwirtschaftet. Statista gehört seit 2015 mit 81,3 % der Anteile Ströer Media.

KOLONISATOREN, EROBERER, VÖLKERMÖRDER

x64a2Dass nach den rassistischen Morden in den USA überall auf der Welt Denkmäler von Konquistadoren, Eroberern und Völkermördern wie Kolumbus, Pizarro der Magellan gekippt oder abgerissen werden, scheint sich bis Bilbao noch nicht herumgesprochen zu haben. Mitten an einem belebten Platz in der Innenstadt (Indautxu) steht seit dem 3. Februar 1998 friedlich eine Statue zum Gedenken an Alonso de Ercilla, baskischer Amerika-Fahrer des 16. Jahrhunderts aus einer Bermeo-Familie, der zudem einer Straße seinen Namen gibt.

Am 8. September 2020 erlebte Don Alonso unerwarteten Besuch. Denn eine Solidaritätsgruppe mit dem in Chile lebenden, kolonisierten und unterdrückten Mapuche-Volk hatte genau diesen Ort auserwählt, um die neokoloniale Repression gegen die Mapuche anzuprangern. In einem Redebeitrag war zu hören:

Im Jahr 1998 wurde an dieser Stelle von den obersten politischen Vertretern des Baskenlandes und von Bilbao, sowie vom chilenischen Präsidenten Frei das Monument für den Völkermörder Alonso de Ercilla eingeweiht. In jenem Jahr baute der multinationale Konzern Endesa im kulturell heiligen Mapuche-Gebiet Pass von Bio Bio ein Wasserkraftwerk, das von den dortigen Ureinwohner*innen frontal abgelehnt wurde. Bereits zuvor wurden Mapuche-Ländereinen gewaltsam besetzt, ein Fluss wurde umgeleitet und stark vergiftet, in der Folge wurden 4.000 Mapuche zur Umsiedlung gezwungen. Aus diesem Grund wählte die Solidaritätsgruppe Wallmapu Euskal Herria genau diesen Ort, um den Rückzug von Endesa zu fordern, sowie die Rückgabe der historischen Ländereien an das Mapuche-Volk. “Es gibt keinen Grund, weshalb ich diesen Ort verlassen sollte. Erst tot verlasse ich meine Erde, nicht lebend.“ Worte der 74-jährigen Nicolasa Quintreman, eine Mapuche, die im Alter von 74 Jahren bei der Verteidigung ihrer heiligen Gebiete ermordet wurde. (1)

ANMERKUNGEN:

(x) Die Publikation in diesem Beitrag erfolgt chronologisch, der letzte Beitrag ist als erstes sichtbar oben angesiedelt. Aus diesem Grund sind Anmerkungen und Abbildungen ebenfalls von unten nach oben und nicht wie üblich umgekehrt sortiert.)

(2) “Spaniens teuer erkaufte Demokratie“ Carmela Negrete (LINK)

(1) Mapuche-Kundgebung Bilbao, Fotoserie: Foto-Archiv-Txeng (LINK)

ABBILDUNGEN:

(6) Statistik der Ungläubigen 

(5) Indalecio Prieto, Denkmal in Madrid

(4) Martin Villa, Franquist

(3) Mietspiegel spanischer Staat (statista)

(2) Kundgebung Mapuche (FAT)

(1) Polizeieinsatz in der Transition

 

(ERST-PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2020-09-10)

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