Spurensuche im Baskenland
Die Geschichte der baskischen Sprache ist nicht nur von Unterdrückung geprägt, sondern auch von Widerstand und wachsendem Selbstbewusstsein. Das Euskara hat bis heute mit negativem Sozialprestige und der Dominanz des Spanischen zu kämpfen. Welche Perspektiven kann es also für das Baskische geben? Ein Projekt von Angelina Schülke (19), unterstützt durch ein Stipendium der zis-Stiftung, widmete sich im Sommer 2022 genau dieser Frage und gelangte dabei zu inspirierenden wie erstaunlichen Entdeckungen.
Wie keine andere europäische Sprache entwickelte sich das Euskara innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer modernen, standardisierten Wissenschafts- und Literatursprache. Dennoch bleibt es in vielerlei Hinsicht vulnerabel und es hängt sowohl von politischem Willen als auch dem Interesse jüngerer Generationen ab, ob sich das Euskara langfristig behaupten kann.
Vier Wochen. Mehr als fünftausend Kilometer. Zwei Sprachen. Ein Thema. Der 20. Juni 2022 markiert den Beginn meiner zis-Reise ins Baskenland, einem unvergesslichen Erlebnis, das mir die Gelegenheit gab, meine Komfortzone zu verlassen, ganz neue Perspektiven auf Sprache und Identität zu erhalten und vor allen Dingen die faszinierende baskische Sprache näher kennenzulernen. (1)
Nachdem ich zum ersten Mal im Schulunterricht von Euskara gehört hatte, brannte ich darauf, mehr über die politische und kulturelle Einbettung dieser Sprache zu lernen und herauszufinden, wie es um die aktuelle und zukünftige Förderung steht. zis ermöglichte mir, genau das zu tun und mich auf eine andere, langsamere Art des Reisens einzulassen, die gezielt den Kontakt mit der lokalen Bevölkerung sucht.
Hintergrund der Reise
Seit mehr als sechzig Jahren vergibt die am Bodensee ansässige gemeinnützige zis-Stiftung Reisestipendien an Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren, die auf Basis eines selbst gewählten Reisethemas die Kultur ihres Ziellandes erkunden. Ursprünglich beruhend auf einer Idee des Unternehmers Jean Walter, der die französische Fondation Nationale des Bourses Zellidja gründete, entstand unter dem Einfluss der Pädagogin Marina Ewald der Schwesternverein zis mit Verankerung in der Schule Schloss Salem. Die Gedanken des Brückenschlagens und der Völkerverständigung sind zentral für das Selbstverständnis der zis-Stiftung und Kernbestandteile ihres Leitbildes. Stipendiatinnen und Stipendiaten nehmen auf ihren Reisen nicht nur prägende Begegnungen und vertieftes, facettenreiches kulturelles Wissen mit, sondern werden gleichsam zu Botschafterinnen und Botschaftern ihres eigenen Herkunftslandes. Mehr Informationen unter zis-Reisen (2).
Inspirierende Begegnungen
Mein erstes Ziel war Bilbao, wo mir der Kontakt zum deutsch-baskischen Verein Baskale die Tür in die baskische Kultur öffnete und mich auf meinen ersten Schritten begleitete, wofür ich sehr dankbar bin. Davon ausgehend führte mich meine Reise in ganz unterschiedliche Ecken des Baskenlandes, vom kleinen bizkainischen Fischerdorf Lekeitio bis in die Hauptstadt Navarras Pamplona-Iruñea. Beeindruckt haben mich dabei nicht nur die traumhafte Landschaft mit ihren satt-grünen Hügeln, Flysch-Formationen und dem tiefblauen Meer, sondern auch die Lebensgeschichten, denen ich begegnete.
Im Verlauf meiner Reise hatte ich das große Privileg, mit vielen verschiedenen Menschen zu sprechen, darunter Vertreterinnen und Vertretern der Euskaltzaindia (Akademie der baskischen Sprache), Mitglieder der Vereine Karrikiri und Oihaneder, Professorinnen, Schriftsteller und Bertsolaris (baskische Versimprovisateure). Jedes Interview legte für mich eine eigene neue Facette des Euskara frei und in meinem Kopf entstand nach und nach ein umfangreiches Netzwerk, durch das ich lernte, die Verwobenheit von historischer Entwicklung, zivilgesellschaftlichen Initiativen, politischen Entscheidungen, Bildungsangeboten und baskischem Selbstverständnis besser zu verstehen.
Gemeinsam ist meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern allerdings der Enthusiasmus und die unermüdliche Ausdauer, weiter für den Erhalt des Euskara einzustehen. Diese Bereitschaft zur Initiative der Zivilgesellschaft lässt sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Baskischen verfolgen und ist bis heute seine Lebensader. “La voluntad de la gente“ ist es, die sowohl als beharrlicher Wille als auch starke Zuneigung und Identifikation mit dem Baskischen immer wieder zur Sprache kam und viele Menschen laut eigener Aussage in ihrem Engagement antreibt. Ein prominentes Beispiel hierfür sind etwa die Ikastolak, private Schulen mit Haupt-Unterrichtssprache Euskara, die auf eine Elterninitiative Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen und sich zu einem aktiven, wenngleich nicht unumstrittenen Teil des baskischen Bildungssystems entwickelten.
In jedem Fall ist der historische Hintergrund zentral, um zu verstehen, wo die Förderung des Baskischen aktuell steht und welche Perspektiven sich künftig dafür ergeben mögen.
Damals und heute
Die Geschichte der baskischen Sprache ist nicht nur geprägt von Unterdrückung und Marginalisierung, sondern auch von Widerstand und wachsendem “nationalem“ Selbstbewusstsein. Dabei hat das Euskara nicht erst seit dem Sprachverbot während der Franco-Diktatur mit negativem Sozialprestige und der Dominanz des Spanischen zu kämpfen. Immigrationswellen in baskische Industriezentren trugen beispielsweise zu einer Abwertung des Euskara als Sprache der bäuerlichen Landbevölkerung bei und führten dazu, dass man bis heute in Bilbao kaum Euskara auf der Straße hört. Mitverantwortlich dafür ist allerdings auch die Tatsache, dass das Erlernen des Euskara erhebliche finanzielle und zeitliche Ressourcen erfordert, die Menschen aus niedererem sozio-ökonomischem Milieu häufig nicht aufbringen können.
Darüber hinaus sind intergenerationelle Sprachvermittlung, alltägliche Nutzung und mediale Präsenz des Baskischen insbesondere in Ballungszentren eher schwach ausgeprägt. Wenngleich eine Mehrheit der öffentlichen Schulen mittlerweile auf dem Unterrichtsmodell D beruht, welches das Euskara als Haupt-Unterrichtssprache verwendet, ist es für eine langfristige Erhaltung und Förderung der Sprache nicht genug, sich nur auf den schulischen Rahmen zu konzentrieren. Im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Diputación Foral de Gipuzkoa (Provinz-Verwaltung) und einer Professorin für Kommunikation an der Universität von Deusto wurde deutlich, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um eine Sprache zum selbstverständlichen Kommunikations-Medium zu machen – welchen Aufwand das manchmal bedarf. Häufig kritisierten insbesondere Mitglieder der älteren Generationen, dass viele Jugendliche außerhalb der Schule kaum Euskara und stattdessen eher Spanisch und Englisch sprechen würden. Das Internet und soziale Medien spielen hierbei ohne Zweifel eine zentrale Rolle. Teil dieses Ungleichgewichts sind aber oft auch mangelnde Freizeitangebote auf Baskisch sowie der Umstand, dass Familienangehörige selbst kein Baskisch sprechen und zu Hause daher andere Sprachen dominieren.
Das Wissen um diese Lücken ist vorhanden, nur braucht es neben der Initiative der Bevölkerung auch politische Maßnahmen, um tatsächlich weitere Veränderungen herbeizuführen.
Politische Debatten
Die politische Dimension ist daher elementar für das Thema Euskara, sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn. Im Laufe meiner Reise ist mir die Entscheidung, öffentlich Baskisch zu sprechen immer wieder als politisches Statement begegnet – vorranging im urbanen Kontext. In den ländlich geprägten Gegenden ist Baskisch sowohl in den Familien als auch auf Straßenschildern vorherrschend, wie mir meine Besuche in Gernika, Lekeitio, Bermeo und Muxika verdeutlichten.
Auch die Identifikation mit der Sprache als kulturelles Erbe hat oft eine politische Komponente und ich bin unter anderem mit Menschen ins Gespräch gekommen, die sich die politisch-administrative Einheit der sieben baskischen Provinzen und / oder die Unabhängigkeit des Baskenlandes wünschen. In diesem Kontext war eine wichtige Beobachtung für mich, dass der baskische “Nationalismus“-Begriff (präziser: “Abertzalismus“ (3) anders als in Deutschland eher durch linke Einstellungen charakterisiert ist und sich nochmal komplexer und vielschichtiger darstellt als mir zunächst bewusst war.
Bislang unterteilt sich das Baskenland allerdings in drei verschiedene administrative Zuständigkeits-Bereiche: (1) die Autonome Gemeinschaft des Baskenlandes (Comunidad Autónoma del País Vasco, oder: Euskadi), bestehend aus den Provinzen Araba, Bizkaia und Gipuzkoa, (2) Navarra sowie (3) den französischen Provinzen Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa, zusammengefasst unter dem Namen Iparralde, die verwaltungstechnisch in das größere Département Pyrénées-Atlantiques eingebunden sind. Das bedeutet drei verschiedene Niveaus der Euskara-Förderung, gemäß der Position der aktuellen Regierungen. Diese Verflechtung erschwert Prognosen für die Zukunft, da künftige von der Regierung gelenkte Normalisierungs-Bestrebungen durchaus abhängig von der jeweiligen sprachpolitischen Ausrichtung und Priorisierung sind. Derzeit lässt sich festhalten, dass die Interessenförderung des Euskara im französischen Teil bislang vergleichsweise schwach ausgeprägt war, da es hier über keinen offiziellen Status verfügt und Verfechtende des Euskara bislang über nur sehr begrenzten politischen Einfluss verfügten. Zuletzt zeichneten sich durch die Gründung der “Mancomunidad de Iparralde“ (4) allerdings vermehrt erfolgreiche Emanzipationsbestrebungen ab, im Zuge dessen die Euskara-Förderung dort zudem von der Regierung Euskadis finanziell unterstützt wird (5). In der mittleren und nördlichen Zone Navarras ist das Euskara co-offizielle Sprache, allerdings wurde in den Interviews deutlich, dass die derzeitige Regierung offenbar eher wenig Wert auf eine stärkere Förderung legt. Daher ist die Normalisierung in der Autonomen Gemeinschaft des Baskenlandes unter der Führung der christlich-konservativen EAJ-PNV vergleichsweise am weitesten fortgeschritten, wenngleich es auch hier nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt.
An dieser Stelle sei dennoch erwähnt, dass die drei Regionen nicht völlig unabhängig voneinander agieren, sondern 2017 eine erste Zusammenarbeit mit dem Namen “Hiruko Ituna“ ins Leben riefen (bask: Dreier-Pakt), die vor allem die unterschiedlichen sozio-linguistischen Realitäten im baskisch-sprachigen Gebiet ins Auge fassen soll und kürzlich bis 2025 verlängert wurde (6). Gemeinsames Ziel ist hierbei vor allem die Förderung von Bildung und Verwendung des Euskara sowohl unter Kindern und Jugendlichen als auch Erwachsenen. Dem ratifizierten Abkommen zufolge könne dies nur unter “vereinten Kräften“ vorangetrieben werden (6).
Die Kunst des Bertsolarismo
Seit ich zum ersten Mal ein Video einer Bertsolarismo-Aufführung (bertso-saio) sah, hat mich diese Kunst der Versimprovisation in ihren Bann geschlagen. Vor allem die gesamt-baskischen Meisterschaften erfreuen sich alle vier Jahre größter Beliebtheit und medialer Aufmerksamkeit, sodass ich mir die Frage stellte, ob diese Kunstform auch dazu beitragen könnte, mehr Menschen für das Euskara zu begeistern. Die Ergebnisse hierzu fallen gemischt aus, da die Versimprovisation sich offensichtlich in erster Linie an ein Publikum richtet, das ohnehin des Baskischen mächtig ist. Nichtsdestotrotz habe ich auch gemerkt, dass Bertsolarismo eine starke Verbindung zwischen den Menschen schaffen und so möglicherweise die Vernetzung unter Baskisch-Sprachigen vertiefen kann. Durch das Aufgreifen aktueller politischer und sozialer Themen beweist der Bertsolarismo bemerkenswerte Anpassung an die Gegenwart und vielversprechenden Nachwuchs. Gleichzeitig ist sein Schicksal ungebrochen mit der Zukunft und Überlebensfähigkeit der baskischen Sprache verbunden.
Wenn jemand eine Reise tut …
In der Tat gibt es viel von einer derart prägenden Reise zu erzählen, besonders in Erinnerung bleiben werden mir allerdings einige Schlüsselmomente, in denen ich spürte, wie sich meine Perspektive nachhaltig veränderte. Dazu gehört die Erkenntnis, dass es keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist, die eigene Muttersprache problemlos im Alltag des Heimatlandes zu verwenden. In Deutschland habe ich mich nie gefragt, in welcher Sprache ich einen Arzttermin machen oder einkaufen gehen soll. Es bedurfte eines physischen Ortswechsels und des direkten Kontakts zu Baskinnen und Basken, um zu realisieren, dass die Hegemonie des Spanischen gerade in baskischen Großstädten zur Folge hat, dass für viele stets eine Restunsicherheit bleibt, ob sie nun auf Euskara verstanden werden oder nicht.
Gleichzeitig war es eine wichtige Erkenntnis, dass sich sprachliche Fragen oft keineswegs von den politischen, sozialen, historischen und kulturellen Hintergründen einer Region trennen lassen und eine gegenseitige Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten besteht.
Vor diesem Hintergrund hat mich besonders beeindruckt, mit welcher Überzeugung und Ausdauer sich die Menschen, denen ich begegnet bin, für den Erhalt des Euskara einsetzen. Diese Einblicke veranlassen zu der Hoffnung, dass das Euskara auch in Zukunft Bestand haben wird. In welchem Umfang sich dies vollziehen mag, ist angesichts der anhaltenden Dominanz des Spanischen, Englischen und Französischen, sowie schwer vorhersehbarer politischer Entwicklungen nicht endgültig absehbar. Wendet man die Kriterien des Expertengremiums hinter dem UNESCO Atlas für gefährdete Sprachen (7) an, ist der Zustand des Euskara auf spanischer Seite derzeit als vulnerabel zu erachten, während er im französischen Teil als ernstlich gefährdet zu betrachten ist. Seit dem Ende der Franco-Diktatur hat das Euskara eine durchaus bemerkenswerte Rehabilitation erlebt, in den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob jüngere Generationen an diese Tendenz anknüpfen und das Euskara in eine längerfristige Zukunft führen werden.
ANMERKUNGEN:
(1) Nach einem zip-Stipendium im Sommer 2022 hat Angelina Schülke (*2003) einen Bericht verfasst unter dem Titel: “Spurensuche im Baskenland – Welche Zukunft hat das Euskara?“, den sie Baskultur.Info freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat
(2) zis-Reisen (LINK)
(3) Wörtlich übersetzt bedeutet “abertzale“ etwa “jemand, der die Heimat liebt“ und wird daher im Baskenland eher als patriotische Gesinnung interpretiert. Mehrere Organisationen und Parteien, die sich u.a. für das Euskara einsetzen, tragen “abertzal“ in ihrem Namen. Aus spanischer Perspektive ist die Bezeichnung hingegen eher radikal-nationalistisch konnotiert, was auf baskischer Seite Kritik ausgelöst hat. Bereits dieser Unterschied verweist auf die Kontroversen und Komplexität dieses Themas.
(4) Die Mancomunidad de Iparralde, gegründet 2017, ist die erste eigene formelle Institution Iparraldes mit ihrem eigenen Budget und einer Sprachpolitik zugunsten der regionalen Sprachen Euskara und Gaskognisch.
(5) Vgl. Kerejeta, Iñaki (2013). El euskera en Iparralde cuenta y contará con el Gobierno Vasco. (LINK) (Zuletzt abgerufen am 09.01.2022).
(6) Vgl. Olazarán, María (2021). Navarra, la CAV e Iparralde renuevan su compromiso por el euskera. (LINK) (Zuletzt abgerufen am 09.01.2023).
(7) Vgl. UNESCO (2011). UNESCO Project: Atlas of the World’s Languages in Danger. (LINK) (Zuletzt abgerufen am 06.01.2023)
ABBILDUNGEN:
(*) Korrika 2022 (Foto Archiv Txeng) – Die Korrika ist ein 10-tägiger Solidaritäts-Lauf für die baskische Sprache Euskara
(PUBLIKATION BASKULTUR.INFO 2022-01-16)