Wer ist „Willkommen in Bilbao“?
Hinter der San-Anton-Brücke von Bilbao hängt an einem Baugerüst eine riesige Werbewand der baskischen Regierung. In englischer Sprache heißt es dort: „Here ‘Ongi Etorri‘ means welcome. Welcome to the Basque Country“ – auf Deutsch: „Ongi Etorri bedeutet hier Willkommen. Willkommen im Baskenland“. Optimist*innen könnten meinen, dass sich dieses Willkommen auf die mittlerweile 100 afrikanischen Migranten bezieht, die keine 100 Meter von der Wand entfernt in einer schlechten Notunterkunft leben.
Seit Ende Juni sind Hunderte von afrikanischen Migranten im Baskenland angekommen. Für viele war Euskal Herria Durchgangsort in andere europäische Länder. Andere jedoch wollen bleiben, obwohl sie von den baskischen Behörden ignoriert werden. Freiwillige Nachbarschaftshilfe sorgt für minimal würdige Verhältnisse.
Eine positive Interpretation des Willkommens-Plakats nahe der Brücke ist leider nicht angebracht, jeglicher Optimismus in dieser Hinsicht ist fehl am Platz. Die seit Ende Juni in Bilbao verweilenden Migranten werden von den städtischen Behörden weitestgehend ignoriert – von Willkommen kann keine Rede sein.
Worauf bezieht dann das nette lilafarbene Plakat? Es ist der Ausdruck einer Werbekampagne, die von den baskischen Behörden angeleiert wurde und zwei Ziele hat. Erstens soll damit der negative Eindruck korrigiert werden, der im vergangenen Jahr durch Kritik aus der Bevölkerung am Modell des Massentourismus entstanden ist. Der markante Begriff der „Tourismusphobie“ wurde dafür aus der Taufe gehoben, denn Kritik ist nicht erwünscht, auch wenn sie noch so nüchtern und wirklichkeitsnah daherkommt.
Zweites Ziel der Werbekampagne ist die Suche nach neuen touristischen Zielgruppen. Dabei haben die Tourismus-Strategen eine besonders sensible Gruppe ausfindig gemacht: Hundebesitzer*innen. Nicht jede Reiseunterkunft lässt Vierbeiner zu, aus gutem Grund. Auf der Suche nach Marktanteilen versuchen die Behörden deshalb, Bilbao als besonders hundefreundlich darzustellen, um diese Zielgruppe an Land zu ziehen.
Ohne groß auszuholen kann also zusammenfasst werden: Welcome bezieht sich auf Hunde und Touristen, nicht aber auf afrikanische Migranten
Der Zynismus der Werbewand ist kaum zu überbieten. Wäre die Wand neben dem Guggenheim-Museum aufgehängt, oder in der Haupt-Kommerz-Straße der Innenstadt, wären die meisten wahrscheinlich achselzuckend vorbei gegangen, die soundsovielte Kampagne eben. Aber nein. Die Werbung hängt ausgerechnet in dem Stadtteil Bilbao la Vieja, wo derzeit 100 afrikanische Migranten (ausschließlich Männer) von verschiedenen Gruppen aus der Nachbarschaft mit dem Allernotwendigsten versorgt werden. Ohne jegliche Hilfe durch die Stadt. Willkommen in Bilbao!
Baskultur.info hatte kürzlich berichtet, dass es zwar eine offizielle Notunterkunft gibt, die im öffentlichen Auftrag vom Roten Kreuz verwaltet wird. Dort gilt aber die Regel von maximal drei Tagen Verweildauer. Deshalb sind die 88 Plätze weitgehend leer, während die Freiwilligen in den improvisierten Räumen im selben Moment alle Hände voll zu tun haben. (1)
Es ist bereits die dritte von der bilbainischen Volksbewegung organisierte Notunterkunft. Zuerst war es eine ehemalige Schule, die später besetzt wurde, dann eine städtische Sporthalle mit offenem Zugang, und nun ein selbstverwaltetes Stadtteilzentrum, das reichlich baufällig ist. Die beiden letzten Unterkünfte waren und sind alles andere als würdig – Notunterkünfte eben im wahrsten Sinne des Wortes. Einfach nur ein Dach über dem Kopf, das ist willkommen!
Organisiert wird die Betreuung über offene Vollversammlungen, die teilweise in der Öffentlichkeit stattfinden. An diesen VVs nehmen die „Betroffenen“ nicht teil, sei es aus sprachlichen Gründen, vielleicht auch, weil es um zwei Welten geht, die schwer zusammenzubringen sind. In diese Versammlungen eingemischt hat sich immerhin eine Handvoll Afrikaner*innen, die seit längerem in Bilbao leben. Niemand anders versteht die Mentalität der Flüchtlinge besser, niemand anders spricht dasselbe Französisch und niemand anders gibt bessere Ratschläge, wie mit kritischen Situationen umzugehen ist.
Alltag der Flüchtlinge
Der Alltag sieht für die ausschließlich jungen Afrikaner folgendermaßen aus: um 8 Uhr gibt’s Frühstück beim Roten Kreuz, die einzige Leistung dieser Organisation. Wer einmal nicht kommt, fliegt raus, so die Regel, die deutlich macht, dass es sich nicht um eine soziale Leistung handelt, sondern um einen Kontrollmechanismus. Nach diesem Pflichtfrühstück verteilen sich die Afrikaner in der Stadt auf der Suche nach Kontakten und für Behördengänge, die teilweise ebenfalls von Freiwilligen begleitet werden. Oder sie versuchen den Sprung über die Grenze. Erst abends trifft man sich wieder in Bilbao La Vieja zum gemeinsamen Abendessen und zur Nacht.
Die aktuelle Notunterkunft ist ein städtisches Haus, ein Sozialzentrum für die Ärmsten der Armen aus der Zeit der Arbeiterbewegung vor 120 Jahren. Vor 30 Jahren wurde es dem lokalen Nachbarschaftsverein überlassen und seither selbstverwaltet organisiert, nachdem es in der Anfangszeit besetzt war. Eine Nutzung als Unterkunft ist dabei nicht vorgesehen, vielmehr ist sie illegal. Das weiß die Stadt, das weiß die Polizei – und alle schauen weg. Illegal ist auch, dass 100 Personen auf dem kleinen Platz des Stadtteils frühstücken, das verbietet ausdrücklich die repressive Stadtverordnung, die in Bilbao vor sieben Jahren verabschiedet wurde.
Dieses Massenfrühstück auf dem Barrio-Platz war notwendig geworden, weil das Rote Kreuz in Beamtenmentalität sonntags seine Tore nicht öffnet – als würde prekäre Migration nach Öffnungszeiten funktionieren. Die weltweit ebenso größte wie berüchtigte Multi-NGO spielt das „Migrationsspiel“ mit schmutzigen Karten. Dass die 88-Plätze-Unterkunft weitgehend leer bleibt wird mit folgender Legende erklärt: vormittags müssen sich Interessenten einschreiben, bis zum Platzlimit. Nachmittags und abends stellt sich dann heraus, dass die meisten nicht kommen. Aber einmal vergebene Plätze werden nicht wieder neu vergeben. Also bleibt die Hütte leer. Bürokratie ist Bürokratie, Hauptsache der öffentliche Geldstrom fließt in die RK-Kassen. „Das Rote Kreuz sagt nie die Wahrheit“, so ein Mitglied der Organisationsgruppe La Vieja.
Zum dritten illegal ist die Volkskneipe, in der sonntags fürs Frühstück der Kaffee vorbereitet wird. Sie ist eine von mehr als 100 Kneipen, die von der spanischen Polit-Justiz als Teil der baskischen Unabhängigkeit-Bewegung definiert und per Urteil konfisziert wurde – jeden Tag könnten die Gerichtsvollzieher vor der Tür stehen. Bei all dem werden die sonst omnipräsenten polizeilichen Kontrollaugen zugedrückt. Aussitzen ist die behördliche Devise, hoffen, dass der Migrantenstrom weiter zieht. Kein Aufheben, keine Unruhe provozieren, es ist schließlich Hauptreisezeit, zu keiner Zeit sind mehr Tourist*innen in der Stadt als im August.
Nicht ohne Spannungen
Die Nachbarschaft der improvisierten Notunterkunft hat bislang relativ problemfrei reagiert. Die Anzeigen wegen Lärmbelästigung aufgrund der Gespräche der aufs Abendessen wartenden Afrikaner sind lächerlich und machen deutlich, dass es nicht um Krach sondern um Ablehnung geht. Mehr als einhundert Personen unter einen Hut zu bringen, geschieht dennoch nicht ohne Spannungen und Konflikte. Abgesehen von der Personenzahl treffen Kulturen aufeinander, die sich nicht kennen. Dass die große Mehrzahl der Flüchtlinge Männer sind, erschwert die Sache. Tatsächlich sind in den vergangenen Tagen auch Frauen dazu gekommen. Weil die Unterkunft an die Grenzen kam, wurde zusätzlich eine kleine Garage als Übernachtungsort improvisiert – vornehmlich für die wenigen weiblichen Flüchtlinge, die sich in die Gruppe integriert haben. Um Konflikte zu vermeiden wurden Regeln aufgestellt, doch patriarchale Verhaltensweisen sind dadurch nicht auszuschließen. Mehr als die Hälfte der Helfer*innen sind Frauen, für manche Männer-Migranten eine neue und vielleicht seltsame Erfahrung. In einem Fall wurde es notwendig, einen Ausschluss zu entscheiden, wegen „mangelnden Respekts“.
Willkommen in Bilbao!
Die große Mehrheit der Bevölkerung von Bilbao kriegt von den Geschichten in Bilbao La Vieja mit Sicherheit wenig oder gar nichts mit. Dafür sorgen die willfährigen Medien – auch linke Medien bemühen sich wenig – mit ihrer Nicht-Berichterstattung, obwohl doch Sommerloch ist. Zehn Seiten Fiesta rauf und runter, kein Wort über hundert afrikanische Migranten. Als die Gruppe in die letzte Unterkunft umzog, waren es noch knapp fünfzig Personen, nun sind es doppelt so viele, Tendenz steigend. Der Kollaps droht, denn das Haus ist an seinen Grenzen. Zuletzt wurden 100 Personen gezählt, darunter Minderjährige, die sich als Erwachsene ausgeben, um nicht in Heime gesperrt zu werden. Die Belegschaft wechselt ständig. Einige gehen immer wieder an die Grenze, um nach Frankreich zu kommen. Wenn sie scheitern und zurückgeschickt werden, erscheinen sie erneut in Bilbao.
Weil die Verantwortung immer größer wird, versuchten die helfenden Organisator*ìnnen aus den Nachbarschafts-Vereinen ihren Protest ins Stadtzentrum zu tragen und mehr behördliche Einmischung zu fordern. 24 Stunden lang gab es am Theaterplatz Information, Tanz, Musik, Poesie und Kerzen – manchen war das zu folkloristisch und hatte zu wenig Nachdruck und Forderungscharakter. Erneut glänzten die Medien weitgehend durch Abwesenheit, die Resonnanz der Aktion war gering. Den Aktivist*innen gelingt es kaum, eine Balance herzustellen zwischen karitativem Engagement und der Forderung, dass die öffentliche Hand ihr Gesicht zeigen muss. Die Mehrzahl der Freiwilligen will helfen und nicht demonstrieren.
Helfersyndrom
Nicht alle sind glücklich über diese Dynamik der Solidaritäts-Bewegung. „Es ist gut zu sehen, dass eine ganze Reihe von Leuten bereit und in der Lage ist, konkrete Hilfe zu organisieren und akutes Elend zu vermeiden“, so ein kritischer Kommentar. „Aber wir dürfen nicht so tun, als könnten wir die Probleme auf diese Art lösen. Wir dürfen nicht den politisch Veranwortlichen den Rücken decken, indem wir ihre Arbeit machen und ihre Verantwortung übernehmen. Momentan passiert das. Zweitens müssen wir unsere eigenen Grenzen sehen. Angenommen, die Flüchtlinge entscheiden sich zu bleiben – wir müssen uns fragen, wie lange wir dieses freiwillige Engagement durchhalten können. Das ist keine Lösung. Nicht, dass wir dem Roten Kreuz oder anderen NGOs die Verantwortung zuschieben sollten, Einmischung von der Basis aus ist mehr als positiv. Aber die Politik muss Farbe bekennen. Und die momentane Versorgung durch freiwillige Aktivist*innen sorgt mit dafür, dass das nicht geschieht“.
„Wir dürfen uns nichts vormachen, aber ein Teil der Aktivist*innen lebt hier sein Helfersyndrom aus. Für manche ist das wie im Abenteuerpark“, sagt eine noch kritischere Stimme, es klingt schon fast zynisch. Momentan haben diese durchaus wohlwollenden, aber kritisch hinterfragenden Ansichten in der Unterstützungs-Bewegung für die Flüchtlinge keine Mehrheit.
Ignoranz bei Medien und Behörden
Derweil ignoriert die bürgerliche Presse das Schicksal der einhundert prekär untergebrachten Afrikaner. Gleichzeitig erhalten die Behörden ausreichend Raum, sich auszubreiten. Ein Verantwortlicher aus der Regierung spricht von mehr als tausend Flüchtlingen, die seit Ende Juni durch Bilbao gekommen sind. Für die meisten sei die Stadt nur Durchlaufort auf dem Weg nach Mitteleuropa. Über das Rote Kreuz sei der „Flüchtlingsstrom“ bestens koordiniert und kontrolliert, man habe die Situation im Griff – nichts ist weiter von der Realität entfernt! Um keinen Preis wollen Bilbao oder die baskische Regierung den Ruf einer „aufnahmefreundlichen Region“ erhalten – nichts mit Welcome und Ongi Etorri! Willkommen gilt nur für zahlungskräftige Tourist*innen, mit oder ohne Hunde. Bei Migranten setzt die Stadt auf Durchreise in den Norden.
Unter den politisch Verantwortlichen wird befürchtet, dass der Strom von Flüchtlingen von Andalusien in den Norden noch nicht zu Ende ist. Die bislang freundlich erscheinende Haltung der neuen sozialdemokratischen Regierung in Madrid könnte sich so dauerhaft wie ein Streichholz erweisen. Wenn Europa einmal auf den Tisch haut – außerdem geht es wie immer und überall um die nächsten Wahlen. Aktuell weht der Wind in Europa – Italien, Österreich, Ungarn, Polen, Bayern – scharf von rechts. Nach dem Regierungsverlust der Postfranquisten im spanischen Staat verfolgt der neue Parteichef einen ultrarechten Kurs, der in einer linken Tageszeitung zur naheliegenden Frage geführt hat: „Ist Pablo Casado der spanische Sebastian Kurz?“
In den ersten Tagen seiner Regentschaft wird der neue PP-Führer einerseits von Korruptionsschlagzeilen begleitet, zum anderen hat er deutlich gesagt, dass es „keine Papiere für alle“ geben wird. Rote Karte also für die Flüchtlinge. Gleichzeitig hat sich der Newcomer im spanischen Süden beim Handschlag mit eben angekommenen Flüchtlingen ablichten lassen. So funktioniert Politik heutzutage, Populismus in Reinform – damit ihm niemand Rassismus nachsagen kann. Versteht sich, dass um den Handschlag herum dreißig Fotoauslöser gedrückt wurden – deutlich mehr als in Bilbao beim sanften Protest.
Dem abgewählten Rajoy gegenüber hat die baskische Regierung noch Forderungen gestellt, die in der EU vereinbarten Aufnahmequoten zu erfüllen und Flüchtlinge ins Baskenland zu bringen. Jetzt wo sie auf eigene Faust gekommen sind, ist der baskische Sturm und Drang vorbei, Bälle werden ins Aus geschossen. An oberster Stelle will niemand Verantwortung übernehmen – sitzungsfreie Zeit, Urlaub, Fiestas, Tourismus, Strand – soll es doch die Basisbewegung richten. Im Herbst kann dann wieder die Polizei geschickt werden.
Gleichzeitig beschwert sich die baskische Regierung, dass sie 500 sogenannte „unbegleitete Jugendliche“ versorgen müsse, während die angrenzende Region La Rioja zum Beispiel nur einen Jugendlichen unter den Fittichen habe. Die Last der Betreuung müsse unter den Regionen besser verteilt werden. Doch werden die PP-regierten Regionen einen Teufel tun, Aufnahmebereitschaft zu signalisieren.
Situation in Gipuzkoa
Je nach Herkunftsland sprechen die Flüchtlinge die eine oder andere Sprache, meist sind es koloniale Spuren, die dabei zum Vorschein kommen. Weil Sprache beim Ankommen in einer Gesellschaft wichtigstes Element ist, beeinflusst sie bei vielen die Wahl des gewünschten Fluchtlandes. Flüchtlinge aus dem Senegal zum Beispiel – mit Französisch als Amtssprache – bevorzugen Frankreich oder Belgien als Ziel.
Neben Bilbao sind auch in Donostia und der gipuzkoanischen Grenzsstadt Irun seit Ende Juni viele afrikanische Flüchtlinge aufgetaucht, die Presse spricht von 1.600 im ganzen Baskenland, ohne Quellenangabe. Gipuzkoa ist Grenzregion, wer hierher kommt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit die Absicht, weiter nach Norden zu gelangen. Eigentlich ist die Grenze offen, aber Ausnahmen und Kontrollen gibt es immer, vor allem nach den islamistischen Anschlägen in Frankreich und dem dort verordneten Ausnahmezustand. (2)
Vier Wege führen über die Grenze, die spanische Nationalpolizei versucht das zu verhindern. Zug und Reisebusse sind für die Grenzschützer leicht zu kontrollieren. Manche versuchen, in einem unbeobachteten Moment zu Fuß die Muga (baskisch: Grenze) zu passieren. Dann gibt es noch Taxis. Für die Fahrer ist es illegal, auch wenn sie weder Recht noch Pflicht haben, Passagiere nach ihren Papieren zu fragen. Manche Taxifahrer sollen schon mehrfach beim Transport von Afrikanern gefilmt worden sein. „Wenn sie dich schnappen, halten dich die Gendarme drei Stunden fest, aber bestraft wirst du beim ersten Mal nicht“, erzählt einer, dessen Kollege erwischt wurde. Die Polizei legt den Transport mitunter als Menschenhandel aus, das ist ein harter Vorwurf, mit dem Fluchthilfe schon lange kriminalisiert werden soll – angefangen im Mittelmeer.
Bekanntlich gibt es zweierlei Fluchthelfer*innen: Jene, die aus humanitärer Motivation die Flucht unterstützen. Und sogenannte Schleuser, die am Transport zwischen den Ursprungsländern und dem Mittelmeer viel Geld verdienen. Auch der Weg vom spanischen Süden in den baskischen Norden soll in den Händen einer Mafia liegen, wird gemunkelt. Andere schreiben dem Roten Kreuz den Bustransport aus dem Süden zu. Die Polizei macht keine Unterschiede zwischen Moral und Geschäft. Die Gendarmerie schickt erwischte Flüchtlinge direkt zurück, ganz unbürokratisch und ohne Aufhebens. „Devolución caliente“ wird das genannt, „heißes Zurückschicken“.
Aussichten
Für die nächsten Wochen bis Anfang September werden weitere Dutzende oder Hunderte von Migranten erwartet. Niemand weiß es genau, ein Rezept zur Aufnahme gibt es nicht. Die improvisierte Unterkunft im Arbeiterstadtteil von Bilbao musste bereits durch eine Garage erweitert werden, weil sie ans Limit kam. Unklar ist, wer das Staffelholz von Bilbao La Vieja übernimmt. Geplant waren zwei Wochen im Barrio, die wurden nun um weitere zwei Wochen verlängert. Eine neue Unterkunft zu suchen ist problematisch, mögliche Orte werden geheim gehalten, nicht zuletzt, um den Überraschungseffekt zu wahren. Und zu verhindern, dass Behörden oder Polizei im letzten Moment einen Strich durch die Rechnung machen – aus welchen Gründen auch immer. Außerdem geht das Geld aus. Die bisher eingegangenen Spenden sind verbraucht, kein Geld mehr vorhanden, um Lebensmittel zu kaufen. Die Stadt investiert derweil Millionen in Tourismus – am Artxanda-Berg über der Stadt thront seit 2 Monaten ein unsinniges rotes Lichtband, das 400.00 Euro gekostet hat.
„Dass die neue spanische Regierung medienwirksam die Flüchtlinge der Aquarius aufgenommen hat, treibt einige Beobachter in Europa offensichtlich zur Annahme, dass Spanien unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Sánchez eine grundsätzlich andere Flüchtlings- und Migrationspolitik betreiben würde als die rechte Vorgängerregierung“, schreibt Ralf Streck in einem Artikel bei Heise.de. (3) Tatsache ist, dass Spanien als einziger Staat „in seinen Exklaven Ceuta und Melilla Landgrenzen mit Afrika hat“ und dort längst Zäune a la USA-Mexiko hochzog. Die Abwehr von Flüchtlingen an diesen Grenzen endet nicht selten tödlich, die paramilitärische Guardia Civil schießt auch auf schwimmende Flüchtlinge.
„Spanien war der erste EU-Staat, der seine Polizei in Sachen Flüchtlingsstopp nach Afrika schickte, wo die Guardia Civil im Senegal Menschen kontrolliert und gängelt. Diese Zivilgarde ist keine Polizeitruppe, sondern eine Militäreinheit und untersteht dem Verteidigungsministerium. Dass Sánchez ausgerechnet in der Flüchtlingsfrage einen Machtkampf mit der starken Rechten eingeht, darf kaum erwartet werden“. Die macht längst mit der Flüchtlingsfrage Stimmung und spricht, weil die paar Flüchtlinge der Aquarius aufgenommen wurden, schon von einer "Sogwirkung". (3)
Ongi Etorri heißt Willkommen
Auf das eingangs beschriebene Werbeplakat der baskischen Regierung wurde zwei Tage später von unbekannter Hand ein Zusatz angebracht, sodass es nun hieß: „Ongi etorri bedeutet hier Willkommen Flüchtlinge. Willkommen im Baskenland“. Leider hielt der Zusatz nur zwei Tage, bevor er von anderer unbekannter Hand wieder entfernt wurde. (Baskultur.info / 2018-08-09)
ANMERKUNGEN:
(1) Artikel „Flüchtlinge in Bilbao – Allein die Nachbarschaft hilft“ bei Baskultur.info (Link)
(2) Artikel in Noticias de Gipuzkoa: “Cruzar la muga a cualquier precio“ vom 8.8.2018 (Um jeden Preis über die Grenze) (Link)
(3) Artikel von Ralf Streck bei Heise.de: „Auch Spanien wird auf Abschottung setzen“ (Link)
ABBILDUNGEN:
(*) Bilbao La Vieja (FAT)