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Von Orozko nach Argentinien

Viele Baskinnen und Basken – einzeln oder als Familien – haben sich über die Jahrhunderte auf den Weg in andere Länder gemacht. Die Gründe waren sehr unterschiedlich. Die einen mussten weg, um vor Krieg oder Verfolgung ihr Leben zu retten. Andere flohen vor der Not, oder suchten Glück und Reichtum. Auch wenn nur wenige später zurückkamen, bewahrten sich doch viele in der neuen Lebensumgebung ihre Kultur und Tradition. Die baskischen Kulturzentren (Euskal Etxea) in aller Welt sind ein Zeichen davon.

Gastón Mendiolagoitia lebt in Argentinien und kam kürzlich zu Besuch nach Bizkaia, um in der Kleinstadt Orozko die Spuren seines Urgroßvaters zu erkunden, der Ende des 19. Jahrhunderts in das ferne Argentinien emigrierte.

Auf seine Reise mitgebracht hat Gastón Mendiolagoitia ein Buch mit dem Titel „Cédula de Hidalguía”, eine Urkunde, die einem seiner Vorfahren einen Adelstitel bescheinigt. Die Urkunde stammt aus dem Jahr 1787 und bezieht sich auf den Eigentümer eines Bauernhofes mit Grundstück. Francisco Antonio María de Mendiolagoitia y Mathe, so der volle Name dieses Urahnen, der erste Familienname stimmt bis heute überein. Jener Francisco Antonio María wurde am 23. Juli 1749 in der San Juan Bautista Kirche von Orozko getauft. Mit 38 Jahren wurde er beim königlichen Kanzleramt in Valladolid vorstellig, um einen Adelstitel als „Infanzón“ zu beantragen. Das bedeutete, ein offizielles Mitglied des niederen Landadels zu sein. (1) (2)

orozko002Für die Familie Mendiolagoitia ist diese Urkunde nicht einfach irgendein Buch. Es ist eine Art Familienstammbuch, das im besagten Jahr 1787 ausgestellt worden war. Es wurde von Generation zu Generation weitergereicht, hat regionale und staatliche Grenzen überschritten und endete schließlich auf der anderen Seite des Ozeans, im fernen Argentinien. Die Reise jenes Urkunden-Buches begann mit einem Ortswechsel des Antragstellers selbst. 

Auswanderung

“Mein Vorfahr Francisco zog 1770 oder 1771 von Orozko nach Valencia. Mir ist nicht ganz klar wie unsere Familie dann in Argentinien landete. Jedenfalls war es mein Urgroßvater Servando, der 1859 in Altafulla in der katalanischen Provinz Tarragona geboren worden war. Er verließ die Halbinsel, hatte fünf Kinder, eines davon war mein Großvater Alfredo“. Das erzählt Gastón Mendiolagoitia über seine Familiengeschichte. Er ist der aktuelle Besitzer des historischen Dokuments.

Mendiolagoitia ist übrigens ein typisches Exemplar von baskischen Familiennamen, die entweder auf Berufe, einen Standort oder ein Bauerngut hinweisen. Oder eine Mischung aus allem. „Mendi“ ist der baskische Begriff für „Berg“; „ola“ ist ein Hinweis auf eine Werkstatt oder Manufaktur, was in diesem Fall eine Mühle sein könnte, von denen es in den vielen Vororten von Orozko eine ganze Menge gibt; und „goitia“ bedeutet „oben“. Zusammen könnte die Übersetzung also „Obere Bergwerkstatt“ oder „Obere Bergmühle“ lauten.

Ein Adelstitel

Der Ursprung dieses einzigartigen Erbstücks hatte in der Familie schon immer Neugier geweckt. Dennoch dauerte es lange Zeit, bis Gastóns Vater – Jorge – Notiz davon nahm und versuchte, das Dokument zu entschlüsseln. Dafür kam er in ein Euskal Etxea (2), eines jener baskischer Kulturzentren, die es überall auf der Welt in jenen Regionen gibt, in die baskische Emigrant*innen einstmals eauswanderten. In diesem Zentrum erfuhr er, dass es sich um einen Antrag auf einen Adelstitel in der baskischen Provinz Bizkaia handelte. Seine Nachforschungen ergaben auch, dass es im bizkainischen Orozko (spanisch: Orozco) irgendeine Liegenschaft zu entdecken gab, ein Haus, das den Namen Mendiolagoiti trug und das „einst unserem Vorfahren Francisco Antonio María de Mendiolagoitia y Mathe gehörte“. Gastóns Vater Jorge bekam diese Immobilie sogar zu Gesicht als er 2001 und 2002 nach Orozko reiste.

orozko003Nachdem sein Vater gestorben war, machte sich Gastón Mendiolagoitia Jahr 2014 selbst auf den Weg. Er stammt aus Buenos Aires und lebt dort. Zum Zeitpunkt seiner Reise war er 47 Jahre alt und wollte die familiengeschichtlichen Nachforschungen „im Amateurstil“ wieder aufnehmen. Zuerst suchte er über Internet nach Information und erhielt über Email hilfreiche Kontakte. Nach und nach ergab sich auf diese Weise ein Familien-Stammbaum mit Verzweigungen, die bis ins Jahr 1530 zurückreichten. Eine seiner Quellen war das Historische Kirchen-Archiv in Bizkaia mit Standort in Derio. Im Jahr 2016 verbrachte er dort persönlich drei Stunden, als er mit einem Teil seiner Familie die Reise nach Orozko angetreten hatte. Wie sein Vater war er nur zwei Tage im Ort, das reichte aus, um sich vom Mendiolagoiti-Anwesen ein Bild zu machen und „tief bewegt“ das Grundstück seiner Urahnen zu betreten, sowie die alte Villa, in der damals die Familie gelebt hatte und die heute verlassen ist.

Zurück zu den Wurzeln

“Was mich nach Orozko zieht ist schwer zu erklären. Doch mit dem Lauf der Jahre wurde es für mich immer wichtiger, dort einen Besuch zu machen und den Ort kennenzulernen“, erklärt der Porteño, wie die Einwohner*innen von Buenos Aires genannt werden. Die Motivation war so stark, dass er den Besuch mittlerweile wiederholte. „Dieses Mal mit etwas mehr Zeit, um einfach nur hier zu sein, spazieren zu gehen und mich für einige Tage als Teil von Orozko zu fühlen.“

orozko004Auf diesen Reisen war das Familienstammbuch natürlich immer dabei. Im Zusammenhang mit jenem mysteriösen Dokument entdeckte Gastón weitere Informationen. Einer seiner Fernkontakte – Iñaki García Uribe – wurde mittlerweile zu einem Freund. Er hatte Gastón erklärt, wie sein Urahne Francisco Antonio María de Mendiolagoitia y Mathe mit der „Cédula de Hidalguía“ aus dem Jahr 1787 zu einem Landadligen wurde. „Jene Titel wurden seinerzeit an Basken verliehen, die kleinere Ländereien hatten als die wirklichen Adligen. Das brachte einige Privilegien mit sich, sie mussten keine Steuern und keinen Zehnt zahlen, das Haus war geschützt, juristisch konnte er nur von der königlichen Justiz angeklagt werden. Darüber hinaus hatte er Anspruch auf doppelt soviel Feuerholz wie die übrigen Bewohner*innen und er musste nicht an kommunalen Gemeinschaftsarbeiten teilnehmen“, so die Aufzählung von Uribe.

Mit seiner letzten Reise hat Gastón einen Kreis geschlossen, zu dem bis dahin noch Elemente gefehlt hatten. Wer weiß, ob nicht in der Zukunft sogar noch ein weiteres Kapitel der Familien-Geschichte in Orozko hinzukommt. „Vielleicht ist es ja verrückt, aber ich sehe mich vor dem aktuellen Besitzer des Bauernhauses, frage ihn und verhandle mit ihm, um möglicherweise eines Tages sagen zu können, dass das Gut wieder den Namen Mendiolagoitia trägt“.

Orozko – Orosco

Die Gemeinde Orozko liegt am Fuße des Gorbeia-Bergmassivs im Landkreis Arratia-Nervión, der zur Provinz Bizkaia in der Region Baskenland gehört. Orozko hat 2.800 Einwohner*innen, die sich auf insgesamt 14 verstreute Ortsteile verteilen. 

(baskultur.info 2018-07-15)

 

ANMERKUNGEN:

(1) Information vorwiegend aus dem Artikel „Gastón Mendiolagoitia busca sus orígenes en Orozko“, erschienen am 12.7.2018 in der baskischen Tageszeitung Deia (Gastón Mendiolagoitia sucht in Orozko seine Ursprünge) (Link)

(2) Euskal Etxea, Artikel bei Baskultur.info (Link)

ABBILDUNGEN:

(1) Orozko (FAT)

(2) Gastón Mendiolagoitia (S. Martín, Deia)

(3) Wehrturm Aranguren (F: Ojanguren)

(4) Orozko (FAT)

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