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DNA-Proben als Ersatz für politischen Willen

Die Regierungen der baskischen und der navarrischen autonomen Region haben zur Identifizierung von Toten aus dem Spanienkrieg DNA-Datenbanken eingerichtet. In Navarra wurden bereits 21 Tote identifiziert über diese Technologie, die vor einem Jahr in die Wege geleitet wurde. Gleichzeitig arbeiten beide Regierungen an Gesetzen, mit denen auch Opfer von polizeilicher Gewalt und neofaschistischen Umtrieben entschädigt werden sollen, gegen den Willen der Zentralregierung. Auch in Bizkaia wurde gegraben.

Weil auf spanischer Seite der Wille zur Aufarbeitung von Krieg und Dikatur fehlt, muss im Baskenland auf verschiedenste technologische Mittel zurückgegriffen werden. Zum Beispiel auf die Identifizierung von Toten über DNA-Proben.

Wieder konnten in Navarra sieben Opfer des Franquismus aus dem Jahr 1936 identifiziert werden, über eine DNA-Datenbank, die von der Regierung 12 Monate zuvor eingerichtet worden war. Die Schaffung einer solchen Datenbank war jahrelang die Forderung der antifaschistischen Bewegung zur Aufarbeitung von Verbrechen aus dem Krieg und der Diktatur gewesen. Doch solange in Navarra eine rechte Regierung im Amt war, waren solche Forderungen reine Utopie. Das änderte sich 2015 mit der Wahl einer sozialliberalen Parteien-Koalition, die sich bereitwillig an die Arbeit machte. (2017-11-24)

Datenbank zur Identifizierung von Kriegsopfern

dna02Seit dem Start der Datenbank konnten bislang 21 Leichen mit einem Namen ausgestattet werden, nachdem sie an verschiedenen Fundstellen exhumiert worden waren. Zuletzt wurde im navarrischen Süden in den Gemeinden Buñuel und Azagra gegraben, sowie in Otsoportillo auf der west-navarrischen Urbasa-Hochebene. An allen Orten handelte es sich bei den Exhumierten um Erschossene aus den Jahren 1936 und 1937. Das Besondere an der navarrischen Kriegsgeschichte ist, dass dort keine militärischen Auseinandersetzungen stattgefunden hatten, weil sich Polizei und Behörden nach dem Militärputsch sofort auf die Seite der aufständischen Franquisten geschlagen hatten. Dennoch wurden insgesamt mehr als 3.500 Menschen umgebracht, die meisten Republikaner*innen und Nationalist*innen. Diese Zahl entsprach mehr als einem Prozent der damaligen Bevölkerung – für Historiker*innen war es ein Genozid. (1)

Brutale Repression im navarrischen Süden

In Buñuel im äußersten Süden der Region wurden Gregorio Almingol, Avelino Arriazu und Marcos Cerdán identifiziert. Sie alle waren bei einer Faschisten-Razzia am 26. August 1936 aus dem Ort verschleppt worden und kehrten nie zurück. Ihre Leichen wurden nun nahe Magallón ausgegraben, einer kleinen Gemeinde in der Nachbarregion Aragon. Die beiden Orte liegen zwar nur ca. 30 Kilometer auseinander, doch sind sie durch eine Verwaltungsgrenze abgetrennt. Die Ermordung von Personen hinter einer Provinzgrenze war Teil einer Versteck-Strategie der Franquisten, denn so wurde es den Angehörigen erschwert, ihre Verschwundenen zu suchen und zu erfahren, was mit ihnen geschehen war. Auch bei der Haft in Konzentrationslagern wurde diese Strategie angewandt, im KZ Bilbao-Deustu (in der heutigen Jesuiten-Universität) zum Beispiel waren kaum Basken eingesperrt, sondern überwiegend Auswärtige ohne Bezug zu Bilbao. (2)

Die Otsoportillo-Grube

Der Fall von Otsoportillo ist wegen seiner Grausamkeit weit über die Grenzen Navarras hinaus bekannt. Bei Otsoportillo handelt es sich um eine vertikal in die Erde führende Grube, in die von den Faschisten sowohl Lebende wie Tote geworfen wurden. In der Otsoportillo-Grube war bereits mehrfach die wissenschaftliche Gesellschaft Aranzadi (3) aktiv und hat in verschiedenen Arbeitsgängen Leichen geborgen. Zuletzt im Oktober 2017, was zur Identifizierungvon Victor Urquijo und Miguel Vergara führte. Darüber hinaus konnte José Úbeda idntifiziert werden, seine Leiche war bereits im Jahr 2016 in Otsoportillo gefunden und gehoben worden.

dna03Die Otsoportillo-Grube wird von einem großen Metall-Denkmal abgeschlossen, an dem sich jedes Jahr Anfang September Antifaschist*innen zu einer Gedenkveranstaltung treffen. Wiederholt kam es an dieser Stelle bereits zu neonazistischen Übergriffen. Kurz vor dem diesjährigen Gedenkakt (2017) wurde die Skulptur mit Parolen der Neonazis-Gruppe „Falange“ besprüht, zu lesen war: „Hier ist noch Platz für mehr“.

Aranzadi

Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet mit der Absicht, die Arbeit der im Franquismus verbotenen Gesellschaft für Baskische Studien fortzuführen. Ihr Zweck ist die wissenschaftliche Erforschung von Natur und menschlichem Wirken. Ihren Namen hat die Gesellschaft von Telesforo de Aranzadi, einem bekannten Anthropologen und Ethnologen (1860-1945). Besondere Bedeutung kommt Aranzadi heutzutage bei der Aushebung von Massengräbern aus der Zeit des Spanischen Krieges und der Identifizierung der dort gefundenen Opfer des Faschismus zu.

Fluchtopfer

Das siebte Opfer, dem der Name zurückgegeben werden konnte, war einer der Flüchtlingen aus der Gefängnisfestung Ezkaba. Im Mai 1938, als der Krieg im gesamten Baskenland längst vorbei war und sich im restlichen Staat langsam zu Gunsten der Faschisten neigte, flohen aus dieser unterirdischen Bergfestung in der Nähe von Pamplona 800 von mehr als 2.000 Gefangenen. Doch nur drei erreichten die rettende französische Grenze, alle anderen wurden wieder gefasst und teilweise am Ort ihrer Festnahme direkt erschossen. Von Ezkaba führt eine regelrechte „Blutspur“ in Richtung Norden, an Straßengräben und in teilweise namenlosen Friedhofsnischen liegen die Leichen der unglücklichen Fliehenden. In Xuslapena-Markalain zum Beispiel. Nach einer Ausgrabung im weiter nördlich liegenden Urtasun wurde Andrés Zudaire aus dem Ort Azagra über eine DNA-Probe identifiziert.

Opfer von Polizeigewalt

Während des Franquismus, aber auch danach kam es überall im Baskenland zu brutalen Einsätzen der spanischen Polizei, insbesondere dort, wo sich Arbeiter*innen zu Streiks und Arbeiterversammlungen aufmachten. Im Rahmen ihrer Arbeit zur Aufarbeitung der repressiven Geschichte der letzten 80 Jahre bearbeiten die navarrische und die baskische regierung auch dieses Thema. Kaum jemand stellt in Frage, dass Polizeikräfte im Baskenland Tausende von personen Foltermethoden unterzogen. Spanischen Regierungskreisen sind diese Versuche von Aufarbeitung und Entschädigung suspekt, sie haben keinerlei Interesse daran, weil es hierbei letztlich um eine Form der Repression geht, die aus ihren Reihen befohlen oder von ihren Polizeikorps ausgeübt wurde. Sowohl in Navarra alsauch in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland wurden von Madrid zwei Regional-Gesetze zu Fall gebracht, die sich mit den Opfern von polizeilicher Gewalt befassen sollten.

dna04Insofern war es im navarrischen Parlament ein Grund für Polemik, dass die Regierung 30.000 Euro für eine Untersuchung mit dem Thema „Gewalt der Polizei und der extremen Rechten“ zur Verfügung stellte. Die Ministerpräsidentin Uxue Barkos verteidigte die Haltung ihrer Regierung mit dem Argument, dass alle Opfer dasselbe Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung haben. Deshalb sei es notwendig, entsprechende Fälle zu untersuchen. Die politischen Kräfte in Madrid hingegen sind nur an den „Opfern des Terrorismus“ interessiert. Die Argumente der rechten navarrischen UPN-Partei und dem PSOE-Ableger im Parlament gipfelten in dem Vorwurf, die Barkos-Regierung wolle „die Taten von ETA weißwaschen“, indem sie Opfer und Opfer vergleiche.

Exhumierung in Zeanuri

Im bizkainischen Zeanuri (40 Kilometer südöstlich von Bilbao) erlebten die Expert*innen der wissenschaftlichen Gesellschaft Aranzadi (3) bei einer Exhumierung eine Überraschung: sie fanden nicht nur eine Leiche, wie nach einer Probegrabung erwartet worden war, sondern gleich fünf. Es wird davon ausgegangen, dass es sich um eine kommunistische Einheit der baskischen provisorischen Armee handelte (4).

Der Milizionär Pedro San Millán Beitia

Der aus Elantxobe stammende und in Bilbao lebende baskische Gudari (Soldat) war 27 Jahre als, als seine Familie keine weiteren Nachrichten mehr von ihm erhielt. Weil er Milizionär war in der neu aufgestellten baskischen Armee, musste die Familie davon ausgehen, dass er tot sei. Er gehörte zum Perezagua-Bataillon, das sich sich mehrheitlich aus kommunistischen Kämpfern zsuammensetzte, die aus den Minengebieten um Bilbao stammten. Mit anderen Kämpfern zusammen war Pedro im Frühjahr 1937 in die Gegend von Barazar geschickt worden. Am gleichnamigen Pass sollte der franquistische Vormarsch von Araba her gestoppt werden.

Im April 1937 verliert sich an diesem Punkt Pedros weitere Geschichte. Erst am 19. November 2017 fand sie ihre Fortsetzung, als Mitglieder von Aranzadi am Altun-Berg (Gemeinde Zeanuri) menschliche Reste ausgruben. Es waren die Gebeine von Pedro, wie sich herausstellen sollte. Bei einer Routine-Untersuchung in der Gegend hatte ein Forschungsteam zwei Monate zuvor Hinweise gefunden. In als strategisch wichtig betrachteten Zonen der damaligen Zeit wird bis heute mit Metalldetektoren nach Munition und menschlichen Resten gesucht. Bereits eine esierne Gürtelschnalle kann dabei einen Hinweis liefern.

Die fünf Leichen lagen in einem Schützengraben, gefunden wurde auch eine militärische Erkennungsmarke mit der Nummer 21967, die Pedros Identifizierung möglich machte. Dieser Fund war an sich schon von Bedeutung, doch wurde den Spezialist*innen von Aranzadi schnell klar, dass Pedro nicht allein gestorben war. Weitere vier Körper wurden gefunden, mit großer Wahrscheinlichkeit Bataillons-Kollegen, die wie er im Kampf gestorben waren. So lautete die erste Diagnose der Anthopolog*innen von Aranzadi.

Bedeutung der Fundstelle

dna05„Dies ist eine unserer bedeutendsten Fundstellen, sie wird uns viele Informationen liefern. In einigen Fällen haben wir bis zu 12 oder 14 Leichen gefunden, aber die Leute waren bei Unfällen oder Explosionen gestorben, nicht im Kampf wie in diesem Fall.“ Die vier unerwarteten Leichen konnten bislang nicht identifiziert werden, obwohl weitere militärische Erkennungsmarken gefunden wurden. Wenn die Marken gereinigt sind, könnte es möglich sein, weitere Namen der Toten zu finden. Ein Stahlhelm, Aluminium-Teller mit Besteck, Munition, Kämme – all das kann Aufschluss geben über die Umstände, unter denen die fünf Milizionäre zu Tode kamen. Sie hatten alle Gebrauchsgegenstände bei sich, die sie täglich benötigten. Alle hatten noch ihre Stiefel an, die in guten Konservierungszustand geblieben sind. Das Aranzadi-Team unter der Leitung des Anthropologen und Forensikers Paco Etxeberria sucht in der Gegend weiter nach möglichen Anhaltspunkten. Die Existenz weiterer Leichen im durchsuchten Schützengraben wird allerdings ausgeschlossen.

Mit den gefundenen Gegenständen wird versucht, auch den anderen Leichen einen Namen zu geben. Vielleicht kann ihre Geschichte so ebenfalls rekonstruiert werden, jene Geschichte, die 1937 begraben wurde und die erst 80 Jahre später wieder ans Tageslicht kommt, aufgrund von Knochen und Utensilien aus der Erde. Bisher steht für Aranzadi fest, dass die Gudaris ihr Leben im Gefecht verloren. Wer könnte sie begraben haben? Manchmal wurde das von der vorrückenden franquistischen Armee gemacht. Sie ließen die Leichen in den Schützengräben und warfen Erde darüber. Ein improvisiertes Grab, das fast immer von den Toten selbst gegraben worden war.

„In anderen Fällen waren es Nachbarn aus der Gegend, die die Leichen bedeckten, damit sie nicht offen herumlagen,“ erklärte Aranzadi. Oder damit die Leichen nicht von umherlaufenden Hunden gefressen wurden, wie es von anderen Fällen berichtet wurde. Ein kleines Zeichen von Menschlichkeit in Kriegszeiten, in Zeiten des Wahnsinns, der viele Biografien nachhaltig beeinflusste. Diese Geschichten und Biografien „gerade zu rücken“, auch das ist eines der Aufgaben von Aranzadi – die Organisation bringt mit ihren Untersuchungen Licht in dunkle Episoden der Geschichte.

Menschliche Dimension der Identifizierung

dna06Am 19. November 2017, einem Samstag, hatte Aranazadi Gelegenheit dazu. Sie konnten Verbindung aufnehmen mit einer Familienangehörigen von Pedro San Millán, dem ersten der aufgefundenen Toten aus dem Schützengraben. In diesem Moment konnten sie eine Leerstelle in der Familienchronik ausfüllen. „Wir meldeten uns bei einer Nichte, sie wusste ziemlich wenig von ihrem Onkel, eigentlich nur, dass er im Krieg gestorben war. Für die Angehörigen sind das wichtige Ereignisse, auch wenn noch so viel Zeit vergangen ist seither. Es ist immer ein emotionaler Moment, wenn ein Mitglied der Familie nach so vielen Jahren wieder entdeckt und identifiziert wird.“ Die Arbeit von Aranzadi hat eine historische, eine wissenschaftliche und eine menschliche Seite.

Auch wenn Aranzadi praktisch jedes zweite Wochenende eine Exhumierung vornimmt, lassen es sich baskische Politiker*innen doch nicht nehmen, bei den Ausgrabungen regelmäßig anwesend zu sein, um die Bedeutung der historischen Aufarbeitung zu unterstreichen – was in spanischen Regionen völlig undenkbar wäre. Bei den Arbeiten in Zeanuri war die Bürgermeisterin des Ortes anwesend, die Direktorin des erst kürzlich eingerichteten baskischen Institutus für Memoria „Gogora“, Parteienvertreter*innen und Mitglieder der baskischen Regierung.

ANMERKUNGEN:

(1) Tageszeitung GARA 18.11.2017, Artikel „El banco ADN permite identificar a siete navarros muertos por el franquismo“ (DNA-Datenbank ermöglicht Identifizierung von sieben vom Franquismus umgebrachten Personen aus Navarra)

(2) In den Gebäuden der Jesuiten-Universität Bilbao-Deustu richteten die Franquisten nach ihrem Einmarsch ein Konzentrationslager ein, in dem bis zu 18.000 Personen eingesperrt wurden, die meisten Nicht-Basken. Mehr als 180 Gefangene wurden erschossen, viele andere starben an den widrigen KZ-Bedingungen.

(3) Die Wissenschafts-Gesellschaft Aranzadi wurde 1947 gegründet, um baskische Studien durchzuführen. Benannt nach Telesforo de Aranzadi, einem Anthropologen und Ethnologen (1860-1945).

(4) Artikel bei El Correo, 20.11.2017: „Hallan una trinchera con restos de cinco combatientes de la Guerra Civil en Zeanuri” (In einem Schützengraben in Zeanuri wurden die Reste von fünf Kämpfern aus dem Krieg gefunden)

ABBILDUNGEN:

(1) Gedenken Otsoportillo (FAT)

(2) Ausgrabung Zeanuri (Correo)

(3) Ausgrabung Zeanuri (Correo)

(4) Ausgrabung Zeanuri (Correo)

(5) Ausgrabung Zeanuri (Correo)

(6) Gedenken Otsoportillo (FAT)

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