Wege zur Erinnerung
Das im Auftrag der baskischen Regierung im Aufbau begriffene Erinnerungs-Institut „Gogora“ hat Ende 2015 eine Denkschrift präsentiert, in der die wichtigsten Daten zu den Orten des Krieges von 1936 im Baskenland (ohne Navarra) zusammengefasst sind – vom Sitz der baskischen Regierung bis zu den Schlachtfeldern des Krieges, auf denen sich die in aller Geschwindigkeit neu formierte baskische Armee „Eusko Gudarostea“ den franquistischen Truppen und seinen europäischen Verbündeten entgegen stellte.
Das Institut Gogora befindet sich derzeit im Aufbau, auf Baskisch bedeutet Gogora „zur Erinnerung“. Gogora hatte eine Gruppe von Historikerinnen der baskischen Universität beauftragt, das Dokument mit dem Titel „Wege der Erinnerung – Orte der Erinnerung des Bürgerkriegs“ anzufertigen. Aufgelistet und beschrieben sind in diesem Dokument ungefähr 600 Bombardierungen baskischer Orte, 71 Unternehmen, die republikanische Gefangene als Zwangsarbeiter beschäftigten, sowie 46 zivile Gebäude, die als Gefängnisse oder Konzentrationslager benutzt wurden. „Die Erinnerung ist ein Problem von heute und nicht eines der Vergangenheit“, sagte einer der Forscher, der daran erinnerte, dass solcherart Memoranden im übrigen Europa ebenfalls angefertigt wurden. (2015-01-16)
Memorandum „Wege der Erinnerung“
Das 420-seitige Werk umfasst sechs Kapitel (1). Das erste enthält eine Auflistung von Vereinigungen, Stiftungen und Organisatonen, die sich der Erinnerung der Kriegsereignisse und ihrer Opfer widmen und die sich drei Hauptforderungen auf die Fahnen geschrieben haben: Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung. Das zweite Kapitel beschreibt die Gebäude und Sitze der baskischen Regierung während des Krieges in Bilbao; dau gehören emblematische Gebäude wie das Hotel Carlton, die Sociedad Bilbaina und das Haus der Werft Aznar-Sota. Das dritte Kapitel widmet sich den Orten, an denen militärische Auseinandersetzungen stattfanden und jenen, die aus der Luft bombardiert wurden. 200 Gefechte und Schlachten zu Lande wurden aufgeführt in den drei Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, bei denen 10.000 Soldaten und Milizionäre starben, der Großteil davon auf baskischer Seite. Der Bericht spricht von 400 Bombardierungen aus der Luft, neue Forschungen von Xabier Irujo, Professor der Universität Nevada (USA) gehen von mehr als 600 Angriffen aus. Es sei kaum vorstellbar, wie in einem derart kleinen Territorium innerhalb eines Jahres so viele Bombardierungen haben stattfinden können, sagte einer der Autoren des Berichts. „Die baskische Armee hatte keine Waffen gegen die Luftangriffe“. Die Bombardierungen seien ein groß angelegter Feldversuch gewesen, neue Waffen auf ihre Tauglichkeit für den kommenden Weltkrieg zu testen.
Repression nach dem Krieg
Im vierten Kapitel werden die Gebäude aufgeführt, die von den Faschisten als Gefängnisse genutzt oder zu Konzentrationslagern umfunktioniert wurden. 46 provisorische Gefängnisse waren es, 22 in Bizkaia, 15 in Gipuzkoa und 9 in Araba. Unter den Gebäuden, die von den Franquisten als Orte der Gefangenschaft und Ermordung gewählt wurden, sind bekannte Gebäude wie die Jesuiten-Universität oder das Arriaga-Theater in Bilbo (Bilbao), der Kursaal in Donostia (San Sebastián) oder die Stierkampf-Arena in Gasteiz (Vitoria). Das fünfte Kapitel handelt von den Militär-Krankenhäusern, in denen die baskische Regierung ihre verletzten Soldaten versorgte. Aufgeführt sind 46 Gebäude, darunter der Sportclub Bilbao (Club Deportivo) oder der Mentxaka-Palast von Getxo.
Arbeitssklaven
Im letzten Kapitel ist von den Unternehmen und Orten die Rede, in denen Zwangsarbeit geleistet werden musste von den republikanischen Kriegsgefangenen, die den Franquisten in die Hände gefallen waren, teilweise auch Zivilisten, die festgenommen worden waren. Zum ersten Mal wird das Thema „Arbeitssklaven“ in einer Publikation behandelt, unter anderem wurden die Gefangenen zur Arbeit in der Euskalduna-Werft, in der Naval-Werft von Sestao und beim Stahlunternehmen Babcock-Wilcox von Trapagaran gezwungen.
Überfällige Aufarbeitung
Die historische Zusammenstellung, die auf bereits veröffentlichten Büchern und Dokumenten aller Art basiert, ist - ebenso wie die Gründung des Gogora-Instituts – eines der strategischen Projekte der baskischen Regierung zum Thema „Historische Erinnerung“ im Jahr 2016, vorgestellt im November 2014. Die publizierten Informationen sollen auch über eine Webseite bekannt gemacht werden, zusammen mit den Namen aller Opfer, sowohl der Toten alsauch derer, die Repression, Enteignung oder Vertreibung erlitten haben. Die erfolgte Publikation soll dabei helfen, die Geschichte und die Schauplätze kennen zu lernen und die Erinnerung an die Geschehnisse zu organisieren, zum Beispiel historische Rundgänge oder Gedenkveranstaltungen. Das Konzept des Instituts selbst ist in der Memoria-Bewegung nicht unumstritten, letztlich wurde es von Regierungs-Bürokraten konzipiert ohne all die Bewegungen zu konsultieren, die die Erinnerungs-Arbeit faktisch machen.
Bereits vorher hatten die baskische und die navarrische Regierung Landkarten veröffentlicht, auf denen die Situation der bekannten verbliebenen „fosas“ verzeichnet und beschrieben sind, als „fosa“ werden alle jene Gräber, Gruben, Höhlen, Straßenböschungen und Massengräber bezeichnet, in denen extralegal oder pseudolegal Erschossene verscharrt wurden, zum Teil auch an Friedhofsmauern, oder auf Friedhöfen selbst. Die autonome Region Navarra – im Jahr 1982 aus politischen Gründen von der Autonomen Region Baskenland abgetrennt – hat zwar ein Memoria-Gesetz, ein Memorandum der Dimension wie das nun in Euskadi vorgelegte gibt es jedoch noch nicht.
Straßenumbenennungen
Erst durch eine erfolgreiche Klage, die von Erinnerungs-Vereinigungen und antifaschistischen Organisationen angestrengt worden war, ist Bewegung in die Umsetzung des Memoria-Erinnerungs-Gesetzes gekommen. Dieses Gesetz war zwar 2007 von der spanischen Regierung beschlossen wurden, für seine Umsetzung gab es jedoch weder einen Plan, noch Mittel und guten Willen schon gar nicht. Auch keine Sanktionen, die bei sonstigen Gesetzübertretungen üblich sind. Nach Bekanntwerden des Urteils wurden in Bilbao von der Stadtverwaltung innerhalb von 24 Stunden zwei Straßenschilder entfernt, die faschistische Namen trugen. In der Stierkampfarena wurde eine riesige Gedenktafel entfernt, die 1962 bei einem Besuch Francos demselben ehrfürchtig gewidmet worden war und die bis 2015 die faschistischen Werte hochleben ließ.
Im Jahr 2016 bemüht sich die Stadt Bilbo nun um die weitere Umbenennung von Straßen, die im Klage-Katalog der Antifaschistinnen gar nicht enthalten waren. „Problematische Straßen“ werden die Objekte der anstehenden Umbenennung bezeichnet, als wären es Drogenumschlagplätze oder Orte vermehrter Verkehrsunfälle – nach wie vor herrscht oftmals die Scham vor, das Ungeheuerliche mit Namen zu nennen. Geholfen hat bei solchen neuen Bewegungen das eingangs beschriebene und von der Regierung in Auftrag gegebene Dokument, dessen Autorinnen die Umbenennung nahe legen. Auch auf andere Städte und Gemeinden, die bisher nicht verklagt wurden, scheint das erfolgte Urteil eine Kollateral-Wirkung zu haben, denn mit wundersamem Antrieb und auf eigene Initiative haben sie das Straßenverzeichnis ihrer Gemeinden durchforscht und ebenfalls „Problematisches“ diagnostiziert. Nun fordern sie die Bevölkerung zum Brainstorming auf, um für die franquistischen Altlasten neue Namen zu suchen, die bizkainische Hafenstadt Santurtzi zum Beispiel.
Außerhalb des Baskenlandes
In Städten außerhalb des Baskenlandes hat der parlamentarische Vormarsch der Bürger-Bewegung Podemos (Wir können) eine kleine Welle von Namesänderungen ausgelöst. Madrid mit der neuen Bürgermeisterin Carmena will ganze dreißig Straßen umbenennen, die aus dem Franquismus stammen oder einen Bezug enthalten. Das galicische A Coruña hat den Schritt bereits hinter sich, dort wurden zwei Generäle aus dem Stadtbild getilgt.
In insgesamt 637 Gemeinden des spanischen Staates (das sind 8%) gibt es faschistische Namensrelikte. Insgesamt 1.171 Straßen tragen Namen, die besser schon seit 40 Jahren entfernt worden sein sollten. 75% dieser Straßennamen befinden sich interessanterweise in Orten von weniger als 2.00 Einwohnerinnen. Orte wie Frades de la Sierra in der Provinz Salamanca, oder Frechilla in Palencia sind wahrhafte Gruselkabinette, in denen sich Generäle und Massenmörder die Straßenecke teilen. Auf die nach und nach erfolgende Umbenennung müssen sich in der nächsten Zukunft nicht nur die Anwohnerinnen und Briefträgerinnen einstellen, auch virtuelle Ratgeber wie Google Maps oder Bing Maps müssen nachziehen und aktualisieren. Insofern könnte GPS-Reisenden in den kommenden Jahren noch so manches Rätsel aufgegeben werden. Besser wäre es allemal gewesen, die Namen zu ändern bevor Internet überhaupt Einzug in den Alltag hielt.
Katholische Altlasten
Doch nicht überall stehen die Zeichen auf Veränderung. Der Bischof von Segovia sorgte kürzlich für Schlagzeilen, als er in einem Anflug von national-katholischer Götterdämmerung die franquistische Symbologie verteidigte. Die faschistischen Zeichen seines Bistums stünden nicht in Widerspruch zum Memoria-Gesetz, „weder in Geist noch in Wort“. Was deutlich macht, wie schwer es vielen Weggefährten der Diktatur fällt – in der Katholischen Kirche, bei der Guardia Civil und in der Justiz – sich selbst und anderen einzugestehen, dass ihr Regime menschenverachtend, mörderisch und totalitär war, und niemand anderem als „Gott, dem Vaterland und dem König“ diente – por Diós, por la Patria y el Rey.
ANMERKUNGEN:
(1) Tageszeitung Deia: „Un mapa de la memoria para recordar la Guerra Civil en Euskadi“, 20.11.2016 (Eine Landkarte der Erinnerung des Bürgerkriegs in Euskadi)
FOTOS:
(1) Gedenkfeier in Bilbo-Artxanda für einen der letzten gestorbenen Gudari-Soldaten aus dem Krieg, den Anarchisten Felix Padin, 2015 (Foto Archiv Txeng – FAT)
(2) Demonstration Bilbo 2014 gegen die Straffreiheit der faschistischen Verbrecher der Diktatur (Foto Archiv Txeng – FAT)
(3) Gedenkfeier der Organisation Ahaztuak (die Vergessenen) 2007 in Bilbo (Foto Archiv Txeng – FAT)
(4) Am Alberti-Berg in Araba wird jährlich im Juli der Toten der Schlacht gedacht (Foto Archiv Txeng – FAT)