Twintowers in Bilbao
Der japanische Architekt und Pritzker-Preisträger Arata Isozaki hat seine beruflichen Spuren auf der halben Welt hinterlassen. Auch in Bilbao. Bei der Ausschreibung für das Guggenheim-Museum Anfang der 1990er Jahre unterlag er dem Kanadier Frank Gehry. Dafür durfte er im selben Jahrzehnt über dem ehemaligen Stadtlager mit Zwillingstürmen das Tor zum bilbainischen Himmel konzipieren. Was nicht ohne Probleme vonstatten ging und zu einem Rechtsstreit mit dem Architektur-Kollegen Calatrava führte.
Arata Isozaki (1931-2022) entwarf Ende des 20. Jahrhunderts für das Stadtzentrum Bilbao die Isozaki-Hochhäuser, Isozaki Atea genannt. Dabei integrierte er das alte ungenutzte Stadtlager von Uribitarte am Flussufer in einen Komplex kleinerer Gebäude.
Arata Isozaki, Jahrgang 1931, wuchs in einer Umgebung auf, die "von der Leere" geprägt war, nachdem Japan im Zweiten Weltkrieg besiegt worden war. Mit seiner Arbeit erreichte er einen führenden Platz in der Architektur. Er starb am 28.12. 2022 im Alter von 91 Jahren und hinterließ ein umfangreiches Werk, das 2019 mit dem Pritzker-Preis, dem "Nobelpreis" für die Disziplin der Architektur ausgezeichnet wurde. Isozaki zeichnete sich aus durch die Fähigkeit, neue Formen zu entwickeln. Dies tat er auch in Bilbao, wo er ein Problem im Herzen des neuen Zentrums zu lösen hatte: die Sanierung der Umgebung eines alten Stadtlagers nach jahrzehntelanger Vernachlässigung. (1)
Denn nach dem Ende der Euskalduna-Werft, einem riesigen Unternehmen mit 6.000 Beschäftigten am Fluss und mitten in der Stadt, erfuhr das Zentrum einen radikalen Wandel. Vergleichbar war die Situation nur mit der (deutlich größeren) Metropole Berlin, die durch den Wegfall der Grenze einen großen Raum im Zentrum neu nutzen konnte. In bester Lage wurden in der 350.000 Einwohner*innen zählenden Stadt nacheinander das Guggenheim-Museum, ein Kongress-Palast, zwei Universitätsgebäude, das Meeresmuseum, ein Einkaufszentrum und ein Block mit Luxuswohnungen gebaut. Eingebettet in einen großzügig angelegten Park. Gleich neben dem neuen Zentrum stand das Gebäude des alten Stadtlagers (Deposito Franco), um dessen Zukunft die Stadt-Verantwortlichen jahrelang erfolglos gerungen hatten. Der Zuschlag bei der Ideen-Ausschreibung ging an Isozaki, der zwei 23-stöckige Zwillingstürme und ein Gebäudeumfeld entwarf, das aus fünf unterschiedlich hohen Gebäuden besteht. Vom alten Depot blieb nur die hintere Fassade und ein Teil der vorderen. Zwischen den Wohnungstürmen entstand eine breite Treppe, die den Höhenunterschied von dreizehn Metern zwischen den Straßen Uribitarte am Fluss und Mazarredo (beim Ibaigane-Sitz von Athletic Bilbao) überbrückt und den Eindruck eines Tores entstehen lässt.
Das Tor zum Himmel
Das Wichtigste seien nicht die Wolkenkratzer, sagte Isozaki einst in einem Interview, "als Machtsymbole interessieren sie mich nicht". Was ihn interessierte war, dass diese Türme zwischen ihren Silhouetten "eine Tür" bildeten. Eine neue Verbindung zwischen dem Stadtgebiet der Ensanche (historische Stadterweiterung Bilbaos Ende des 19. Jahrhunderts) und dem Fluss. Eine Möglichkeit, den Bewohner*innen einen städtischen Raum näher zu bringen, der Jahrhunderte lang durch Hafennutzung geprägt gewesen war.
Die Arbeiten begannen 2003 und die Einweihung von Isozaki Atea (Isozaki-Tür) im Jahr 2008 fiel mit einer Kontroverse zusammen, die noch mehr Aufmerksamkeit weckte. Santiago Calatrava (2), ein weiterer Architekt “des neuen Bilbao“, hatte gerade eine Klage gegen die Stadtverwaltung eingereicht, weil die von ihm entworfene Zubizuri-Brücke durch einen von Isozaki entworfenen Fußgängersteg mit der neuen Treppe verbunden worden war. Ein solcher Steg drängte sich als Zugang zum neu entstehenden Platz zwischen den Türmen förmlich auf, um Passant*innen nicht zu zwingen, erst die Brückentreppe hinab und dann die Isozaki-Treppe hinauf zu gehen.
Doch der extravagante und von vielen kritisierte Calatrava war beleidigt und sah seine Arbeit in Frage gestellt. Wegen “Eingriffs in ein Kunstwerk“ (seine Brücke) verlangte er ein “Schmerzensgeld“ von drei Millionen Euro, worauf ihn der damalige Bürgermeister beschuldigte, ein "pesetero del carajo" zu sein, ein Pesetenschinder zu sein. Es handelte sich um eine einmalige Konfrontation zwischen zwei Architekten, die den postmodernen Wandel der Stadt mitgeprägt hatten.
Die Zubizuri-Brücke von 1997
Die Zubizuri-Brücke (bask: weiße Brücke) mit ihrem riesigen Bogen, an dem ein Fußgängerüberweg aufgehängt ist, war 1997 eröffnet worden. Vorher durfte es keine unbeweglichen Brücken geben, um den ständigen Schiffsverkehr nicht zu behindern. Die vorherigen Brücken waren zum Klappen oder konnten seitlich weggedreht werden. Nicht so die Zubizuri, die gerne mit einer Möwe verglichen wird und Ähnlichkeit aufweist mit dem Flughafengebäude Bilbao-Loiu, das ebenfalls am Reißbrett Calatravas entstand.
"Wir haben so wenig wie möglich eingegriffen. Der Fußgängersteg (zwischen der Calatrava-Brücke und den Isozaki-Treppen) ist eine städtebauliche Lösung, die es den Fußgängern ermöglicht, sich zwischen beiden Ufern des Flusses zu bewegen", so der japanische Architekt. In erster Instanz gab ein Richter dem öffentlichen Interesse den Vorrang und sprach die Stadtverwaltung frei. Calatrava legte jedoch Berufung ein, der die Audiencia von Bizkaia 2009 teilweise stattgab. Das Gericht stellte fest, dass der Nutzen des Fußgängerstegs "das Urheberrecht nicht aufhebt oder überlagert", reduzierte die Entschädigung jedoch auf einen symbolischen Betrag von 30.000 Euro, die Calatrava schließlich an das Casa de la Misericordia (Armenhaus) in Bilbao spendete.
Alte Rechnungen
Der Rechtsstreit vergrößerte die Spuren, die dieses architektonische Wahrzeichen in der Stadt hinterließ. Der Fall hat die Rechtsprechung geprägt, da zum ersten Mal das geistige Eigentum an einem Werk und seine Funktionalität in Konflikt gerieten. "Ich habe Werke in der ganzen Welt geschaffen und war noch nie in eine derartige Kontroverse verwickelt", stellte Isozaki fest. Er folgerte, dass Calatrava "sich der Egozentrik schuldig gemacht hat" und verriet, dass sich ihre Wege bereits 1992 in Barcelona gekreuzt hatten. Isozaki hatte den Palau Sant Jordi (Palast) entworfen und Calatrava den Kommunikationsturm auf dem äußeren Platz. "Viele Leute haben mich damals aufgefordert, ihn zu verklagen, weil sie der Meinung waren, er würde das Design des Pavillons in Mitleidenschaft ziehen, aber ich habe mich geweigert", sagte er. "Ich würde niemals einen Kollegen denunzieren“.
Isozaki nahm die Klage "bitter" auf, seine Erfahrung in Bilbao habe das jedoch nicht getrübt, berichtet ein enger Begleiter jener Zeit: Iñaki Aurrekoetxea war der Architekt aus Bilbao, der mit Isozaki und dessen Team zusammen am Uribitarte-Projekt arbeitete. “Es war in jeder Hinsicht komplex. Zwischen Auftrag, Entwicklung und Ausführung lagen zehn Jahre", erklärt er. "Für mich persönlich war es wichtig in meinem beruflichen Leben, es markierte ein Vorher und ein Nachher in meiner Arbeitsweise".
Der Blick von Artxanda
Iñaki Aurrekoetxea erinnert sich an den Tag, an dem sie Isozaki am Flughafen abholten, als er noch nicht entschieden hatte, ob er den Auftrag der städtischen Firma “Vizcaína de Edificaciones“ annehmen würde. Er war bereits in Bilbao gewesen, weil er sich für die Guggenheim-Ausschreibung beworben hatte. Aber getreu seiner Auffassung von Architektur als einer sich verändernden Kunst, "die fließen muss", wollte er sich den Raum ansehen, in dem er arbeiten sollte. Sie fuhren direkt zum Artxanda-Berg (zwischen Flughafen und Stadt, mit einem hervorragenden Überblick über die Metropole und direkt über dem Fluss gelegen). "Damit er einen Blick auf die Ensanche, den Fluss und das Uribitarte-Gebiet werfen konnte. Wir hielten in der Nähe der Funicular-Seilbahn, er hatte ein kleines Notizbuch dabei und machte eine Reihe von Zeichnungen".
Dann verbrachten sie den Nachmittag mit Spaziergängen am Ufer des Flusses. Isozaki stellte fest, dass "das Ensanche-Gebiet eine stimmige Einheit darstellte, in die nur das damalige Gebäude der Banco de Vizcaya nicht passte. Außerhalb des Projektgebiets befanden sich (was hohe Gebäude betrifft) der Zabalburu-Block, die Etxezuri-Hochhäuser in der Gran Vía, und das benachbarte Albia-Hochhaus. Isozaki kam zu dem Schluss, dass die Lösung darin bestehen könnte, Hochhäuser zu entwerfen. So entstand ein umfassender, großzügiger und monumentaler Vorschlag, um die Verbindung zwischen Uribitarte und der Ensanche herzustellen".
Verständigung
Verständigungssprache war Englisch. Isozaki war "sehr korrekt, nicht besonders kommunikativ", er mochte Bilbao "wegen seines Grundrisses". Er war überrascht von der Verwendung von Verblendziegeln, die es in der japanischen Architektur nicht gab und integrierte sie in das Ganze". Die Entwicklung des Plans war ein langer Prozess. "Die japanische Mentalität lässt die Dinge ein wenig langsamer vonstatten gehen", an "Kontroversen" mit den städtischen Technikern mangelte es nicht.
Wie bei allen urbanen Großprojekten bildete sich eine Bürgerplattform, die sich gegen das Projekt aussprach und es als "aggressiv" bezeichnete. Architekt Aurrekoetxea erinnert sich an ein Ereignis, das er nicht vergessen kann. Eines Nachmittags, bevor Isozaki einen Vortrag in der Architekten-Kammer halten sollte, wurde ihm im Hotel López de Haro ein Flugblatt in sein Zimmer gesteckt, in dem er als "unwürdig gebrandmarkt wurde, etwas Unverzeihliches für die östliche Mentalität". Er hielt die Vorlesung, "aber am nächsten Tag schloss er sich ein, er kümmerte sich um nichts mehr, er war kurz davor, das Projekt aufzugeben".
Isozaki hatte auch gute Momente. "Er liebte es, zu essen und zu trinken, nicht unbedingt in schicken Restaurants". Er hatte Umgang mit dem kaiserlichen Haus, in Bilbao suchte er etwas anderes. "Eines Tages gingen wir nach Santurtzi, um Sardinen mit den Händen zu essen, aber wir nahmen unsere eigenen Weinflaschen mit".
Biografie
Arata Isozaki wurde 1931 in Oita im Süden Japans geboren, als ältester von vier Kindern. Sein Vater führte ein erfolgreiches Transport-Unternehmen. 1953 begann Isozaki ein Architektur-Studium an der Universität Tokio und besuchte dort die Klasse von Architekt Kenzo Tange. Er schloss sein Studium 1961 mit dem Doktorat ab und blieb bis 1963 in Tanges Büro, danach eröffnete er ein eigenes in Tokio. 1964 hielt er seine erste Vorlesung an der Ingenieurs-Fakultät der Universität von Tokio. Seitdem hielt er viele Gastvorlesungen an renommierten Universitäten wie Harvard, Yale oder der UCLA. Er war drei Mal verheiratet und hatte zwei Söhne. Ab 1983 war Isozaki Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten. 1987 erhielt er für seine Leistungen um die Architektur und Gegenwartskultur den Asahi-Preis und 1990 den Chicagoer Architekturpreis. 1998 wurde er als Ehrenmitglied in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. 2019 wurde ihm der Pritzker-Preis zuerkannt. Isozaki war auswärtiges Mitglied der Polnischen Akademie der Gelehrsamkeit (PAU) in Krakau. (3)
Ursprünglich war Isozaki ein Hauptvertreter des Metabolismus (japanische Architektur-Strömung), dann besann er sich auf die Geometrie als Urmutter des japanischen Designs. Wenig später entdeckte er Claude-Nicolas Ledoux (1736-1806) und Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) als klassizistische Vorbilder. Seinen ursprünglich einfach gehaltenen geometrischen Kompositionen, wie dem Golfclub in Oita und dem Kunstmuseum in Gunma, folgten manieristische postmoderne Bauten (Manierismus 1520-1600 Italien). Die Verbindungen seiner dritten Frau, eine Bildhauerin, zu prominenten Figuren der Modernen Kunst (wie Hans Richter, Man Ray oder Friedrich Kiesler) beeinflussten ihn ebenso wie sein früheres Sich-Auseinandersetzen mit den Tokioter Neo-Dadaisten. In seiner Formensprache nahm er Ideen aus der Postmoderne oder der Wiener Sezession auf und verarbeitete sie zu einem eigenen Stil. Auffallend war sein durchdachter Umgang mit einfachen geometrischen Formen und das Spiel mit Schatten und Licht. Isozakis letzte Projekte müssen als erfolgreiche Synthese seines langjährigen Schaffens gesehen werden: pittoreske Kunstwerke aus Japan, westlich beeinflusst.
Bauwerke (Auswahl)
Zu den bekanntesten von Isozaki entworfenen Bauwerken gehören: 1960: Ärztekammer Oita, Japan / 1966: Stadtbibliothek, Kitakyushu, Japan / 1974: Museum der Schönen Künste, Kitakyushu / 1986: Museum of Contemporary Art, Los Angeles / 1990: Palau Sant Jordi, Barcelona / 1994: Grabmal des Komponisten Luigi Nono, Friedhofsinsel San Michele, Venedig / 1996: Sportkomplex in Palafolls, Provinz Barcelona / 1998: Berliner Volksbank, Potsdamer Platz, Berlin / 2000: Philharmonie Thessaloniki, Griechenland / 2005: Torino Palasport Olimpico, Turin / 2007: Shenzhen Cultural Center Concert Hall, Shenzhen, Volksrepublik China / 2008: Isozaki Atea, Bilbao / 2013: Lucerne Festival Ark Nova (mobile Konzerthalle) mit Anish Kapoor / 2014: Allianz-Tower (Il Dritto), CityLife, Mailand. (3)
ANMERKUNGEN:
(1) ”Muere Isozaki, arquitecto genial con sello en Bilbao” (Tod von Isozaki, genialer Architekt mit Spuren in Bilbao), Tageszeitung El Correo, Autorin: Teresa Abajo, 2022-12-29 (LINK)
(2) Santiago Calatrava Valls (*1951), Architekt, Bauingenieur und Bildhauer. Auszeichnungen: Asturien-Preis für Kunst 1999, Nationaler Architekturpreis und Nationaler Preis für Bauwesen, beide 2005, sowie Europäische Architekturpreis 2015. Büros in New York, Doha und Zürich. (Wikipedia)
(3) Arata Isozaki, Wkipedia (LINK)
ABBILDUNGEN:
(1) Isozaki (elcorreo)
(2) Isozaki, Calatrava (flickr)
(3) Isozaki, Calatrava (wikimedia)
(4) Isozaki, Calatrava (flickr)
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2023-01-03)